10 ✈️ Eleanor on the Summer Road.
» Ich fühle mich heute so stark, ich könnte Bäume ansehen. «
{ sydney }
E L E A N O R || Es war definitiv kein Spaß, mitsamt seinem Koffer durch Sydney laufen zu müssen.
Noch weniger spaßig war es, wenn man dabei sein komplettes Handgepäck mitschleppen musste und kein einziges Taxi halten und einen mitnehmen wollte.
Und der Spaß hörte ganz auf, weil in Syndey, ganz anders als in Amsterdam natürlich, ungefähr eine Millionen Grad Celsius herrschten und ich die Unsportlichkeit in Person war, aber irgendwie mich und meine Koffer ans andere Ende der Stadt bugsieren musste ohne einen Kollaps zu bekommen.
Ich konnte Sydney jetzt schon nicht leiden.
Die Stadt war laut und stank nach Abgasen und soweit ich das beurteilen konnte, waren die Einheimischen auch nicht gerade freundlich. Außerdem war ich müde und wollte einfach nur in ein Bett in dem schönen kühlen Zimmer, welches ich mir zuvor in einem Hostel für drei Tage reserviert hatte.
Das hieß, ich wusste nicht, ob es dort kühl war. Zwecks mangelnden Geldes (was im Klartext hieß, ich hatte genug Kohle, wollte es aber nicht direkt bei meiner ersten Station in den Wind schießen) hatte ich mich in einer einfachen Jugendherberge untergemietet, statt ein Hotel zu nehmen und ich wusste nicht, ob die Wörter wie „Klimaanlage" dort überhaupt kannten.
Ich hatte einfach keinen Nerv dafür, mich jetzt in eine überfüllte Straßenbahn zu quetschen und wie ein Schießhund auf meine Sachen aufpassen zu müssen.
Wenn mein verdammter Akku nicht leer wäre, dann würde ich jetzt Lani anrufen und sie hier hin bestellen und dann würde ich-
Seufzend ließ ich mich auf eine Bank sinken, die Koffer stellte ich neben mir ab, sodass sie sich niemand so einfach im Vorbeigehen schnappen konnte. Seit ich aus diesem blöden Flugzeug gestiegen war, hatte ich nicht mehr gesessen. Noch dazu war ich nach dieser langen Reise ziemlich durstig, aber es war auch kein Wasser in der Nähe.
Es sei denn, ich würde mal eben zum Bondi Beach laufen, doch das Wasser war wohl nicht gerade zum Trinken gedacht und ich würde wohl noch einen größeren Umweg machen.
Es half alles nichts. Ich würde wohl laufen müssen. Meine Reise fing ja toll an!
Ich wollte gerade die Adresse des Hostels, welche ich mir auf einem Zettel notiert hatte, in mein Handy eingeben, als mir wieder einfiel, dass ich das nächste Mal wohl etwas weniger Musik hören oder zumindest eine Powerbank zum Aufladen des Gerätes einpacken sollte. Sowas Doofes aber auch!
Als eine ältere Dame in langsamen Schritt und mit einem freundlichen Grinsen ihren Rollator an mir vorbeischob, da ergriff ich die Chance und sprang auf.
„Hey, sorry?" Verwirrt blickte die Frau auf, als ich mit beiden Armen winkend auf sie zustürmte. Sie musste denken, ich sei nicht mehr ganz bei Trost. Aber ich wollte einfach nur ein warmes, weiches Bett.
Und eine Tafel Schokolade.
Und ein Tee wäre auch nicht schlecht. Wobei, bei dieser Affenhitze wäre das wohl eher kontraproduktiv.
„Was kann ich für Sie tun?" Die Dame war stehen geblieben. Ihre runzligen Hände hatte sie um die Griffe des Rollators geschlungen, fragend blickte sie mich an.
„Entschuldigen Sie", ich strich mir nervös durch meine Haare, welche ich inzwischen aufgrund der Sonne hochgebunden hatte, „aber wissen Sie vielleicht zufällig, wie ich zu dieser Adresse gelange?"
Innerlich dankte ich Gott dafür, dass ich mir die Adresse zuvor geistesgegenwärtig auf einen Zettel gekritzelt hatte, denn sonst würde ich jetzt wirklich nicht mehr weiter wissen.
Eine Weile blickte die Frau auf den Zettel, sie schüttelte immer wieder den Kopf und schien zu überlegen.
„Ja, ich weiß ziemlich genau, wie Sie dorthin kommen. Es ist ein ziemlicher Fußmarsch bis zu dieser Jugendherberge, aber eigentlich einfach zu finden." Innerlich schüttelte ich nur verzweifelt den Kopf. Das einzig Gute an der ganzen Sache war, dass ich lediglich weiße Vans trug und nicht unbequemere Schuhe oder sogar High Heels.
Dann jedoch konzentrierte ich mich wieder, denn nun begann die Frau damit, mir den Weg zu erklären. Sie faselte irgendwas von einer Brücke und ein paar Büschen, aber ich konnte sie kaum verstehen. Das lag nicht etwa daran, dass die Dame so nuschelte, sondern dass sie mit diesem unfassbaren australischen Slang sprach. Mir war auch schon zuvor bei sämtlichen Flughafenmitarbeitern aufgefallen, dass die Australier Buchstaben oder sogar ganze Wörter eines Satzes verschluckten und alle auf ihr komische Art und Weise anders aussprachen oder verdrehten. Es war zum Davonlaufen.
Am Ende stand ich nur da und konnte denken, dass ich froh war, nicht in Australien geboren und dafür auserkoren worden zu sein, die restliche Erdbevölkerung mit meiner Aussprache der englischen Sprache zu verwirren.
Die Frau runzelte nun wieder ihre Stirn und schnipste mir mit ihrer beringten Hand vor meinem Gesicht herum. Verwirrt blickte ich sie an.
„Warte, ich schreibe dir das auf." Sie schenkte mir ein belustigtes Lachen und schien dann etwas in ihrer Tasche zu suchen, die sie auf der Ablagefläche des Rollators platziert hatte. Alte Leute sollten es ja angeblich pflegen, einen ganzen Haushaltsbestand in ihren Handtaschen mit herumzutragen und tatsächlich zog mein Gegenüber nun einen Kugelschreiber aus ihrem Beutel.
Weitere zwei Minuten war sie dann damit beschäftigt, mir eine genaue Wegbeschreibung zu meinem Hostel aufzuschreiben und ich war froh darüber, dass ihre Schrift nicht genau zu unordentlich war, wie ihr Englisch.
Dann müsste ich nämlich noch einen anderen Passanten ansprechen und diesen dann bitten, das Gekrakel auf meinem Blatt zu entziffern. Und das würde definitiv noch peinlicher werden.
Doch als mir die Frau dann den Zettel wieder in die Hand drückte, da standen dort klar verständliche Sätze.
Die Australierin zeigte einmal über ihre Schulter. „Also von hier aus musst du erstmal da lang bis zu der großen Kreuzung da hinten und von dort aus dann nach links."
Ich nickte einmal glücklich.
„Vielen Dank-"
„Wenn du mich hier nochmal triffst, kannst du mich Charlie nennen", lächelte die Frau und stieg damit ohne große Umschweife auf das „Du" um.
„Tschüss Charlie!", sagte ich und beobachtete sie dabei, wie sie mit langsamen und für ihr Alter doch beschwingten Schritten in die entgegen gesetzte Richtung ihres Weges ging.
Ich konnte nicht von mir behaupten, dass es mir Spaß machte, den ganzen Weg zu der Jugendherberge zu laufen. Es war nicht so, dass ich auf einmal herausfand, wie toll das alles doch war und fröhlich tanzend zu Whitney Houston durch die Straßen lief. Ich war noch nie der Typ gewesen, der sich freiwillig viel bewegte und bei diesem Wetter und mit meinem Gepäck auf dem Rücken schwor ich dem Sport innerlich dankend ab. Wie gut, dass ich so viel essen konnte und trotzdem immer dünn blieb. Ansonsten wäre ich wohl verloren gewesen. Ohne meine Schokolade konnte ich nicht überleben.
Um meinen Weg also in kurzen Worten zu beschreiben: Es. War. Die. Reinste. Hölle.
Ich achtete noch nicht einmal sonderlich auf meine Umgebung. Dazu hatte ich morgen und übermorgen Vormittag auch noch Zeit.
Stattdessen zog ich wütend meinen Koffer - dessen Rollen in einer Tour in irgendwelchen Wegplatten feststecken blieben, ernsthaft?! - und schimpfte in einer Tour vor mich hin.
Von mehreren Passanten wurde ich verwundert angeguckt und die meisten beeilten sich auch, schnell an mir vorbei zu gern. Ich konnte ihnen das nicht verübeln. Ich musste ja auch ein ganz schön komisches Bild abgeben. Eine junge Frau, die einen Berg an Klamotten hinter sich her schleppte, mit mürrischer Miene, verstrubbelten Haaren und bei heißestem Wetter mit langen Klamotten und voralldingen schwarzen Hosen durch die Gegend stampfte... Ich musste ein Bild des Schreckens abgeben.
Aber auch das war mir sowas von egal.
Mir ging es nur darum, mich so schnell wie möglich in mein Hostel zu bewegen. Und außerdem war das Leben viel einfacher, wenn man niemanden mit seinem Aussehen beeindrucken wollte. Ich hatte David. Und da der momentan in Amsterdam war oder auf irgendwelchen karibischen Inseln hockte, brauchte ich mich nicht darum zu kümmern, wie ich im Moment aussah.
Es musste ungefähr vier Uhr nachmittags sein, als ich endlich vor meiner Jugendherberge zum Stehen kam. Sunshine Hostel stand in großen, geschwungenen Lettern über dem Eingang geschrieben.
Gegen meinen Willen musste ich mir eingestehen, dass es auch tatsächlich nach Sonnenschein aussah. Die Gebäude waren, wie in fast jeder Großstadt dicht an dicht gebaut und so gliederte sich die Jugendherberge in eine lange Häuserreihe ein - jedoch viel einem das Haus sofort auf.
Die Jugendherberge war in einem hellen türkisen Ton gestrichen, der perfekt in diese Stadt am Meer passte. Die Fensterläden waren weiß gehalten und das Dach von einem dunklen Rotton. Es passte perfekt.
Wenigsten musste ich nicht in einer uralten Baracke leben, dachte ich zufrieden und machte mich gleich daran, meine Koffer in das Innere des Hostels zu tragen.
Das Einchecken ging schnell und da ich dem Hausherrn anscheinend etwas leid tat, wurde mir das Gepäck auch gleich auf mein Zimmer getragen.
Mein Zimmer stand dem Äußeren des Gebäudes um nichts nach. Es war sehr geschmackvoll eingerichtet, mit dunklem Holz und teilweise türkis gestrichenen Wänden. Vor der Glastür, die auf meinen winzigen Balkon führte (es war ungefähr Platz für ein einziges meiner langen Beine) wehten luftige weiße Vorhänge im Wind.
Kaum hatte ich den Raum betreten und mein Gepäck in einer Ecke abgestellt, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Ich war einfach nur hundemüde.
Der lange Weg und der Flug hatten mir zu schaffen gemacht. Das Gespräch mit Louis spukte immer noch in meinem Kopf herum, auch wenn ich versuchte, nicht daran zu denken. Was er jetzt wohl gerade machte? Und was hatte er überhaupt in Australien vorgehabt?
Außerdem stresste mich diese unsägliche Zeitverschiebung. Wozu sollten verschiedene Zeitzonen denn bitte gut sein? Es wäre viel einfacher, wenn es überall auf der Welt die gleiche Uhrzeit geben würde.
Aber nein, Sydney musste ja in einer anderen Zeitzone liegen und jetzt war ich müde, weil ich in Amsterdam nämlich normalerweise in meinem Bett lag und schlief, während hier noch nicht einmal die Sonne untergegangen war.
Nach diesem Trip würde ich den Jetlag meines Lebens haben.
So viel war auf jeden Fall schon einmal klar.
Ich wusste, dass es eigentlich nicht gut für mich war und meinen Schlafrhythmus für die nächsten Tage ziemlich durcheinander bringen würde, aber irgendwann überwältigte mich der Schlaf.
Es war überraschend einfach. Dieses Mal lag kein Ex-Freund neben mir, der mich durcheinander brachte, das Bett war wundervoll warm und weich und so schlief ich überraschend schnell ein.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich einen langen und anstrengenden Tag hinter mir hatte und die Erschöpfung einfach so groß war, dass es gar nicht anders ging.
Das Lächeln wich mir nicht von meinen Lippen.
Als ich aufwachte, da war es dunkel.
Und mit dunkel meinte ich stockdunkel. Man sollte ja meinen, dass in einer Stadt wie Sydney auch in der Nacht Licht so hell wie am Tag herrschte, aber mein Zimmer war vollkommen dunkel. Noch nicht einmal durch die Vorhänge fiel ein bisschen Licht und das obwohl sie weiß waren und damit nicht sehr undurchsichtig.
Es musste ziemlich spät sein.
Ich musste einmal kurz gähnen, während ich mich in meinem Bett herum rollte und nach meinem Handy griff.
Es war drei Uhr in der Nacht. Klasse. Ganz große klasse.
Ich wickelte mich aus der Bettdecke, in die ich mich während meines Schlafes verwickelt hatte und tapste zu der Glastür. Vorsichtig zog ich die weichen Vorhänge beiseite und öffnete die Tür.
Als ich auf den Mini-Balkon trat, da wusste ich wieder, dass da unten noch Leben herrschte. Mich empfing die warme Sommerluft, die sich seit heute Nachmittag nicht groß verändert zu haben schien und so war mir noch nicht einmal kalt.
Vor mir breitete sich ein Panorama aus, wie man es sonst aus diesen kitschigen Filmen kannte, in denen sich die Hauptdarsteller dann am Ende vor der New Yorker Skyline in die Arme fielen. Sydney war vielleicht nicht ganz so groß und atemberaubend wie New York, aber hier herrschte in der Nacht noch mindestens genauso viel Leben wie im Big Apple.
Eine Weile beobachtete ich fasziniert, wie das Leben in der Großstadt weiter seinen Lauf nahm. Die Lichter in den Gebäuden gingen aus und an und die vielen Autos unter mir bewegten sich zielstrebig in die verschiedensten Richtungen, sie schienen alle ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben.
Nur ich hatte das nicht.
Es war schon ein wenig demütigend. Ich musste von meiner besten Freundin gedrängt werden, Amsterdam überhaupt mal zu verlassen. War ich so langweilig geworden?
Ich hatte ehrlich nicht viel Lust auf den Trip. Aber was sollte ich schon machen? Jetzt war ich hier.
Durch meine vielen Gedanken, die man alle gar nicht in Worte fassen konnte, stand ich länger auf dem Balkon ohne es bemerkt zu haben und nun fröstelte ich doch etwas.
Mit einem letzten Blick auf die Großstadt unter mir drehte ich mich um und trat wieder in mein Zimmer, schloss die Tür und zog anschließend wieder die Vorhänge vor, damit mich die hellen Lichter nicht stören konnten.
Mit einem Lächeln auf den Lippen legte ich mich wieder in das Bett und dann... schlief ich ein.
Das hieß, ich versuchte es.
Denn leider gab es bei diesem grandiosen Plan ein kleines Problem.
Ich war nämlich wach.
Und zwar so wach, wie man nur sein konnte
Verdammter Jetlag. Missmutig schüttelte ich den Kopf, nachdem ich mich ungefähr 10 Minuten in meinem Bett hin und her gewälzt hatte und immer noch nicht einschlafen konnte.
Außerdem kam jetzt, in dem Moment in dem ich eine Zeit lang ruhig in dem Bett gelegen hatte ein weiteres, noch viel größeres Problem dazu.
Ich hatte Hunger. Und zwar ziemlich großen Hunger.
Und da wiederum war nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, weil es in Sydney nun einmal gerade mitten in der Nacht war. Aber an Einschlafen war für mich nicht mehr zu denken. Deswegen konnte ich auch nicht einfach die Stunden bis zum Morgengrauen verträumen. Einen Fernseher, mit dessen Hilfe ich mir die Zeit vertreiben konnte, gab es auch nicht. Daran merkte man wohl doch, dass ich hier in einem recht einfachen Hotel gelandet war.
Ich spielte schon mit dem Gedanken, mich einfach in meinem Bett umzudrehen und mich so lange darin hin und herzu wälzen, bis ich endlich einschlafen würde (manchmal funktionierte das), doch daran war eigentlich nicht mehr zu denken. Denn wenn ich einmal Hunger bekam, dann gab es daran nichts mehr zu rütteln.
Außerdem war ich dann meistens ziemlich mies drauf und ich hasste es, wenn ich schlechte Laune hatte.
Also musste etwas dagegen unternommen werden.
Mit einem tiefen Seufzer kroch ich nun also wieder aus den Federn. Nachdem ich das Licht angeschaltet hatte, blickte ich mich in dem Raum um, auf der Suche nach etwas Verwertbarem gegen meine aufsteigenden Bauchschmerzen. Das passierte bei mir immer, wenn ich über einen längeren Zeitraum nichts zu mir genommen hatte. Und da ich das letzte Mal wohl gestern Mittag im Flugzeug etwas gegessen hatte, war meine Laune jetzt dementsprechend schlecht.
Deswegen war mein Aufschrei auch groß, als ich auf einem Beistelltisch, der neben dem Bett seinen Platz gefunden hatte, eine kleine Packung mit Keksen entdeckte. Wahrscheinlich waren sie als eine Art Gruß des Hauses gedacht. Die Cookies halfen mir jedoch eher nur geringfügig weiter, denn da in ihnen auch Schokolade enthalten war, hatte ich, nachdem ich die Kekse vertilgt hatte, nicht nur immer noch Hunger, sondern war auch noch durstig.
Es half alles nichts, ich musste mich wohl auf die nächtliche Suche nach einem Café oder Restaurant machen. In einer Weltstadt wie Sydney musste das wohl kein Problem sein. Ich hatte auch wirklich versucht, mich noch einmal für einige Stunden hinzulegen, aber diese Versuche waren nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen. Außerdem war ich hellwach, was bedeutete, das ich sowieso etwas tun wollte. Ob ich da dann bei Nacht in Sydney herumlatschte oder nicht, war dann auch egal.
Nachdem ich in ein luftiges Sommerkleid geschlüpft war und mir den Zimmerschlüssel, sowie mein Handy und etwas Geld geschnappt hatte, verließ ich das Hostel schließlich. Wohlweißlich hatte ich dieses Mal eine leichte Cardigan übergezogen, damit mir nicht zu kalt wurde.
Sydney bei Nacht war anders.
Zugegeben, ich hatte bis jetzt noch nicht viel von der Stadt zu sehen bekommen, aber das, was ich jetzt erblickte, ließ sich nicht mit meinen Erlebnissen am Tag vergleichen. Zwar hatte ich unter Stress gestanden, war genervt und ziemlich verwirrt gewesen, als ich heute in der Stadt angekommen war.
Aber als ich jetzt so durch die Straßen streifte, da wirkte Sydney auf mich fast still. Ich bekam die stickige Luft nicht mehr zu spüren, die gehetzten und genervten Passanten waren verschwunden und außer dem fernen Autorauschen hörte ich in der Seitengasse, durch welche ich nun lief, nicht viel von der Außenwelt.
Als ich nach oben blickte, da erblickte ich einen runden Vollmond und Tausend von Sternen, die auf mich hinab strahlten.
Es war ein friedlicher Moment.
Dann jedoch erinnerte ich mich wieder daran, warum ich mich zu der unmöglichsten Zeit überhaupt auf die Straße gewagt hatte und lief eilig weiter. Ich wollte endlich ein Café finden, in welchem ich unterkommen konnte.
Dieses Unterfangen war allerdings leichter gesagt als getan. Man sollte meinen, dass in einer Millionenstadt wie Sydney auch nachts vielleicht noch ein paar Restaurants oder zumindest Pubs geöffnet hatten, die der feiernden Bevölkerung Unterschlupf gewährten. Oder zumindest mir, die auf der nächtlichen (und sehr dringenden Suche!) nach etwas Essbarem war.
Aber an allen Geschäften, die danach aussahen, als würden sie etwas verkaufen, dass mich meinen Hunger wieder vergessen lassen würde, hatten dieses wirklich dumme Closed-Schild vor ihrer Tür hängen.
Ich achtete kaum noch auf meine Umgebung, so sehr war ich damit beschäftigt, ein Geschäft zu suchen, dass 1. um diese Zeit auf hatte (denn anscheinend war das doch nicht so selbstverständlich, wie ich gedacht hatte) und 2. auch etwas verkaufte, das man essen konnte und nicht einen Brechreiz bei mir auslösen würde.
Ich war schon an mehreren Bäckereien vorbei gelaufen, doch auch die hatten allesamt schon geschlossen. Es war bald halb 5 Uhr morgens, eigentlich sollten die doch langsam einmal aufmachen, oder?
Abrupt blieb ich stehen, als ich aus dem Augenwinkel auf einmal einen Pub wahrnahm. Ich lief gerade durch eine Seitengasse, es war ziemlich unheimlich und menschenleer hier und außerdem auch ziemlich dreckig. Ich konnte auch nicht gerade von mir behaupten, dass ich überhaupt noch wusste, wo ich war.
Wenn ich es jemals unbeschädigt zu der Jugendherberge zurück schaffen würde, dann würde ich mir selbst einen ausgeben.
Jedenfalls tauchte da auf einmal dieser Pub vor mir auf. Ich hatte schon einige dieser Läden hier angetroffen, war jedes Mal jedoch so schnell wie möglich an ihnen vorbei gelaufen. Es waren nicht gerade diese Art von Geschäften, in denen ich länger als zwei Minuten bleiben wollte.
Allerdings würde ich das erhoffte Café oder meinetwegen auch einen McDonalds wohl in diesem Leben nicht mehr vorfinden. Und ich hatte wohl gute Chancen, dass sie in diesem Pub auch etwas zu essen anbieten würden.
Bevor ich verhungern würde, stemmte ich also seufzend die schwere Holztür auf. Wenn es darauf ankam, musste man seine Meinung auch ändern können.
Doch als ich dann komplett eingetreten war, hätte ich meine Meinung am liebsten geändert. Das Einzigste, das mich nicht davon abhielt auf der Stelle kehrt zu machen, war mein verdammter Stolz.
Es war dunkel und obwohl von den Wänden schummrig leuchtende Lampen hingen, konnte ich meine Hand fast nicht vor Augen sehen. Das war ja wie außerhalb des Ladens.
Langsam betrat ich den Raum vollständig und sah mich, immer noch ein wenig skeptisch um.
Es roch ein wenig muffig nach abgestandenem Bier und Alkohol. Wie in den irischen Pubs war der Raum aus dickem Eichenholz gebaut worden, hinter der großen Baar mir gegenüber befanden sich unendlich viele Flaschen, die alle in einem großen Regal einsortiert waren. Es musste sich um hochprozentigen Alkohol handeln, denn ich glaubte kaum, dass die hier Cocktails verkauften.
Ich wollte mich jedoch nicht sinnlos betrinken, sondern einfach nur etwas essen und trinken. Deswegen sah ich auch darüber hinweg, dass der Pub insgesamt ein wenig herunter gekommen und versifft wirkte. Es war eindeutig schon vor einiger Zeit nicht mehr richtig aufgeräumt und sauber gemacht worden und in den Ecken und auf dem Boden, sammelte sich der Staub und Dreck.
Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. Na toll, ich war in einer totalen Bruchbude gelandet.
Doch ich schüttelte den Kopf und versuchte, nicht mehr daran zu denken, dass ich gerade nicht in einem edlen Restaurant hockte und steuerte zielstrebig auf die Bar zu und ließ mich dort auf einem Hocker nieder.
Der Barmann hob nur langsam den Kopf, als er mich bemerkte. Anscheinend hatte er seit Stunden nicht mehr viel zu tun gehabt (außer mir hielt sich auch keiner sonst hier auf) und war in eine Art Halbschlaf versunken.
„Was kann ich dir bringen, junge Dame?"
Wieder verzog ich leicht meine Mundwinkel, ich fühlte mich echt unwohl, aber gerade war der Hunger größer als das dringende Bedürfnis schreiend wegzulaufen.
„Ich möchte bitte einfach irgendwas Essbares. Pommes oder so. Und um Gottes Willen bitte keinen Salat oder irgendwas anderes Gesundes!"
Der Mann nickte einmal und machte sich dann auf den Weg in die Küche. Ich hörte nur noch die Tür klappern, dann sah ich ihn nicht mehr.
Das Essen tat mir gut. Als ich meine Portion Pommes verdrückt hatte und anschließend noch einen Burger bestellt hatte, da fühlte ich mich wie ein neuer Mensch.
Endlich erschien wieder ein zufriedenes Grinsen auf meinem Gesicht. Vielleicht half es mir, einfach mehr an die Positiven Sachen zu denken. Wer es schaffte, mitten in der Nacht durch halb Sydney zu latschen, nur um etwas Essen aufzutreiben, der sollte doch wohl auch alles andere hinbekommen.
Von meinem Platz aus konnte ich durch ein kleines Fenster den Himmel betrachten. Es war heller geworden draußen und ich konnte einen hellorangenen Streifen am Himmel entdecken.
Über Sydney ging die Sonne auf.
Und ich war mitten drin.
Ich lehnte mich glücklich lächelnd zurück.
Vielleicht würde der Tag heutige doch nicht so schlimm werden, wie ich es mir die ganze Zeit vorgestellt hatte.
Blieb jetzt nur noch die Frage, wie ich jemals wieder zu dem Hostel, geschweige denn zu der Konzerthalle gelangen sollte.
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✈️ Thank you to Beliema for her wonderful graphic! ✈️
♪ photograph [ ed sheeran ]
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