Da steh ich plötzlich vor allen anderen aus meinem Jahrgang, vor den Familien, den Lehrern, den Ehrengästen und bekomme mein Abiturzeugnis in die Hand. Unsere Schulleiterin findet noch ein paar nette, wenn auch bei mir neckende Worte (sie war 5./6. Klasse meine Klassenlehrerin) und dann ist der Moment auch schon wieder vorbei. Es waren zwei, vielleicht drei Minuten, die man in dem Applaus zu dieser Leistung baden durfte.

Die letzten 13 Jahre war die Schule der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens. Ich habe hier Freundschaften geschlossen und verloren, Erfolge und Niederlagen gefeiert, Werte wie Demokratie gelehrt bekommen und schlechte Zeiten wie Mobbing erlebt. Meine Schule ist für mich dennoch ein schöner Ort und schon jetzt Blicke ich wehmütig auf die Zeit in der Schule zurück. Auf die Zeit, in der ich wusste wie mein Alltag immer aussehen wird mit Hausuafgaben, Klausuren und Schulausflügen. Doch es waren immer die selben Leute dabei.

Meine Schulleiterin hat gesagt, jetzt würden wir unsere Flügel ausbreiten und davon fliegen. Doch ich finde diese Metapher mega traurig. Wir fliegen nicht als Schwarm davon, sondern fliegen jeder alleine zu neuen Destinationen.
Sicherlich werden wir nicht alleine sein, aber Freundschaften die sich gestern noch so leicht pflegen ließen, durch täglichen Kontakt, sind morgen plötzlich so zerbrechlich, dass die kleinste Berührung reicht um sie zu zerbrechen. Wir denken wie kennen das Prinzip der Freundschaft, aber eigentlich müssen wir es gerade neu entdecken.

Unsere Zukunften sind für die einen Gewiss, für sie anderen noch so ungewiss. Die einen bangen, dass ihre Träume klappen mögen, die anderen hoffen, dass sie realisieren, was sie machen wollen. Wir sind alle am selben Punkt in unserem Leben, haben die gleichen Lehren geteilt und genossen und sind doch so unterschiedlich für die Zukunft aufgestellt, wie noch nie zuvor.

Die Zukunft ist beängstigend, doch sie lädt uns zum erkunden ein. Wir sind nun an der Reihe unsere Weichen selber zu stellen und einen Schwarm zu finden, mit dem wir zusammen zu einer neuen Destination fliegen können. Diese Destination scheint für die einen schon klarer zu sein, als für die anderen, aber was uns allen unterbewusst bewusst ist, dass wir nie mehr mit dem selben Schwarm fliegen werden wie jetzt.
Vielleicht kreuzen sich unsere Wege noch einmal oder auch ein paar Mal öfter, aber mit jeder Destination gewinnen und verlieren wir Menschen dazu. Und das ist gut so, denn das reift uns fürs Leben.

Ganz vielleicht, treffen wir uns als Schwarm in 50 Jahren nochmal, zum goldenen Abitur. Dann können wir alle von unseren Destinationen berichten.

Doch bis dahin gratuliere ich allen Abiturienten und andere Absolventen des Jahrgangs 2023!