23. Zeit für ein Eingeständnis
KAPITEL 23
Zeit für ein Eingeständnis
Mittwoch, 9. März 1977
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Vanessa konnte das nächste Wochenende kaum erwarten - und das lag ausnahmsweise nicht daran, weil sie keine Lust auf den Unterricht hatte. Ihr Besuch bei Maggie am Samstag rückte immer näher und Vanessa konnte es kaum erwarten mit ihr nicht nur über Briefe kommunizieren zu müssen.
Sie wollte versuchen in der Frage voranzukommen, ob der Verfasser des Briefes, der ihre Mutter ins Gefängnis gebracht hatte, nicht doch etwas mit Maggie zu tun hatte. Doch was im Moment genauso präsent in ihren Gedanken war, war die Tatsache, dass Sirius und sie sich geküsst hatten. Dass es sich um den Ex-Freund ihrer besten Freundin handelte, war dabei überraschenderweise nicht einmal das Problem.
Würde jemand sie fragen, ob sie Gefühle für ihn hatte, könnte sie nicht einmal sagen, dass sie nichts für ihn empfand. Sie könnte wie eine Irre freudig schreien, wenn sie an den Kuss zurückdachte und der Gedanke Sirius das Herz zu brechen, brach auch ihr irgendwie das Herz.
Seit Sonntag hatten sie nicht mehr miteinander geredet, zumindest beschränkte es sich auf das Nötigste. James sah regelmäßig zwischen ihnen hin und her und vermied das Thema, sobald er Sirius finstere Miene sah (wobei er ständig das Thema auf seinen besten Freund lenkte, wenn er allein mit ihr war).
Selbst Remus hatte sich gewagt nachzufragen, was sich „denn ergeben hatte" und nach den vielsagenden Blicken der beiden hatte er sich doch lieber in die Vorbereitung des Großen Streiches gemacht, der laut James dem Schuljahr den perfekten Abschluss bieten würde. Es war witzig, dass alle Lehrer ihn für den vernünftigsten hielten, obwohl er das Gehirn hinter den meisten Vorhaben der Rumtreiber war.
An diesem Morgen saß Vanessa mit den anderen Mädchen am Gryffindor-Tisch, da ihr die Stimmung der letzten Tage ziemlich auf den Magen geschlagen war. Sie hatte früher ihre größte Zeit mit Maggie verbracht, aber auch Dorcas, Mary und Lily waren eine gute Gesellschaft. Lustlos rührte sie in ihrem Müsli herum und beobachtete Sirius von der Seite, als er mit James, Peter und Remus die Große Halle betrat.
Mary saß ihr gegenüber und las aufmerksam in ihrem Buch, wobei ihr Blick immer wieder kurz zu Vanessa glitt. Sie sah fragend zu Dorcas, die vorsichtig zu Vanessa schielte und sich schließlich erbarmte, diejenige von ihnen zu sein, die die Frage stellte. „Darf ich fragen, was genau nach deinem Geburtstag passiert ist?"
Vanessa sah von ihrem Müsli auf und fühlte sich völlig ausgeliefert bei den neugierigen Blicken, mit der sie ihre beiden Freundinnen ansahen. Auch Lily sah nun interessiert auf und hob gespannt die Augenbrauen, als Vanessa angespannt seufzte. „Wir haben uns geküsst."
„Das ist doch, theoretisch zumindest, etwas Gutes, oder nicht? Ihr seht mehr aus, als hätte jemand den anderen mit faulen Eiern vergiftet." fragte Mary nach und Vanessa vergrub ihr Gesicht in den Händen.
„Es kann sein, dass ich etwas... falsch reagiert habe." gab sie zu und nun hatte sie auch Lilys vollste Aufmerksamkeit.
„Bevor ich frage, warum in aller Welt man Sirius Black küsst, würde mich eher interessieren, was du unter einer falschen Reaktion verstehst." meinte sie etwas verwirrt und Dorcas hob abwartend eine Augenbraue.
„Ich bin zurückgewichen. Ich habe gesagt, dass ich das alles nicht kann und vielleicht hatte er recht, als er gesagt hat, dass ich nur Ausreden suche." Frustriert und mit einem nachdenklichen Seufzen sah sie auf ihr Frühstück hinab. Die drei anderen Mädchen tauschten einen kurzen Blick aus, bevor Mary neugierig geworden zu Vanessa sah.
„War es...?" setzte sie an und machte eine Geste mit ihrem Kopf.
Dorcas lachte leise. „Was sie fragen will, ist, ob es ein guter Kuss war?"
Nun entwich auch Vanessa ein Lachen und sie verdrehte leicht die Augen. „Ja, es war ein sehr guter Kuss. Er weiß, was er tut."
Lily stieß einen angeekelten Laut aus und wandte ihren Blick in Richtung der Rumtreiber, während Mary nur grinste und Dorcas amüsiert den Kopf schüttelte.
„Vanessa?" fragte Dorcas schließlich und atmete tief durch, als die Angesprochene aufsah, bevor sie die nächste Frage stellte. „Hast du Gefühle für Sirius?"
Vanessa öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Da war sie wieder: Die Frage, auf die ihr Kopf keine Antwort wusste und ihrem Herz keinen Raum gegeben hatte, in sich hineinzuhorchen. Sie wandte sich in Richtung der Rumtreiber, um ihn sehen zu können und bemerkte eine dunkelhaarige Ravenclaw neben ihm stehen, die sich mit einem herzlichen Lächeln mit ihm unterhielt - und er grinste sie mit seinem typischen Ausdruck in den Augen an.
Obwohl sie ein leichtes Ziehen in der Brust verspürte, wusste sie, dass sie kein Recht hatte sich zu beschweren. Sie hatte ihn von sich gestoßen. Und trotzdem wünschte sie sich, diesen Blick wieder auf sich gerichtet zu spüren.
In diesem Moment sah Sirius zu ihr und hielt kurz inne. Vanessa atmete zittrig ein und setzte zu einem leichten, traurigen Lächeln an, das seinen Blick nachdenklich werden ließ, bevor er wieder zu der Ravenclaw sah.
„Ich verstehe nicht, warum ich in letzter Zeit so viel nachdenke. Ich denke daran, dass wir beide James beste Freunde sind, dass er mit Maggie zusammen war und dass es vielleicht nicht funktioniert, obwohl ich mich sonst in alles reinstürze, ohne mir Gedanken zu machen. Warum ist es jetzt anders?" Sie vergrub verzweifelt ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich bin so stur und überfordert, dass ich mir alles vermassele."
„Wenn es bei dir um Leute geht, die dir viel bedeuten, ist es beinahe so, als würde sich ein Schalter bei dir umlegen, der dich zu viel denken lässt." gab Dorcas zu bedenken und auch Lily klinkte sich wieder ein.
„Wenn es nur ihn und dich auf der Welt geben würde: Was würdest du dann fühlen? Ohne an all das andere zu denken, was euch im Weg stehen könnte." Vanessa sah Lily nach ihren Worten nachdenklich an und versuchte ihre Sorgen und Ängste, was das Thema betraf, zu verdrängen.
Sie sah nur noch ihn vor sich: Die Art, auf die sie zusammen über einen Witz von James lachten; der Blick in seinen Augen, wenn sie über etwas sprach, das sie begeisterte; sein Lächeln, dass ihr immer dann auffiel, wenn er in der Nähe seiner Freunde war. Aber auch all den Schmerz, der in ihm war und den Vanessa ihm nehmen wollte. Sie wollte ihn unterstützen, für ihn da sein und die Person sein, mit der er über all das reden konnte. Sie wollte die Seite von ihm verstehen, die er nur so wenigen zeigte.
Vielleicht hatte sie ihre Gefühle nicht wahrhaben wollen, weil sie tief in ihrem Inneren immer gewusst hatte, dass sie existierten. Es war leicht gewesen, sie in all dem zu vergraben, was auf sie zugekommen war. Denn auch, wenn sie sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, sich in ihn zu verlieben, wurde ihr klar, dass sie nie darüber hatte nachdenken wollen, weil sie es mit aller Kraft verdrängt hatte.
Ihr Unterbewusstsein hätte sie wirklich früher darauf aufmerksam machen können. Und das alles nur, weil sie die ungeschriebenen Regeln ihrer Freundschaft nicht hatte brechen wollen und nicht den Eindruck erwecken wollte, sie interessiere sich für den Ex-Freund ihrer besten Freundin.
Automatisch schlich sich ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen und sie erwiderte den Blick ihrer drei Freundinnen viel geklärter als noch vor ein paar Sekunden. „Ich könnte niemals sagen, dass ich nichts für ihn empfinde. Ich treffe mich dieses Wochenende mit Maggie und werde mit ihr darüber reden." Sie rieb sich über die Stirn.
„Wieso machst du wegen Maggie eigentlich so ein großes Drama? Sie versteht es bestimmt und niemand kann etwas gegen seine Gefühle tun." warf Mary ein und plötzlich kamen ihre Worte schneller aus ihr heraus als ihr Gehirn es verarbeiten konnte.
„Weil ich schon etwas für ihn empfunden habe, bevor sie sich getrennt haben." Vanessa schlug erschrocken die Hand vor den Mund, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Auch die anderen drei hielten inne und sahen aus, als wüssten sie nicht so recht, wie sie sie beschwichtigen konnten. Plötzlich hatte sie ausgesprochen, was sie irgendwie die ganze Zeit gewusst hatte - und vielleicht hatte sie jetzt den Grund, weshalb sie so ein Problem damit gehabt hatte, sich ihre Gefühle einzugestehen.
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