15. Leere
KAPITEL 15
Leere
Donnerstag, 13. Januar 1977
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Hätte man Vanessa gefragt, was sie im Moment empfand, hätte sie kein Wort dafür gefunden. Es war...nichts. Die Tage seit dem Schulbeginn flogen an ihr vorbei, sie erledigte wie mechanisch ihre Aufgaben und wusste nicht einmal, wie ihr Körper es schaffte, automatisch ihrem Alltag nachzugehen.
Sie merkte, wie sehr Lily, Mary und Dorcas sich bemühten, sich um sie zu kümmern und ihr zu zeigen, dass sie für sie da waren, aber Vanessa war nicht in der Stimmung, sich mit ihnen zu unterhalten. Der Gedanke, dass sie versuchen würden, sie aufzumuntern, widerstrebte ihr. Sie wollte nicht aufgemuntert werden.
James verstand sie, zumindest versuchte er es und setzte sich gemeinsam mit den Rumtreibern zu ihr, wenn sie Hausaufgaben machte oder vor sich hinstarrte. Eigentlich war sie nie jemand gewesen, der den Großteil ihrer Freizeit mit Hausaufgaben verbracht hatte, aber es war ihr eine willkommene Ablenkung von ihren Gedanken.
Wenn jemand allerdings versuchte, sie absichtlich aufzuheitern, konnte Vanessa nichts dagegen tun, dass ihre Antwort gereizt ausfallen konnte. Es war zu früh. Es war schwer geworden, mit ihr zu reden und sie wusste, dass James immer innerlich in Freude ausbrach, wenn seine Witze sie zum Lächeln brachten.
Erst erfuhr sie, dass ihre beste Freundin an Blutkrebs erkrankt war und sie nicht mehr mit ihr nach Hogwarts gehen würde und anschließend wurde ihre Mutter verhaftet, weil sie angeblich Informationen an Todesser weitergegeben hatte. War es nicht verständlich, dass sie keine gute Laune hatte?
An diesem Nachmittag hatte sie ihre Jacke um ihren Körper geschlungen und saß auf der Wiese vor dem Schwarzen See, der mittlerweile zugefroren war. Kleine Wölkchen bildeten sich jedes Mal, wenn sie ausatmete und wie gebannt, folgte sie ihnen mit ihrem Blick, bis sie sich in Luft auflösten.
Sie glaubte nicht, dass das Ministerium recht hatte.
Ihre Mutter teilte nicht die Prinzipien dieser Todesser. Es gab nur Gerüchte über sie und bisher schlugen sie nur im Verborgenen zu, aber jeder wusste, dass etwas außerhalb von Hogwarts vor sich ging, dass große Auswirkungen haben würde. Niemals hätte Elia Allerton sich auf ihre Seite gestellt.
Vanessa spürte eine eisige Gänsehaut an ihrem Körper und zog ihre Jacke noch fester um sich. Es tat beinahe gut, wenigstens etwas zu fühlen, auch wenn es nur Kälte war.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie eine Berührung an ihrem Arm spürte. Was-?
Als sie sich nach rechts drehte, sah sie in die grauen Augen eines sehr großen, schwarzen Hundes, der direkt neben ihr stand und direkt auf Höhe ihres Gesichts war. Sie wartete ab, ob er möglicherweise aggressiv war, aber er schaute sie so treu an, dass sie ihm ihre Hand hinhielt und mit einem leichten Lächeln zusah, wie er an ihr schnupperte und sich von ihr über den Kopf streicheln ließ.
„Na?" fragte sie und das erste Mal klang ihre Stimme nicht abwesend, sondern sanft und erleichtert, dass jemand in ihrer Gesellschaft war, der nicht zwanghaft versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen.
Der Hund wandte seinen Blick nicht von ihr ab und begann mit seinem Schwanz zu wedeln, als Vanessa ihn weiterhin streichelte. „Ich glaube, du bist der einzige, der mich gerade nicht nervt." fuhr sie leise fort und für einen kurzen Moment glaubte sie zu sehen, wie das Tier den Kopf schief legte, beinahe als wolle er fragen, was sie meinte.
„Glaub mir, es ist definitiv leichter, ein Hund zu sein."
Nun legte er sich neben sie und platzierte seinen Kopf auf ihrem Schoß. Vanessa lächelte sanft. Endlich gab es jemanden, der ihr nicht sagen würde, dass alles gut werden würde. Er konnte ihr einfach nur zuhören. Schweigen. Und bei ihr sein.
Sie lehnte sich weiter nach unten und schlang ihre Arme um den großen Körper des Hundes, wobei sein struppiges Fell die Haut an ihrem Hals streifte. Seine Wärme tat unglaublich gut.
„Meine beste Freundin ist krank und wird behandelt. Meine Mutter sitzt in Askaban. Unschuldig." flüsterte sie und merkte, wie der Hund unter ihr sich leicht bewegte und seinen Kopf hob, was auch Vanessa dazu brachte, sich wieder aufrecht hinzusetzen. Das Tier sah ihr nun wieder direkt in die Augen.
So treu. So unschuldig.
„Ich habe nicht einmal geweint. Trotz allem... Es ist, als wäre ich taub. Innerlich. Ich kann nicht mehr. Diese mitfühlenden Blicke, diese aufmunternden Worte... Ich kann nicht mehr." fuhr sie fort und plötzlich spürte sie so ein heftiges Stechen in ihrer Brust, dass sie nach Luft schnappen musste. Es war, als kam all das, was sie verdrängt hatte, auf einmal auf sie zu. Vanessa dachte, sie würde ertrinken, als sie den Schmerz so heftig über sich hereinbrechen spürte, dass es sie selbst schockierte.
Erst die Zunge des Hundes, die über ihre Wange fuhr, ließ sie zusammenzucken. Tränen liefen hemmungslos über ihr Gesicht und Vanessa begann zu zittern, als sie die Kälte in ihren Gliedern spürte. Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und begann zu schluchzen, während sie seine Ohren kraulte.
Wahrscheinlich hätte sie Stunden dort verbracht. Sie hätte geweint, weil sie jemanden gefunden hatte, der sie nicht versuchen würde zu trösten. Es gab keine Worte für ihre Situation.
Doch der Hund begann an dem Ärmel ihrer Jacke zu ziehen und Vanessa folgte seinem Blick, der auf Hogwarts fiel. Unerwarteterweise wusste sie, was er sagen wollte. Es war kalt. Sie musste gehen.
Langsam nickte sie. „Ich weiß." murmelte sie und brachte ein leichtes Lächeln zustande, bevor sie sich die Tränen wegwischte. Nun registrierte sie ihre kalten, tauben Finger und sah noch einmal zu dem Hund, der ebenfalls zu ihr blickte.
Sie vergrub ihre Hände in ihren Jackentaschen und machte sich auf den Weg zurück zum Schloss.
Was sie nicht sah war ein schwarzer Hund, der sich in einen schwarzhaarigen Sechstklässler verwandelte, als sie nicht mehr in seiner Sichtweite war.
Sirius wünschte, er hätte mehr tun können.
Aber für Vanessa war es genug gewesen.
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