Schreck
Harry POV
Heute hatte ich erst ab Mittag Dienst. 12 Stunden Schicht und ich fühlte mich tatsächlich ausgeruht, als ich mich umzog und meinen Arbeitsbereich betrat.
"Harry!", mein Kollege kam auf mich zu, das iPad, was wir oft nutzten in der Hand. "Wir haben in Zimmer 2 einen Neuzugang. Mann, Anfang dreißig, sollte eigentlich nur eine kleine OP an der Hand werden, nach einem Bruch. Leider hat er eine fulminante maligne Hyperthermie entwickelt, dadurch ausgelöstes Nierenversagen, die Pumpleistung des Herzens ist herabgesetzt und wir sind am schauen, ob sich noch irgendwelche Symptome ausbilden. Derzeit ist er an der Dialyse und wir haben ihn so sediert, dass er schläft. Da müsstest du bitte ein Auge drauf haben, ein kardiologisches Konzil ist angesetzt, der Kollege kommt nach seiner Visite. Ansonsten haben wir die üblichen Maßnahmen getroffen und hoffen, dass wir weiteren Schaden abwenden können."
Ich schluckte, als ich diese Worte hörte. Diese Komplikation bei einer allgemeinen Narkose war sehr selten, aber konnte schnell lebensgefährlich werden. Nachdem ich die Werte betrachtet hatte, die mir das Tablett anzeigte, sah ich auf den Namen und stutzte. Brad Gould... Brad...
Mein Herz setzte für einen Moment aus und ich schüttelte den Kopf. Mein Kollege sah mich irritiert an. "Stimmt was nicht, bei den Werten? Habe ich was übersehen?"
Sofort verneinte ich. "Nein. Aber, aber ich kenne Brad.", sagte ich, drückte dem verdutzten Kollegen das Tablett in die Hand und lief schnurstracks in den Raum, in dem meine körperliche Affäre im Krankenbett lag.
XXX
Wie zu erwarten war dieser nicht allein im Raum und zu allem Übel erkannte ich, dass wohl auch Louis heute Spätdienst hatte.
"Er...", stotterte ich, sah zu, wie Louis eine neue Spritze in den Perfuser steckte, diesen startete, sodass die Flüssigkeit daraus langsam mit genauer Dosierung in die Adern des Patienten gedrückt wurde.
"Ja. Er kam gestern Abend. Nachdem du bei ihm warst. Hat es wohl doch nicht vertragen, dass du ihn nur f***. Seine Hand war kompliziert gebrochen, genau wie sein Herz!", warf er mir an den Kopf, checkte scheinbar die Werte, bevor er an den Laptop ging und dort die Dokumentation zu machen schien.
Ich selbst stand noch immer vollkommen fassungslos vor dem Bett, in dem dieser wunderschöne Mann lag, den ich gestern noch so leidenschaftlich unter mir hatte stöhnen hören.
Sein Gesicht sah zwar friedlich aus, im Schlaf, war aber blass und all die Schläuche, all die piependen Geräte wirkten so vollkommen falsch an ihm.
"Warum hilft sein Wolf nicht?", fragte ich, nachdem ich mich nach hinten gedreht hatte um zu schauen, ob noch jemand mithören würde.
"Das weiß ich nicht, Harry. Er ist ein Omega, genau wie ich. Wir haben zwar auch bessere Heilkräfte als normale Menschen, aber lange nicht so, wie du sie hast, als Alpha.", gab er zurück und wendete den Blick jedoch nicht von dem elektronischen Gerät ab, in das er starrte.
"Verdammt, das wollte ich doch nicht.", das schlechte Gewissen überkam mich für einen Moment. Nein, das hatte ich nicht gewollt. Brad hatte doch gesagt, dass er damit klar kommen würde, dass das nur eine körperliche Affäre war. Er hatte doch selbst am Anfang gesagt, dass er nicht nach einer Bindung sucht, sondern nur nach Spaß.
Vollkommen von der Rolle fuhr ich mir durch die Haare, zog dran, sodass der Schmerz mich ein Stück weit im Hier und Jetzt hielt.
In dem Moment hörte ich einen Alarm vom Flur. Den Ruf nach "Reateam." und dann funktionierte ich nur noch. Hetzte nach nebenan, reanimierte einen Mitte 60 er, der mit einem Herzinfarkt auf der Intensiv lag.
XXX
Zum Glück war uns die Reanimation geglückt und als ich mich vom Bett entfernte, mich beim Team für die tolle Zusammenarbeit bedankt hatte, flogen meine Gedanken sofort wieder zu dem Mann von nebenan.
"Sind alle soweit stabil? Braucht ihr mich?", fragte ich mein Pflegepersonal, doch alle verneinten, nachdem ich die Zimmer nacheinander besucht hatte.
Froh, dass es nicht so war ging ich daraufhin ins Ärztezimmer, nahm mir aus der Maschine einen schwarzen Kaffee und stürzte diesen runter, sobald dieser kalt genug war, um ihn zu trinken.
Der Versuch mich auf die medizinische Dokumentation, die mir oblag, zu konzentrieren scheiterte kläglich und ich schlug wütend auf den Schreibtisch vor mir. Ich verfluchte meine Mutter, den Beta meines Vaters, dass sie diese dämliche Feier mit diesen Omegas anberaumt hatten. Nie hatte ich Probleme mich zu konzentrieren gehabt, nie hatte es Probleme wie diese gegeben und nun?
"Dr. Styles?", der Kopf des Kardiologen erschien in der Tür und ich drehte mich schnell herum.
"Dr. Harris. Schön das sie da sind. Ich komme, lassen sie uns den Patienten gemeinsam anschauen."
Dr. Harris hatte neben dem Studieren des EKGs auch noch ein Herzecho, also ein Ultraschall des Herzens bei Brad gemacht und seufzte nun auf.
"Die Pumpleistung ist erheblich reduziert. Ich hoffe sehr, dass sich das wieder gibt und er sich was das angeht erholt. Diese verdammte maligne Hyperthermie ist wirklich das allerletzte. Ein ansonsten vollkommen gesunder, fitter Mann liegt nun hier mit einem nahezu Multiorganversagen und wir stehen so gut wie hilflos daneben. Wir werden ihn jetzt engmaschig überwachen. Ich setzte ein paar Medikamente an, die die Herzleistung erhöhen sollen und dann hoffen wir, dass es anschlägt.", ich sah auf Louis, der Brad sanft über den Kopf strich, bevor er die Sauerstoffmaske auf seiner Nase etwas richtete.
"Gut, Dr. Harris. Ich checke gleich nochmal die Nierenwerte. Auch an der Front sind wir noch nicht über den Berg. Vielen Dank für ihre Mithilfe."
Er klopft mir auf die Schulter, schenkte mir ein Lächeln. "Das ist mein Job. Wenn sich sein Zustand verschlechtert, rufen sie mich jederzeit. Ich habe auch nach Feierabend heute Rufbereitschaft.", bot er an und ich nickte.
"Danke. Ich hoffe ich werde sie nicht im Feierabend belästigen müssen."
XXX
Froh darüber, dass die restlichen Patienten an diesem Nachmittag stabil waren und das Pflegepersonal dort allein ihren Dienst tun konnte, ohne meine Hilfe, hielt ich mich die meiste Zeit bei Brad und Lou auf, der ihn nicht aus den Augen ließ.
"Du hast gleich Feierabend. Pause hast du auch nicht gemacht, seit ich da bin.", sagte ich zu ihm und er nickte, gähnte einmal und ließ sich für kurze Zeit auf den Stuhl sinken.
"Ich weiß. Aber ich werde ihn nicht hier allein lassen. Ich habe ihm gesagt, dass alles gut wird, dass er keine Angst haben braucht, vor dieser Operation und dann das. Das hätte ich nie gedacht. Wie oft kommt diese Art der Komplikation vor?", ich konnte in seinen schönen blauen Augen sehen, dass er sich irgendwie schuldig fühlte, auch wenn es vollkommen blödsinnig war. Ja, er hatte ihm gesagt, alles würde gut werden, aber er konnte ja nicht hellsehen und es war ja auch nur eine kleine, ansonsten unkritische OP gewesen, die ihm bevorgestanden hatte.
"Louis, er wird dir deshalb nicht böse sein.", sagte ich und merkte wie sanft sich meine Stimme anhörte und ich mich automatisch auf ihn zu bewegte. "Du hast das beste gewollt, ihn einfach beruhigt. Das ist dein Job als Pfleger. Du hast dir absolut nichts vorzuwerfen.", ich hatte ihn erreicht, stand nun groß und aufrecht vor ihm.
"Rein sachlich weiß ich das.", gab er leise zurück, "...aber hier. Das glaubt es nicht.", er deutete auf sein Herz und mein innerer Wolf randalierte bereits. Wollte den Mann, den er begehrte nicht so niedergeschlagen sehen.
"Komm mal her.", sagte ich im Flüsterton, zog ihn auf die Beine und dann in meine Arme. Erstaunlicherweise kam keinerlei Gegenwehr und er schien die Umarmung genauso zu genießen, wie ich. Mein innerer Wolf schnurrte regelrecht bei der Berührung und wir wurden erst der Umgebung wieder wahr, als plötzlich ein Murmeln vom Bett erklang.
"Wo, wo bin ich?", Brad hatte die Augen nicht geöffnet und Lou sah erschrocken auf den Mann, der eigentlich doch so tief sediert sein sollte, dass er schlief.
"Sedierung hochfahren, Louis.", rief ich ihm zu, trat an das Bett heran und legte meine Hand sanft auf den gesunden Arm von Brad.
"Du bist im Krankenhaus. Es ist bei der Operation eine kleine Komplikation passiert, deshalb bist du jetzt bei mir auf der Intensivstation.", ich streichelte leicht über die kühle Haut und sah, wie Louis am Perfuser herum stellte, scheinbar einen Bolus, also einen extra Schuss Beruhigungsmittel aktivierte.
"Harry?", fragte Brad, war kaum unter der Maske zu verstehen.
"Ja. Ich bin hier und passe auf dich auf. Schlaf einfach weiter. Schlaf dich gesund. Es wird alles gut.", murmelte ich ihm zu, merkte, wie die eben noch leichte Spannung im Körper wich und er zurück ins Traumland glitt.
"Warum war er wach?", Lou sah mich noch immer etwas erschrocken an, doch ich zuckte nur mit den Schultern.
"Wir metabolisieren, also wir verstoffwechseln Medikamente anders, schneller als Menschen. Deshalb hat wohl die übliche Dosis nicht mehr ausgereicht. Stell bitte um 2 mg die Stunde höher. Das sollte hoffentlich erstmal reichen. Gut, dass ich heute Nacht Dienst habe. Das würde ja jeden anderen Arzt Komplet verwirren."
Louis tat wie geheißen, nickte. "Ja und ich bleibe auch bei ihm. Er, ich will nicht das eine andere Schwester oder Pfleger...", ich sah ihn streng an, schüttelte den Kopf.
"Hör zu. Du hast zwei Möglichkeiten. Gleich kommt deine Ablösung. Ich erlaube dir, wenn Du dich dann in den Ruheraum begibst, in 4 Stunden wieder her zu kommen. Damit solltest du als Lykantroph genug Kraft gesammelt haben. Dazu hast du gegessen, bevor du hier wieder aufschlägst. Sollte etwas sein, sage ich dir Bescheid. Solltest du diesen Deal nicht eingehen, werde ich dafür sorgen, dass du erst zu deiner nächsten Schicht kommst. Hast du verstanden?"
Er schluckte, die blauen Augen sahen mich an, hielten tatsächlich für einen Moment den Blickkontakt und ich war erstaunt, dass ein Omega so einen Willen haben konnte.
"Gut. Das, das hört sich fair an.", er gähnte, wischte sich die Müdigkeit aus den Augen. "Aber du rufst mich wirklich, wenn etwas ist. Ich nehme ein Stationstelefon mit."
Ich lächelte, ging erneut zu ihm, öffnete meine Arme, einladend und tatsächlich ließ er sich wieder in eine Umarmung fallen, umschloss meinen Körper mit seinen kurzen Armen, während ich ihm beruhigend über den Rücken strich.
"Er schafft das, Lou. Da bin ich mir sicher. Wir kriegen ihn wieder hin. Versprochen.", sagte ich, löste mich von ihm. "So und nun, geh in den Besprechungsraum, die Übergabe beginnt gleich. Ich bleibe hier."
Er nickte, lächelte mir einmal unsicher zu und verließ, wie geheißen den Raum.
Es war komisch, das war gerade die merkwürdigste Interaktion die wir bisher hatten und doch fühlte es sich so absolut richtig an. Ich hatte ihn geführt, er hatte sich mir unterworfen, aber nicht aus Zwang, sondern weil ich richtig entschieden hatte, auch in seinen Augen und dieses Gefühl tat mir gut.
Dazu die Umarmung und die körperliche Nähe. Ich schüttelte den Kopf. Leugnen hatte verdammt nochmal keinen Sinn mehr. Dieser Omega hatte mich in seinem Netz, das war mir inzwischen klar, aber was waren das dann für Gefühle, wenn ich Brad ansah?
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