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Die sterile, kalte Luft der Polizeiwache war von einer bedrückenden Spannung erfüllt. Lennart saß auf einem Metallstuhl, die Beine lässig ausgestreckt, die Hände in die Hosentaschen gestopft. Seine blonden Locken hingen ihm ins Gesicht, und die schmalen Wangenknochen unter seinen wütenden Augen wirkten noch markanter als sonst. Mit seinen 13 Jahren und seiner dünnen, fast drahtigen Statur sah er zwar nicht gefährlich aus, doch die Energie, die von ihm ausging, war explosiv.
„Also? Was jetzt?“ fragte Lennart in einem schneidenden Ton, sein Blick voll Verachtung auf die beiden Polizisten gerichtet.
„Das fragst du ernsthaft?“ sagte der größere Polizist, ein erfahrener Mann Mitte 40, der Lennart bereits aus früheren Vorfällen kannte. Er verschränkte die Arme und lehnte sich an den Tisch. „Du bist nicht zum ersten Mal hier, Lennart. Und jedes Mal wird es schlimmer.“
Lennart zuckte mit den Schultern, seine schmalen Arme hoben sich unter dem viel zu großen Hoodie, den er trug. „Euer Job ist es doch, mir auf die Nerven zu gehen. Macht halt, was ihr wollt.“
Der jüngere Polizist schüttelte den Kopf und sah zu seinem Kollegen. „Der Junge ist völlig außer Kontrolle. Das ist kein normaler Teenager mehr, das ist ein Pulverfass.“
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Sven trat ein. Sein Gesicht war angespannt, die Stirn in Falten gelegt, während er zu Lennart sah, der ihm mit funkelnden Augen entgegenblickte.
„Was willst du hier?“ schnauzte Lennart sofort. „Wolltest du noch mehr Mist erzählen?“
Sven ignorierte Lennarts Provokation und richtete sich direkt an die Polizisten. „Es muss endlich etwas passieren. Heute Abend war der Höhepunkt. Er hat zuhause alles kurz und klein geschlagen. Stühle, ein Regal – und das ist nicht das Schlimmste.“
Die Polizisten warfen sich einen ernsten Blick zu. „Was meinen Sie?“ fragte der Ältere.
Sven holte tief Luft, seine Stimme zitterte leicht, als er weitersprach. „Er hat seine Mutter geschlagen. Und mich auch.“
Lennart sprang vom Stuhl auf, seine dünnen Arme angespannt, während er wütend auf Sven deutete. „Halt die Klappe, du Lügner! Niemand glaubt dir deinen Scheiß!“
„Setz dich hin, Lennart!“ befahl der ältere Polizist scharf.
Doch Lennart blieb stehen, seine Augen brannten vor Zorn. „Ihr seid doch alle gleich! Glaubt diesem Idioten ruhig, aber ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!“
„Setz dich hin, Lennart!“ wiederholte der Polizist, dieses Mal lauter, und Lennart ließ sich widerwillig zurück auf den Stuhl fallen.
Sven, der sich sichtlich bemühte, ruhig zu bleiben, sah zu den Polizisten. „Er hat komplett die Kontrolle verloren. Er hört auf niemanden mehr. Wir können nicht mehr.“
„Es geht hier nicht nur um das, was heute passiert ist“, sagte der jüngere Polizist. „Lennart ist kein unbeschriebenes Blatt. Er war schon öfter hier. Diebstahl, Sachbeschädigung, Streitereien. Das ist ein Muster, und es wird gefährlicher.“
Lennart verdrehte die Augen. „Hört ihr euch eigentlich zu? Ihr tut so, als wäre ich ein Schwerverbrecher. Ich hab bloß ein paar Sachen gemacht, die euch nicht passen. Wen interessiert das?“
„Lennart!“ Erschöpft und verzweifelt trat Helena in den Raum. Ihre Augen waren rot, und sie wirkte noch schmaler und zerbrechlicher als sonst. Als sie ihren Sohn sah, blieb sie stehen, ihre Hände zitterten.
„Mama, sag denen, dass das alles Blödsinn ist!“ rief Lennart, seine Stimme lauter und aggressiver als zuvor. „Sag ihnen, dass ich nach Hause kann!“
Doch Helena sagte nichts. Sie sah ihn an, als würde sie ihn nicht wiedererkennen. Dann wandte sie sich an die Polizisten. „Was passiert jetzt?“
Der ältere Polizist seufzte und trat näher. „Frau Kasten, wir müssen ehrlich mit Ihnen sein. Lennart hat heute Abend nicht nur randaliert und sich aggressiv gegenüber uns verhalten. Wir haben von Sven erfahren, dass er auch zuhause gewalttätig geworden ist.“
„Er… er ist doch nur ein Kind“, stammelte Helena, ihre Stimme voller Tränen. „Er ist doch mein Junge…“
„Das wissen wir, Frau Kasten“, sagte der Polizist mit einem ernsten, aber mitfühlenden Ton. „Aber so kann es nicht weitergehen. Es geht nicht nur um Lennart. Es geht auch um Sie.“
„Was meinen Sie?“ flüsterte Helena.
„Wir glauben, dass es das Beste ist, wenn Lennart vorerst nicht mehr nach Hause kommt“, erklärte der Polizist. „Wir haben das Jugendamt informiert. Sie werden sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um eine Lösung zu finden.“
„Nein!“ rief Lennart plötzlich, seine Stimme voller Wut. „Ihr könnt mich nicht einfach wegschicken! Das ist mein Zuhause! Ihr seid doch alle verrückt geworden!“
„Beruhig dich, Lennart!“ rief der Polizist, doch Lennart sprang erneut auf, seine Bewegungen hektisch und voller Zorn.
„Ich beruhige mich gar nicht!“ brüllte er. „Ihr denkt, ihr könnt über mich bestimmen? Über mich? Niemand sagt mir, was ich zu tun habe!“
Zwei Beamte traten vor, bereit, Lennart zurückzuhalten, falls er sich weiter aufregen würde. Doch er wich zurück, funkelte sie an und spuckte schließlich auf den Boden.
„Ihr seid alle verdammt lächerlich“, knurrte er, seine Stimme voller Gift. „Ihr werdet schon sehen. Ihr werdet alle noch sehen.“
Helena brach endgültig in Tränen aus, und Sven sah verlegen zur Seite, während die Polizisten Lennart aufforderten, sich zu setzen. Als er schließlich widerwillig Platz nahm, wirkte er wie eine zusammengedrückte Feder, die jederzeit explodieren könnte.
„Lennart wird vorübergehend in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht“, erklärte der Polizist ruhig. „Das ist nicht verhandelbar.“
„Ihr könnt mich nicht zwingen!“ rief Lennart, doch seine Stimme klang weniger sicher als zuvor.
„Doch, das können wir“, sagte der Polizist mit fester Stimme. „Und das werden wir. Es geht nicht mehr nur um dich, Lennart. Es geht um die Sicherheit deiner Familie – und letztendlich auch um dich selbst.“
Lennart starrte die Beamten an, sein Blick voller Trotz. Doch irgendwo tief in ihm regte sich die Ahnung, dass er den Boden unter den Füßen verloren hatte.
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