12
Lennart saß in seinem spärlich eingerichteten Zimmer in der Jugendeinrichtung und starrte auf den Boden. Zwei Wochen waren vergangen, seit er hierhergebracht worden war, und obwohl er sich versprochen hatte, stark zu bleiben, konnte er nicht anders, als zu weinen. Es war schwer, hier zu sein, weit weg von allem, was er kannte. Aber der Gedanke, wieder "nach Hause" zu kommen, schien ihm ebenfalls völlig fremd. Was sollte er dort tun? Ein fremder Mann, der behauptete, sein Vater zu sein, wollte ihn abholen. Lennart hatte keine Ahnung, was er von diesem Typen halten sollte.
Er wusste, dass es besser war, nicht abzuhauen – der Gedanke, alleine zu fliehen, erschien ihm sinnlos. Was hätte er wohl erreicht? Aber der Gedanke an diesen neuen "Vater" machte ihn wütend. Lennart hatte keine Erinnerung an ihn, und trotzdem fühlte er sich in irgendeiner Weise verpflichtet, diesem Typen zu widerstehen. Wer war dieser Dean überhaupt, der ihm einfach sagen konnte, dass er zu ihm kommen sollte? Und was wollte dieser Mann wirklich von ihm?
Gestern hatte er erfahren, dass Dean ihn nach Hause holen würde. Dieser Mann, der nichts von ihm wusste, sollte ihm jetzt einfach ein Zuhause geben? Lennart hatte das Gefühl, dass er sich irgendwie wehren musste. Er würde nicht einfach so annehmen, dass dieser Mann ihn in sein Leben einlud, als ob alles glatt gehen würde. Er würde nicht derjenige sein, der sich einfach anpassen ließ, nur weil er das von ihm erwartete.
„Ich zeig‘ dir schon, dass du mit mir nicht einfach spielen kannst“, murmelte Lennart und ballte die Fäuste. Er wollte Dean spüren lassen, dass er nicht der brave, gehorsame Junge war, den dieser Mann sich vielleicht vorstellte. Nein, er war ein Typ, der auf seinen eigenen Füßen stand und sich nicht von irgendwem herumkommandieren ließ.
Doch tief in ihm wusste Lennart, dass der Gedanke, bei diesem "Vater" zu leben, auch eine Art Hoffnung in ihm weckte – eine leise Hoffnung, dass er vielleicht doch etwas anderes erleben könnte als das, was er bisher gekannt hatte. Aber diese Hoffnung verbarg er gut hinter seiner Fassade aus Wut und Arroganz.
Er stand auf und sah sich im Raum um. Alles war klein und unpersönlich, und die Wände waren kahl. In diesem Moment dachte er an das Bild von dem neuen Zimmer, das er bekommen sollte – das Zimmer, das Dean und Georgina für ihn vorbereitet hatten. Ein Fußballzimmer, das er zu mögen wusste, aber auch das wollte er nicht zugeben. Nicht, dass er irgendeinem der Erwachsenen hier gefallen wollte.
„Mal sehen, wie das hier läuft“, dachte Lennart und schnaubte abfällig. Es war klar, dass er noch nicht wusste, was ihn in den kommenden Tagen erwarten würde. Doch eines war sicher: Er würde nicht einfach in dieses neue Leben hineinschlüpfen, ohne ein wenig Drama zu verursachen.
Der Tag war endlich gekommen. Dean und Georgina standen im Auto, aufgeregt und nervös zugleich. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen, Lennarts Zimmer war fertig und alles war für seinen ersten Tag bei ihnen bereit. Dean hatte sich fest vorgenommen, die Situation ruhig anzugehen, doch er konnte nicht leugnen, dass er nervös war. Auch Georgina spürte eine Mischung aus Vorfreude und Anspannung. Sie war sich sicher, dass der erste Kontakt mit Lennart nicht einfach sein würde, aber sie wollte ihm das Gefühl geben, dass er willkommen war – auch wenn sie beide sich nicht wirklich kannten.
Der Weg zur Jugendeinrichtung zog sich, die Straßen schienen länger als sonst. Doch als sie vor dem Gebäude standen, spürte Dean plötzlich eine seltsame Entschlossenheit. Es war kein Zurück mehr, und er war fest entschlossen, alles zu tun, damit Lennart sich bei ihnen wohlfühlte. Als sie aus dem Auto stiegen, fiel ihr Blick sofort auf Lennart, der draußen stand und mit verschränkten Armen wartete. Er sah anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Er war eher still, aber seine Haltung war abgeklärt und misstrauisch, als ob er schon auf alles vorbereitet war.
„Da ist er“, flüsterte Georgina und griff nach Deans Hand, um ihm ein wenig Sicherheit zu geben.
Dean nickte nur und ging auf Lennart zu, doch der junge Mann machte keinen Schritt auf ihn zu. Stattdessen beobachtete er sie mit einem Blick, der alles andere als freundlich war.
„Bist du es? Dean?“, fragte Lennart, seine Stimme kühl und skeptisch.
„Ja, ich bin Dean“, antwortete Dean mit fester Stimme. „Du musst Lennart sein.“
Georgina trat einen Schritt näher und versuchte ein Lächeln, doch auch sie merkte, dass ihre Nervosität sie etwas steif machte. „Hi Lennart, schön dich endlich kennenzulernen“, sagte sie freundlich, aber die Unsicherheit in ihrer Stimme war schwer zu überhören.
Lennart erwiderte das Lächeln nicht. Stattdessen verschränkte er die Arme noch fester und schnaubte leise. „Hätte nie gedacht, dass das passiert“, murmelte er und sah den beiden dann abwertend ins Gesicht. „Und was jetzt? Wird das hier jetzt so ein Happy Family Ding, oder was?“
Dean hatte die gleiche Mischung aus Ärger und Verständnis in sich, doch er versuchte ruhig zu bleiben. „Lennart, wir haben alles für dich vorbereitet. Du bist jetzt bei uns, und wir wollen, dass du dich hier wohlfühlst. Es wird nicht einfach, das weiß ich. Aber wir können es zusammen durchziehen.“
Lennart lachte bitter. „Ihr könnt euch das alles sparen. Ich hab‘ keinen Bock auf das ganze Theater. Ihr kennt mich nicht und ich kenn‘ euch nicht. Also erzähl mir nichts von ‘Wohlfühlen’ oder so. Ihr seid doch auch keine Lösung, ihr seid genauso wie alle anderen.“
Georgina spürte, wie ihr Herz schwer wurde. Sie hatte mit Widerstand gerechnet, aber dieser Hass, der aus Lennarts Augen sprach, war doch härter, als sie es sich vorgestellt hatte.
„Es tut mir leid, wenn du dich unwohl fühlst, Lennart“, sagte sie, ihre Stimme zitterte ein wenig. „Aber wir haben uns Mühe gegeben, dir alles so angenehm wie möglich zu machen. Dein Zimmer, deine Sachen – alles ist für dich da.“
„Klar“, murrte Lennart und drehte sich abrupt um. „Aber warum fühlt sich das dann nicht so an, als ob jemand sich wirklich kümmert?“
„Es wird nicht sofort einfach, aber wir geben uns Mühe. Lass uns einfach zusammen anfangen“, versuchte Dean, die Situation zu entschärfen. Doch er konnte Lennarts Widerstand spüren – es war wie eine Mauer, die er nicht sofort durchbrechen würde.
Lennart zuckte mit den Schultern und sah sich noch einmal um. „Gut, dann mal sehen, was ihr daraus macht. Aber keine Ahnung, was ich hier wirklich tun soll“, sagte er und ging in die Richtung des Autos.
Georgina und Dean folgten ihm, ohne ein Wort zu sagen. Das erste Zusammentreffen war alles andere als harmonisch gewesen, doch sie wussten, dass es nur der Anfang war. Die echten Herausforderungen würden noch kommen. Sie mussten Lennart Zeit geben, aber sie würden nicht aufgeben.
Als sie schließlich zu ihrem Auto gingen, stieg Lennart ohne ein weiteres Wort ein und setzte sich auf den Beifahrersitz. Dean startete den Wagen, und die Fahrt zurück zu ihrem Haus begann in einer gespannten Stille.
Georgina wollte etwas sagen, doch sie wusste, dass es noch zu früh war. Sie musste ihm Raum geben. Die ersten Worte, die sie in dieser Fahrt an Lennart richten würde, mussten von ihm kommen, nicht von ihr.
Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie ihm alles bieten wollte, was er sich je gewünscht hatte – auch wenn es vielleicht eine Weile dauern würde, bis er das erkennen konnte.
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