9 - Ein Verhör nach dem anderen
Lily fühlte sich wie gerädert, als sie aufwachte. Müde blinzelte sie und sah sich um. Alles war weiß und die Sonne schien durch ein Fenster. Verwirrt runzelte sie die Stirn, als sie bemerkte, dass ihre Eltern auf zwei Stühlen an ihrem Bett saßen. Was war geschehen?
„Ach ja", murmelte sie mit ziemlich ausgetrocknetem Hals, als ihre Erinnerungen an den gestrigen Abend zurückkehrten, und setzte sich auf.
Ihre Mutter wachte ob des Geräuschs auf und lächelte sie recht erledigt wirkend an. „Aufgewacht?"
„Hm", machte Lily recht wortkarg.
Harry blinzelte und gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Hallo, Lils. Geht es dir gut?"
„Fühl mich wieder ganz okay", sagte sie. „Aber ich hab Durst."
Ginny reichte ihr von einem an der Wand stehenden Tisch ein Glas Wasser herüber, dessen Inhalt zu Lilys Verdruss ziemlich abgestanden schmeckte, trotzdem trank sie ihn gierig aus.
„Was war da mit Schwarzer Magie los?", wollte Harry sofort wissen, was ihn einen tadelnden Blick von seiner Frau aufgrund seiner Direktheit einbrachte.
„Ich hab keine Ahnung", antwortete Lily wahrheitsgemäß.
Ginny hakte besorgt nach: „Gibt es irgendetwas, was du in letzter Zeit immer bei dir hast?"
Lily überlegte angestrengt, ohne jedoch einen Geistesblitz zu haben. „Meine Schuluniform?", war das Einzige, was ihr einfiel.
„Lily, im Ernst!", sagte Harry eine Spur schärfer und klang dabei unglaublich ernst.
Seine Tochter zischte aufgebracht: „Das war kein Scherz!"
Ginny ging sachte dazwischen: „Vielleicht wurde ihr etwas in die Schulkleidung getan? Ich meine, in ihrem Haus gibt es immer wieder solche-"
„Mein Haus ist toll!", fiel Lily ihr wütend ins Wort und umklammerte das lauwarme Glas in ihren Händen, als wollte sie es erwürgen. Zu Slytherin verspürte sie eine tiefe Verbindung und eine ungewohnte Loyalität, und das sollte niemand anfechten.
Hastig versuchte Ginny das kleine Mädchen zu beruhigen. „Damit wollte ich nur sagen, dass es zu den dort typischen Charakterzügen gehört, Streiche oder so zu spielen."
Beleidigt wandte Lily ein: „Und George war ein Slytherin, ja?" Sie schnaubte verächtlich, legte sich wieder hin und drehte ihren Eltern den Rücken zu, die sie ratlos ansahen.
Nach ein paar Minuten betroffenen Schweigens öffnete sich die Tür zum ansonsten leeren Raum und eine Medihexe trat herein. „Wir haben die Auswertung der Tests, Mr und Mrs Potter."
„Und?", fragte Lily, die sich schnell wie ein Blitz wieder aufgerichtet hatte.
„Nun", meinte die Frau schmunzelnd, „offensichtlich war sie lange Zeit von innen mit Schwarzer Magie konfrontiert und als diese ihr aus welchem Grund auch immer entzogen wurde, reagierte ihr Körper mit Magieproblemen und verspätetem Schock."
„Magieprobleme?", echoten Lilys Eltern entsetzt. Ihre Blicke flogen zu ihrer Tochter, die ziemlich kleinlaut murmelte:
„Es war mir peinlich." Betreten sah sie zu ihren Händen hinab, die an dem Laken herumknitterten. „Und dass Erstklässler schon mal Zauber vergeigen, ist ja normal."
Die Medihexe nickte. „Ja, das ist wahr, Miss Potter. Wie dem auch sei, wir haben Ihnen präventiv Weiße Magie verabreicht, welche die Schäden in Ihrem Magiefluss heilen und diesen stabilisieren sollte."
‚Bla, bla!', hätte Lily sie am liebsten genervt unterbrochen. Eigentlich hatte sie nämlich gar nicht wissen wollen, was genau jetzt an ihrer Magie herumgespielt worden war. Eigentlich interessierte sie nur: „Kommt das dann wieder in Ordnung, so, wie es hätte sein müssen?"
„Ja, aber in nächster Zeit sollten Sie ihre Magie nicht überlasten. Keine Sorge, das ist in Ihrem Alter sowieso fast unmöglich."
Außer man ist ich, dachte Lily, sprach diesen Gedanken aber nicht laut aus. Wie so vieles, was ihr durch den Kopf ging und sie nicht zur Sprache bringen durfte, da es möglicherweise ein schlechtes Licht auf ihre Familie werfen oder anderen Schaden anrichten könnte.
~*~
Mittags kam Hermine zu Besuch, was Lily zuerst toll fand, aber dann feststellen musste, dass sich der Besuch ihrer Tante eher unangenehm gestalten würde.
„Hallo, Lily." Hermine schloss die Tür, trat ans Bett und zog sich mit einem schabenden Geräusch einen Stuhl heran, auf dem sie nervös Platz nahm.
„Hi, Hermine", begrüßte die kleine Potter sie und klappte erfreut ihr Geschichte-der-Zauberei-Buch zu. Es interessierte sie wirklich ungemein, wie es damals im Krieg gewesen war. Wie anfangs kaum jemand hatte glauben wollen, dass Voldemort zurück war. Wie das Ministerium praktisch gegen sich selbst gearbeitet hatte. Aber so etwas konnte heutzutage mit Hermine als Zaubereiministerin niemals passieren, die war nicht so blind, da war Lily sich sicher. Die würde sofort merken, dass etwas nicht stimmte, und der Sache nachgehen.
„Nun", sagte Hermine und faltete die Hände im Schoß. „Du wirst beschuldigt, mit Schwarzer Magie in Kontakt gekommen zu sein." Sie wich Lilys Blick aus.
„Wie? Beschuldigt?", entfuhr es dem Mädchen erschrocken. „Aber ich bin doch erst elf!"
Die Ältere schluckte schwer und zwang sich, Lily in die Augen zu sehen. „Lil, wenn ich damals mit elf Jahren gewollt hätte, dann wäre nicht mein Alter das größte Problem gewesen, sondern wo ich das schwarzmagische Material verstecken sollte." Sie hatte sehr leise gesprochen, vielmehr geflüstert.
Interessiert lehnte sich Lily vor, bemühte sich, nicht allzu wissbegierig zu wirken. „Und du... du wolltest nicht?"
Hermine lachte auf. „Glaubst du, dann würde ich jetzt legal den magischen Teil von Großbritannien regieren?"
„Nein, wohl eher nicht." Lily brachte ein dünnes Lächeln zustande, war sie doch ein wenig peinlich berührt, wie immer, wenn sie unrecht hatte oder etwas Dummes sagte. Irgendwann musste sie sich auch angewöhnt haben, sich an etwas festzukrallen. Und sei es ihre eigene Hand.
Hermine bemühte sich, wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen: „Wie gesagt, die magische Strafverfolgung sah sich gezwungen, deinen Namen zu vermerken – nicht in der Verbrecherkartei, versteht sich." Das Letzte hängte sie hastig an ihre Aussage dran, als sie sah, wie Lily die Tränen kamen.
„Aber Dad ist doch in der magischen Strafverfolgung...", stammelte Lily, nun wirklich aufgelöst. Das merkte sich die kleine Potter als Vertrauensbruch, der ihrer Ansicht nach zu schwer wog, um verziehen zu werden.
„Du stehst in der Akte wirklich nur als Vorfall vermerkt, du hast ja aktiv nichts getan!", versuchte Hermine ihre Nichte zu beruhigen, welche daraufhin nur schwieg.
Irgendwann fragte Lily: „Darf ich wieder in die Schule?"
Die Zaubereiministerin musterte Lily skeptisch. „Ich frage mal nach, ja? Wenn es dir erlaubt wird, musst du aber damit rechnen, dass Minerva mit dir reden möchte. Vermutlich noch vorm Abendessen."
„Abendessen?", echote Lily erschrocken und sah aus dem Fenster über dem Beistelltischchen. Tatsächlich dämmerte es bereits, allerdings hatte sie es für das Morgengrauen gehalten. Der Verlust ihres Zeitgefühls und die ungewohnt sterile Umgebung machten ihr nach und nach immer mehr Angst.
Hermine stand auf und rückte den Stuhl wieder an seinen ursprünglichen Platz. Wieder dieses furchtbar schrabbende Quietschen über den Boden, aber diesmal bekam Lily eine Gänsehaut dabei.
Irgendwie verspürte sie den Drang, etwas zu zerstören. Mit frostigem Blick und innerlich kochend sah sie Hermine nach. Kaum hatte diese den Raum verlassen, schlug Lily die Vase vom Tisch herunter, sodass diese klirrend auf dem Boden zerschellte. Lily zuckte zusammen. Sie würde behaupten, es sei ein Versehen gewesen.
~*~
Der Wind blies Lily die blassroten Haare ins Gesicht. Sie stand mit Hermine auf einem Hügel nahe der Appariergrenze. Ihre Tante hatte sich dazu bereiterklärt, Lily zurück zur Zaubererschule zu bringen, sagte zu der kleinen Potter allerdings kein Wort mehr. Vermutlich wusste sie einfach nicht, über was sie reden sollte. Lily ging es genauso.
Auch den verschlungenen Weg über die Ländereien meisterten sie schweigend. Vor Hogwarts' Toren zögerte Hermine kurz, dann umarmte sie Lily. Nach kurzer Zeit löste sie sich von dem Mädchen, nickte ihr zu und verschwand als immer kleiner werdende Gestalt plötzlich von der Stelle. Sie war disappariert.
Lily wandte sich, leicht aus dem Konzept gebracht, wieder dem Schloss zu und ging schnellen Schrittes durch das Tor. Auf dem Hof und den Gängen wuselten Schüler fröhlich um sie herum, an denen Lily versuchte, unbemerkt vorbeizuhuschen, aber merkte, dass der Versuch fehlgeschlagen war, als ihr jemand zuschrie: „Was war da gestern los, Potter?"
Das war ihr Stichwort: Sie duckte sich, stieß einen Hufflepuff wie unabsichtlich beiseite und rannte eingezogenen Kopfes zum Schulleiterbüro, wovor sie unschlüssig stehenblieb.
Verdammt, das Passwort. War ja klar.
Sie räusperte sich und sagte zum Wasserspeier: „Ähm, ich möchte zur Schulleiterin, damit sie weiß, dass ich wieder da bin. Könntest du ausnahmsweise einfach so aufmachen, ohne das Passwort...?" Doch der Gargoyle ließ sich nicht erweichen, was dazu führte, dass Lily eine Schimpftirade startete. Aber auch nach fünf Minuten reagierte die Statue nicht im Geringsten. „Pff, dann halt nicht", schnaubte Lily eingeschnappt und drehte sich um.
Professor McGonagall musterte sie belustigt. „Miss Potter?"
Deren Gesicht überzog nun langsam eine zarte Röte, als ihr aufging, dass die Schulleiterin das meiste mitbekommen haben dürfte. „'Tschuldigung, Professor", nuschelte sie.
„Nicht so schlimm, Lily." Dem Mädchen entging nicht, dass sie ihren Vornamen benutzte, wie sonst immer, wenn sie bei den Potters oder Weasleys zu Besuch war. „Das kenne ich bereits von anderen Schülern. Wasserspeier können ziemlich halsstarrig sein, nicht wahr?"
Ein wenig ärgerte es Lily, dass sie wie andere Kinder sein sollte, was ihres Wissens auch überhaupt nicht stimmte. Sie war anders. Sie konnte Sachen – oder hatte sie zumindest mal gekonnt – die die meisten Leute niemals auch nur gesehen haben würden. Auch psychisch unterschied sie sich sehr von ihren Altersgenossen: Für ihre elfeinhalb Jahre war sie eindeutig zu intelligent, aber trotz dieser Tatsache konnte sie sich im Nachhinein oft nicht erklären, warum sie was getan hatte. Hier zum Beispiel die Schimpftirade. Als ob sie erwartet hätte, dass sich dadurch etwas tun würde. Vielleicht war sie einfach impulsiv.
McGonagall riss sie aus ihren Gedanken: „Nun, können Sie mir etwas über den gestrigen Abend erzählen?"
Lily sah sie entnervt an. „Haben Sie eine Ahnung, wie oft ich das heute schon durchsprechen musste?"
„Aber niemand hat von Ihnen einen genauen Ablauf verlangt", mutmaßte die Schulleiterin.
„Stimmt auch wieder. Also, eigentlich gibt es nicht viel mehr zu erzählen, als eh zu hören und zu sehen war."
McGonagall sagte das Passwort, dann machte sie eine einladende Geste. „Kommen Sie doch rein."
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