21 - Kleiner Teufel zu Besuch
Es waren nur noch Minuten bis zur Ankunft, als Rose mit Hugo an dem Abteil vorbeikam, in dem sich ihre Cousine mit ihren Freunden niedergelassen hatte. Kurz sah sie verächtlich durch die Glastür und traf Lilys Blick, die diesen regungslos erwiderte.
Geh weiter, dachte die Potter. Wir wollen deinen Hass nicht.
Und wie durch ein Wunder setzte sich die Ältere wieder in Bewegung. Verblüfft sahen die anderen ihr nach. Sie hatten erwartet, dass Rose sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, aber offensichtlich hatten sie sich da getäuscht.
„Vielleicht nimmt sie doch langsam Vernunft an", mutmaßte Jason und griff mit Erfolg nach seinem entflohenen Schokofrosch, den er sich dann zufrieden in den Mund schob.
Helena nahm die dazugehörige schillernde Sammelkarte und betrachtete Phineas Nigellus darauf, einen dunkel gekleideten Mann mit Spitzbart. „Vielleicht tut sie das", sagte sie nachdenklich und sah auf. „Vielleicht aber auch nicht."
~*~
Die Bremsen des Zuges gaben ein schrilles Kreischen von sich, als sie im Londoner Bahnhof verlangsamten und schließlich hielten. Die Kinder nahmen ihr Gepäck von den Ablagen über ihnen oder zogen es unter ihren Sitzen hervor. Beim Aussteigen bekam Lily mal wieder zu spüren, was es hieß, die Schwerkraft nicht beeinflussen zu können. Schließlich fand sich die Gruppe noch ziemlich schläfrig neben der Tür wieder, durch die sie den Zug verlassen hatten. Albus kam hinzu, während James sich zwei Meter entfernt platzierte und sich nach seinen Eltern umsah.
„Hi, allerseits!", begrüßte Al seine Schwester und deren Freunde. Versehentlich stellte er Alice den Koffer auf den Fuß, sodass sie fluchend auf dem heilen herumhüpfte. Entschuldigend zog er sein Gepäck wieder zu sich. „Tut mir leid, war keine Absicht!"
Die Parkinson verzog als Kommentar nur das Gesicht, was aber schon Bände sprach: Lilys Bruder war ihr mehr als unsympathisch. Dann runzelte sie die Stirn und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Alle folgten ihrem Blick.
Alice' großer Bruder Luke küsste Kate mitten auf dem Bahnsteig zwischen all den Leuten. Schließlich löste sich das Paar voneinander. Die Vertrauensschülerin war hochrot und stand ein wenig benebelt da, als ihr Freund zu seiner kleinen Schwester ging.
Er erstarrte, als ihm die jüngeren Schüler auf eine kranke Art und Weise stumm und bewegungslos anstrahlten. Kopfschüttelnd stellte er sich zu ihnen. „Ihr seid echt blöd", murmelte er und verursachte Gelächter. „Alice, gehen wir?" Er schien schnellstens verschwinden zu wollen.
Lily runzelte die Stirn. „Werdet ihr nicht abgeholt?" Sie fand das seltsam, immerhin sorgten ihre eigenen Eltern immer dafür, dass sie und ihre Geschwister sicher nach Hause kamen.
Alice schüttelte den Kopf. „Wir gehen zu Fuß. Wohnen ja auch nicht weit weg. Vielleicht zehn Minuten entfernt." Das Ganze war viel gefährlicher als es sich anhörte, das wusste Lily. Mit der Nokturngasse war nicht zu spaßen, denn dort wimmelte es von Geistesgestörten, Dealern und anderen obskuren Gestalten. Vermutlich fanden sich dort auch ein paar untergetauchte Todesser.
Jeremiah grummelte: „Ich komme mit, muss ja sowieso in dieselbe Straße." Als ihn die schockierten Blicke seiner Freunde trafen, erklärte er: „Mein Vater arbeitet da. Uns gehört Borgin und Burkes. Ursprünglich war mein Großvater der Besitzer. Burke war früh gestorben. Grandad war dann zu faul, um den Namen des Ladens zu ändern. Und vor drei Jahren ist er auch verreckt, deshalb wurden wir als einzige nahe Verwandten, die noch den alten Namen tragen, aus Amerika herbeordert und wohnen seitdem über dem Geschäft."
Niemand wusste, was dazu zu sagen war, und so umarmten sich alle zum Abschied, ehe die drei Schüler in der Menschenmenge verschwanden. Zurück blieben Helena, die jedoch fast sofort mit ihrem Vater mitging, Jason, Lily und Albus.
Auf einmal klopfte jemand letzterem auf die Schulter. „Verdammt, Al! Ich mache mich schon die ganze Zeit damit zum Affen, dass ich winke! Unsere Eltern sind da!" Aufgebracht deutete James auf Harry und Ginny, die auf seinen Koffer aufpassten und noch ein paar Worte mit Neville wechselten. Helena trat daneben ungeduldig von einem Bein aufs andere.
Eilig verabschiedeten sich die beiden jüngeren Potter-Kinder von Jason, der aber darauf bestand, sie zu begleiten. Offensichtlich stand ein Familienmitglied in der Nähe des Jungen-der-lebt und der ehemaligen Quiddichspielerin. Als sie sich zwischen den Leuten zu der Absperrung durchgedrängt hatten, sahen sie auch die blasse Frau mit den dunkelblonden Locken, die Jason wirklich ähnlich sah. Nur die Augen waren anders und das Gesicht nicht so verkniffen. Als sie ihren Sohn sah, breitete sie die Arme aus und er lief ihr tatsächlich entgegen, um sie zu umarmen. Die überraschte Lily wurde von Albus zu ihren Eltern gezogen. Irgendwie hatte sie bei den Creeveys kein herzliches Mutter-Kind-Verhältnis erwartet. Nicht nach Alice' und Jeremiahs Familiengeschichten. Und auch, weil Jason seine Eltern nie erwähnt hatte.
„Lils, mein Schatz!", sagte Ginny und zog ihre Tochter zu sich. „Und, wie war das Schuljahr?" Eigentlich eine überflüssige Frage, denn Lily hatte sie über vieles auf dem Laufenden gehalten.
„Ganz gut", grinste die kleine Potter in Ginnys Blazer. Sie freute sich wirklich, ihre Mutter wiederzusehen. Auch wenn es ihr während dem aufregenden Schuljahr nicht so bewusst gewesen war, ihre Mutter hatte sie trotz der Ferienbesuche vermisst.
„Komm her, Lil!", rief Harry, glücklich, alle seine Kinder in den Arm nehmen zu können.
Lily selbst war weniger begeistert. Dass sie in der Vorfalls-Kartei für Schwarze Magie verzeichnet war, hatte sie ihrem Vater immer noch nicht verziehen. Sie wusste, dass es unmoralisch war, aber sie war nun mal nachtragend.
~*~
Im Haus war es sogar noch wärmer als draußen.
„Willkommen im Backofen", stöhnte Harry und wirkte einen Kühlzauber, der die Innentemperatur auf einen erträglichen Bereich senkte.
Alle atmeten hörbar auf, besonders Lily, die Hitze wegen der Kerker noch weniger gewohnt war als der Rest ihrer Familie.
„Was möchtet ihr zum Abendessen?", fragte Harry.
Auf dem Gesicht seiner Tochter breitete sich ein Strahlen aus. „Eis!" Selbst James wirkte von der Idee wie beflügelt.
Ginny öffnete schon empört den Mund, da seufzte Harry: „Zur Feier des Tages gibt es Eis!" Missbilligend presste Ginny die Lippen aufeinander, protestierte aber nicht, denn am letzten Tag des Schuljahres gab es immer das, was die Kinder wollten. Und sei es noch so ausgefallen. Hauptsache, es war essbar.
Am Esstisch überschlugen sich alle in ihren Erzählungen, während Harry und Ginny so taten, als verstünden sie alles, was aber bei dem Redetempo, das speziell James heute an den Tag legte, gar nicht sein konnte.
„Warum habt ihr uns nie vor Hagrids Kochkünsten gewarnt?", fragte Lily und versuchte sich durch den Lärm Gehör zu verschaffen.
James erzählte von den Läden in Hogsmeade und bedauerte, dass Weasleys Zauberhafte Zauberscherze keinen Zweitladen in dem Dorf nahe der Schule besaß, da er so keinen Scherzartikelnachschub für sein Haus besorgen konnte. Der Konkurrenz, Zonko's, zu helfen, kam für ihn nicht infrage.
Albus informierte seine Eltern derweil darüber, dass er James mit einem Mädchen gesehen hatte.
Unter all dem hatte Lily das Gefühl, dass ihr am wenigsten zugehört wurde, und so hörte sie einfach auf zu reden und löffelte schweigsam ihr Vanilleeis. Es fiel niemandem auf.
~*~
Die Dachbodenbibliothekbegann langweilig zu werden, das musste Lily erkennen, als sie nach etwas Neuem suchte, aber bloß auf ihr bekannte Werke stieß. Darunter auch Gar böse Zauberey, ein veraltetes Schulbuch, dessen Autor sich lächerlicherweise weigerte, etwas über Horkruxe zu schreiben. Den Büchervorrat, den ihre Eltern ihr zu Weihnachten geschenkt hatten, war bereits zur Neige gegangen. Und er beinhaltete nur Kinderbücher, die zwar unterhaltsam, aber recht sinnfrei waren. Nichts über schwarze Magie stand darin. Aber gut, das konnte sie auch nicht erwarten. Im neuen Jahr würde sie versuchen, eine Erlaubniserklärung von einem der Lehrer zu ergattern und notfalls zu fälschen. So ging das nicht weiter. Sie brauchte das verbotene Wissen.
„Lily?"
Diese erlitt beinahe einen Herzinfarkt und das zerlesene Buch rutschte ihr ausden Fingern. Geräuschvoll knallte es auf den Boden und verlor dabei einige Seiten. Verschreckt sah sie zur Bodenluke. Sie atmete auf, als sie die Störung erkannte. „Hallo, Lucy." Beruhigt hob sie die mehr oder weniger schwarzmagische Lektüre auf, sammelte die verstreuten Pergamentblätter ein und stellte alles wieder ins Regal. „Was tust du hier? Und wie in Merlins Namen bist du hier hochgekommen?" Misstrauisch linste sie an Percys Tochter vorbei zur geschlossenen Bodenluke.
Das kleine Mädchen setzte sich auf einen kniehohen Bücherstapel und piepste: „Wir sind zu Besuch. Molly wollte zu deinen Brüdern. Ich wollte eigentlich gar nicht mit. Aber dann habe ich mir gedacht, vielleicht kannst du mir ja etwas beibringen."
Fragend sah Lily ihre Cousine an. Als sie nachhakte, ließ sich die Irritation nicht ganz aus ihrer Stimme halten: „Was soll ich dir beibringen?" Sie hatte bereits eine Vermutung, auf was Lucy anspielte.
Die sich bestätigte. „Was von deinem verbotenen Kram", sagte Lucy.
Damit brachte sie Lily zum Zusammenzucken. Woher bei Salazar wusste die Kleine so viel? Erst zögerte sie. Sollte sie zustimmen? Konnte sie einer Siebenjährigen wirklich vertrauen? Wollte sie wirklich noch jemand anderes in ihre Machenschaften hineinziehen? Damit hätte sie einen Komplizen. Jemanden, mit dem sie über alles reden konnte, ohne Gefahr zu laufen, am nächsten Tag von Auroren aufgegabelt zu werden. Es war schon reizvoll. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, sagte sie: „Etwas Kleines. Was möchtest du denn?"
„Kannst du mir ein Buch mit Beispielen geben?", wollte Lucy wissen und sah sich neugierig um, ehe sie auf die Idee kam, ihre Sitzgelegenheit auseinanderzunehmen.
Lily schmunzelte. „Ich muss dich enttäuschen, alle Bücher in deinem Stapel sind legal."
Die Kleine zog eine Schnute, sah aber schon viel fröhlicher drein, als die Ältere ihr Vorübergehende Transformation in magische Wesen herüberreichte. „Ist das wirklich schwarze Magie?", zweifelte sie dennoch.
Lily beschloss, nicht nachzuhaken, woher Lucy so viel wusste. Vermutlich hatte das Mädchen einfach einen Sinn dafür. „Du bist ein Mensch, und nicht als Werwolf, Vampir, Veela oder Kobold geboren, also ja", antwortete sie schulterzuckend. „Und Mum hat gesagt, fast jeder Zauber, der gegen die Natur ist, sei schwarzmagisch. Außerdem ist da auch Blutmagie im Spiel, und die zählt eh in diese Kategorie."
Anerkennend nickte die Siebenjährige und blätterte durch das Buch. „Okay, lass uns das ausprobieren." Sie tippte mit dem Finger auf eine Überschrift.
Lily zog die Brauen hoch. „Vampir? Meinetwegen." Lily las sich die Anleitung durch. Dann runzelte sie frustriert die Stirn. „Oh, das hatte ich ganz vergessen. Diese Rituale sind gefährlicher als man denkt. Dabei wird nämlich etwas an deiner Genetik und deinem Magiefluss verändert. Ich denke, wir sollte vielleicht doch ein anderes-"
Lucy unterbrach sie, heftig den Kopf schüttelnd: „Du bist geübt, du kannst das."
Irgendwo hatte sie recht. Natürlich hatte Lily schon einiges ausprobiert, doch als geübt konnte man sie noch nicht bezeichnen. Theoretisch war dieses Ritual relativ unproblematisch, aber bei der praktischen Umsetzung konnte immer noch eine Menge schiefgehen.
„Komm schon, lass uns anfangen!", bettelte Lucy und begann, auf und ab zuhüpfen.
Hektisch packte Lily sie und hielt sie auf der Erde. Nicht, dass ihre Familie und Verwandten noch etwas mitbekamen. „Psst!", zischte sie und legte einen Finger auf die Lippen. Als Lucy ruhig war, erklärte sie: „Wir machen es. Aber erst heute Nacht, damit wir Ruhe haben. Ihr bleibt doch?"
Auf Lucys rundem Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. Auch Lily lächelte. Sie würde sich beweisen.
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