
Kapitel 4
Kapitel 4
„Ich habe Göttin Isanami gefunden", begann Travis und sein Rudel heulte vor Freude auf. Anscheinend war sie die einzige Hoffnung, die sie noch hatten.
Ein kurzes, aber grollendes Knurren verließ Travisˋ Kehle. Sofort verstummten alle und sahen erneut erwartungsvoll, aber neugierig zu ihm und seiner Begleitung nach oben.
Diese fühlte sich zunehmend unwohler. Es war ihr klar, dass sie keinen guten Eindruck machte. Sie war eine alte, schmächtige Frau ohne nennenswerte Macht. Wahrscheinlich waren viele von ihr enttäuscht.
Sie fand jedoch nur Hoffnung und Freude in den Augen der Wölfe. Es schien nicht, als würden sie sich von ihrer Gestalt täuschen lassen.
„Ihr seht, dass sie im Moment nicht in der Lage ist, etwas auszurichten", fuhr Travis fort. Seine Stimme hallte zwischen den Felsen und klang klar und deutlich. „Ich werde mit ihr zum Tempel gehen, damit sie sich erholen kann. Bereitet etwas zum Essen vor, sie ist erschöpft. Wir kommen zurück, sobald wir dort waren."
Isanami stellte fest, dass in seiner Stimme keinerlei Wertung, sondern nur Sachlichkeit zu hören war.
Irgendwie beruhigte sie das etwas. Doch ob sie nach dem Besuch beim Tempel wieder bei Kräften war, war fraglich.
„Wie du wünschst, Bruder", sagte eine junge Wölfin, die sehr weit vorn saß und den Kopf senkte. Es war ein Zeichen, dass sie seinem Befehl folgen würde.
„Danke, Tara. Du wirst solange aufpassen und für alles verantwortlich sein. Wir beeilen uns", sagte er zu der Wölfin und Isana konnte erkennen, was für ein starkes Band zwischen den beiden herrschte. Ihre Blicke waren ernst, aber gleichzeitig liebevoll.
Etwas, was bei Werwölfen eigentlich normal war und doch hatte sie irgendwie erwartet, dass es sich geändert hatte. Das es noch so war wie früher, gab ihr ein vertrautes Gefühl.
Als Travis sich in Bewegung setzte, folgte sie ihm langsam. Isanami erinnerte sich noch daran, wo der Tempel stand und trotzdem war sie sich nicht sicher, ob sie ihn finden würde.
„Warte", bat Travis sie und es war, als hörte sie Sorge in seiner Stimme. „Es ist kalt dort. Tara wird dir eine Decke mitgeben, in der du dich wärmen kannst", sagte er zu ihr, bevor er seine Schwester anwies, eine zu holen.
Tara lief sofort los und Isanami lächelte sanft. „Danke", sagte sie, da sie so viel Sorge gar nicht gewohnt war. Normalerweise würde die Kälte ihr auch nicht schaden.
Travis nickte ihr zu und gab dann ein Heulen von sich, das anscheinend die Versammlung auflöste, denn die Wölfe begaben sich wieder in die Höhlen.
Dabei erkannte Isanami, dass sich einige Welpen gegenseitig neckten und spielten. Genauso hatte Trevor gespielt. Was wohl aus ihm geworden war?
Nach kurzer Zeit kehrte Tara in ihrer menschlichen Form zurück und hielt die Decke in die Höhe. Die gelben Augen der braunhaarigen Frau musterten Isanami neugierig, aber sie senkte den Kopf, da es sich nicht gehörte.
„Steig auf. Ich springe hinunter, dann kann sie dir die Decke umlegen", bat Travis zu Isana gewandt.
Diese machte sich wieder daran, auf seinen Rücken zu klettern und hielt sich gut fest. Sie mochte es im Moment nicht, zu viel zu klettern oder zu springen, weil sie nicht schnell genug reagieren konnte. Gleichzeitig war es aber auch eine einfache Methode.
Allein wäre sie wohl auch gar nicht von dem Felssprung heruntergekommen.
So vorsichtig wie möglich, wohl, damit sie keine Schwierigkeiten hatte, sprang Travis hinunter und blieb vor Tara stehen. Diese kam auf Isanami zu, hielt dabei aber ihren Kopf gesenkt.
„Danke", murmelte die Göttin und lächelte leicht. Es war wirklich sehr zuvorkommend, dass sie ihr eine Decke reichten. Das würde sie schützen.
Sie wusste nicht, wie kalt es dort nun war. Früher war es ein angenehmer Ort gewesen.
Tara legte ihr vorsichtig die Decke um und benutzte eine Brosche, damit sie ihr nicht von der Schulter rutschten konnte. Beim genauen Hinsehen sah Isanami, dass die Brosche das Zeichen der Werwölfe, aber auch das gleiche Sonnenzeichen wie auf Travisˋ Stirn zu erkennen war.
Das weckte Erinnerungen und sie lächelte. „Danke", flüsterte sie und war neugierig darauf, was sie erwartete.
Schließlich trat Tara von ihr zurück und legte ihre Hand für einen kurzen Moment an Travisˋ Schulter. „Pass gut auf euch auf", bat sie leise, bevor sie zurückwich.
So wie es aussah, würde es nun weitergehen, denn Travis setzte sich wieder in Bewegung. Hier waren diese wesentlich entspannter, wie sie feststellte. Als würde er sich hier geschützt fühlen.
Was logisch war, da er hier zuhause war.
„Wird der Tempel nicht mehr genutzt?", wagte Isanami zu fragen, als sie schon ein Stück gegangen waren. Es klang, als läge der Tempel eher außerhalb, was er früher nicht getan hatte. Es könnte aber auch an der Tatsache liegen, dass das Rudel so geschrumpft war.
Travis antwortete, dass sie den Tempel mehrmals im Jahr besuchten. Es fanden keine offiziellen Feste mehr statt, doch sie ehrten Göttin Isanami trotzdem. Allerdings war die Umgebung leicht verwildert, da es keinen mehr gab, der ihn regelmäßig instand hielt. „Wenn wir dort sind, richten wir ihn immer her, aber das Wetter und die Jahre haben Spuren hinterlassen", erklärte er.
„Verstehe", murmelte sie und hoffte, dass er noch genug Macht enthielt.
Wenn er wirklich so verwildert war, war das schwierig.
„Wir waren erst vor wenigen Wochen dort", sagte Travis, während er die Wiese entlanglief. Hier konnte sie einen angenehmen Duft von einigen Blumen vernehmen, den sie früher schon gemocht hatte. Allerdings schien es, als wären die Bestände zurückgegangen. „Ich hoffe, dass der Tempel nach dem Angriff der Vampire überhaupt noch steht." Er klang zerknirscht, denn er schien nicht nachgesehen zu haben. Was normal war, wenn er damit beschäftigt gewesen war, die gefallenen Brüder und Schwestern zu begraben.
„Selbst, wenn er nicht mehr steht, besteht die Möglichkeit, Kraft daraus zu ziehen", versicherte sie. Sie brauchte im Grunde nur genug Macht, um herauszufinden, wo eines ihrer Fragmente verborgen war. Dann würde sie dieses suchen gehen. Was sich in ihrem Zustand sicherlich nicht sonderlich leicht machte.
Soweit sie es jedoch verstanden hatte, würden die Wölfe ihr helfen. Wie diese Hilfe aussah, konnte sie im Moment noch nicht sagen.
Schließlich entdeckte sie das Bauwerk. Es war schon immer ein kleiner Tempel gewesen. Aus weißem Marmor erbaut, reichte er nicht sonderlich hoch. Vielleicht drei Meter. Unter dem Rundbogen, welcher die Decke bildete, konnten sich bis zu sechs Personen versammeln und um die kleine Statue beten.
Isanami bemerkte, dass Ranken über die tragenden Säulen gewachsen waren und Teile der Decke nicht mehr dicht waren. Doch das störte sie nicht. Es machte ihn auf eine gewisse Art und Weise schön, die perfekt zu ihr passte.
Jetzt konnte sie nur noch hoffen, genügend Kraft daraus zu tanken.
Geschickt begab sich Travis nahe an den Tempel heran und legte sich dann hin. So wirkte es, als würde er beten. Gleichzeitig konnte Isana leichter absteigen.
Diese nahm die Geste an und rutschte von seinem Rücken, bevor sie auf die kleine Statue in der Mitte zuging. Es war ein Wolf mit einer Frau, die von Blumenranken umgeben waren. Sie galt schon immer als Schutzgöttin der Wölfe und daran hatte sich nichts geändert.
Vorsichtig legte Isanami ihre Hand an die Statue und spürte, wie Macht sie durchströmte. Es war, als würde diese Macht durch jede ihrer Zellen gehen. Sogar bis in ihre Haarspitzen.
Ein erleichtertes Seufzen verließ ihre Lippen, als sie spürte, wie diese Macht ihren Körper half, mit den Schmerzen klarzukommen.
Es war nicht viel und sie wurde nicht jünger, doch es war genug Kraft, um ihre Sinne zu schärfen. Mehr brauchte sie nicht.
Dass sie dabei von Travis genau beobachtet wurde, entging ihr nicht. Sein Blick war deutlich in ihrem Rücken spürbar. Was er wohl dachte?
Isanami seufzte leise, bevor sie sich zu Travis umdrehte und ihn nun erst einmal genauer musterte. Sie sah wesentlich besser als zuvor.
Jetzt erkannte sie die starken Muskelstränge, die sich unter seinem dichten Fell tummelten. An beiden Seiten seiner Augen hatte er gelbliche Streifen, was zum Sonnenzeichen gehörte. Er sah, trotz Wolfsgestalt, attraktiv aus.
„Es ist genug Macht, um bessere Sinne zu haben und die Umgebung zu spüren", gestand sie und schloss für einen Moment die Augen. Ihre Hand lag an den Efeuranken und sie spürte durch diese, dass eines ihrer Fragmente in der Nähe war.
„Wie fühlst du dich?", wollte Travis wissen und schien sie genau zu beobachten.
„Besser", gab Isanami nachdenklich von sich. „Ich spüre die Natur und eines meiner Fragmente. Aber noch hört die Umgebung nicht auf mich", versuchte sie zu erklären.
Langsam stand Travis auf, ließ aber den Kopf gesenkt. „Wir sollten zurück. Wo spürst du dein Fragment?", fragte er.
„Ich bin nicht ganz sicher. Aus der Richtung, aus der wir gekommen sind", meinte Isanami, war sich aber nicht so ganz sicher.
Der Wolf legte seinen Kopf schief und schien auf eine nähere Erklärung zu warten. „Steig auf. Ich bringe dich erst einmal zurück."
Isanami nickte und kehrte auf seinen Rücken zurück. Ihr Griff war wesentlich fester und ihr Sitz sicherer. „Ich kann die Fragmente nur auf eine gewisse Distanz spüren."
Langsam stand Travis auf und warf einen fast sehnsüchtigen Blick auf den Tempel, der einst wunderschön gewesen war. „Was passiert, wenn du das Fragment findest? Warum brauchst du sie?"
„Die Fragmente sind meine Kraft", erklärte sie. „Ein Teil meiner selbst. Kennst du die Legende der Göttin der Natur?", wollte sie wissen und hoffte sehr, dass er sie kannte.
Tatsächlich nickte er. „Jeder kennt sie", bemerkte er auf dem Rückweg. „Aber warum brauchst du sie? Hast du sie verloren?" Seine Fragen zeigten ihr, dass es wohl einige Gerüchte gab.
„Als der Verfall der Götter damals einsetzte, waren zuerst die niederen Götter betroffen. Die sechs Elemente fielen der Dunkelheit anheim, ohne sich wehren zu können. Dann wurden auch wir infiziert. Mein Bruder, der Gott des Chaos versuchte alles, um mich zu retten. Er fand heraus, dass es unsere Macht war, welche die Dunkelheit anzog. Also beraubte er mich meiner Macht und verteilte sie auf unserer Welt, damit die Dunkelheit mich nicht finden und in ihren Besitz bringen konnte. Doch ich verlor alle meine Gaben."
Während sie sprach, hatte sie das Gefühl, dass Travis sehr genau zuhörte und nachdachte. „Verstehe. Also musst du alle finden, um deine Macht wiederzuerlangen?", schlussfolgerte er aus ihrer Erzählung.
„Ja. Um euer Revier zu schützen, könnte aber auch schon ein Teil reichen. Ich weiß nicht, wer hinter den Vampiren steht", erklärte sie und sah sich sehnsüchtig um. Wie gern sie früher hier gewesen war.
„Erst einmal wirst du essen und dich ein wenig erholen, bevor du auf die Reise gehst", bat Travis, hatte aber einen leicht befehlenden Ton. Wohl, weil er sich Sorgen machte. Warum, das war ihr klar, denn sie war die Einzige, die ihnen noch helfen konnte.
„Wahrscheinlich ist das besser", stimmte sie zu. Obwohl sie eine Göttin war, konnte sie nicht verhindern, dass sie es gut fand, dass er sich um sie kümmerte und auch ihr gegenüber einen gewissen, befehlenden Ton anschlug.
Und trotzdem brachte er ihr einen großen Respekt entgegen. Das, was ihr gebührte. Ob es in den anderen Gebieten auch so war?
Sie hoffte es sehr, denn das würde alles viel einfacher machen.
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