Vom Regen in die Traufe
»GRYFFINDOR!«, der kleine schmale Junge mit dem rabenschwarzen Haaren, der allzu oft geflickten Brille, den smaragdgrünen Augen und der einzigartigen Narbe, zuckte zusammen, als der alte Hut auf seinem Kopf verkündete, in welches Haus er kommen würde. Am Tisch der Gryffindor flammte Jubel auf. Harry Potter schlich mit hängenden Schultern zu einem der leeren Plätze am Tisch der Löwen. Bisher kam ihm alles wie ein vollkommen verwirrender Traum vor. Vor vier Wochen hatte sich sein Leben, das ohne zu übertreiben, bisher mehr als furchtbar war, völlig geändert. Seit vier Wochen wusste er, dass er ein Zauberer war und seine Eltern nie bei einem Autounfall gestorben waren, sondern als sie ihn retten wollten, vor dem bösartigsten Zauberer aller Zeiten. Hagrid, der Wildhüter der Zauberschule hatte ihm alles erzählt und ihm auf sogleich mitgeteilt, dass er ab September auf eine Schule nur für Zauberer und Hexen gehen würde. Seine Verwandten hatten Zeter und Mordio geschrien und doch konnten sie nicht verhindern, dass Harry hierher kam. Das beste bisher war, dass die beiden ihn in den letzten Wochen in Ruhe gelassen hatten. Sein Onkel, hatte ihm allerdings am letzten Tag noch sehr unmissverständlich klargemacht, wo Harrys Platz.
Gedankenverloren rieb dieser sich über die schmerzenden Rippen und merkte kaum, dass die Zeremonie bereits vorbei war. Mit am Tisch der Gryffindor saß nun auch der rothaarige Junge, den Harry bereits im Zug gesehen hatte. Dieser schien ganz versessen darauf gewesen zu sein, ihn kennenzulernen, aber Harry hatte es vorgezogen sich schlafend zu stellen. Er hatte keine Ahnung, was er sagen oder tun sollte, denn Freunde hatte er bisher nie gehabt. Auch jetzt am Tisch versuchte er möglichst nicht weiter aufzufallen, aber er war nun mal berühmt und Harry hasste es jetzt schon.
»Hey Potter, redest du auch?«, der Rothaarige, der wohl Ron hieß, stupste ihn an. Harry zuckte heftig zurück und stieß so sein Wasserglas um.
»Ganz schön schreckhaft. Bist doch ein Held«, feixte Ron nun und ein paar anderen Jungen lachten. Harry lief rot an, wischte das Wasser etwas weg und bekam kein Wort heraus.
»Der feine Herr redet wohl nicht mit jedem, nur mit Schlangen«, sagte Ron und funkelte Harry nun wütend an. Im ersten Moment wusste dieser nicht, woher Ron das mit den Schlangen wusste, bis er verstand, dass dieser die Slytherins meinte. Mit einem der Jungen am Tisch dieser, hatte Harry kurz gesprochen. Er hatte Draco Malfoy bereits in der Winkelgasse getroffen und fand ihn zwar etwas arrogant, aber ganz nett. Vor der Zeremonie hatte dieser ihm seine Freundschaft angeboten, aber Harry war auch hier zu schüchtern und hatte nur nach der Hand gegriffen, aber nichts gesagt. Er war vollkommen überfordert. Nie war jemand irgendwie nett zu ihm gewesen und nun buhlten gleich mehrere um seine Freundschaft, dass alles war einfach zu viel. Und so hielt es Harry für besser nichts mehr zu sagen. Der Hut hätte ihn um ein Haar auch nach Slytherin geschickt, er war sich unsicher gewesen, aber da Harry nicht wählen wollte, wurde es Gryffindor, das gleiche Haus, wie das seiner Eltern.
»Lass ihn doch Ron, was soll das?«, die Schützenhilfe kam von einem ebenfalls rothaarigen Jungen, der neben seinem Zwillingsbruder auf der anderen Seite des Tisches saß. Die Ähnlichkeit zu Ron war nicht zu leugnen, es waren offenbar seine älteren Brüder.
»Ja, ja schon gut«, maulte Ron nun und stopfte sich einen weiteren Hühnerschenkel in den Mund. Das Essen, welches die Tische zum Biegen brachte, konnte Harry nicht wirklich begeistern. Hunger war sein steter Begleiter und doch konnte er sich nicht dazu durchringen seinen Teller zu füllen. Er nahm sich lediglich einen Brotkanten und knabberte daran, noch immer skeptisch beäugt von Ron und einigen anderen am Tisch. Harry versuchte, möglichst nicht hier zu sein, das hatte auch in der Grundschule immer ganz gut geklappt. Niemand hatte ihn wirklich wahrgenommen und er hoffte, dass das auch hier so sein würde. Irgendwann stand ein älterer Junge auf und wies sie an, ihm zu folgen. Auch er war ein Bruder von Ron. Percy Weasley führte sie durch das Schloss, hoch zum Gryffindor-Turm. Im Gemeinschaftsraum erklärte er kurz die Regeln und zeigte dann die Schlafsäle. Harry kam als letzter in den recht kleinen Raum. Sein Bett stand ganz außen und es war ihm ganz recht. Er teilte sich das Zimmer mit Ron, Seamus, Dean und Neville. Letzterer schien ebenso zurückhaltend wie Harry selber, aber er versuchte sich an den Gesprächen der anderen zu beteiligen. Harry hingegen saß auf dem Bett und starrte ins Leere.
»Sag mal Potter, du bis so ziemlich anders, als ich dachte. Kannst du überhaupt reden?«, wollte Ron irgendwann wissen. Harry sah auf und atmete tief durch.
»Ja, sicher«, sagte er.
»Sind wir dir nicht gut genug?«, wollte Dean Thomas grinsend wissen. Harry sagte nichts.
»Lasst den doch«, warf Seamus ein und schlüpfte in seinen Pyjama.
»Der große Harry Potter redet also tatsächlich nicht mit jedem ...«, höhnte Ron wieder, als Percy ins Zimmer trat.
»So Licht aus und Ruhe jetzt!«, sagte er streng und Ron verdrehte die Augen.
»Ja, komm runter Percy!«
»Ron, das gilt auch für dich. Ich bin Vertrauensschüler und auch als mein Bruder, hast du zu folgen«, sagte Percy.
»Ja, ja ...«, Ron verzog sich zu seinem Bett und wechselte die Sachen.
»Auch du«, sagte Percy zu Harry. Dieser nickte, zog die Vorhänge seines Himmelbettes zu und zog sich dahinter um. Niemand sollte ihn ohne Sachen sehen, das hatte sein Onkel unmissverständlich klargemacht.
»Oho, nun ist er auch noch zu fein, sich vor uns umzuziehen«, hörte er Seamus' Stimme, dann wurde auch schon das Licht gelöscht.
»Pass bloß auf Potter, du bist hier nicht der Prinz...«, Rons Stimme war auf eine seltsame Art bedrohlich, aber damit konnte Harry leben. So etwas war ihm nicht fremd. Er schlüpfte unter die Decke und starrte in die Dunkelheit. Es war eigenartig, ein Bett zu haben, eine richtige Decke und ein Kissen. Schon jetzt wusste er, dass er nicht wirklich schlafen würde können, aber auf den Boden legen, war keine Option. Und so starrte Harry Potter weiter in die Dunkelheit und hoffte im Stillen, dass ihn irgendjemand doch noch retten würde.
Die Tage vergingen und für den blassen Jungen mit der blitzförmigen Narbe änderte sich kaum etwas. Seine Mitschüler mieden ihn beinahe schon und er konnte es ihnen nicht verdenken. Harry redete nicht, beteiligte sich nicht an Gesprächen oder Spielen der Gryffindor. Den Unterricht mochte er und er tat sein Bestes, um mitzukommen. Wenn die Lehrer ihn etwas fragten, dann antwortete er meist richtig, wenn auch sehr leise. Die Slytherins, mit denen sie zusammen Unterricht hatten, behandelten ihn wie Luft und Harry hatte irgendwie Verständnis, immerhin waren viele ihrer Eltern einmal Todesser und Anhänger des dunklen Lords gewesen. Mit der Ablehnung der Schüler kam Harry klar, aber eine Sache, machte es ihm besonders schwer nicht zu verzweifeln. Einer der Lehrer hatte es auf ihn abgesehen. Severus Snape unterrichtete Zaubertränke, ein Fach was Harry interessant fand, aber welches ihm schwerfiel, auch weil Snape die Rezepte an die Tafel schrieb und Harry ganz hinten saß und diese nur schwer entziffern konnte. Seine Brille war längst nicht stark genug, für seine geschädigten Augen. Darüber hinaus saß er neben Neville, der offenbar auch kein Land in diesem Fach sah. Das alles wäre vielleicht nicht so schlimm gewesen, wenn es Snape nicht offenbar eine diebische Freude machte, Harry vor allen anderen bloßzustellen. Der Mann hasste ihh, daran gab es keinen Zweifel. Harry verstand nur nicht warum. So kam es, dass Snape ihnen häufig Punkte abzog und meistens gab er Harry die Schuld daran. Eine Tatsache, die seinen Stand bei den Gryffindorn nicht gerade verbesserte. Dazu kam das regelmäßige Nachsitzen bei dem Tränkeprofessor, so auch an diesem Tag.
»Potter! Können Sie nicht einmal die einfachsten Anweisungen ausführen?«, der Ruf des Lehrers hallte in dem steinernen Raum wider. Harry starrte auf seinen Trank. Er sah wirklich nicht so aus, wie er sollte. Was hatte er nur falsch gemacht? Sein Blick huschte zu Hermine. Das Mädchen, welches aus einer Muggelfamilie stammte, war die Einzige, die ihm ab und an unter die Arme griff und ihn nicht so mied, wie die übrigen Gryffindor. Sie wies mit dem Kopf auf die Flubberwürmer in ihrer Hand.
»I-Ich glaube, ich habe die Flubberwürmer zu spät hinzugegeben, Sir«, stotterte Harry.
»Sie glauben? Ja, fürs Glauben gibt es hier keinen Platz, Mr. Potter. 10 Punkte Abzug und Nachsitzen heute Abend. Der Rest packt zusammen, Hausaufgaben an der Tafel. Die Stunde ist aus!«, donnerte der Mann. Harry ließ die Schultern hängen, suchte seine Sachen zusammen und verließ als letzter den Klassenraum. Er wusste, was jetzt kam.
Vor der Tür standen Ron, Seamus und Dean und funkelten ihn wütend an.
»Macht schon ... «, sagte Harry, als ihn auch schon der erste Schlag in den Magen traf. Er krümmte sich zusammen, blieb aber auf den Beinen.
»Eigentlich sollten wir dir für jeden einzelnen abgezogenen Punkt eine verpassen, aber das ist uns zu anstrengend«, höhnte Ron und verpasste ihm mit dem Knie einen weiteren Tritt gegen den Brustkorb. Harry sackte auf den Boden, Tränen schossen ihm in die Augen.
»Hey!«, erklang ein Ruf aus dem hinteren Teil des Ganges.
»Komm Ron, lass uns abhauen«, sagte Seamus.
»Na schön, reiß dich zusammen Potter!«, sagte Ron noch, dann waren die Jungen verschwunden. Harry hörte Schritte näher kommen.
»Alles in Ordnung?«, jemand zog ihn auf die Beine.
»J-Ja geht schon«, stotterte Harry und klopfte sich den Staub ab. Draco Malfoy stand vor ihm. Er war nicht allein, bei ihm war Blaise Zabini, ein Junge mit dunkler Haut und Augen, so schwarz wie Opale, aus ihrem Jahrgang.
»Machen sie das öfter?«, wollte dieser nun wissen. Harry zuckte mit den Schultern.
»Bin ja selber schuld. Ich sollte dann, für euch ist es sicher auch besser, wenn man uns nicht zusammen sieht«, sagte er schnell und wandte sich zum Gehen.
»Warte doch...«, rief Draco noch, aber Harry war bereits um die nächste Ecke verschwunden.
»Er sieht gar nicht gut aus«, sagte Blaise nachdenklich.
»Mhm ... ja er isst auch kaum was. Ich hab ihn beobachtet«, sagte Draco.
»Er ist bei den Gryffindorn ziemlich unbeliebt und dein Onkel macht es nicht besser«, sagte Blaise und senkte die Stimme. Draco nickte. Ja, Snape war sein Patenonkel und schien Harry aus tiefster Seele zu hassen. Draco kannte den genauen Grund nicht, aber von seinen Eltern wusste er, dass Severus und Harrys Eltern irgendeine Vorgeschichte hatten. Draco war das egal. Harry Potter hin oder her, der Junge tat ihm leid und irgendwie musste man ihm helfen.
Harry zog es vor, nicht zum Abendessen zu gehen. Zum einen war ihm noch immer schlecht und außerdem musste er vor dem Nachsitzen dringend noch seine Hausaufgaben erledigen. Er saß wie immer in der hintersten Ecke des Gemeinschaftsraumes und versuchte möglichst nicht aufzufallen. Die meisten der Gryffindor, ignorierten ihn schlicht. Lediglich die Weasley-Zwillinge, die ganz anders waren, als ihr jüngerer Bruder und Hermine redeten hin und wieder mit ihm.
»Harry? Ich glaube, du musst los«, Hermine stand an seinem Tisch und Harry schreckte auf. Er war unglaublich müde, ihm war schlecht und sein Kopf dröhnte.
»Oh ja, danke Hermine«, sagte er schnell, packte seine Sachen und verschwand aus dem Gemeinschaftsraum.
Er lief durch die langen Gänge der Schule, noch waren einige Schüler unterwegs, aber niemand beachtete ihn groß. Harry war das ganz recht. Offenbar hatte das Interessen an ihm nachgelassen, auch weil er darauf bedacht war nicht weiter aufzufallen. Die meisten hielten das allerdings für Arroganz und so war ziemlich isoliert. Harry bog um mehrere Ecken bis er vor dem Tränkeklassenzimmer stand. Einige Slytherins, die auf dem Weg zu ihrem Gemeinschaftsraum vorbeikamen, grinsten ihm höhnisch zu. Seufzend klopfte Harry an die Tür und trat nach Snapes gegrummelten: »Herein«, ein.
»Mr. Potter, immerhin sind sie heute pünktlich«, sagte Snape bissig.
»Guten Abend, Sir«, sagte Harry und setzte sich an einen der Tische. Er holte bereits Feder und Pergament hervor, um die üblichen Zeilen zu schreiben, aber Snape hielt ihn auf.
»Nicht so schnell. Ich denke, heute sollten Sie etwas praktische Arbeit leisten«, sagte er süffisant und wies auf einen hölzernen Eimer, der auf einem der erhöhten Arbeitstische stand.
»Sie waschen alle Phiolen ab, und zwar so sauber, dass man daraus trinken kann. Wir wollen ja niemanden vergiften, nicht wahr?«, sagte Snape und hob den Zauberstab. Sofort füllte sich der Eimer mit Wasser.
»Ja, Sir«, sagte Harry, stand auf und ging zum Tisch. Es waren sicher an die hundert kleine Fläschchen, die er abzuwaschen hatte. Er krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und griff nach der ersten Phiole. Das Wasser war eiskalt und fühlte sich wie tausende kleine Stiche auf der Haut an. Irritiert sah Harry zu Snape, der inzwischen wieder am Schreibtisch saß und grinste.
»Probleme, Potter?«
»N-Nein, Sir«, sagte Harry schnell und wendete sich wieder seiner Aufgabe zu.
Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, aber langsam hatte er kaum noch Gefühl in den Fingern, sein Rücken schmerzte und immer wieder fielen ihm die Augen zu. Es mussten Stunden vergangen sein. Snape war inzwischen aus dem Raum gegangen und so zuckte Harry zusammen, als dieser plötzlich neben ihm stand.
»Schluss für heute. Sie kommen morgen Abend wieder und erledigen den Rest, verstanden?«, sagte er und ließ den Eimer und die sauberen Phiolen verschwinden.
»J-Ja, Sir«, sagte Harry vollkommen erschöpft. Er griff nach seiner Tasche, aber sie glitt ihm aus den gefühllosen Fingern. Snape rollte mit den Augen, bückte sich nach der Tasche und drückte sie dem Jungen in den Arm.
»Verschwinden Sie!«, Harry beeilte sich, aus dem Raum zu kommen. Vor der Tür lehnte er sich gegen die Wand und versuchte seinen schmerzenden Rücken und seine schweren Füße davon zu überzeugen sich in Bewegung zu setzen. Er steckte seine Finger unter seinen Umhang und versuchte sie zu wärmen. Sie kribbelten unangenehm und Harry versuchte vor Schmerzen nicht laut aufzukeuchen. Es dauerte einige Minuten, ehe er es schaffte sich von der Wand abzudrücken und sich auf den Weg in Richtung Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu machen.
Dort angekommen, wartete sogleich die nächste unangenehme Überraschung auf ihn. Die »Fette Dame«, die den Zugang bewachte, ließ ihn nicht ein. Das Passwort war geändert worden und Harry kannte es nicht. Jedes Flehen half nichts. Das Porträt verweigerte ihm den Zutritt. Was sollte er nun tun? Zu McGonagall gehen? Warten bis vielleicht noch jemand kam? Aber was, wenn es Filch war, dass würde sogleich das nächste Nachsitzen nach sich ziehen. Harry wollte einfach nur schlafen. Er schlich den Gang zurück und bog um die nächste Ecke. Kurzerhand öffnete er die erste Tür, die er fand. Es war eine etwas größere Abstellkammer, in dem allerdings nur ein paar Besen standen und auf einem Regal standen leere Gläser. Harry schloss leise die Tür hinter sich und sofort war es stockdunkel. Aber dies machte ihm nichts aus, er kannte es. Er zog sich seinen Umhang von den Schultern, legte sich auf den staubigen Boden und deckte sich, so gut es ging zu. Seine Tasche nahm er als Kissen.
Harry zog die Knie an und wartete darauf, dass das Zittern nachließ. Es dauerte, aber irgendwann fielen ihm die Augen zu und er sank in einen unruhigen Schlaf.
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