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Nachtschwarze Reifen treffen auf den ebenso gefärbten Untergrund und bewegen sich mit kaum noch wahrnehmbaren Umdrehungen fort. Der weiße, von allerlei Farbklecksen gesprenkelte Lieferwagen wird von der strahlenden Abendsonne fest umschlossen. Süßliche, altvertraute Klänge hallen blechern und bereits geringfügig verwaschen von den geistlos gefärbten Fassaden der endlosen Häuserreihen wider. Der späte Nachmittag ist menschenleer, das gesamte Viertel scheint unbewohnt. Die Behausungen haben restlos ihre Bewohner verschlungen.
Wachsam schweift der Blick des Mannes über die starren Reihen der Häuser links und rechts von ihm. Das rötliche Licht, das den Abendhimmel flutet, blendet den Betrachter. Nur aus dem nahezu erblindeten Augenwinkel nimmt er die aufschwingenden Türen wahr, die abrupt aufschlagen, als schlug man mit der flachen Hand ins Gesicht. Wie der Mann doch diese dumpfe Geräuschkulisse verabscheut. Eine Hand verlässt die angestammte Steuerposition, doch zuckt sie schon im nächsten Moment, wie von Schuld gelenkt, zurück ans Lenkrad.
Schrille Kinderstimmen mischen sich den vertrauten Eiswagenmelodien bei. Die Mundwinkel des Eislieferanten zucken belustigt nach oben, als er zur Seite schaut. Er liebt es, seine Kunden rennen zu sehen. Mehr noch, als sie zum Stehen zu bringen.
Kleine Hände schnellen empor zum Himmel und winken mit Geldscheinen, als diese Zwerge in Sichtweite kommen. Unter altersschwachem Ächzen kommt der weißbunte Wagen zum Stillstand. Die schwarzen Reifen ruhen auf dem von der Sonne erhitzten Asphalt, während die kleinen Gestalten den Lieferwagen in Windeseile einholen. Ungeduldig klopfen sie gegen das bereits ein wenig zerbeulte Blech. Der Mann hinter dem Steuer setzt ein freundliches Lächeln auf, das beinahe schon einer Maske gleicht. Solange hat er gebraucht, es einzustudieren und zu perfektionieren. Erst als er sich sicher ist, dass alles perfekt ist, um diese unangenehme Situation zu überstehen, kurbelt der Angestellte langsam das Fenster zu seiner Linken hinunter.
Der Mann beugt sich ein wenig vor, um das erste Kind des Abends im Empfang nehmen zu können. »Guten Tag, junges Fräulein. Was kann ich denn heute für dich tun?« Das Kind erwidert diesen oberflächlichen Austausch von Höflichkeiten keineswegs. Es zeigt nur fordernd und mit scheinbar versiegelten Lippen mit dem plumpen Zeigefinger auf eine beliebige Eiskombination, die in leuchtenden Farben auf dem weißen Grund des Autos abgebildet ist.
Mit einem tonlosen Seufzer gibt er dem Wunsch des Mädchens nach. Ruhige, routinierte Hände reichen dem straßenköterblonden Kind seine Bestellung. Gierig greift das Gör nach dem Eis; erst dann übermittelt es dem Lieferanten achtlos das geforderte Geld und beginnt die süßliche, gefrorene Masse in sich aufzunehmen.
Hoffentlich erstickst du dran, du undankbares Balg, denkt er, während das wie eingeritzte Lächeln auf seinen Lippen nicht einmal das leiseste Anzeichen seines im Inneren brodelnden Ärgers nach außen hin durchschimmern lässt.
Auch die nachfolgenden Kunden legen keine besseren Manieren an den Tag. Keine dieser Blagen grüßt den Mann oder gibt nur ein Wort des Dankes von sich. Der Uniformierte kann nur stumm lächeln. Die Respektlosigkeit dieser Kinder lässt ihn alte Wunden spüren. Doch über die Jahre hinweg hat er gelernt, eine gewisse Fassade der Gelassenheit in jeder noch so ungebetenen Situation zu wahren.
Wieder sieht der Mann die Kinder, wie in Panik geratene Beutetiere, fliehen. Beinahe fasziniert beobachtet er, wie sich die Meute in kleinere Gruppen unterteilt, die sich wiederum an den Straßenrand zurückziehen.
Inmitten dieser Quälgeistversammlungen bemerkt der Lieferant eine ältere Frau. Mit noch immer aufgesetztem Lächeln tippt er sich an den Schirm seiner Mütze und nickt ihr zu. Die Passantin erwidert diesen Akt der Freundlichkeit und winkt. Schließlich doch mag jeder den Eismann.
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