8. Freds Frittenbude
a c h t
"Ich wohne schon mein ganzes Leben in New York. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und trotzdem sagt mir Freds Bude überhaupt nichts."
Vor etwa zwanzig Minuten war Charles ohne anzuklopfen in mein Büro gekommen. Hatte nichts gesagt, hat sich nur mit seinem mitgebrachten Glas, das wahrscheinlich mit Whisky gefüllt war, an die Fensterfront gestellt und den Blick über das nächtliche New York streifen lassen.
Geschlagene zwanzig Minuten war er dort gestanden und hatte mich ignoriert als wäre ich der Fremdkörper hier und nicht er.
Ab dem Zeitpunkt in dem er mein Büro betreten hatte, konnte ich mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren und schob daher gedankenverloren Zettel auf meinem Tisch von A nach B und tippte ab und an sinnlos auf meiner Tastatur herum. Einfach nur damit es zumindest den Anschein machte als würde ich arbeiten und mich nicht von seiner Anwesenheit ablenken lassen.
Und gedankenverloren war ich keines falls. Meine Gedanken hingen viel zu sehr an dem Mann, der teilnahmslos in meinem Büro stand und mir den Rücken zugedreht hatte.
Auch ein schöner Rücken kann entzücken. Und Charles hatte, soweit man das durch das Hemd, das er trug erkennen konnte, einen schönen Rücken.
Als Charles urplötzlich aus dem Nichts das Wort erhob, war ich regelrecht zusammengezuckt vor Schreck.
"Du bist in der falschen Gegend aufgewachsen.", antwortete ich und fixierte ein Blatt mit meinem Blick um ihn nicht anzusehen.
"Ich habe Hunger. Gehen wir dahin?" Mit einem fragenden Blick drehte er sich zu mir um und sah mich auffordernd an. Das Whiskyglas war leer. Seine Krawatte war leicht nach unten gezogen und der oberste Knopf seines Hemdes war offen. Er wirkte etwas müde und seine Haare saßen nicht mehr so perfekt auf seinem Kopf.
"Zu Fred?", fragte ich überrascht nach und legte das Blatt in meiner Hand weg. Er nickte. Seine grauen Augen fixierten meine und es fiel mir wie so oft unter seinem Blick schwer klar zu denken.
Wortlos zuckte ich mit den Schultern. Warum nicht. Ich war schon lange nicht mehr dort und ein fettiger Burger mit knackigen Pommes hörte sich gerade sehr verlockend an.
An mein Schulterzucken fügte ich ein Nicken an. Ein lockeres Cool kam über seine Lippen und das sanfte Lächeln, das er mir nun schenkte, ließ mich sofort wieder schwach werden.
Dumm Idee. Sehr dumme Idee. Warum hatte ich ja gesagt. Ich wollte keine Zeit mit ihm verbringen. Es sollte sich von mir fernhalten und nicht in meine Sicherheitszonen eindringen. Es reichte schon, dass er mein Büro so rücksichtslos betrat als wäre es seines. Jetzt auch noch Freds Bude?
"Kommst du?" Fordernd sah er mich an. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er einige Schritte in Richtung Tür gemacht hatte. Schwerfällig nickte ich. Meinen PC schaltete ich in Windeseile aus, nahm mein Jackett und schloss hinter meinem finsteren Büro die Tür.
Innerhalb weniger Sekunden war auch Charles nun mit Jackett gekleidet wieder an meiner Seite und gemeinsam stiegen wir in den Aufzug. Dort richtete er sein Hemd und seine Krawatte und knöpfte sein Jackett zu. "Wir gehen zu einer Frittenbude unter einer Brücke, nicht in ein Nobelrestaurant.", teilte ich ihm sicherheitshalber noch einmal mit, da es mir auffiel, wie er versuchte sich schick zu machen.
"Ich muss doch gut aussehen, wenn ich mich an deiner Seite irgendwo blicken lasse." Der intensive Blick, den er mir daraufhin zuwarf brachte meine Knie gefährlich stark zum zittern und nach Halt suchend krallten sich meine Hände in die Innentaschen meiner Anzughose. Wie sollte ich bitte eine ganzes Essen lang mit ihm aushalten? Das konnte nichts werden.
Ich setzte an das Essen wieder abzublasen, doch da war der Aufzug schon im Erdgeschoss angekommen und Charles legte auffordernd seine Hand auf meinen Rücken.
Sofort bekam ich eine Gänsehaut und die Wärme, die von seiner Hand ausging, erwärmte meinen gesamten Körper.
Das konnte nicht normal sein.
Wieso reagierte ich so extrem auf ihn?
Als wir die U-Bahn betraten, welche wie eigentlich immer relativ voll war, verzog Charles angespannt das Gesicht.
"Du fährst nicht oft mit der U-Bahn?", fragend sah ich die wenigen Zentimeter, die er größer war zu ihm nach oben. Eng beieinander standen wir an einer Stange und hielten uns fest.
Ich achtete akribisch darauf genügend Sicherheitsabstand zu ihm einzuhalten. "Nein, noch nie tatsächlich." "Noch nie?" Etwas irritiert hob ich eine Augenbraue. Er schüttelte nur mit eisernen Blick und fest aufeinander gedrückten Lippen den Kopf.
Die U-Bahn rüttelte wie gewohnt beim losfahren.
Eine ältere Dame, die hinter mir stand, verlor dabei jedoch das Gleichgewicht und fiel gegen meinen Rücken, wodurch ich direkt an Charles gedrückt wurde, der gleich seinen Arm um mich legte, damit ich nicht noch weiter fallen würde.
Die plötzliche Nähe zu ihm ließ mein Herz einen Schlag aussetzten, tötete alle Gehirnzellen und drehte meinen Magen um. Die Schmetterlinge in meinem Bauch schlugen Saltos und unkontrolliert begann ich zu schwitzen. Sein intensiver Duft vernebelte mir alle Sinne.
Langsam hob ich meinem Kopf, nur um ihm direkt in die grauen Augen zu sehen. Er war mir so nah. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht und seine schönen Augen, die mich durchdringend musterten, stellten die Zeit auf Slow Motion. Trocken schluckte ich und konnte mich nicht von ihm lösen. Seine Nähe fühlte sich so gut an.
Die Berührungen, auch wenn unsere Klamotten dazwischen waren, fühlten sich einzigartig an und vor lauter Gefühlen hätte ich am liebsten vor Freude zu weinen begonnen.
Charles brach den Blickkontakt nicht ab. Löste seinen Arm, der noch immer um meine Taille lag und mich fest an seinen Körper presste, nicht. Kaum merklich kam er mir näher. Lehnte sich weiter zu mir hinunter. Sein Atem auf meiner Haut wurde immer präsenter und abwartend schloss ich die Augen.
Ich wollte es. Ich wollte, dass er mich küsste. Ich wollte ihn so sehr.
Seine Nähe, seine Wärme, sein Duft setzten mein logisches Denken für diesen Augenblick außer Kontrolle und nur mein stark pochendes Herz führte mich nun an.
Denn mein Herz hatte diesen schönen Mann vor mir längst akzeptiert.
Es passierte nichts. Er küsste mich nicht.
Als ich die Augen wieder öffnete, hatte er sich von mir abgewendet.
Noch immer hatte er seinen Arm fest um mich gelegt, doch sein Blick galt nicht mehr mir. Teilnahmslos starrte er durch die volle Bahn.
Die Enttäuschung traf mich wie ein Hieb in die Magengrube. Aus Reflex wand ich mich schnell aus seinem Arm und drehte mich der älteren Lady zu, die in mich hineingefallen war.
Auch, wenn es sich für mich wie unzählige Minuten angefühlt hatte, waren nur wenige Sekunden vergangen.
Die Damen kämpfte mit dem starken Rütteln der Bahn in den Kurven und versuchte ihren kleinen Rollkoffer festzuhalten und gleichzeitig sich selber an einer Stange festzuklammern.
"Es tut mir so leid, Mister. Ich wollte Ihnen nicht so zu Nahe kommen." Die kleine Frau lächelte entschuldigend zu mir hinauf. "Es ist nichts passiert. Machen Sie sich keine Gedanken." Ihr Lächeln wurde noch größer und allmählich hatte sie den Bogen raus, wie sie ihr Gepäck und sich gleichzeitig effektiv festhalten konnte.
Ich drehte mich nicht mehr zu Charles. Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Es war wirklich die dümmste Idee überhaupt ihn mit zu Fred zu nehmen. Was hatte mich in dem Moment bloß geritten?
Wie dumm ich auch noch war und die Augen geschlossen hatte. Ich war doch eine riesengroße Lachnummer. Ich würde mich auch nicht küssen wollen.
"Da müssen wir raus." Ich zeigte auf die LED-Anzeige, die die nächste Station anzeigte. Ich sah ihn dabei nicht an. Mein Blick galt allein der LED-Anzeige und nervös trommelten meine Finger an der Stange bis die Bahn endlich zum stehen kam.
Nur wenige Menschen stiegen hier aus, weshalb der Bahnhof auch relativ verlassen vor uns lag.
Wortlos führte ich Charles über die Treppen hinauf zurück an die Oberwelt und mit einem eher unangenehmen Schweigen spazierten wir den kurzen Weg von hier bis zu Freds Frittenbude.
Nur ein spärliches Licht beleuchtete die dünne Straße, die zu Fred führte. Die Brücke, die mehrere Meter über uns vorbeiging, erfüllte die Nachtluft mit lauten Autogeräuschen und hier und da einem Hupen.
Am Ende der Straße in der Sackgasse konnte man nun auch Freds Stand erkennen.
Es ist ein alter Foodtruck, der äußerlich schon sehr herunter gekommen war. Immerhin stand dieser Hänger seit mindestens zwanzig Jahren hier, wenn nicht sogar schon länger.
Wie immer standen etwa zehn Stehtische draußen, die alle von einem Teelicht beleuchtet wurde. Das Hauptlicht jedoch kam aus Fred Bude. Die grellen Röhrenlampen in seinem Foodtruck erhellten wirklich die gesamte Fläche wodurch man selbst am abgelegensten Tisch noch Licht davon abbekam.
Die Teelichter erfüllten eher den romantischen Zweck als das sie Licht spendeten. Wobei dieser Ort für Romantik auch auf alle Fälle der falsche Ort war.
Charles neben mir rümpfte die Nase, sagte jedoch nichts. Ich wusste, dass das hier nicht sein Milieu war und er sich hier wahrscheinlich auch unwohl fühlte, aber davon ließ ich mich nicht stören. Ich konnte Freds Fritten riechen und sofort wurde mein Hunger unerträglich.
Ich verschnellerte meine Schritte vom Hunger getrieben etwas und trat dann unter der Markise an Freds Truck ins Licht.
"Hey Fred.", begrüßte ich den mir so bekannten Mann. "Lackaffe!" Sein kehliges Lachen brachte mich ebenfalls zum lachen. "Dich habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Wie geht's dir?" "Ich kann mich nicht beklagen. Und dir? Wie läuft die Bude?" "Viel zu gut. Ich brauche Urlaub.", witzelte Fred und ich wusste, dass er niemals seine geliebte Bude verlassen würde. Nicht einen Tag lang.
Zögernd trat auch Charles nun unter die Markise wodurch er für Fred richtig sichtbar wurde. "Noch ein Lackaffe. Wenn weiterhin so viele mit Anzug hier aufkreuzen wird das hier ein richtig nobler Schuppen." Kehlig lachte er wieder und als er sich langsam beruhigte fragte er wie immer "Das selbe wie immer?". Begeistert nickte ich. "Für ihn auch." Ohne Charles zu fragen, was er wollte, zeigte ich nur meiner Handbewegung in seine Richtung und Fred nickte. "Cola?" Ich nickte. "Ich rufe euch gleich." Mit einer geübten Bewegung ließ er zwei Becher mit Cola volllaufen und reichte sie mir. "Danke."
"Hey Lackaffe Nummer zwei." Mit einem etwas gereizten Blick wand sich Charles wieder Fred zu, der ihm hinterhergerufen hatte. Interessiert blieb ich ebenfalls stehen. "Er mag dich. Sonst würde er dich nicht hierher bringen." Frech zwinkerte Fred Charles zu, der etwas überfordert war und anscheinend nicht genau wusste wie er mit dieser Information umgehen sollte. "Schmarren, Fred. Ich bringe dir neue Kunden und so dankst du es mir?", gespielt empört sah ich den Frittenverkäufer an.
Innerlich hoffte ich zutiefst, dass Charles das nicht glauben würde und am liebsten würde ich Fred für diese Aussage den Kopf abreisen.
Mit einem Kopfnicken zeigte ich Charles an mir zu folgen. Ich stellte mich an einen der leeren Stehtische und nahm gleich einen Schluck von meinem Getränk. Es herrschte eine unangenehme Stille am Tisch und um ihn nicht ansehen zu müssen starrte ich die kleine Flamme des Teelichts an.
"Du magst mich also?" Charles spöttischer Ton ließ mich äußerlich die Augen verdrehen. Tief in mir schmerzte es jedoch. "Bilde dir ja nichts auf seine Aussagen ein.", knurrte ich den Schmerz über seinen Spott klar in meiner Brust spürend.
Was stimmt eigentlich nicht mit mir? Wieso reagierte ich so?
"Du wolltest in der Bahn von mir geküsst werden. Glaub ja nicht, dass mir das entgangen ist." Wieder dieser spöttische Ton. "Falsch. Das ist es was du dir einredest. Eigentlich wolltest du mich küssen.", antwortete ich kalt und beäugte weiterhin die kleine Flamme. Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich wollte den Spott nicht auch in seinen schönen grauen Augen sehen.
Ich wusste doch selbst eh am besten, dass ich eine Witzfigur war. Er musste es mir nicht noch unter die Nase reiben.
Rau lachte er wodurch meine Knie wieder leicht weich wurden. Er hatte so ein schönes Lachen, auch, wenn dieses gerade nur so vor Spott triefte. "Jaja. Rede es dir nur selbst ein."
Ich sagte nichts und auch er sagte, Gott sei Dank, nichts mehr.
"Schnucklig.", sagte Charles irgendwann als er fertig war unsere gesamte Umgebung mit seinen Augen zu scannen. Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben, sagte jedoch nichts dazu. Ansehen tat ich ihn auch nicht.
"Hier. Für euch Turteltauben." Fred stellte uns unsere Bestellung hin und grinste in die Runde. "Wir sind keine Turteltauben.", knurrte ich gereizt und griff gleich nach einer Pommes.
"Glaub ihm kein Wort. Er kann eine ganz schöne Kratzbürste sein." Fred zwinkerte Charles zu, der leicht lächelte. "Das habe ich auch schon bemerkt." Das zarte Lächeln, das dabei auf seinen vollen Lippen lag, ließ mich schlucken.
Die ganze Wut, die ich eben noch auf ihn hatte, war augenblicklich nur durch dieses sanfte Lächeln verpufft und wenn ich nicht aufpasste, würde ich wieder in seinen Augen versinken.
Fred lachte noch einmal laut und ging dann wieder zurück in seine Bude und ließ uns damit allein.
"Lass es dir schmecken.", brummte ich. Irgendwie war mir ja der Hunger auf Freds Essen vergangen. Wie konnte er mir so in den Rücken fallen?
Charles sagte nichts sondern biss gleich in den Burger. Mit vollem Mund nickte er mir kauend andächtig zu. "Sehr lecker.", nuschelte er mit vollem Mund und biss sofort wieder ab. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er den ersten Bissen überhaupt schon runtergeschluckt hatte.
Still aßen wir vor uns hin. Die Burger waren schnell verzerrt und einfach nur die Stille und die Anwesenheit des anderen genießend, naschten wir weiterhin von den Pommes.
Zumindest genoss ich Charles Anwesenheit. Wie es um ihn stand konnte ich nicht sagen. Er sah zufrieden aus. Seine Gesichtszüge waren entspannt und seine Augen strahlten so eine ungemeine Ruhe aus, dass ich mich bei einen Blick in sie gleich ebenfalls beruhigte.
"Hey Süßer." Eine vertraute Stimme säuselte mir ins Ohr und mit vollem Mund drehte ich mich zu dem Mann um, der seine Arme locker um meine Hüfte geschlossen hatte. Auch ohne ihn ansehen zu müssen, wusste ich sofort wer hinter mir stand.
"Hey Maxi.", nuschelte ich. Er löste einen Arm von mir und stellte sich neben mich, jedoch ohne den zweiten Arm von meiner Hüfte zu nehmen. "Das ist mein Kollege Charles.", machte ich die Beiden bekannt und Maxi streckte ihm höflich die Hand entgegen, die Charles jedoch nicht annahm. Etwas verwirrt zog Maxi deswegen seine Hand auch wieder zurück und klaute mir stattdessen eine Fritte. "Du hast dich lange nicht mehr blicken lassen. Hast du mich nicht vermisst?", fragte Maxi gespielt beleidigt.
Maxi. Ein groß gewachsener Mann. Mit seinen fast zwei Metern überragte er den Durchschnittsmann locker und auch mit anderen Körperteilen konnte er andere Männer um weiten schlagen.
Ich hatte Maxi hier an Freds Frittenbude kennengelernt, kurz nachdem ich von New Jersey wieder nach New York City gezogen war. Bei unserem ersten Treffen war ich mehr als betrunken, was dazu führte, dass wir tatsächlich im Bett gelandet waren. Es war eine einmalige Sache. Für mich und für ihn.
Daraus war jedoch eine gute Freundschaft entstanden und er hatte mich hier schon oft vor schmierigen Männern gerettet, die versucht hatten sich an mich ranzumachen. Das passierte hier tatsächlich relativ oft.
Er hatte eine angenehme Ausstrahlung und ich genoss seine Nähe.
Meistens jedoch standen wir einfach nur gemeinsam an einem Stehtisch, aßen und schwiegen uns an. Das war es was unsere 'Freundschaft' definierte.
"Ein bisschen vielleicht.", antwortete ich und stieß seitlich mit meiner Hüfte gegen seine, wodurch er ein kleines Stück von mir wegstolperte. Lachend kam er wieder zurück an unseren Tisch und bediente sich wieder an meinen Pommes. "Ist ja nicht gerade gesprächig dein Freund da.", stellte Maxi fest und begutachtete Charles als wäre er ein Ausstellungsstück. Charles Blick verfestigte sich so sehr, dass ich Angst hatte, Maxi würde gleich auf der Stelle tot umfallen.
"Na gut. Ich muss wieder los." Er griff sich noch einige meiner Pommes und hielt Charles seine freie Hand hin, welche Charles wieder nicht ergriff. Kopfschüttelnd lehnte Maxi sich zu mir und drückte mir einen zarten Kuss auf den Mundwinkel. Das war mittlerweile zur Routine geworden. So komisch es war, da er eigentlich ein Fremder war, den ich zufällig in den intimsten Momenten erlebt hatte, und sonst nichts über ihn wusste. Weder sein Alter, noch wo er wohnte, ob Maxi überhaupt sein richtiger Name war oder auch nur irgendetwas was nicht mit seinem Körper zu tun hatte.
"Tschüss." Zum Abschied winkte ich ihm noch hinterher bis er in der Dunkelheit der Nacht verschwunden war.
Erst jetzt gab Charles wieder eine wirkliche Regung von sich. Angespannt stieß er die Luft aus. "Lass uns gehen." Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu und sowieso auch bereit zu gehen stellte ich unseren Müll zusammen und brachte ihn zu Fred.
"Was bekommst du von mir?", fragend sah ich zu Fred hinauf, der in seinem Wagen höher stand als ich. "23.", antwortete er, während er in seiner Kasse herumtippte.
"Stimmt so." Überrascht folgte ich dem Arm, der gerade Fred dreißig Dollar reichte, zu seinem Besitzer.
Charles stand nah hinter mir.
Sofort begann mein Herz wieder schneller zu schlagen und nur schwerfällig konnte ich meinen Blick von ihm lösen.
"Danke. Einen richtigen Gentleman hast du dir da geangelt.", lachte Fred und verstaute das Geld in seiner Kasse. Ich öffnete schon den Mund um ihm wieder zu widersprechen, doch ich wusste, dass Widerspruch eh zwecklos war und er sich dachte, was er wollte.
Wir verabschiedeten uns von Fred und ich versprach ihm bald mal wieder vorbeizukommen und schon waren Charles und ich wieder still nebeneinander unterwegs zur U-Bahn Station.
"Dieser Maxi.", er stockte. Suchte anscheinend nach den richtigen Worten. "Das ist ein unangenehmer Zeitgenosse." "Wieso?", fragend sah ich zu ihm nach oben, während ich meine Hände tiefer in meinen Hosentasche vergrub. Es wurde langsam echt kalt.
Charles zuckte nur mit den Schultern.
In der U-Bahn Station war es zum Glück angenehm warm und erleichtert stellte ich fest, dass die nächste Bahn in zehn Minuten kommen würde.
Charles hatte sich auf einer Bank niedergelassen und gähnend setzte ich mich neben ihn.
Natürlich mit Sicherheitsabstand.
"Er ist richtig schmierig. Wie er dich angesehen hat. Als wärst du ein Stück Fleisch." Ergriff Charles plötzlich wieder das Wort und angeekelt schüttelte er sich, ohne seinen Blick von der Wand, die etwa sieben Meter von uns entfernt war, zu nehmen. "Maxi?", fragte ich, überrascht über seine Worte, nach. Er nickte.
Ich musterte sein Profil und versuchte eine Gefühlsregung zu erkennen, doch sein Gesicht war leer. Absolut neutral.
Plötzlich drehte er sein Gesicht zu mir und erwiderte meinen Blick. "Bitte sag nicht, dass du mit dem Sex hattest."
Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. Was für eine unverschämte Frage.
"Mit wem ich Sex habe kann dir absolut egal sein.", knurrte ich und wand meinen Blick wieder ab. Mich ärgerte seine Frage. Was erlaubte er sich?
"Also ja?" Vorsichtig sah ich aus dem Augenwinkel zu ihm um eventuelle Gefühlsregelungen sehen zu können. Doch nichts. Immer noch neutral.
"Selbst wenn, was interessiert es dich." Zischend zog er die Luft ein und starrte wieder an die selbe Wand wie eben. Sein Gesicht war nun vor Wut verzogen und seine Nasenflügel zitterten.
"Bah. Wenn ich mir nur vorstelle, wie seine schmierigen Finger dich berührt haben." Ruckartig stand der Vierzigjährige auf.
"Dann stell es dir nicht vor." Meine Stimme klang um Welten gelassener als erwartet. Charles Gefühlsausbruch brachte mein Herz wieder auf Hochtouren und meine Gedanken spielten verrückt. Es freute mich sehr, dass er offensichtlich auf Maxi eifersüchtig war.
Sein wütender Blick ließ mich zusammenzucken und langsam erhob auch ich mich nun von der Bank. "Beruhig dich, Charles. Es war eine einmalige Sache. Nichts besonderes." Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern um ihm zu verdeutlichen, wie wenig mir das bedeutet hatte. Keine Ahnung, woher das plötzliche Verlangen kam ihm das deutlich zu machen.
Doch anscheinend beruhigte es ihn kein bisschen. Seine Augenbrauen zogen sich fester zusammen, seine Augen wurde zu kleinen Schlitzen und man konnte sehen wie gepresst er atmete. War alles in Ordnung mit ihm?
Seine Hände, die aus dem Nichts mein Gesicht packten und seine vollen Lippen, die hart gegen meine prallten, konnte mein Gehirn gar nicht richtig realisieren.
Charles küsste mich.
So schnell wie er sich auf mich gestürzt hatte, löste er sich auch wieder von mir und drehte mir sofort den Rücken zu.
Der Kuss hatte nichts sanftes, nichts liebes, nichts zärtliches. Er hatte seine Lippen nur fest auf meine gepresst als wären wir Grundschulkinder, die unbedingt ihren ersten Kuss haben wollten.
Das war kein Kuss. Das war ein Bussi, das man seiner Oma gab.
Wütend von seiner Halbherzigkeit packte ich ihn an den Schultern, drehte ihn zu mir und bevor er irgendetwas sagen oder tun konnte, drückte ich meine Lippen wieder auf seine.
Fest und bestimmt, aber dennoch sanft. Mein Hände an seinen Schultern festgekrallt, wollte ich mich schon wieder von ihm lösen als er zaghaft seine Lippen gegen meine bewegte.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, raste in extremer Geschwindigkeit weiter. Charles Lippen auf meinen beförderten mich direkt ins Delirium und raubten mir jeglichen Verstand. Seine rauen Lippen, seine kratzigen Bartstoppel, sein männlicher Duft.
Gerade zählte nur noch Charles.
Der Kuss war sanft, zurückhaltend, jungfräulich. Hatte keinerlei Ähnlichkeit zu dem ersten.
Langsam, beinahe in Zeitlupe lösten wir uns voneinander. Seine Augen fokussierten mich so sehr, dass ich mich wunderte, dass ich überhaupt noch weiter atmete. Was machte er nur mit mir?
Ich konnte nichts aus seinem Blick herauslesen. Er war wie ein verschlossenes Buch. Keine Regung war auf seinem schönen Gesicht zu sehen.
Fest den Blickkontakt haltend trat er einen Schritt von mir weg. Ich ließ meine Hände sinken und sah ihn einfach nur an genauso wie er mich.
Plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. Kaum merklich, aber erkennbar.
Ich spürte seine Hand an meiner Wange. Ich spürte die Ohrfeige, die er mir gab. Ich spürte meine brennende Wange. Ich spürte den Schmerz. Ich spürte mein schmerzendes Herz.
Alle Schmetterlinge wurden innerhalb von Sekunden brutal ermordet.
Überrascht und mit schmerzverzerrten Gesicht fasste ich mir an meine Wange, die bereits heiß pulsierte. Charles würdigte mich keines Blickes, drehte sich einfach um und stieg in die U-Bahn, die gerade ihre Türen geöffnet hatte.
Ich sah ihm hinter her - noch immer mit meiner Hand an meiner Wange - und wollte weinen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro