6. ewige Freundschaften
s e c h s
Die letzten Tage waren dank meiner mich überhäufenden Arbeit sehr schnell vorbei gegangen. Zu schnell. Ich hatte noch viel zu viel Arbeit auf dem Tisch und wusste, dass ich dieses Wochenende wieder eine Sonderschicht schieben musste, da mir sonst Francis mit meinem angeblich fehlenden Zeitmanagement in den Ohren liegen würde. Mein fehlendes Zeitmanagement war jedoch nur darauf zurückzuführen, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit E-Mail mit neuen Aufgaben bekam, die ein Mensch alleine, und noch dazu ein Laie, nicht in der vorgegebenen Zeit schaffen konnte.
Auch dieser Tag war randgefüllt mit Arbeit und die einzige Auszeit, die ich den Tag über hatte, waren zwei Toilettengänge und, mir war es beinahe peinlich die genaue Summe zu nennen, vier Stopps an der Whiskybar.
Und es war noch nicht einmal siebzehn Uhr.
Ich hatte meinen Zeitplan für heute Abend schon die Woche über genau ausgearbeitet. Ich musste spätestens um sieben aus der Arbeit gehen, damit ich um halb acht zuhause war, um dann noch duschen zu können, sodass ich wiederum um halb neun das Haus verlassen kann, damit ich spätestens um neun in der Bar war.
Neun war eine angebrachte Zeit meiner Meinung nach. Früher hatten wir es uns immer auf acht ausgemacht, wobei die meisten dann doch erst zwischen neun und halb zehn kamen. Also würde ich genau pünktlich kommen.
"Shepperd, haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?" Francis riss ohne zu klopfen die Tür auf und spazierte in mein Büro als wäre es seines. "Ein Nein würde Sie sowieso nicht aufhalten.", brummte ich von seiner bloßen Anwesenheit und seiner grenzenlosen Arroganz zu tiefst genervt.
"Montag haben Sie ein Vorstellungsgespräch. Wir haben uns schon ausführlich mit ihm unterhalten und finden ihn alle mehr als perfekt für die Stelle. Nachdem Sie jedoch der Geschäftsführer", dieses Wort spuckte er mir vor die Füße, "sind, liegt das letzte Wort bei Ihnen."
Unhöflich ließ er eine Akte auf meinen Tisch fallen.
"Es ist schon fix. Er wird eingestellt. Das Vorstellungsgespräch mit Ihnen ist lediglich dafür da alles offiziell zu halten." Er verdrehte über seine eigenen Worte die Augen und machte wieder kehrt um das Büro zu verlassen. "Versauen Sie es nicht, Shepperd. Nicht, dass Sie ihn mit Ihrer Art vertreiben."
Nun war ich es der die Augen verdrehte. Ich war mit Abstand der unauffälligste Schwule, den es auf der Welt gab. Man konnte meine Sexualität nicht erahnen. Weder vom Aussehen her noch vom Verhalten. Das hatte ich auf dem Bau gelernt. Dort war es nicht gerne gesehen schwul zu sein.
Ich wusste, dass auch Francis sich dessen bewusst war, und er mich mit dieser Stichelei nur ärgern wollte. "Wie? Bedeutet das kein Sex beim Vorstellungsgespräch?"
Francis warf mir über die Schulter noch einen Killerblick zu und um die Situation etwas zu entschärfen, lächelte ich ihn mit meinem breitesten Grinsen an.
Der Alte schüttelte nur den Kopf und zog die Tür hinter sich, Gott sei Dank, wieder zu.
Noch immer mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen wand ich mich wieder meinem Schreibtisch zu. Die Akte über den neuen Mitarbeiter legte ich erst einmal beiseite. Dafür hatte ich das Wochenende über noch genügend Zeit. Zu aller erst musste ich mich um meinen Schreibtisch kümmern, welcher aussah als hätte eine Papierbombe eingeschlagen. So konnte ich nicht weiterarbeiten.
Seufzend versuchte ich wieder etwas Ordnung in meinem chaotischen Schreibtisch zu bringen. Das ich eigentlich eine beinahe pingelig ordentliche Person war, konnte man an meinem desorganisierten Schreibtisch nicht einmal ansatzweise erkennen, nicht einmal erahnen.
Ein wenig System hatte ich in meinem Blätterhaufen tatsächlich, auch wenn es für Ausstehende nicht so wirken mag. Ich fand mich einigermaßen zurecht.
Zufriedenstellend war dieser Zustand, der sich Schreibtisch nannte, dennoch nicht.
Nach gefühlten Stunden des sortierens, lochens, abheftens hatte sich auf dem Boden neben meinem Schreibtisch ein beachtlicher Stapel an Altpapier angesammelt, der geschreddert gehörte. Ich sollte eindeutig öfter meinen Arbeitsplatz ausmisten. Oder gar gleich besser darauf achten, dass er nicht wieder so zugemüllt wurde.
Über die Kurzwahltaste auf meinem Telefon wählte ich Thomes an, der nur wenige Augenblicke später in meinem Büro stand.
"Die müssten bitte alles geschreddert werden." Müde zeigte ich auf den Papierstapel am Boden.
"Man sieht Ihren Schreibtisch wieder.", witzelte Thomes und auch ich konnte mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. "Ja, Gott sei Dank. Ich habe schon fast vergessen welche Farbe das Holz hat."
Beistimmend lachte mein Assistent und begann sorgfältig die Blätter aufzuheben und schaffte es tatsächlich alle in einem Schwung aus meinem Büro zu entfernen.
Etwas befreiter lehnte ich mich seufzend in meinem Stuhl zurück. Mit Daumen und Zeigefinger massierte ich meine Nasenwurzel um mich etwas zu entspannen und wieder klaren Kopf zu schaffen.
Von der Müdigkeit etwas ausgelaugt ließ ich meinen Blick andächtig über meinen aufgeräumten Schreibtisch wandern.
Was? Schon halb sieben? Überrascht fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht und starrte erneut auf die Uhranzeige. Immer noch halb sieben.
Wo ist die Zeit hin?
Etwas panisch um meinem Zeitplan treu bleiben zu können, ging ich noch ein letztes Mal für den heutigen Tag meine offenen E-Mails durch um zu checken, was heute noch erledigt werden und was bis morgen warten musste. Bis auf drei glücklicherweise relativ zeitsparende Aufgaben konnte ich alles getrost warten lassen. Mehr gehetzt als mit Kopf arbeitete ich die letzten Posten für heute ab und schaffte es tatsächlich wenige Minuten nach neunzehn Uhr meinen PC herunterfahren zu können. Kurz gab ich noch Klara Bescheid, dass ich mich nun auf den Weg machen würde und sie und Thomes ebenfalls in ihr verdientes Wochenende gehen durften. Eher sollten. Immerhin konnten beide ihre Arbeitszeiten selber einteilen, weshalb sie auch schon längst hätten gehen können. Jedoch hatten wohl beide an diesem Freitagabend nichts geplant, denn wie zwei fleißig Bienchen gingen sie noch ihren Arbeiten nach.
Ich zog mein Jackett über, schaltete das Licht in meinem Büro aus, warf noch einen kurzen Blick über erleuchtete Stadt, die mich wie immer nur staunen ließ, und machte mich zielstrebig auf den Weg zum Aufzug.
Der Nachhauseweg sowie die anschließende Dusche verliefen perfekt nach Plan und bewiesen dadurch mein exzellentes Zeitmanagement. Nur die Wahl eines Outfits stellte sich doch schwerer heraus als gedacht. Mittlerweile war es zur Routine geworden einen Anzug zu tragen, wodurch sich die Wahl sonst nur auf die Farbe beschränkte. Und nachdem diese Wahl meistens auf schwarz fiel, konnte man es schon gar nicht mehr als Wahl bezeichnen.
Nun aber musste ich ein gesamtes Outfit zusammenstellen, ohne Hemd, ohne Jackett, ohne Krawatte.
Zögerlich kramte ich meine Lieblingsjeans heraus. Diese war schwarz mit relativ engen jedoch gerade geschnittenen Beinen, die knapp über meinen Knöcheln aufhörten. Tina hatte immer gesagt, dass mein Arsch darin super zur Geltung kam und die Hose meinen Beinen generell sehr schmeichelte. Da sie noch dazu sau bequem war, hatte sie damit den Titel der Lieblingsjeans zurecht verdient.
Nur mit der Jeans bekleidet stand ich nun weiterhin ratlos in meinem begehbaren Schrank. Ein Hemd? Ein T-Shirt? Oder doch einen Pullover? Wie würde das Wetter werden? Soll es regnen?
Genervt von meinen eigenen Gedankengängen griff ich wahllos nach einem Langarmshirt. Das Ergebnis dieser Zufallswahl war hellgrau. Ein schlichtes hellgraues Langarmoberteil. Perfekt.
Meine, vom Duschen noch leicht nassen, schwarzen Haare ließ ich wie Gott sie schuf und machte mir nicht wie für die Arbeit die Mühe sie großartig zu stylen. Mir persönlich gefiel der Wuschellook, oder wie Tina sagen würde der Frisch-Aus-Dem-Bett-Look, an mir sowieso viel besser als das streng adrette für die Arbeit.
Bei einem kurzen Blick in den Spiegel lobte ich mich kurz selbst für dieses schlichte doch nicht langweilige Outfit und bemerkte, dass ich mich eventuell doch bald wieder rasieren sollte.
Ob Charles ein Bart an mir gefallen würde?
Überrascht hielt ich inne.
Wieso spuckte Charles nun wieder in meinen Gedanken herum? Die ganze letzte Woche hatten wir uns kaum gesehen, sind uns dementsprechend auch nicht mehr nahe gekommen, und dank dem hohen Arbeitsaufkommen hatte ich auch keine Zeit mir groß über ihn Gedanken zu machen.
Ich war froh und freute mich wirklich darüber, es geschafft zu haben, ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben. Umso genervter war ich nun wieder von seinem Gesicht, das so aufmüpfig in meinem Kopf herumschwirrte, dass ich beinahe dachte es hätte sich in meine Augenlider eingebrannt.
Mich selbst hetzend packte ich Schlüssel und Geldbeutel ein, zog mir meinen Mantel über, der zufälligerweise farblich perfekt zu meinem Outfit passte, und zog mir Sneaker an. Fertig zum gehen, zögerte ich dann doch.
Was, wenn sich die anderen nicht so freuen würden wie Caleb? Was, wenn sie sauer waren, dass ich einfach so abgehauen bin, ohne mich zu verabschieden oder mich dann noch richtig bei ihnen zu melden? Vielleicht wollten sie mich gar nicht sehen.
Gestresst von meinen Gefühlswirrwarr strich ich mir mit der Hand durchs Gesicht.
Augen zu und durch.
Mit diesem Gedanken riss ich meine Haustür auf und zog sie hinter mir gleich wieder zu um ja nicht wieder hineingehen zu können.
Da stand ich nun, im Flur, noch stärker am zweifeln als vorher.
Caleb wird jedoch schon jedem erzählt haben, dass ich auch kommen werde, dementsprechend musste ich da heute aufkreuzen, sonst würde ich komplett unten durch sein.
Die immer stärker aufkeimenden Skrupel bei Seite schiebend versuchte ich entspannt die Treppe hinunter zu gehen. Hoffentlich würde man mir nicht ansehen, wie nervös ist wirklich war.
Nach einer nervenaufreibenden Fahrt in der U-Bahn stand ich nun gegenüber der Bar auf der anderen Straßenseite und starrte etwas überfordert mit der Situation den Eingang an.
Es sah noch aus wie vor fünf Jahren. Es hatte sich zumindest außen nichts verändert. Selbst das Menü auf der Tafel, die draußen hing, war noch immer eins zu eins das selbe.
Augen zu und durch. Wiederholte ich mein Mantra und überquerte die Straße. Ehe ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, stieß ich die schwere Tür auf und wurde sofort von einer extremen Hitze empfangen. Die stickige Luft, die mich einhüllte, gemischt mit dem Geruch nach Alkohol und Schweiß, riefen alte Erinnerungen wieder hervor, die ich versuchte zu ignorieren.
Kurz schüttelte ich meinen Kopf um wieder klar denken zu können und ließ meinen Blick durch den relativ vollen Raum schweifen. Auch Innen hatte sich nichts verändert.
Diese Bar war wenigstens eine Konstante in meinem Leben.
Ich seufzte und drückte mich durch die Menschen in Richtung des Tisches an dem wir uns immer getroffen hatten. Zwar hatte ich keine mir bekannten Personen erkannt, da ich jedoch auch Caleb nicht auf anhieb erkannt hatte, machte ich mir deswegen weniger Sorgen.
Es lief in einer angenehmen Lautstärke Rockmusik, ich vermutete, dass es noch die gleiche Playlist wie früher war, man konnte sich noch normal unterhalten, gleichzeitig auch zur Musik tanzen. Zu dieser frühen Stunde tanzten jedoch nur vereinzelte Personen. Die meisten begnügten sich mit Alkohol und ratschten.
Immer nervöser werden entledigte ich mich meines Mantels, krempelte die Ärmel des Langarmoberteils nach oben und ließ meinen Blick wieder über die Leute schweifen. Diesmal konnte ich Caleb an der Bar erkennen. Er unterhielt sich gerade hitzig mit einer Person, die ich nur von hinten sehen und somit nicht zuordnen konnte.
Er bemerkte mich nicht, weswegen ich einfach weiter in Richtung des Tisches ging. Als ich diesen endlich sehen konnte, musste ich erfreut feststellen, dass dort drei mir bekannte Personen saßen, die sich auf den ersten Blick tatsächlich kaum verändert hatten.
Kurz atmete ich noch einmal tief durch, schluckte alle erneut aufkommenden Zweifel runter und ging erhobenen Hauptes auf die Drei zu.
"Na Ladies, darf ich euch zu einem Bier einladen?" Mit einem Arm stütze ich mich gekonnt cool auf dem Tisch ab und lehnte mich zu den drei Damen hinunter um auf Augenhöhe kommunizieren zu können.
Trisha stieß einen genervten Ton aus und drehte sich eingeschnappt weg und beobachtete die Menge. Sie erkannte mich nicht. Auch Molly verdrehte die Augen und nippte teilnahmslos an ihrem Cocktail. Für die Beiden war ich einfach nur ein fremder Typ, der versuchte zu flirten.
Nur Olivia musterte mich einige Augenblicke und unter ihrem prüfenden Blick wurde ich wieder nervös. Würde sie mich erkennen?
"Zachary?", kam es irgendwann zögerlich, aber mit einem Hauch Überraschung, aus ihrem Mund und sofort packte sie Trisha, die neben ihr saß, am Arm und riss sie zu uns um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. "Trish, schau! Zach!"
Erst etwas angesäuert auf Olivia ermordete Trisha sie mit ihren Blicken, ehe sie sich dazu herabließ auch mir einen kurzen prüfenden Blick zu schenken. Auch Molly schenkte uns nun ihre volle Aufmerksamkeit.
"Da beißt mich doch ein Gaul. Zach. Bist du es wirklich?", platzte es dann aus Trisha heraus und mit tellergroßen Augen starrte sie mich an als wäre ich ein Einhorn. Etwas schüchtern nickte ich und war froh um das gedimmte Licht im Raum, sonst hätte man meine rot glühenden Wangen sehen können.
Olivia und Trisha fingen beinahe zeitgleich an laut zu kreischen und in Windeseile hatten sie sich zwischen Bank und Tisch herausgeräkelt nur um mir stürmisch um den Hals zu fallen. Lachend drückte ich die zwei Frauen fest an mich und genoss es sehr ihre bekannten Parfüms wieder in der Nase zu haben. Über die Jahre hatten sich beide anscheinend nicht von ihrem Lieblingsparfüm trennen können.
"Schön euch wieder zu sehen.", murmelte ich und drückte sie noch einmal fest an meinen Körper bevor ich sie wieder losließ. "Was machst du hier? Seit wann bist du wieder in New York? Wieso hast du dich nicht gemeldet? Du bist richtig erwachsen geworden. Seit wann sind deine Haare so lang? Wie geht es dir?" Erschlagen von der Masse an Fragen, die Olivia und Trisha mir um die Ohren warfen schüttelte ich leicht überfordert den Kopf. "Lasst mich erstmal Molly begrüßen, dann beantworte ich gern eure Fragen." Molly war mittlerweile auch von der Bank gerutscht und als ich meine Arme für sie öffnete ließ sie sich hysterisch kichernd hineinfallen. Sie drückte mich so fest, dass mir beinahe die Luft wegblieb. "Ich habe dich so vermisst! Wehe, du haust wieder einfach so ab."
Sie löste die Umarmung, nahm mein Gesicht fest in ihre Hände und sah mich eindringlich an. "Nie wieder. Hörst du?" Lachend nickte ich, zumindest so weit ihr eiserner Griff es mir zuließen. "Keine Angst, so schnell werde ich New York nicht mehr verlassen."
Zufrieden nickte sie.
"Steht das Angebot mit dem Bier noch?", fragte Trish und klimperte mit ihren langen Wimpern. "Selbstverständlich. Sonst noch Wünsche?", fragend blickte ich in die Runde. Die bekannten Augen, die mir voller Freude über meine Anwesenheit entgegenblitzten, lösten ein glückliches Gefühl in mir aus und die ganze Angst, dass meine Anwesenheit nicht akzeptiert werden würde, war verflogen.
Zufrieden nahm ich die Bestellungen entgegen, verabschiedete mich kurz für ein paar Minuten und Olivia nahm mir meinen Mantel ab, den ich noch immer in den Hand hielt, damit ich mich ungehindert an die Bar schlängeln konnte. Ich steuerte direkt auf Caleb zu, der sich immer noch mit der selben Person unterhielt wie vorher.
"Hey Caleb." Freundschaftlich klopfte ich ihm auf die Schulter und überrascht schreckte er hoch. "Zach. Sau nice, dass du da bist." Begeistert forderte er von mir einen Handschlag, den ich ihm nur zu gern gab.
"Zachary?" Der Mann mit dem sich Caleb eben noch unterhalten hatte sah mich forschend an. "Ja man. Das ist Zach. Ich hab ihn letzten zufällig im Park getroffen. Er ist wieder in New York."
"Richtig schön dich wieder zu sehen, Yves.", grinste ich den breitgebauten Mann vor mir an - aus der Nähe erkannte ich ihn auch wieder - und er erwiderte es genauso herzlich. Yves hatte sich in den letzten Jahren ebenso wenig verändert wie die Mädels. Seine blonden Locken kringelten sich immer noch in etwa der selben Länge auf seinen Kopf, der leichte Schnauzbart, den er damals schon hatte und der ihm zu jedermanns Erstaunen richtig gut stand, sah immer noch genauso aus und seine schokobraunen Augen sprühten weiterhin eine Vertrautheit aus, dass ich mich am liebsten in seine Arme geworfen hätte. Yves war von Anfang an der sensible und gefühlvolle in unserer Truppe. Er wusste immer, wenn mit jemandem etwas nicht stimmte und hatte für jede Situation die richtigen Worte.
Kurz unterhielten wir uns noch an der Bar, während ich auf die Getränke wartete und mit Yves Hilfe trug ich die vollen Gläser zurück zu unserem Tisch.
Ich war seit vielleicht fünfzehn Minuten wieder mit diesen Menschen zusammen und fühlte mich bereits wieder wie ein vollwertiges Mitglied und als wäre ich nie weggewesen, als wäre nie der Kontakt abgerochen.
Einige Momente später saßen wir zu sechst mit einer frischen Runde Getränke am Tisch und natürlich war ich Thema Nummer eins. Sehr knapp erklärte ich warum ich wieder in New York war und ließ dabei viele Details aus. Zum Glück fragte keiner genauer nach und alle freuten sich einfach darüber, dass ich wieder da war.
Interessiert fragte ich nach was die letzten Jahre bei meinen Freunden passiert war, woraufhin Molly und Caleb beinahe zeitgleich mit den Schultern zuckten und ein gelangweiltes 'Nichts' herausbrachten. Olivia dagegen erzählte stolz, dass sie ihr Studium beendet hatte und einen relativ guten Job gefunden hatte. Trisha war endlich, keiner hätte es für möglich gehalten, von zuhause ausgezogen und wohnte nun mit ihrer anscheinend sehr schlimmen Mitbewohnerin in einer aus der Erzählung recht niedlich klingenden Wohnung in der Nähe des Central Parks. Yves, der damals schon als Erzieher gearbeitet hatte, hat seine Frau fürs Leben kennengelernt und war momentan noch am hadern wann und wie er sie fragen sollte, ob sie ihn heiraten wollte.
Nur einer aus unserer damaligen Gruppe fehlte. Riley.
Riley, der Badboy wie er im Buche steht. Schwarze Haare, kantiges Gesicht, tätowiert bis obenhin, Muskeln soweit das Auge reichen konnte, einen 'Badboy'-Kleidungsstil, sofern es so etwas überhaupt gab. Auf den ersten Augenblick wirkte er mysteriös und beinahe furchteinflößend. Sobald man ihn näher kennenlernte, bemerkte man, dass genau das exakt zutraf. Riley war keine einfache Persönlichkeit und mit seiner direkten Art kein Blatt vor den Mund zu nehmen, war es mir anfangs schwer gefallen mit ihm zurecht zu kommen.
Kurz überlegte ich, ob ich nach ihm fragen sollte, verschmiss den Gedanken sogleich wieder. Olivia und Riley waren damals, bevor ich nach New Jersey ging, ein Paar und falls sie sich in der Zwischenzeit getrennt hatten, wollte ich keine traurigen Erinnerungen öffnen.
"Wer hat Lust auf eine Runde Shots?", Trishas Augen glitzerten gefährlich und Caleb sprang als Antwort sofort von der Bank und stürmte an die Bar, was ein Lachen unsererseits als Reaktion erntete.
"Na, wenn das nicht Mister Getaway ist." Da ich in ein Gespräch mit Molly vertieft war, hatte ich gar nicht bemerkt, dass sich Riley zu uns an den Tisch gesetzt hatte. Ohne zu antworten musterte ich ihn kurz. Er saß mir gegenüber an dem Platz an dem Caleb eben noch saß bevor er an die Bar gerannt war, und hatte seinen Arm liebevoll um Olivia gelegt. Anscheinend waren sie noch ein Paar.
"Nenn ihn nicht so.", zischte Trisha aufgebracht und schnipste ihn über den Tisch hinweg gegen die Stirn. Rau lachte er nur darüber.
"Ich habe gehört, dass dein Jonnybaby gestorben ist." Seine Augen blitzen keck und genau das war seine direkte Art bei der er aussprach was er dachte, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen oder vorher zu überlegen, was seine Worte anrichten konnten.
Deswegen war ich so lange nicht mit ihm zurecht gekommen.
"Riley!", kam es nun auch von Olivia und empört sah sie zu ihm auf, "Sag sowas doch nicht." "Wieso nicht?" Kurz sah er zu seiner Freundin hinunter, nur um mich dann mit seinem eisernen Blick wieder zu erdolchen. Ich antwortete nicht. Was hätte ich auch sagen sollen?
Molly, Olivia, Trisha, Caleb, Yves und Riley kannten John natürlich. Als wir noch ein Paar waren war John oft bei unseren Stammtischabenden dabei. Er wurde sofort von allen akzeptiert und hatte sich schnell einen Platz in ihren Herzen verdient. Jeder mochte John. Wie hätte man ihn auch nicht mögen sollen.
Als er mich damals verlassen hatte, waren sie es die es auch als erstes erfahren hatten. Sie wollten für mich da sein, mir durch diese schwere Zeit helfen, mich aufmuntern, mich auf andere Gedanken bringen, doch ich hatte sie von mir gestoßen, weil die gemeinsame Zeit mit ihnen mich zu sehr an die Zeit erinnert hatte als John auch noch ein Teil unserer Gruppe war.
Ich schluckte schwer. Diese Erinnerungen taten mir nicht gut.
"Jetzt wo er nicht mehr lebt, traust du dich wohl wieder nach New York?", stellte Riley scherzend fest und griff leicht lachend nach Olivias halbvollen Glas um daraus zu trinken. Es war mucks Mäuschen Still am Tisch und keiner wagte auch nur laut zu atmen, nur Rileys Kichern hallte zwischen uns.
Meine Stimmung fiel immer mehr gen Gefrierpunkt und abschätzig sah ich ihn genauso fest in die Augen wie er mir.
"Oder etwa nicht? Sag mir nicht, dass du wieder nach New York zurück gekommen wärst, wenn er noch leben würde." Abwartend sah er mich an und leider konnte ich auch die neugierigen Blicke der anderen spüren. Natürlich wollten sie das wissen.
"Nein, würde er noch leben wäre ich nicht mehr zurück gekommen. Ich habe mir in New Jersey ein gutes Leben aufgebaut und hatte nicht vor es mir ein zweites Mal kaputt machen zu lassen.", antwortete ich kühl. Der Gefrierpunkt war beinahe erreicht.
Spöttisch lachte Riley. "Und warum bist du dann hier? Hat dir wieder jemand dein kleines Herz gebrochen?" Sichtlich genervt von ihm verdrehte ich die Augen. Empört sah Olivia sprachlos ihren Freund an.
Wo blieb Caleb eigentlich mit den Shots?
"Ein zweites Mal?", fragte Trisha neben mir zögerlich nach.
In meiner vorherigen Erklärung warum ich wieder zurück war hatte ich dieses Detail ausgelassen. Ich hatte nur von einem guten Jobangebot geredet.
So gesehen war es ja kein schlecht Angebot gewesen, wenn man es überhaupt als Angebot betiteln konnte.
Ich seufzte. Sie waren meine Freunde. Sie hatte mich so lieb wieder in ihre Mitte aufgenommen, mich innerhalb weniger Minuten wieder ein Teil dieser Gruppe werden lassen und selbst Rileys Verhalten mir gegenüber hatte sich nicht verändert.
Sie hatten die Wahrheit verdient.
Angestrengt fuhr ich mir übers Gesicht. "Die Sache ist die–" "SHOTS!" Mit einem Tablet ließ Caleb sich an den Tisch fallen und sofort griff ich nach einem. Ohne anzustoßen trank ich ihn auf ex leer und knallte ihn etwas laut auf die Tischplatte.
Mit einem auffälligen Zeichen deutete Molly Caleb an die Klappe zu halten und still griff jeder nach den restlichen Shotgläsern.
"Die Sache ist die.", fing ich wieder an und spürte die abwartenden Blicke auf mir, während ich das leere Glas in meinen Fingern musterte, "John hat mich in seinem Testament als Alleinerben genannt. Ich habe ausnahmslos alles geerbt." "Aber er war doch verheiratet?", kam es überrascht von Olivia. "Und er hat ein Kind.", fügte Yves hinzu. Ich nickte. "Ich weiß auch nicht was ihn da geritten hat." Tief atmete ich durch und sehnte mich nach meiner Whiskybar in meinem Büro.
"Auf jeden Fall habe ich neben seinem Vermögen auch seinen Job geerbt. Wie sowas rechtlich überhaupt geht, keine Ahnung. Er hat es auf jeden Fall geschafft. Und jetzt? Jetzt bin ich Geschäftsführer eines millionenschweren Unternehmens und muss mich tagtäglich mit Sachen herumschlagen von denen ich nichts verstehe und Entscheidungen treffen über die ich als Laie eigentlich keine Entscheidungsmacht haben sollte. Und als wäre der Druck dadurch nicht schon groß genug, sitzt mir Johns Vater im Nacken und versucht genauso wie alle anderen Teilhaber und generell beinahe alle Mitarbeiter mich loszuwerden. Außerdem hüpft Johns Sohn andauernd mit seiner Mutter in meinem Büro herum."
"Sein Sohn heißt übrigens Paulus Zachary.", fügte ich noch hinzu und konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen.
Riley war der Erste, der die Stille wieder brach. "Das ist ja eine scheiß Situation."
Einstimmig stimmten ihm die Anderen zu.
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