Kapitel 36 (4/4)
Victor nickt, bevor er mit der Waffe auf Elliots Kopf zielt. Plötzlich reiße ich ihm die Waffe aus der Hand und rufe: »Warte!«
Die Augen der anderen legen sich auf mich. Victor verengt die Augen. »Hör auf, Jesse. Das macht es nicht besser.«
»Ich meine es ernst! Vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit!«
Während Adrian sofort aufhorcht, steht Victor hoch, um mich ein Stück zur Seite zu ziehen und mir zuzuflüstern: »Er war gerade so weit. Denkst du, du bist der Einzige, dem das hier schwerfällt?«
Ich reiße mich los und strecke meine Zeigefinger in Richtung Wohnzimmer aus. »Lessiko. Was, wenn er auch noch lebt? Könnte er nicht helfen? Er ist Arzt, er könnte wissen, was wir tun müssen, um Elliot zu retten!«
Ruckartig springt Adrian auf. »Sir! Lassen sie mich nachsehen!«
Victor massiert sich die Schläfen. »Gehen wir von dem enormen Glück aus, dass das Erdgeschoss noch einigermaßen steht und Lessiko am Leben ist – Er wird Elliot niemals behandeln. Er ist erst schuld an dieser Situation.«
»Ein Versuch ist es wert«, erkläre ich mit selbstischerer Stimme. »Und wenn er nicht will, dann bringe ich ihn eben dazu. Eigenhändig, wenn es sein muss.«
»Na schön.«
Adrian und ich strahlen gleichzeitig auf.
»Ich werde nachsehen gehen. Ihr bleibt hier.«
Mit aufflammender Hoffnung hocken wir neben Elliot, auf Victors Rückkehr harrend, während wir immer abwechselnd mit dem Verletzten sprechen, um ihn bei Bewusstsein zu halten.
»Wenn wir hier raus sind und du wieder gesund bist, ist dir doch bewusst, dass ich für immer auf deine süßen Worte mir gegenüber rumhacken werde, oder?«
Elliot bedeckt mich mit einem Blick, der mir zeigt, dass er mich seine Faust schmecken lassen würde, könnte er es.
»Ich war nicht mehr richtig bei Bewusstsein.«
»Für mich sahst du ziemlich wach aus.«
Er knurrt, was mich lachen lässt. Ein zittriges Lachen, so voller Hoffnung darauf, ihn mit uns nach Hause bringen zu können. Ich würde ihn mich so oft beschimpfen und ankeifen lassen, wie er will. Er sollte nur mit nach Hause kommen. Bitte.
Auf einmal wird die Tür aufgetreten. Mit großen Augen sehen wir zu Victor, der zurückgekehrt ist. In seinen zitternden Fäusten ein schwer atmender Lessiko mit einer riesigen Platzwunde am Kopf. Gewaltsam stößt er ihn ins Studierzimmer, sodass er auf die Trümmer stürzt und schmerzerfüllt keucht. Die Narben an seinen Armen schrammen vom Sturz auf und beginnen zu bluten. Victors Blick auf seinen jungen Cousin herab, ist voller Abscheu. Wenn wir ihn nicht brauchen würden, hätte er ihn wohl längst erwürgt. »Das Erdgeschoss ist zertrümmert. Die anderen sind tot, aber Unkraut vergeht nicht.«
Das bedeutet, es besteht eine Chance für Elliot, diesen Tag zu überleben. Erneut dreht sich mein Magen um. Der Wechsel aus Gefühlen lässt alles hochkommen.
Lessiko wischt das Blut seiner Platzwunde aus seinem rechten Auge. Anschließend sieht er sich im Raum um, bis er bei Elliot hält und aus einer Mischung aus Kuriosität und Amüsement grinst. »Sieht ja echt schlimm aus. Da liegt was auf deinem Bein, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.«
»Halt die Fresse, du scheiß Bastard...«, knurrt Elliot.
Adrian springt auf. Er packt Lessiko am Kragen seines völlig zerrissenen Mantels und zieht ihn auf Augenhöhe.
»Kannst du ihn retten?«
Lessiko überfliegt spärlich den verletzten Elliot. »Nope. Sorry, wirklich«, antwortet er zynisch.
Dafür schlägt ihm Adrian hart ins Gesicht. Lessiko fällt zurück auf die Trümmer, die an manchen Stellen so spitz sind, dass sie ihn noch weiter aufschlitzen. Als er hochstehen will, drückt Adrian sein Gesicht auf das Gemäuer. »Vielleicht kann ich dich nicht töten, aber wie wäre es, wenn wir dir auch ein paar Gliedmaßen zerquetschen. Möglicherweise änderst du ja deine Meinung über die verfügbaren Möglichkeiten.«
»Du kannst mich ruhig töten...«, nuschelt Lessiko durch den Stein. »Das mit dem Sender an meinem Herzen war gelogen.«
»Was?« Adrian hebt Lessikos Kopf an, um ihn erneut aufs Gemäuer zu schlagen. »Erkläre dich!«
»Wenn du die Güte hättest mich loszulassen...«
Victor legt seinem treuen Untergebenen eine Hand auf die Schultern. »Wir brauchen seinen Kopf noch.«
Widerwillig nimmt Adrian seine Hand aus Lessikos weißen Haaren. Keuchend fällt der junge Arzt auf seinen Hintern. »Ich habe gar nichts mit diesen Bomben zu tun gehabt. Wann hätte ich die denn installieren sollen? Das war Nikolais Plan B gewesen. Darum war der Radius nur so klein. Er wollte sich ja nicht selbst töten. Soweit ich weiß, hatte Kay sie während der letzten Woche in den Rohren platziert.« Er seufzt dramaturgisch enttäuscht. »Ihr seid nicht gut darin, euren Kopf zu gebrauchen, oder? Ich könnte euch auch erzählen, dass Schweine fliegen und ihr würdet es glauben.«
Victor schnappt seinen Kragen. Mühevoll stolpert Lessiko ihm über den Schutt nach, bis sein Boss ihn neben Elliot auf die Knie zwingt. »Du wirst ihn behandeln.« Er reißt seinen Kopf an den Haaren zurück. »Wenn du denkst, dass ich dich einfach so sterben lasse, bist du es, der seinen Kopf benutzen sollte. Stirbt Elliot hier, wirst du den Rest deines jämmerlichen Lebens im Keller der Villa verbringen. Und unsere Besuche enden nicht mit Kaffee und Kuchen.«
Lessiko hebt die Hände vor den Körper. »Ich wehre mich doch gar nicht.«
Mit verzogenem Gesicht lässt Victor seinen Cousin los. Dessen Blick wandert von einer Person zur nächsten, bis er schließlich seufzt. »Wie lange liegst du schon hier?«
»Woher soll ich das denn wissen? Seh ich wie ne beschissene Uhr aus?«, knurrt sein Patient. »Acht Minuten oder so?«
»Ich wüsste nichts, was ich für dich tun könnte. Die Blutung abzubinden und so vielleicht zu stoppen, hätte keinen Sinn. Einen Operationssaal haben auch wir nicht zufällig in der Tasche, oder?«
Victors harter Schritt auf ihn zu, ist Drohung genug. Er zieht die Schultern ein. »Okay, okay... ich überlege ja. Lasst mir doch mal ne Sekunde. Mit ner Platzwunde an der Stirn lässt es sich schwer konzentrieren.«
»Weniger faseln, mehr verarzten«, werfe ich ein. »Du hast doch längst eine Idee, nicht wahr? Jetzt spuck schon aus. Oder willst du wirklich, dass er stirbt?«
Lessikos Gesicht leuchtet auf. »Wow, nicht schlecht. Du hast mich durchschaut. Nun, es gäbe eine Möglichkeit, aber sie ist recht... barbarisch.«
»Willst du mich bei Bewusstsein aufschlitzen, oder was?«
Lessiko grinst. »Schlimmer noch. Das da...« Mit verzogenem Mund deutet er auf Elliots Bein. »...ist nicht mehr zu retten. Doch du könntest überleben, wenn ich dir das restliche Bein amputiere. Ohne sterile Werkzeuge und ohne Betäubung, versteht sich. Wir bräuchten etwas zum Schneiden, Feuer, sowas wie einen Schlauch und jemanden mit demselben Bluttypen.«
»Damit könntest du ihn retten?«, hakt Victor energisch nach.
»Retten? Nein. Für einen halben Tag länger am Leben erhalten? Möglicherweise.«
»B – Meine Blutgruppe. Zieh es durch.«, entscheidet Elliot, dessen Stimme zu schwinden scheint.
Sofort trete ich vor. »Ich habe ebenfalls Blutgruppe B. Du kannst meines nehmen, wenn es gebraucht wird.«
Wie ein Kind, das gleich sein Lieblingsspiel ausprobieren würde, klatscht sich Lessiko in die Hände. »Das wird eine ganz schöne Sauerei geben.«
Ich schlucke und schliße für einen Moment die Augen. Denn alles war ich mir gerade wünsche, ist, zusammen mit allen nach Hause zurückzukehren. Und wenn es mein allerletzter Wund sein würde.
Nachwort
Willkommen zurück! ^^
Eigentlich war dieses Kapitel ursprünglich als das finale Kapitel geplant, worauf nur noch ein Epilog folgen sollte. Allerdings habe ich mich ein wenig umentschieden, sodass es noch ein letztes Kapitel geben wird. Das heißt, mit dem nächsten Update ist diese Geschichte beendet. Wow, das ist ein überwältigendes Gefühl. Aber die säuselnden Worte spare ich mir fürs nächste Mal. ;)
Falls euch das Finale von "Unlimited" gefällt, würde ich mich sehr über eure Unterstützung in Form eines Votes freuen.
Kennt ihr eigentlich schon meine neue Geschichte "Austeritas"?
Hier einmal die Beschreibung:
Der 27-jährige Felix arbeitet an der Stadtgrenze des Militärstaats Austeritas, um sich mit Müh und Not über Wasser zu halten. Die herrschenden Lebensumstände sind entsetzlich, die Menschen verhungern auf der Straße oder schuften sich in der Armee oder dem Goldbergbau zu Tode. In den dunklen Stuben des Volkes schmieden viele Leute den Plan, aus dem Land zu fliehen. Eines späten Abends trifft Felix auf einen vermeintlichen Ausreißer. Anstatt ihn wie dem Protokoll nach zu erschießen, gibt er ihm Geld und bittet ihn, sein Leben nicht wegzuschmeißen. Doch das Chaos beginnt erst, als Felix erfahren muss, dass er niemandem geringeres als dem Sohn des Staatsgenerals Almosen angeboten hat...
Ich würde mich freuen, wenn ihr dort auch einmal vorbeischaut, sollte die Beschreibung euer Interesse geweckt haben! ^^
Ich wünsche euch einen tolles Wochenende.
Liebe Grüße
Goldkirsche
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