Kapitel 29 (1/2)
Der Attentäter beim alten Rathaus. Der Liebhaber des mächtigsten Mannes des Landes. Der Spion, der sich in die Reihen der Lassini-Familie geschlichen hat.
Die Presse hatte sich viele Namen für mich ausgedacht. Besondere gefällt mir aber Der Junge mit dem große Los.
Mit Victor Lassini als Gönner liegt mir die Welt zu Füßen. Habe ich mir das nicht immer gewünscht, mein Märchenwunder? Ich habe keine Lust mehr zu leugnen, mir hätte in dem vergangenen Jahr missfallen, wie viel Macht mir aus dem Nichts gegeben wurde.
Zuerst war es hart. Victor ernannte mich, eine ungebildete Putzkraft, zum Bezirksleiter der 19ten. Bilanzen, Controlling, Logistik, Pressearbeit – Fremdwörter für mich. Was bedeuteten die Zahlen auf den Dokumenten, die mir Victor gab? Wie kamen die Vorräte in die Lagerhallen der 19ten? Woher wusste jeder dort was er zu tun hatte?
Victor trichterte mir ein, mir nicht zu viele Gedanken zu machen. Er würde die Verantwortung für meine Handlungen übernehmen. Doch mein hartes Leben hatte mich gelehrt, immer alles zu geben. Ansonsten würde man schnell in der Gosse schlafen. Darum setzte ich mich hin und lernte. Während Victor in seinem Arbeitszimmer saß, las ich ruhig in der Ecke in seinen Büchern. Während den Beratungen in seiner Firma schrieb ich Hefte voller Notizen. Er lachte immer und strich mir über den Kopf. Mein Kampfgeist war geweckt. Ich wollte beweisen, dass sie alle falsch lagen.
Zum Zerschmettern brachte diese Hoffnung mein erster offizieller Arbeitstag in der 19ten. Victor rauchte an der Wand gelehnt, während er begutachtete, wie ich mich das erste Mal meinem neuen Team vorstellte.
Von den dreißig Leuten vor mir, sahen mich nicht mal alle aus der ersten Reihe an. Die staubtrockenen Atmosphäre wurde lediglich durch ein paar Räuspern unterbrochen. Nach meiner erbärmlichen Ansprache ließ ich die Schultern hängen.
»Kommst du allein zurecht?« Victor wischte eine Strähne aus meiner Stirn. »Ich werde ihnen ein wenig Respekt vor dir einflößen.«
»Nein. Du lehnst dich zurück. Das schaffe ich selbst.«
In der 19ten werden hauptsächlich Waren gelagert, die später verkauft oder verschickt wurden. Die Haupthalle misst fünfhundert Quadratmeter. Hier lagern große Objekte wie Autos oder Maschinen für den Bau. Sie umfasst eine zweite Etage mit einem kleinen Bürotrakt. Daneben gib es noch zwei kleinere Hallen, voll mit illegalen Drogen oder Waffen. Die Leute, die hier arbeiten, waren dafür verantwortlich die Waren in Stand zu halten, sie zu verpacken und auszuliefern. Meistens kamen sie direkt aus dem heruntergekommenen Wohngebiet der 19ten oder aus einem der anderen Slums der Stadt. Die Mehrzahl hatte die Schule früh abgebrochen oder wuchs bereits in der Mafia auf.
Am Anfang fühlte ich mich wie ein Fremdkörper in den Lagerhallen. Nicht nur die Verwaltung illegaler Güter machte mich nervös. Immer stand ich wortwörtlich im Weg oder verlangsamte die Arbeit durch mein Unwissen nur. Von den Arbeitern bekam ich kein Wort des Grußes. Sie hörten nur widerwillig auf mich.
Zum Platzten brachte die Anspannung einer meiner Untergebener, der mir die Paletten vor die Füße warf.
»Ich hasse Arschlöcher wie dich«, schrie er. »Denkst wohl, du wärst etwas Besseres, weil dich der Boss fickt, hä? Jeder weiß das. Es spricht sich rum, du hättest einen Verräter befreit. Trotzdem soll dir der Boss vergeben haben? Stimmt die Geschichte?«
»Was geht dich das an?« Kaum ausgesprochen, kassierte ich einen Kinnhaken, der mich zu Boden schleuderte.
»Heulst du gleich? Renn doch zu Mr Lassini. Kann der überhaupt noch richtig durchgreifen? Wenn er einem Verräter wie dich laufenlässt, ist er dann nicht verweichlicht? Wie kann sowas der Boss unserer Familie sein?«
Am Ende des Tages kehrte ich mit einer blauen Wange zurück. Victor hob mein Kinn an. »Wer war das?« Seine Augen glühten vor Wut. »Sag mir den Namen dieser Person. Ich werde mich um ihn kümmern.«
Was auch immer Victor mit ihm getan hatte, ich sah diesen Mann nie wieder. Nicht, dass ich um ihn trauerte.
Zwei Wochen nach meinen tragischen Versuchen, etwas bei meinen Arbeitern auszurichten, lernte ich dann jemanden kennen. Es war eine junge Frau mit mutigen braunen Augen und kurzem Pferdeschwanz. Sie brüllte im Bürotrakt der Lagerhallen: »Kay Wingston, Sir!«
Ich zuckte ob ihrer lauten Stimme zusammen.
Ertappt zog sie die Schultern ein. »Entschuldigen Sie, Sir. Mr Lassini schickt mich. Ab heute werde ich als Ihr persönlicher Bodyguard agieren!«
Nachdenklich umkreiste ich sie wie eine Statur in einer renommierten Galerie. »Du beschützt mich also?«
»Ja, Sir!« Lächelnd streckte sie ihr Kreuz durch.
»Du schmeißt dich vor mich, wenn jemand auf mich schießt und so?«, fragte ich mehr aus Ironie.
»Natürlich, Sir! Dafür wurde ich ausgebildet.«
»Du tust... was ich dir sage?«, hakte ich nach, lehnte mich gegen die Tür zum Büro.
»Aber sicher, Sir!« Sie lächelte so breit und unschuldig wie ein Golden Retriever. Im Gegensatz dazu, war sie ein ganzes Stückchen größer als ich und unter dem schwarzen Anzug konnte man die Bewegungen ihrer Muskeln erahnen.
Ich leckte mir über die Lippen. »Würdest du mir bei einem kleinen Problem behilflich sein...?«
Immer, wenn mir nun jemand frech kam, stellte ich eine neue Strafe auf. Was am Anfang nur harmlose Dinge wie mehr Arbeit war, wandelte sich schnell zu körperlichen Strafen. Eine andere Sprache verstanden sie nicht.
Die Schwachen unter ihnen gaben nach, sobald es ein wenig handgreiflich wurde. Die Versessenen rebellierten. »Zum Teufel mit Victor Lassini!«, riefen sie, stießen die Kisten um. »Ich folge keinem Schwächling, der nicht mal sein kleines Spielzeug ordentlich erziehen kann!«
Als mich einer von ihnen packen wollte, verdrehte Kay ihm das Handgelenk auf den Rücken und drückte ihn auf die kalten Fliesen. Der Dreck stand ihm gut, wie ich fand.
»Shit...«, keuchte er, während Kay über den unbeweglichen Körper kletterte. Die Masse, die von ihm aufgestachelt wurde, trat scheu zurück.
»Was soll ich mit ihm tun, Mr Carter?«
Ich hockte mich zu ihm herunter, fing seinen zornigen Blick ein. »Was würdest du mir raten, Kay?«
Im Gedankengang blies sie ihre Wangen auf. »Die Strafe für solch ein Verhalten würde im Ausbildungslager mit Verlust eines Fingers bezahlt werden.«
»Warte! Moment!« Eigenartigerweise genoss ich die Angst, die sich in den Augen des Mannes bildete. »So war das nicht gemeint!« Die abgehakten Versuche sich von Kay zu befreien waren nutzlos. »Bitte tu das nicht... D-Das war... E-Es tut mir leid...«
Ich seufzte. »Haben wir etwas Harmloseres?«
»Soll ich ihn verprügeln, Sir?«, schlug mir Kay so gelassen vor, als hätte sie nie etwas anderes gekannt.
»Ja.« Nickend erhob ich mich. Ich setzte mich auf die geschlossenen Kisten, überschlug die Beine. Erst sah ich weg, doch als ich meine Augen auf den wimmernden Mann richtete, verflog meine Angst. Er hatte Victor verspottet. Das verdiente er.
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