Kapitel 27 (3/3)
Eine Weile vertreiben wir uns den Morgen damit Karten zu spielen. Dabei denke ich darüber nach, wie Elliot mir von ihrer Jugend in der Familie erzählt hatte. Gerade fühle ich mich dieser zugehörig. Mit den Jungs Blödsinn anstellen und dabei Victors Hand zu halten – Klingt zu gut, um wahr zu sein.
Gegen zehn Uhr gesellt sich Adrian zu uns. Weil es das erste Mal ist, dass wir uns richtig wiedersehen, erkläre ich, warum ich weggelaufen bin. Anschließend legt er mir sanft lächelnd eine Hand auf die Schulter. »Mr Carter, ich bin froh, dass Sie wieder da sind. Wenn der Boss Ihnen vergibt, existiert kein Grund für gegenteilige Gedanken. Allerdings sollten Sie die Güte des Bosses kein zweites Mal auf die Probe stellen. Es wird kein zweites Mal geben.«
Um die Situation aufzulockern, scherze ich: »Ehrlich gesagt, bin ich nur für die Muskeln zurückgekommen. Was muss man essen, um so auszusehen?«
»Berichtigte Frage...«, wirft Lessiko grinsend ein.
Adrian lacht. »Langes Training, Mr Carter. Kontinuität und Durchhaltevermögen.«
Ich schnalze mit der Zunge. »Victor anzuschauen reicht mir, denke ich. Da sind genug Muskelgebirge für zwei.«
Elliot lehnt sich arrogant zurück. »Ihr Bohnenstangen könnt mir beim Pumpen zusehen. Dann lernt ihr mal eure Zahnstocher von Armen zu benutzen.«
»Hat jemand mit dir gesprochen?«
»Was war das, du Hosenscheißer?«
»Wenn jemand Tipps geben kann, dann ja wohl Adrian. Schließlich ist er größer als du.«
Hätte ich nicht sagen sollen. Das wird mir bewusst, als Elliot zu uns stampft. Er packt Adrian bei den Schultern, mustert ihn von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz. »Was soll da bitte größer sein? Ich war schon immer der größere von uns beiden!«
»Früher mal«, widerspricht sein Gegenüber.
Fassungslos schnaubt Elliot. »Immer noch.«
»Ich bin drei Zentimeter größer.«
»Das glaubst du selbst nicht.«
»Natürlich.«
»Seit wann?«
»Seit wir fünfzehn sind.«
»Davon träumst du!«
»Brauchst du etwa einen Beweis?«
Elliots Augenbrauen wandern in die Höhe. »Hier?«
»Natürlich. Auf der Stelle. Dreh dich um.«
Elliot blinzelt mit großen Augen. Dann hält er seine Hände abwehrend vor den Körper. »Wovon sprichst du gerade?«
»Wovon sprichst DU gerade?«
Beschämt sehe ich weg, als ich den Kontext ihres Streits begreife. Durch meine auffällige Reaktion färben sich Adrians Wangen rot.
Mit einem unbehagliches Räuspern versucht er die Situation zu retten. Er dreht Elliot herum und zieht seine Schuhe aus. Dann stellt er sich Rücken an Rücken mit ihm. »Wir werden messen, wer größer ist. Mr Carter, hätten Sie die Güte?«
Über diesen ungeschickten Rettungsversuch schmunzelnd, hebe ich meine Hand über ihre Köpfe. Als sie zu meiner gemessenen Höhe sehen, knurrt Elliot zornig. »Ich kann nicht kleiner sein, als dieser Mistkerl! Mach's nochmal!«
»Wenn ihr Zeit zum Rumspielen habt, solltet ihr an die Arbeit gehen.«
Unsere Köpfe wirbeln zu Victor, der am Rahmen des Durchgangs steht und uns mit zusammengezogen Augenbrauen beobachtet. Augenblicklich zieht sich Adrian seine Schuhe an, richtet seine Weste. Dann räuspert er abermals.
»Habe ich euch fürs Faulenzen angestellt?«
»Victor! Guten Morgen!« Mit einem breiten Lächeln laufe ich zum Mafiaboss. Bei ihm angekommen, schnappe ich mir seine Hand, um sie zu auf meinen Kopf zu legen. Wenn er mich nicht von selbst mit Liebe zuschüttet, werde ich sie mir eben holen.
Nachdem seine Finger tatsächlich einmal durch meine Haare gleiten, wendet er sich ab. »Mitkommen.«
Wie ein braves Kätzchen folge ich ihm, schlinge meine Arme besitzergreifend um seinen. »Hast du es nicht mehr ausgehalten, von mir getrennt zu sein?«
Augenrollend zerrt er mich wie ein unwilliges Tier vor dem Arztbesuch von sich. »Meine Leute scheinen dich sehr zu mögen. Du planst nicht etwa eine Meuterei?«
Ich lache herzlich. »Willst du nicht eher sagen, dass sie mich nicht ausstehen können?«
»Wie kommst du darauf? Wenn sie dich nicht mögen würden, hätten sie es dir längst gezeigt.«
Ich erinnere mich daran, dass sie mal erzählt haben, dass meine Vorgänger nicht die besten Persönlichkeiten hatten. Inwiefern unterscheide ich mich von ihnen? Meine Augen wandern Victor neben mir hinauf. Hat er sie eigentlich... geliebt? Oder waren sie nur Vertragspartner für ihn?
In seinem Arbeitszimmer angekommen, setzt sich der große Boss an seinen Schreibtisch. Er deutet mir an, davor Platz zu nehmen. Anschließend reicht er mir ein Handy und die Visitenkarte des Carlos Clans.
»Was soll ich damit?«
»Anrufen. Du wirst ihnen wie aufgetragen von meinem Tagesablauf berichten. Denk dir nichts aus. Sag die Wahrheit.«
Immer noch im Pyjama steckend, nehme ich das Handy. »Ist es nicht besser, wenn sie so wenig wie möglich wissen?«
Victor verschränkt die Finger ineinander, lehnt sich vor. »Fürchtest du, dass deine Lüge auffliegt?«
Mir dämmert, was er vorhat, weshalb ich tief durchatme. »Du glaubst mir nicht und willst durch den Anruf überprüfen, ob ich nicht doch zu ihnen gehöre, hab ich recht?«
»Versuch keine Tricks«, raunt er drohend.
Entsetzt schüttele ich den Kopf. »Lagen wir gestern nicht noch in einem Bett?«
»Was soll das beweisen?«
»Denkst du, ich spiele dir alles nur vor?«
Victors Augen verdunkeln. »Tu nicht so unwissend. Ein paar Küsse, schmierige Worte. Jeder kann das spielen.«
Weil es keinen Sinn hat mit ihm zu diskutieren, balle ich die Fäuste. Dabei hat mein Herz letzte Nacht wie wild gerast. Ich nahm an, dass auch seines nicht stillstand. Enttäuscht starre ich zur Visitenkarte. »Wenn ich dort anrufe, glaubst du mir?«
»Das kommt auf den Ausgang an.«
»Wenn dir der Ausgang nicht gefällt?«
»Ist das ein Geständnis?«
»Nein, verdammt nochmal!«, fauche ich, fange seinen Blick auf. »Ich habe dir gesagt, dass ich alles tun werde was du willst. Das waren keine leeren Worte.«
Dann wähle ich die Nummer der Karte.
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