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Ein Knallen ließ mich zusammenzucken, es war die Hand meines Onkels, die auf die Tischplatte donnerte. Sogar der oberste Hauptmann wich zurück, das Haupt gebeugt und die Augen stets auf den dicken Teppich gerichtet. Ich wartete, eisige Kälte schoss durch meine Venen. Wartete auf die Stimme, die mir fremd war. "Wie können sie es nur wagen?", brüllte der Mann. Ich zuckte innerlich ein zweites Mal zusammen, doch äußerlich blieb ich gefasst. Nur nicht bewegen.
Dieser Mann, der vor Zorn schier glühte, war nicht mein Onkel, nein, ich kannte diese Person nicht. Oder besser diese Seite von ihm. Fremd war mir die verzogene Miene, die vor Zorn sprühenden Augen, die mir sonst jeden Wunsch von den Lippen ablasen.
"Evakuiert eingehend die restlichen Priester und Gelehrten. Camelia, geh mit Askian. Askian, sieh zu, dass meiner Nichte nichts geschieht." Ehe ich mich versah, noch weniger ein Wort piepsen konnte, hatte mich der Verantwortliche am Oberarm gepackt und auf die Füße gezogen. Ein Schaudern durchfuhr mich. Wenn der Hauptmann das an normaleren Tagen mir angetan hätte, wäre er bereits in hohem Bogen aus dem Schloss geworfen worden.
Mit starrem Gesichtszug ließ ich mich fortziehen, während meine Augen ein letztes Mal den Blick des Königs suchten. Das Flehen darin wollte sie nie erreichen. So konnte ich nur an dem Gefühl festhalten, während Askian mich aus den prunkvollen Sälen ins Reich der Dunkelheit führte, wo die Stille alles lauter machte.
Als ich spürte, wie Kraft und Wille in meine eingefrorenen Glieder zurückkehrten, öffnete ich augenblicklich den Mund. "Was wird jetzt passieren? Was wird mit Euer Hoheit passieren?" Meine Stimme war mir ebenso fremd wie die meines Onkels. Ich schluckte. "Was mit Eurer Hoheit, dem König, passieren wird, das wissen nur die Götter. Meine letzte Aufgabe ist es, Euch in Sicherheit zu bringen.", lautete die mechanische Antwort.
Ich stieß ein verstehendes Summen aus. Seine Präsenz hatte mir etwas Trost gespendet, doch nun war dieser klitzekleine Funken an Hoffnung erloschen. "Deine letzte Aufgabe. Wirst du mich verlassen, oberster Hauptmann Askian?" Der Griff festigte sich und ich keuchte auf. "Seitdem Eure Hoheit verordnet hat, meine Krieger an der Front dem Schicksal zu überlassen, bin ich diesen Titel nicht mehr wert." Ein Stich fuhr durch mein Herz.
Ich musste an den Moment denken, in welchem die Worte meinen Mund verlassen hatten. "Dies ist ausweglos. Unser Gegner ist zu stark. Onkel, ich rate, alle wichtigen Personen in Sicherheit zu bringen. Kämpft keinen Kampf, der bereits verloren ist." Ich hatte neben den Kamin verweilt, in meiner Hand ein goldener Becher und von der Wärme des Feuers trunken.
Nun fühlten sich meine Glieder steif vor Kälte an. Ich schluckte schwer. "Heißt das, sobald du den Befehl ausgeführt hast, bin ich nur noch ein Niemand? Ganz alleine in dieser Welt?", hakte ich nach. Für einige Momente blieb es still, grausam still. Nur das gedämpfte Trommeln unserer Schuhsohlen auf den Erdboden war zu vernehmen, und den modernden Geruch nach jahrtausend alten, morschen Holz. Und nasser Stein.
"Ich bin nur noch ein Niemand, so wie du. Wer hätte gedacht, dass eine Prinzessin und ein Krieger dasselbe Schicksal teilen?" "Aber du bist nicht nur ein Krieger, du bist der oberste Befehlshaber der Armee meines Onkels!" Wieder Stille, gebrochen durch mein schweres, aufgebrachtes Atmen. "Die Armee Eurer Hoheit wird ab jenem Tage nur noch in Geschichtsbüchern existieren.", verkündete er und jegliche Entgegnungen starben auf meiner Zunge. Die betäubende Kälte hatte mein Herz erreicht. "Du hast meiner Familie einen guten Dienst erwiesen."
Die eigenen, hastigen Schritte wurden vom Trommeln Pferdehufen ersetzt. Ich spürte den glatten, wuchtigen Körper unter mir, wie sich die Muskeln unter dem kurzen Fell zusammenzogen, um sich im Bruchteil einer Sekunde wieder zu strecken. Sonst machte mir die Bewegung nichts aus, doch heute ließ es meinen Magen rebellieren. Ich kniff die Augen zusammen. Mit einem tiefen Durchatmen versuchte ich, die eigenen Muskeln zu entspannen, doch sie blieben hart wie Stein. Zum Glück war ich nicht die Person, die die Zügel hielt, Askin hatte sie und mich fest in seinen Händen. Meine Seite war gegen ihn gepresst, suchend nach Schutz und Wärme. Das Letztere wollte mir jedoch nicht gewährt werden.
Der Wald wollte kein Ende nehmen. Er verschwamm zu einem einzigen, grauen Schatten, ohne Licht, ohne einer weiteren Menschenseele. Die Welt schien zu schrumpfen, sich zu verkleinern, in sich zusammenziehen, nur der Mann, das Pferd und ich waren der armselige Kern. Wieder überkam mich der Drang, die Augen zu schließen und zu schlafen. Einfach schlafen. Vielleicht würde ich wie gewohnt in meinem Zimmer im Schloss aufwachen, und wenn ich in den Thronsaal eilen würde, würde mein Onkel dort sitzen und auf meine Befehle warten. Wenn ich ihm von diesem Alptraum erzählte, würde er lächeln und über mein Haar streichen, die Augen so sanft wie die Frühlingsbrise, die die Blumen im Schlossgarten aus ihrem winterlichen Schlaf weckte. Ja. Ein kleines Lächeln zupfe an meinen Mundwinkeln, versteckt von dem dunklen Mantel, in welchem der Krieger mich gewickelt hatte.
Ein Zucken weckte mich auf. Ich blickte hoch zum Gesicht des Kriegers, die Augen geweitet, doch es war steinern. Da erkannte ich: Anspannung. Der Kiefer war gespannt, die Nase aufgebläht, der Blick konzentriert. Und ich hörte, dass es nicht nur die Hufen eines Pferdes waren. Ich konnte mehrere Pferde galoppieren hören, ihre Hufen zermalmten jegliches Leben unter sich.
Mir entfuhr ein Keuchen, als ein Ruck durch den Hengst ging, die Kapuze rutschte von meinem Haar und Wind ließ es aufbauschen. Meine Finger krallten sich in den Umhang meines Begleiters, während ich mich auf das aufgebrachte Klopfen meines Herzens fokussierte. Es klopfte, so gebrechlich wie ein neugeborenes, aufgeregt flatterndes Küken, nichts konnte es beruhigen. "Was ist geschehen? Sind Krieger zu uns gestoßen?" "Ja. Aber es sind nicht unsere.", erhielt ich als gepresste Antwort. Für einen Moment setzte mein Atem aus.
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