Neunzehn Jahre später
In der frühen Morgensonne des ersten Septembers lagen die Straßen Godricʹs Hollows still und verlassen da. Irgendwo krähte ein Hahn, doch ansonsten war weit und breit kein Anwohner – ob magisch oder nicht magisch – in Sicht.
Draco Malfoy war froh darum. Er schlug den Kragen seines schwarzen Mantels empor und schob die Hände in die Taschen, ehe er sich gemäßigten Schrittes auf den Weg durchs Dorf machte. Die frische Luft tat ihm gut und er war froh, dem Malfoy Manor für einige Stunden den Rücken kehren zu können. Seine Frau Astoria hatte noch geschlafen, als er aufgebrochen war, doch selbst wenn sie wach gewesen wäre, hätte sie es besser gewusst, denn sich ihm in den Weg zu stellen.
Auf dem Weg hinaus war ihm lediglich seine Mutter über den Weg gelaufen, die ihm einen äußerst langen Blick schenkte. "Du gehst wieder zu ihr, habe ich nicht recht?"
Mehr als ein steifes Nicken hatte er ihr nicht gewidmet, sich stattdessen an ihr vorbeigedrückt. Wusste er doch, was Narzissa sagen würde, wenn er ihr die Gelegenheit dazu ließ. Sie war es gewesen, die ihn nach dem endgültigen Fall des dunklen Lords in der Großen Halle aufgesucht und in die Arme geschlossen, ihm unentwegt übers Haar gestrichen hatte, während er an ihrer Schulter weinte. Sie hatte das Risiko, als Todesser gebrandmarkt und nach Askaban geschickt zu werden, wissentlich in Kauf genommen, während sein Vater und all die anderen geflohen waren.
Noch jetzt trieb ihm die Erinnerung an jene Stunden einen Kloß in den Hals, den er nicht so einfach hinunterschlucken konnte. Dabei war es inzwischen neunzehn Jahre her. Seine Nase kribbelte und er reckte sie in die frische Morgenluft, um die Erinnerung zu vertreiben.
Heute sollte ein guter Tag werden. Scorpius, sein Sohn, würde endlich nach Hogwarts gehen und jenen Weg einschlagen, den jede junge Hexe und jeder junge Zauberer mit elf Jahren begann. Er würde in den Hogwartsexpress steigen und, so Merlin wollte, schon in den ersten Minuten seine zukünftigen Freunde, vielleicht sogar seine zukünftige große Liebe kennenlernen. Bei Draco selbst war es so gewesen – das hieß, so ganz stimmte es nicht.
Während er das Tor des kleinen Friedhofs aufstieß und der Kies unter seinen Füßen knirschte, dachte er an jenes erste Mal zurück, an dem er Mariah getroffen hatte. Es war im Kleiderladen bei Madam Malkin gewesen und zugegebenermaßen hatte er sich wie ein blasierter Idiot verhalten. Mariah hatte keinen Hehl aus ihrer Geringschätzung ob seiner Einstellung gemacht. Anfangs war ihm genau das ein Rätsel und zugegebenermaßen auch ein Ärgernis gewesen und doch hatte sie ihn von Anfang an fasziniert.
Trotz der Jahre, die seither ins Land gegangen waren, erinnerte er sich gut an das wilde Funkeln in ihren Augen und die Entschlossenheit darin, wenn sie für jene Menschen eintrat, die ihr wichtig waren. Draco hatte unzählige Emotionen in ihnen schimmern sehen und wenn er selbst die Augen schloss, bildete er sich heute noch manches Mal ein, sie vor sich zu sehen.
Sollten diese Bilder eines Tages verblassen, hatte er Sorge getragen, dass er sie sich wieder und wieder ansehen konnte. Die guten wie auch die schlechten Zeiten. Denn es gab Tage, da bestand seine größte Angst darin, er könnte ihr Lächeln vergessen.
Mit einem Blinzeln riss Draco sich zurück in die Gegenwart. Fast ohne sein Zutun hatten ihn seine Füße zwischen den Grabreihen entlang getragen, an Gräbern mit den Namen Dumbledore, Abbott und Peverell vorbei. Keinen von ihnen würdigte er eines zweiten Blickes, wusste er doch, wer dort ruhte. Im frühen Licht der aufgehenden Sonne warfen die Steine lange Schatten.
Es dauerte nicht lange, bis er sein Ziel erreichte.
James Potter
geboren am 27. März 1960, gestorben am 31. Oktober 1981
Lily Potter
geboren am 30. Januar 1960, gestorben am 31. Oktober 1981
Mit einem Seufzen sah er auf die Namen seiner Schwiegereltern hinab, zögerte den Moment hinaus, da er den dritten Namen auf diesem Stein lesen musste, indem er sich zum gefühlt hundertsten Mal fragte, was die Potters wohl von ihm gehalten hätten. Von dem Mann, der er heute war, den ihre Tochter aus dem verzogenen jungen Malfoy gemacht hatte. Denn darüber, dass sie dem Jungen, der er in seiner Schulzeit gewesen war, nicht gerade wohlgesonnen gestimmt gewesen wären, machte er sich keinerlei Illusionen.
Er war der Sohn seines Vaters gewesen – verzogen, arrogant, engstirnig. Die ein oder andere Eigenschaft davon hatte er bis heute nicht abgelegt. Und doch gab er sein Bestes, es bei seinem eigenen Sohn besser zu machen. Wie sie es gewollt hätte. Sein Blick huschte über die Inschrift weiter nach unten:
Mariah E. Malfoy
geboren am 31. Juli 1980, gestorben am 02. Mai 1998
Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod.
Der Text war schlicht. Das war etwas, worin Potter und er sich einig gewesen waren. Keine großen Änderungen. Sicher, sie hätte mit den anderen Gefallenen auf den Ländereien von Hogwarts begraben werden können; hätte ihre letzte Ruhe zwischen ihrem Paten und ihrem Ziehvater finden können. Doch es war ihnen beiden unpassend erschienen.
Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre sie im Mausoleum der Familie Malfoy beigesetzt worden, aber Draco war sich sehr sicher gewesen, dass sie sich an diesem trostlosen Ort einsam gefühlt hätte. Wenn er jetzt das goldene Herbstlicht sah, das die ersten gefallenen Blätter auf der Erde auf ihrem Grab in bunte Farben tauchte, war er sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Er hockte sich hin, strich mit dem Zeigefinger über die inzwischen welken Blütenblätter, die hier von seinem letzten Besuch ruhten. Dann zückte er den Zauberstab, ließ den alten Kranz verschwinden und beschwor stumm einen neuen Kranz aus roten Tulpen und Rosen hervor.
Tief durchatmend fuhr er sich mit der freien Hand über die Nasenwurzel, seufzte schwer. "Ich vermisse dich, weißt du das?", fragte er und lauschte dem Geräusch seiner Stimme nach, wartete auf eine Antwort, die ja doch nicht kommen würde.
Immer, wenn er seine ganze Konzentration nicht für das Studium alter alchemistischer Manuskripte verwandte, fehlte sie ihm. Manche Tage waren schwieriger als andere; an ihnen half nicht einmal ein volles Glas guten Feuerwhiskeys, um das Gefühl der Leere in seinem Herzen zu vertreiben.
Doch trotz allem schien es ihm unmöglich, seine Gefühle angemessen in Worte zu fassen. Wie oft hatte er es versucht? Jedes Mal, wenn er hierherkam, nahm er sich einige Minuten, stellte sich vor, sie würde neben ihm stehen und ihm zuhören, wenn er von seinem Alltag sprach. Sie würde ihre Hand auf seine Schulter legen, sie drücken und wenn sie sich zu ihm hinab beugte, würde ihr das rote Haar über die Schulter fallen. Mariah würde ihm ein Lächeln schenken, das die sorgenvollen Falten vertrieb, die sich in der Zeit des Krieges auf ihr Gesicht geschlichen hatten, und die harten Linien ihrer Narbe weichzeichnen würde.
Wie Mariah inzwischen wohl aussähe?
Seine eigene Stirn war in den letzten Jahren etwas kahl geworden, was sein spitzes Kinn noch deutlicher hervorhob. Wenn er außerdem ehrlich mit sich selbst war, befanden sich in seinem blonden Haar bereits vereinzelte graue Härchen, die bislang nur bei genauer Musterung zu erkennen waren.
Draco konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr ähnlich ergangen wäre. Für ihn, in seiner Vorstellung, hätte sie bis heute ihre Jugend behalten. Vielleicht hätten sie Kinder? Was hätte er darum gegeben –
Mit einem Kopfschütteln vertrieb er diese Gedanken, bevor sie weiter ausurfern konnten. Sein Sohn, den er innig liebte, wartete zu Hause. Wären die Dinge anders gelaufen, gäbe es ihn heute vielleicht nicht.
"Ich habe ihm bis heute nichts von dir erzählt", flüsterte er, während ein Windstoß ihm einige Strähnen aus der Stirn blies. Einen herrlich langen Moment stellte er sich vor, dass es ihre Finger wären, schloss die Augen, um sich das Gefühl ihrer Haut auf seiner einzubilden. "Und ich bin mir unsicher, ob ich es jemals tun werde. Ich möchte nicht, dass er sich weniger geliebt fühlt, nur weil ich mir jemand anderes als seine Mutter gewünscht hätte."
Sachte strich er mit dem Daumen über den schweren Ring an seiner linken Hand. Das Ebenstück dazu ruhte in der Erde unter seinen Füßen. Trotz der erneuten Heirat hatte er es nie übers Herz gebracht, ihn abzulegen.
Astoria hatte es nie von ihm verlangt. Eines der Dinge, die er an ihr schätzte. Obwohl sie aus einer Familie der alten achtundzwanzig stammte, waren sie sich in Fragen der Erziehung einig. Wie ihn selbst hatte der Krieg sie verändert, hatte sie Fragen der Etikette und des reinen Bluts überdenken lassen, was insbesondere mit seinem Vater immer wieder Anlass zur Diskussion bot. Sie war eine gute Ehefrau und eine noch bessere Mutter - "Aber sie ist einfach nicht du."
Ein neuerlicher Windstoß und eine Veränderung in der Luft verrieten ihm, dass er nicht länger allein war. Draco wandte den Kopf, um sich nach dem Neuankömmling umzusehen, obwohl er ihn an seiner magischen Signatur längst erkannt hatte.
Früher einmal wäre er jetzt aufgesprungen, war das ein oder andere Mal vom Fleck weg disappariert, um dieser Begegnung aus dem Weg zu gehen. Nach jenem Morgen in der großen Halle hatte es noch Jahre gedauert, bis sich der Waffenstillstand zwischen ihnen bis zum heutigen Punkt gefestigt hatte.
"Potter", schnarrte Draco Malfoy, ohne sich zu erheben, kaum war der schwarzhaarige Zauberer in Hörweite. Er hatte sich kaum verändert. Selbst die Brille war noch die gleiche wie zu ihrer Schulzeit.
"Malfoy." Mariahs Bruder schenkte ihm ein knappes Nicken und ließ mit keiner Regung erkennen, ob ihn die Anwesenheit seines einstigen Rivalen am Grab seiner Familie störte. Stattdessen strich er mit den Fingerspitzen über den Stein, sobald er bei ihm anlangte, und verharrte neben ihm.
Einige Minuten schwiegen die beiden Männer, hingen beide ihren jeweiligen Gedanken nach.
Schließlich war es Harry Potter, der zuerst das Wort ergriff: "Du hast mich vor Jahren gefragt, warum meine Schwester tat, was sie an jenem Tag tat; warum sie sich Voldemort in den Weg stellte."
"Das weiß ich. Sie glaubte, deinen Platz einnehmen zu müssen." Die Worte klangen nüchtern. Die Bitterkeit, die früher in ihnen mitgeklungen hatte, war verflogen. Längst hatte Draco den alten Groll aufgegeben, den er gegen den Jungen, der lebt, empfunden hatte, weil er sich in jenen entscheidenden Minuten ihrer Entscheidung totgestellt hatte. Früher hatte er geglaubt, dass sein Überleben etwas an ihren Plänen geändert hätte. Heute war er sich dessen nicht mehr so sicher. Sie war nun einmal unheimlich stur gewesen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Potter ging nicht auf seinen Einwurf ein. "Es war Dumbledore, weißt du? Wir beide, Mary und ich, waren sein ultimativer Plan zur Vernichtung Voldemorts."
Seltsamerweise überraschten ihn Potters Worte keineswegs. Er hatte den früheren Schulleiter nie gemocht, hatte immer vermutet, dass er wie Puppen mit ihnen spielte. Wenn er eins an Dumbledores Tod betrauerte, dann, dass es seine Frau gewesen war, die den Zauber gesprochen hatte. Immerhin hatte er sie Nacht für Nacht im Arm gehalten, wenn die Erinnerung an diese Tat sie im Traum heimsuchte; wenn Tränen, die sie niemandem außer ihm gezeigt hatte, über ihr Gesicht rannen.
Draco riss den Blick vom Grabstein der Potters los, sah mit zusammengezogenen Brauen zu Potter empor. "Und doch hast du deinen Sohn nach ihm benannt." Nachrichten verbreiteten sich in der magischen Welt schnell. Als die Neuigkeiten um den zweiten Sohn der Potters, Albus Severus, die Runde gemacht hatten, war er hierher gekommen und hatte Mariah davon erzählt. Er hatte sich vorgestellt, wie sie sich über die Wiederverwendung des Namens ihres Ziehvaters gefreut hätte – obwohl ihre Beziehung zueinander am Ende nicht mehr die beste gewesen war.
"Ich erzähle dir das nicht, weil ich deinen Groll auf Dumbledore schüren will", durchbrach der schwarzhaarige Zauberer seinen Gedankengang, "Ich glaube nur, dass du die Wahrheit kennen solltest."
Und so erzählte er es ihm. Berichtete ihm in den nächsten Minuten von der Prophezeiung, die ihn damals zum Auserwählten gemacht hatte, erklärte, dass Dumbledore sowohl Draco als auch Mariah wissentlich in die Arme des dunklen Lords laufen gelassen hatte. Dass Mariah am Ende genau dort gewesen sei, wo Dumbledore sie hatte haben wollen. Fast jedenfalls. Mit jedem weiteren Wort schwoll die Leere in Dracos Brust weiter an.
"Ich war einer von sieben Horkruxen", schloss Potter, "Alle glaubten, dass ich sterben müsste, um Voldemort besiegen zu können. Mary sollte in diesem Moment meinen Platz einnehmen und ihn töten. Doch Nagini lebte noch." Den Rest des Satzes ließ er in der Luft hängen und die beiden Männer verfielen abermals in Schweigen.
"Demnach starb sie am Ende für Nichts", platzte es schließlich aus Draco heraus. Bei dieser Erkenntnis durchfuhr ihn ein schmerzhafter Stich. Der Moment, da sie ihren Zauberstab fester gepackt und von seiner Seite fortgetreten war, um die Waffe gegen die Schlange des dunklen Lords zu erheben ...
Eine Hand berührte ihn an der Schulter, riss ihn aus seiner düsteren Erinnerung. "Sie schaffte die Ablenkung für -"
"Wie kannst du ihn nach all dem noch schätzen?", fiel der ehemalige Slytherin dem Dunkelhaarigen ins Wort und hob den Kopf, um ihn anklagend anzuschauen. "Dumbledore hat euer beider Leben ruiniert, mit euch gespielt, als wäret ihr nichts weiter als Schachfiguren auf seinem großen Spiel des Lebens."
Milde schüttelte Potter den Kopf, seine Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. "Im Endeffekt waren seine Ziele edel, oder nicht? Was ist schon das Leben zweier Menschen, wenn es um das Schicksal vieler geht?"
Draco blieb stumm, seine Gefühle zu aufgewühlt, um aus ihnen herauszufiltern, was er dachte. Starr blickte er auf ihren in Stein gemeißelten Namen. Sie hatte so viele getragen.
Caitlyn Snape.
Mariah Elisabeth Potter.
Schließlich hatte sie seinen Nachnamen angenommen: Malfoy. Und doch war sie am Ende so viel mehr gewesen. Von der Tochter des Zaubertrankmeisters war sie zur Mörderin Dumbledores, zur Verräterin und zum schwarzen Schaf der Familie Potter geworden, ehe sie der letzte Stein gewesen war, der den endgültigen Fall des dunklen Lords einläutete.
Doch vor allem anderen war sie eine Schwester gewesen, eine Frau, die für ihre Ideale einstand und für die Menschen, die ihr am Herzen lagen, durchs Feuer ging. Seine beste Freundin, seine große Liebe. Eine Träne rann Draco Malfoy die Wange hinab.
"Am Ende starb sie für das höhere Wohl. Das würde ich nicht Nichts nennen", murmelte Potter neben ihm leise, ohne den Gefühlsausbruch zu kommentieren. Endlich hockte er sich neben ihn, um einen Strauß weißer Lilien neben Dracos Kranz zu platzieren. Tief in seinen Gedanken versunken war ihm entgangen, wie Potter ihn beschworen hatte. "Es ist nur traurig, dass sie nie erleben durfte, wie wir beide uns die Hand reichen."
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Huhu :)
Es hat lange gedauert, aber es ist endlich so weit. Einige von euch haben mich danach gefragt und obwohl ich lange gezögert habe, möchte ich denen von euch, die sich gerne eine Printausgabe dieser FanFiction ins Regal stellen möchten, gerne diese Möglichkeit bieten.
Vorab: Ich will und darf mit dieser FanFiction kein Geld verdienen. Das heißt für euch, wenn ihr die Geschichte um Mariah und Draco in Händen halten wollt, müsst ihr sie euch selbst über ePubli drucken.
Schreibt mir gerne hier auf Wattpad oder über Instagram eine Nachricht, dann bekommt ihr meine E-Mail-Adresse und ich teile den Dropbox-Link mit den benötigten Dateien sowie meine Druckeinstellungen mit euch.
Außerdem, kleiner Trommelwirbel, geht für mich dieses Jahr ein kleiner Traum in Erfüllung 🤩 Voraussichtlich Mitte August bekommt ihr von ihr eine kleine Leseprobe hier auf Wattpad - die ersten Seiten meines Debüts, das Ende September bei Piper Digital erscheinen wird. Vielleicht hat ja der ein oder andere von euch Lust, dort mal hineinzulesen.
Eure "Gwen"
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