7 | 60. Kapitel
Ich ließ mir die Nacht zum Trauern. Wie üblich einen Muffliato um mein Bett gelegt, weinte ich stumme Tränen in mein Kissen, bis es völlig durchweicht war. Keins der anderen Mädchen bekam etwas davon mit. Das Bett neben mir, Noreens Bett, war ohnehin leer. Der Gedanke an meine Freundin verstärkte meinen Tränenfluss weiter und ich zog die Knie noch etwas enger an die Brust. Wer wusste, ob ich je erfahren würde, ob sie noch lebte oder vielleicht längst tot war.
Über meiner Erschöpfung schlief ich irgendwann ein und wachte am nächsten Morgen zur gut gelaunten Stimme Pansy Parkinsons auf.
Mit verklebten Augen kämpfte ich mich aus meinen verknoteten Laken und sandte ihr für das geträllerte "Guten Morgen" einen finsteren Blick zu. Es war mir ein Rätsel, wie man eine solche Zufriedenheit in der jetzigen Situation ausstrahlen konnte, wie sie es tat.
Allerdings stand sie damit nicht allein da. Als ich hinauf in den Gemeinschaftsraum ging, wo Draco vor dem Frühstück wie immer auf mich wartete, fiel mein Blick auf seine beiden Gorillas. Mit ihren Zauberstäben spielend fläzten sie sich in den beiden Sesseln vor dem Kamin, in dem zu dieser frühen Stunde nur ein kleines Feuer brannte. Obwohl es bald Sommer war, brauchten wir die zusätzliche Wärme hier. Denn so weit unten speicherte der schwarze See die Kälte des Winters das ganze Jahr über und gab diese an unseren Gemeinschaftsraum ab.
"Guten Morgen, Sonnenschein", schnarrte Draco als er mich entdeckte und brachte mich dabei unweigerlich zum Lächeln. Das tat er in letzter Zeit häufiger. Er dachte sich absurde Kosenamen aus, die überhaupt nicht zu mir passen wollten, aber nie ihre Wirkung verfehlten.
Ich trat an ihn heran. "Ist es eigentlich Absicht, dass du deine Krawatte neuerlich schief bindest, damit ich sie dir richte?", fragte ich und griff bereits danach, um sie zu lösen. Tatsächlich war der Knoten verdreht.
Mein Mann zwang sich zu einem herablassenden Lächeln und legte mir seine Hände auf die Hüften. "Wie sonst soll ich dir zeigen, dass ich ohne die Erfüllung deiner ehelichen Pflicht nicht zurecht komme?"
Für den Kommentar bekam er einen halbherzigen Schlag von mir gegen die Schulter. Ohne den gestrigen Abend wäre ich wohl auch weiter auf unsere kleine Plänkelei eingegangen, doch bei der Erinnerung an die eheliche Pflicht, ballte sich etwas in meinem Magen zusammen. Dabei wusste ich, dass er in Wahrheit nur darüber scherzte, um mir das alles zu erleichtern.
Es kostete mich einiges an Selbstbeherrschung, nicht meine Hand auf meinen Bauch zu legen und mich mit einer solch kleinen Geste eventuell zu verraten.
"Was ist los?"
Wie so oft in den letzten Wochen war er viel zu aufmerksam. Ich forschte in seinen grauen Augen, fragte mich, wie er wohl reagieren würde, wenn ich es ihm jetzt sagte. Doch mir war klar, dass hier weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt dafür war, ihn von seinem Nachwuchs in Kenntnis zu setzen.
Unwillkürlich streifte ich den Gedanken mit einem Kopfschütteln ab, strich ihm mit einer Hand die gerichtete Krawatte glatt und nickte auf der Suche nach einer Ablenkung zu Crabbe und Goyle hinüber. "Weißt du, manchmal ist es mir ein Rätsel, wieso du sie immer noch in deiner Nähe duldest."
Zwar runzelte Draco die blasse Stirn, ging jedoch auf mein Ablenkungsmanöver ein. Mit gesenkter Stimme, sodass nur ich ihn verstand, sagte er: "Halte dir deine Freunde nah, aber deine ... du weißt schon."
Natürlich. Er würde die beiden Gorillas nie öffentlich als Feinde bezeichnen. Wobei es mich überraschte, dass er sie als solche betitelte. Eigentlich waren sie viel zu dumm, um ihnen diese Rolle zusprechen zu können. Dabei trug zumindest Crabbe wie sein Vater das dunkle Mal. Noch nicht lange. Aber er trug es.
Gerade, als ich etwas erwidern wollte, stießen die anderen Slytherins aus unserem Jahrgang zu uns und auch Crabbe und Goyle wuchteten sich schwerfällig von ihren Sitzgelegenheiten empor. Ich klappte den Mund wieder zu, schluckte meine Antwort hinunter und nutzte die Zeit, die wir gemeinsam durch die Kerker hinauf zur Großen Halle eilten, um mich auf den Tag einzustimmen.
Blaise lief neben uns, doch das muntere Geplauder, mit dem er Draco und mich unterhielt, nahm ich kaum wahr. Auch mein Mann antwortete einsilbiger als sonst und wiederholt spürte ich seinen besorgten Blick auf mir. Wenn er gefragt hätte, was mich so bedrückte, hätte ich viele Antworten gehabt.
Ich sorgte mich um das in mir heranwachsende Leben, insbesondere weil ich keine Ahnung hatte, was in diesem Zusammenhang noch auf mich zukommen würde. Dumbledores Plan ärgerte mich. Er der Spieler, wir lediglich die kleinen unbedeutenden Schachfiguren, die er dorthin lenkte, wo er uns haben wollte. Severus Snape, der wie immer oben am Lehrertisch saß und mit gleichgültiger Miene speiste.
Hastig riss ich meine Aufmerksamkeit von ihm fort. Die Enttäuschung stach mir ins Herz, wenn ich mir ins Gedächtnis rief, dass er aus den beiden letzten Malen nicht schlau geworden war und mich entgegen jeder Wahrscheinlichkeit ein drittes Mal belogen, gar verraten hatte.
Trotz allem glaubte ich nicht, dass dies die Gründe für das mulmige Gefühl waren, das mich durch den Tag begleitete.
Der übliche Trott hatte sich nicht geändert.
Alecto, die uns in Mugglekunde erklärte, dass Muggle wie Tiere seien, ungehobelt und schmutzig, und dass gegenwärtig die alte Ordnung wieder hergestellt wurde. McGonagall, die stoisch wie eh und je ihren Unterricht durchzog und von jedem ihrer Schüler Höchstleistungen forderte, wobei sie nicht vergaß, die bald anstehenden UTZs zu erwähnen. Dann Amycus, in dessen Unterricht wir wie so oft den Cruciatus an straffällig gewordenen Erstklässlern üben sollten, wo Crabbe und Goyle ganz vorne mit dabei waren. Dabei gelang keinem von ihnen mehr als ein passabler Fluch, was sie nicht daran hinderte, es ein ums andere Mal voll Eifer zu versuchen. Und schließlich Geschichte der Zauberei bei Professor Bins, was zum Abschluss des Tages normalerweise geradezu dazu einlud, den Kopf in die Handfläche zu stützen und vor sich hinzudösen.
Mich hingegen hielt eine nervöse Energie fest in ihrem Griff, die mir keine Entspannung gewährte. Wieder und wieder musste ich mich zum Stillsitzen ermahnen und meine Finger von meiner Schreibfeder losreißen, die bereits sehr in Mitleidenschaft gezogen aussah. Um nicht zu sagen zerfleddert. Dass zudem das dunkle Mal an meinem Unterarm zornig zu pochen begonnen hatte, trug nicht zu meiner Erleichterung bei. Dabei musste ich zugeben, es hätte mich nicht einmal gewundert, wenn ich mir den Schmerz in einem Anflug der Paranoia eingebildet hätte.
Ich war froh, als endlich den Gong zum Abschluss der Stunde erklang und alle begannen, ihre Sachen zusammen zu räumen. Der Geist schien davon wie üblich unbekümmert. Er hielt weiter seinen Monolog und genau wie er schon vor all den Jahren seinen Tod nicht mitbekommen hatte, nahm er auch keine Notiz davon, dass ihm längst keiner mehr zuhörte. Auch eine Ermahnung, er und nicht die Schulklingel beendete den Unterricht, blieb aus.
Alles wie immer.
Dennoch knetete ich auf dem Weg zum Abendessen nervös den Träger meines Rucksacks. Dabei fiel es mir schwer, gelassen neben Draco und den anderen herzugehen. Mein Herz pochte wild und meine Lippen wurden immer wieder trocken, egal wie oft ich mir mit der Zunge darüber fuhr. Mit meinem Verhalten nervte ich mich selbst, war gleichzeitig unfähig, etwas dagegen zu unternehmen.
"Was ist los mit dir?", schnarrte Draco irgendwann dicht an meinem Ohr, als wir uns vor unseren Tellern am Slytherin-Haustisch niederließen.
Ich zuckte die Achseln. "Wenn ich das wüsste", erwiderte ich düster und bemerkte im selben Moment meine bebenden Finger, mit denen ich mir etwas von dem Kartoffelgratin auftun wollte. Bevor ich nach dem Löffel griff, ballte ich die Hand zur Faust, in der Hoffnung, wenigstens ansatzweise Kontrolle über meine Gliedmaßen zurückzuerlangen.
Kommentarlos drückte mein Mann meinen Arm neben meinem Besteck auf den Tisch und griff nach meinem Teller. Meinen halbherzigen Protest ignorierte er. "Vielleicht solltest du zu Madam Pomfrey gehen?"
Und mir dort meine Schwangerschaft bestätigen lassen? Nein danke. Zumal ich mir vorstellen könnte, dass sie als Schulkrankenschwester dazu verpflichtet wäre, meinen Zustand dem Schulleiter zuzutragen.
"Mir geht es gut."
"Das sehe ich." Heftiger als nötig platzierte er eine üppige Portion Kartoffelgratin vor meiner Nase. "Iss", schnappte er.
Kapitulierend folgte ich seiner Anweisung. Zwischen zwei Bissen, die wie Pappe schmeckten, nuschelte ich: "Sag mal, spürst du es auch?" Ich musste sichergehen, ob das Brennen des schwarzen Mals nur auf meine überreizte Psyche zurückzuführen war.
Doch als sich seine Kiefermuskulatur verkrampfte, weil er die Zähne aufeinanderbiss, beruhigte ich mich ein bisschen. "Es hat lange nicht mehr so gebrannt", bestätigte er nach einem großen Schluck Kürbissaft.
Das stimmte. Nicht einmal nach Harrys Flucht aus dem Manor war es so schlimm gewesen. "Was meinst du, versetzt ihn so in Aufruhe?"
Draco kam nicht dazu, eine Antwort zu formulieren. Ein Raunen ging durch die Halle. Ich folgte den Blicken der verbliebenen Schüler hinauf zu den Fenstern, wo eine einzelne Eule aufgetaucht war. Zielstrebig steuerte sie auf uns zu und als sie nur noch wenige Meter von uns entfernt war, erkannte ich die Adlereule der Familie Malfoy. Auch der Brief, der die Suppenschale knapp verfehlte, als sie ihn vor uns fallen ließ, trug das Siegel mit dem großen M in der Mitte.
"Was steht drin?", fragte ich beklommen, weil Dracos Gesicht beim Lesen zunehmend an Farbe verlor. Mit mir schien die gesamte Halle auf eine Antwort zu warten.
Sich der zahlreichen Zuhörer bewusst, reichte er mir wortlos das Blatt weiter. Darauf standen in der feinsäuberlichen Handschrift von Narzissa Malfoy drei Sätze:
Potter ist in das Verließ deiner Tante eingebrochen und entkommen. Der schwarze Lord tobt. Haltet die Köpfe unten.
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