7 | 43. Kapitel
Keine fünf Tage später kehrten wir Hogwarts abermals für die Ferien den Rücken und statteten Malfoy Manor, wie von Dracos Vater gefordert, einen neuerlichen Besuch ab. Bereits unmittelbar nach unserer Ankunft forderte dieser die Anwesenheit meines Mannes in seinem Arbeitszimmer - um, nur Merlin allein wusste, was zu besprechen - weshalb ich nun im Schneidersitz auf unserem Ehebett saß.
Meine Handtasche hatte ich nachlässig aufs Fußende geworfen, die Schuhe unordentlich vor den Schrank gekickt. Gerade lehnte ich gegen das Kopfende, wobei ich mit dem ramponierten Brief von Lupin spielte. Nach dem Morgen in der Bibliothek hatte ich ihn dutzende Male in Händen gedreht, es jedoch nie gewagt, ihn neuerlich in sein ursprüngliches Erscheinungsbild zurückzuversetzen, um die Worte Revue passieren zu lassen.
Bis jetzt.
Sobald ich den Zeitungsartikel mit der Spitze meines Zauberstabs berührte, verwandelte sich die Tinte. Linien und Flächen zogen sich zusammen, liefen über das Gesicht meines Bruders und vertrieben den anklagenden Ausdruck daraus, ehe er gänzlich verschwand.
Es dauerte keine drei Sekunden, dann waren die ordentlich gedruckten Buchstaben des Propheten verschwunden und durch krakelig gesetzte Buchstaben ersetzt. Eine Schrift, für deren Entzifferung ich einige Zeit gebraucht hatte. Die Handschrift meines Patenonkels.
Mein liebes Patenkind,
offen gestanden weiß ich nicht, wie ich diesen Brief beginnen soll. Ich habe mir überlegt, dass Tatze wohl so begonnen hätte und er hatte ja offensichtlich einen guten Draht zu dir. Einst hatte ich den Eindruck, wir könnten ebenfalls gut miteinander auskommen, obwohl ich damals nur ahnte, was er sofort erkannt hat.
Ja, die Ähnlichkeit zu deinen Eltern ist unverkennbar. Das ist etwas, was du und dein Bruder euch teilt. Du hast es von uns alten Herrschaften schon tausendmal gehört und dennoch möchte ich es an dieser Stelle noch einmal betonen: Während dein Bruder in ganzer Linie nach Lily kommt, trittst du in James Fußstapfen.
Vielleicht verstehe ich gerade deshalb, wieso du so handelst, wie du es tust. So oft habe ich dir gesagt, du müsstest nichts machen, was dir widerstrebt. Es gäbe immer Mittel und Wege, vom vermeintlich vorgezeichneten Weg abzuweichen. Im Endeffekt hast du auf deine eigenen Instinkte vertraut und ja, das hätte ich vorausahnen können. Ich kann nicht mit Gewissheit behaupten, deine Motive zu kennen und doch erahne ich sie.
Wieso?
Weil ich die Bedeutung von Freundschaft kenne, auch wenn einer von uns Vieren dieses Gefühls nicht wert war. Wir wären füreinander in den Tod gegangen, hätten uns allem und jedem entgegen gestellt, sofern es hieße ... Na, du weißt sicherlich, wovon ich spreche. Drei von uns hätten sich eher töten lassen, als einander zu verraten. Ich würde bald soweit gehen, es mit Liebe gleichzusetzen.
Wir beide sind uns am Grimmauld Platz begegnet, kurz nachdem dein Bruder mich einen Feigling schimpfte. Ich war viel zu sehr durch den Wind, um in diesem Moment zu realisieren, dass er recht hatte.
Es widerstrebt mir zutiefst, dieses Urteil an dich weiter zu geben. Denn nach allem, was ich weiß, musstest du bislang viel mehr durchmachen, als es eine Hexe deines Alters verdient.
Aber du musst nicht die Last der Welt auf deinen Schultern stemmen! Was auch immer du im Namen der oben erwähnten Emotion getan hast, tust oder zu tun gedenkst, bedenke, wir reichen dir unsere Hand. Der - reicht dir seine Hand. Dein Bruder ist in der Lage, auf sich selbst aufzupassen und er ist ebenso stark wie du. Wie ich sieht er das Gute in dir, unabhängig davon, gegen wen du deine Waffe erhebst.
Du spielst deine Rolle gut, diese Fähigkeit werde ich dir nicht absprechen. Hätte ich deinen Vater nicht so gut gekannt, wäre mir nie aufgefallen, dass du nicht mit voller Überzeugung hinter deinen Taten stehst. So oft du die Unverzeihlichen auch sprechen magst, du tust es als Mittel zum Zweck. Nicht weil es dir Freude bereitet, anderen Menschen Schaden zuzufügen.
Sei so klug wie einst dein Vater und nimm Hilfe an! Ich bitte dich darum. Versuch nicht, alles allein zu machen, denn im Endeffekt -
Es klopfte harsch an der Tür. Der Laut fuhr mir durch Mark und Bein und ich zuckte zusammen. Mir blieb keine Zeit, den Brief wieder zu tarnen. Eigentlich hätte ich ihn längst vernichten, ihn ins Kaminfeuer des Gemeinschaftsraums der Slytherins werfen und ihm beim Verbrennen zusehen sollen. Lupin hatte den Orden nicht namentlich genannt, ihn lediglich durch einen Gedankenstrich angedeutet. Doch diese Vorsicht in seiner Sache änderte nichts daran, dass mich jeder einzelne dieser Sätze das Leben kosten könnte, sollte er jemandem in die Hände fallen, der sie für bare Münze nahm.
Aus Ermangelung einer besseren Option stopfte ich mir den Brief unter die Beine und zog das Kissen aus meinem Rücken hervor, um es auf meinen Schoß zu legen. Das machte das Sitzen zwar unbequem, verhinderte jedoch effektiv eine zufällige Entdeckung des Papiers. Hoffte ich wenigstens.
Keine Sekunde zu spät.
Die Tür öffnete sich lautlos und mein Vater steckte seinen Kopf hindurch. Mühsam verhinderte ich ein erleichtertes Aufseufzen und erinnerte mich mit aller Macht daran, dass ich mir seiner Loyalitäten nicht zu hundert Prozent gewiss sein konnte. Als hätte ich noch einen Beweis gebraucht, wie gut er seine Rolle spielte. Von daher straffte ich meine Schultern und sah ihm so hochmütig ich konnte entgegen. Da ich zu ihm aufsehen musste und mein Zopfgummi sich weitestgehend gelöst hatte, weshalb mir die Hälfte in einzelnen Strähnen auf die Schultern fiel, bezweifelte ich, besonders überzeugend zu sein.
"Darf ich hineinkommen?"
"Ist ja nicht so, dass du nicht längst drin wärst", gab ich zurück. Meine Stimme klang kratzig und irgendwie wollte es mir nicht gelingen, irgendeinen Biss hineinzulegen.
Severus Snape erachtete dies ganz eindeutig als Zustimmung, denn er schob einen Fuß über die Schwelle, nachdem er sich mit einem Blick auf den Korridor versicherte, unbeobachtet zu sein. Mit einem Klicken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
"Du hast geweint."
Ertappt fuhr ich zusammen und wischte mir hastig mit dem Handballen unter den Augen entlang. Sie waren tatsächlich feucht. Ich hatte es nicht einmal gemerkt. "Und?" Nach wie vor klang ich durch und durch erschöpft. "Viel zu lachen gibt es in meinem Leben wohl nicht. Ein Bruder, der der Erzfeind unseres Herrn ist, ein Vater, der jahrelang so getan hat, als sei ich seine leibliche Tochter -" Meine Stimme verlor sich.
"Du wirst nie aufhören, mir das vorzuhalten, nicht wahr?"
"Nein." Nach einer ausführlicheren Antwort stand mir nicht der Sinn.
"Es schien mir, als hätte die neueste Aktion Longbottoms allseits für Erheiterung gesorgt", murrte mein Vater trocken und trat weiter ins Zimmer hinein.
Gegen meinen Willen musste ich nun doch schmunzeln. "Schien dir das so, ja?"
"Die Carrows waren sehr erzürnt darüber, zum Gespött der Schule und des gesamten Kollegiums zu werden", setzte er noch einen drauf und die Art, wie er dabei die Lippen aufeinanderpresste, vertiefte mein Grinsen.
Zumal ich es mir lebhaft vorstellen konnte. Die Lehrer mussten in ihren Rollen bleiben, mussten vorgeben, an einem Strang zu ziehen. Für jeden mit Augen im Kopf war es gerade in diesem Schuljahr offenkundig, wie sehr sie sich bemühten, die Schüler vor der Welt dort draußen abzuschirmen. Doch auch sie hegten Sympathien und Abneigungen gegenüber bestimmten Personen. Ich erinnerte mich gut an Professor McGonagall, die in meinem fünften Schuljahr dem Poltergeist Peeves im Vorbeigehen ein "Andersrum" zuraunte, als dieser gerade dabei gewesen war, eine der Lampen im Flur auszuschrauben.
"Und was hältst du davon?", wagte ich mich vor. "Ich persönlich fand besonders Peeves und seinen brennenden Wischmopp ein absolutes Highlight."
Eine seiner dunklen Brauen hob sich und bereits in jenem Augenblick wusste ich, dass das jede Reaktion war, die ich von ihm erwarten konnte. Und wie zu erwarten gewesen war, wechselte er tatsächlich das Thema: "Ich habe dich in den letzten Tagen und Wochen immer häufiger beim Essen vermisst."
"Hast wohl nicht richtig hingeschaut."
"Oh, glaub mir, Mariah, das habe ich." Er verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sein Umhang raschelte. Dann lehnte er sich mit der Schulter gegen unseren Kleiderschrank. Meine davor von den Füßen getretenen Schuhe quittierte er mit einem Stirnrunzeln. "Mir ist auch der Streit mit deinem Ehemann nicht entgangen, wenngleich ihr euch beeindruckend schnell wieder ausgesöhnt habt."
"Verzeih mir meine Offenheit, Vater, aber ich wüsste nicht, was dich das angeht." Da die Position meines Kopfes gegen das harte Holz des Bettes allmählich unbequem wurde, verlagerte ich mein Gewicht. Ich drückte mir das Kissen fester vor den Bauch und betete, er möge das Knistern von Papier nicht gehört haben. "Das zwischen Draco und mir ist einzig und allein unsere Angelegenheit."
Schweigen antwortete mir und ich fürchtete bereits, angesichts meines abweisenden Tonfalls eine Standpauke heraufbeschworen zu haben, allerdings überraschte er mich. Seine abwehrende Haltung lockerte sich, seine Schultern sanken herab. "Verzeih einem alten Mann, dass er sich Sorgen um das Mädchen macht, das er wie sein eigenes Kind großgezogen hat."
Und mit einem Mal sah er wirklich alt aus. Alt und erschöpft. Mir tat es in der Seele weh, ihn so vor mir zu sehen. Früher einmal wäre ich wohl zu ihm hinübergegangen, um ihn trostspendend in die Arme zu schließen. Ich hätte seinen vertrauten Geruch nach Kräutern und Zauberbräuen inhaliert und dem Schlag seines Herzens gelauscht. Denn in der Tat war ich in den letzten Jahren kaum gewachsen, reichte ihm gerade einmal bis unters Kinn.
Ich blieb sitzen. Krallte die Finger in den Stoff des Kissens vor meinem Bauch und gestand leise: "Weißt du, Vater, was ich mich immer wieder frage?"
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