Kapitel 5
„Sag mir, dass du das nicht warst!" „Socke" starrte den toten Söldner mit blankem Entsetzen in den Augen an.
Kate kniete vor der Leiche nieder und sah sich die Wunde genauer an. Etwas stimmte damit nicht... Sie hatte so etwas schon mal gesehen, aber es war lange her. Das Loch war ungewöhnlich groß, als hätte ein Energiestrahl von der Dicke eines Fahnenmastes ihn durchstoßen.
„Spooner" hab abwehrend die Hände. „Ich gebe euch mein Wort, ich habe ihn so gefunden, wie ihr ihn hier seht."
Davon war „Socke" überhaupt nicht überzeugt. „Du hast gerade kein sonderlich gutes Alibi, Spooner. Du warst hier in der Nähe, du hattest Gelegenheit genug dazu..."
„Er war es nicht", unterbrach Kate sie mit scharfem Ton. „Er kann es gar nicht gewesen sein. Seine Raptor hinterlässt keine solchen Wunden."
Nun warf auch „Socke" einen genauen Blick auf die Todesursache des Söldners. Sie mochte zwar von Medizin nicht so viel verstehen wie Kate, aber sie kannte sich mit Waffen aus. Und nach kurzem Hinsehen fiel es auch ihr auf. „Das war kein Laser", stellte sie verblüfft fest.
Kate nickte und zeigte auf die Wunde. „Die Wölbungen an den Wundrändern, siehst du die?" Die Wunde sah aus wie ein Krater. Ein Laserstrahl wäre direkt durch den Körper gegangen und hätte dabei einen gleichmäßigen Tunnel zurückgelassen. Doch diese Wunde wirkte, als wäre im Körper etwas explodiert. „Socke" betrachtete das Loch mit teils morbider Faszination, teils professioneller Neugierde. Hinter ihrer Stirn arbeitete es sichtbar, als sie die ihr bekannten Waffentypen durchging, die dazu passten. „Ein Plasmawerfer?", schlug sie dann vor.
Kate überlegte kurz, aber verwarf den Vorschlag. „Die Verbrennungen am Rand sind nicht schwer genug. Außerdem wäre die Wunde dann noch größer."
„Kaum vorstellbar." „Socke" war nicht von der zimperlichen Sorte, aber bei dem Gedanken schüttelte sie sich fast unmerklich. „Wäre die Wunde noch größer, wäre von ihm kaum noch was da."
Ganz unrecht hatte sie damit nicht. Kate hatte zu Kriegszeiten mehrere Verwundete behandeln müssen, die von dem Schuss eines schweren Plasmawerfers getroffen worden waren. Die Waffen waren groß, unhandlich und ungeheuer sadistisch – sie wurden hauptsächlich von muskelbepackten Söldnern benutzt, die keinerlei Rücksicht auf Verluste nahmen.
Doch das hier war etwas Anderes gewesen... Kate verharrte einen Moment über dem Toten und betrachtete die Wunde, bis ihr Blick auf etwas fiel, was die Waffe verschont hatte: Auf der Jacke des Söldners prangte ein Symbol. Es war klein, und die Blutflecken bedeckten es zum Teil, doch es war erkennbar. Eine silberne Schlange mit Flügeln, die sich über einer roten stilisierten Sonne kringelte. Viele Symbole für Söldnergruppen stellten bildlich den Namen dieser Gruppen dar, und Kate begann, diesem Bild einen passenden Namen zuzuordnen, als ihr urplötzlich in den Sinn kam, wo sie das Symbol schon einmal gesehen hatte.
Und als es ihr in den Sinn kam, wurde ihr kalt vor Schreck.
„Socke" hatte es bemerkt, wie sie scharf die Luft eingesogen hatte, als sie das Emblem erkannte. Auch sie warf einen Blick darauf... und fuhr zurück. „Ach du Sch..."
Nur „Spooner" verstand von alledem nichts. Er hatte sich mehr auf die Umgebung konzentriert und wurde erst wieder auf die Leiche aufmerksam, als beide Frauen mit Schrecken reagierten. „Was ist los?", fragte er verwirrt.
Als wäre es nicht schon genug, zu dem jähen Schrecken knatterte plötzlich Kates Kommunikator los. „Sniper an Leader", hörte sie Colins Stimme über Funk. „Ihr bekommt Gesellschaft. Sechs Söldner in Kampfkleidung, bewaffnet. Wenn ihr da seid, wo ich denke, werden sie euch in vier Minuten erreichen."
„Dann müssen wir hier dringend weg", stieß Kate hervor. Sie sprang auf, suchte ihre Sachen zusammen, bis „Socke" sie aufhielt und auf den Toten zeigte.
„Wir sollten ihn mitnehmen", schlug sie vor.
„Was?" „Spooner" brauste auf. „Bist du bescheuert? Was soll das bringen?"
„Sonst finden wir nie raus, was hier eigentlich los ist", entgegnete „Socke" energisch und beugte sich über den Toten. Ohne Zögern packte sie ihn unter den Armen und hievte ihn sich auf ihre Schultern. „Socke" war schlank, aber drahtig, und eine solche Stärke trauten ihr die wenigsten zu – nämlich nur die, mit denen sie bekannt war. „Svandt, nimm seine Waffe!"
„Spooner" stellte sich breitbeinig mit verschränkten Armen vor „Socke" und wich keinen Millimeter. „Nein."
„Wir haben keine Zeit zum Streiten", fuhr „Socke ihn an. „In drei Minuten..."
„Du gibst hier nicht die Befehle", unterbrach „Spooner" sie mit eisiger Ruhe. „Beast hat das Kommando, nicht du."
Und beide drehten sich zu Kate um, die dem aufkeimenden Streit nur zusehen konnte. Sie fühlte sich machtlos... nein, das traf es nicht wirklich. Sie wusste, dass sie die Macht über diese beiden Söldner hatte, die bis vor wenigen Stunden noch gleichberechtigte Kameraden und Freunde gewesen waren. Aber sie wusste nicht, wie sie diese Macht nutzen sollte. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, sie wollte diese Macht auch nicht.
Andererseits konnten sie hier kaum tatenlos rumstehen. „Sie hat Recht, Spooner", sagte sie schließlich. „Wir nehmen ihn und seine Waffe mit. Wenn sie erst einmal nach ihm suchen müssen, gewinnen wir vielleicht etwas Zeit."
„Spooner" nickte gehorsam. „Geht in Ordnung, Boss." Er hob das Gewehr auf und nahm es am Tragegurt über seine rechte Schulter – auf seiner linken hing schon seine eigene Waffe. Kate drehte sich zu „Socke" um, die mit der Leiche auf ihrer Schulter dastand und zerknirscht dreinblickte. Es tat ihr leid, dass sie ihre Anführerin übergangen hatte, das konnte man sehen. Andererseits hätte Kate viel eher reagieren müssen. „Stone-Eater" hätte in dieser Situation sofort das Richtige getan.
„Und nennt mich nicht Beast!", knurrte sie die beiden schließlich an, als sie sich auf den Weg zurück zu den anderen machten. Sie möchte vielleicht nicht die beste Anführerin sein, die der Trupp jemals hatte, aber diesen kleinen Hieb musste sie sich einfach gönnen.
In einem ruhigen Moment in der Heimatbasis der „Unicorn Riders" hatte sie Amanda Pole, Kampfname „Socke", etwas näher kennengelernt.
Es war noch lange vor dem verhängnisvollen Angriff der Söldner auf ihre Basis gewesen. Sie saßen im Aufenthaltsraum, nur Kate und Amanda, nachdem Fran Longo, die von allen mit „Cookie" angesprochen wurde, sie mit Kaffee und Keksen versorgt hatte. Die rothaarige Frau war kurz danach wieder verschwunden, um sich weiter um die Ausrüstung der Gruppe zu kümmern, und der Rest der Bande ruhte sich aus oder ging eigenen Beschäftigungen nach. Amanda atmete hörbar aus, als alle außer Kate den Raum verlassen hatte – es schien, als würde sie sich zum ersten Mal seit Langem etwas entspannen. Dass Kate sie dabei beobachtete, machte ihr anscheinend nichts aus. Mit einem Seitenblick kommentierte sie: „Das muss auf dich ziemlich komisch wirken, oder?"
Kate wusste bereits einiges über sie. Die Krankenakte, die sie im Laufe ihrer Anfangszeit studiert hatte, um das Team im Rahmen ihrer Aufgabe besser kennenzulernen, und die dazugehörige medizinische Untersuchung, die sie durchgeführt hatte, hatten ihr eine Geschichte von Amanda Pole erzählt, die voller Schmerzen und Leid schien. „Socke" hatte diverse kaum verheilte Narben an ihrem Körper – Geschichten voller lang zurückliegender Verletzungen hatten sich offenbart. Von den meisten dieser Narben konnte sich Kate nur vorstellen, mit welcher Gewalt die Frau früher konfrontiert gewesen sein musste. „Socke" hatte dazu keinerlei Kommentar abgegeben, als sie untersucht wurde, und nur still gelächelt. Es drängte in Kate, nach dem Ursprung dieser Wunden zu fragen.
Und jetzt, da sie endlich alleine waren, tat sie es. „Was ist dir eigentlich damals passiert?", fragte sie mit einer Handbewegung auf „Socke". „Du hast es mir nicht erzählt."
„Socke" hob eine Augenbraue und nippte an ihrem Kaffee. „Das willst du nicht wirklich wissen", murmelte sie.
Kates Verdacht verhärtete sich. Sie hatte bereits Frauen kennengelernt, die Ähnliches durchgemacht hatten. Es gab Welten in dieser Galaxis, auf der Menschen, besonders menschliche Frauen, nur als Freiwild angesehen wurden. Abseits der Zivilisation konnten Menschen nur überleben, wenn sie kämpften und über sich selbst hinauswuchsen. In manchen Teilen der Galaxis gab es zudem regelrechte Sklavenmärkte – die Menschen wurden dort aufgrund ihrer geringen Kraft und Ausdauer, verglichen mit anderen Spezies, als minderwertige Ware verkauft. Und was den ziviliserten Teil anging... da war es fast noch schlimmer.
Und „Sockes" Verhalten passte genau zu dem, was Kate bei den anderen Frauen erlebt hatte. Erhöhte Aggression, Misstrauen gegenüber Fremden bis hin zur Paranoia, sichtbare Anspannung bei größeren Menschengruppen... Sie musste viel durchgemacht haben. Kate stellte sich all die Szenarien in ihrem Kopf vor und schauderte. Dabei merkte sie jedoch nicht, dass sie „Socke" währenddessen die ganze Zeit anstarrte.
„Es war mein Onkel", kam es dann aus „Sockes" Mund, völlig unvermittelt. Kate starrte sie entsetzt an.
„Das... das tut mir leid", stieß sie nur hervor. Doch „Socke" schüttelte den Kopf, und in ihren Augen funkelte es amüsiert.
„Lass mich doch erstmal ausreden. Mein Onkel hat mir diesen Kampfnamen gegeben: Socke. Er meinte immer, Socken sind etwas alltägliches, was man gerne übersieht. Aber man braucht sie jeden Tag, und sie sind immer für eine Überraschung gut." Sie grinste, als sie einen erneuten Schluck aus der Tasse genommen hatte. „Er muss es wissen. Er hatte die Angewohnheit, in jeder seiner Socken irgendeine Waffe zu verstecken."
Überrascht sah Kate in das Gesicht der Söldnerin. Zum ersten Mal, seit sie in dieser Gruppe war, sah sie „Socke" lächeln. Und diese ergriff sanft Kates Hand. „Hör zu, ich werde dir jetzt erzählen, was ich hier noch keinem erzählt habe. Frag mich nicht, warum ich es ausgerechnet dir anvertraue, denn ich weiß es nicht. Aber irgendwann muss es mal jemand erfahren."
Es sollte also ein Geheimnis bleiben, dachte Kate. Zögernd nickte sie, obwohl sie sich selbst nicht sicher war, ob sie ein solches Vertrauen verdiente. Amanda grinste, als sie Kates Reaktion sah. „Du siehst mich genauso an, wie mich andere angesehen haben, die sich mehr als einen Dreck um die Mitmenschen in der Galaxis scheren. Und du fragst mich die gleichen Fragen, die ich hundertmal von anderen gehört habe. Und was sie nicht fragen, malen sie sich selbst in ihrem Kopf aus."
„Ich dachte... bei all diesen Narben...", versuchte Kate eine Erklärung, doch „Socke" winkte ab.
„Ich kann dir den Ursprung jeder einzelnen Narbe erklären", sagte sie ausgelassen. „Und glaube mir, es ist nicht so, wie alle denken. Der lange Kratzer auf dem Unterarm? Kampftraining gegen meine Brüder. Die zwei Narben in der Schulter? Habe mit scharfer Munition experimentiert, als ich noch klein war. Die vielen Schnitte und Risse an meinen Oberschenkeln? Mein Onkel hat mich auf eine Jagd mitgenommen, und ich habe das Viech unterschätzt, das wir gejagt haben. Und alles andere? Resultat einer Ausbildung, die mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin."
Sie beugte sich verschwörerisch vor. „Ich bin Söldnerin in der vierten Generation. Meine Familie hat sich einen Arm und ein Bein ausgerissen, um mich für die Arbeit in der Galaxis zu trainieren und mich vorzubereiten. Vielleicht waren manche Ausbildungsmethoden für Leute wie dich etwas rabiat, aber sie waren unschätzbar wertvoll. Und ich wollte es so."
„Du wolltest es so?", fragte Kate fassungslos. „Ich hätte zumindest gedacht, dass sie dich dazu gezwungen haben."
„Ach, Quatsch!" Amanda winkte ab. „Ich bin unheimlich stolz auf meine Familie und das, was sie tut. Von klein auf wollte ich dazugehören, wollte Abenteuer erleben und das Universum sehen. Immer, wenn meine Familie zusammenkam – meine Brüder, mein Onkel, meine Eltern, meine Großeltern und viele andere von ihnen – dann wurden Geschichten über Kämpfe und Aufträge ausgetauscht, und ich wollte schon immer ein Teil davon sein. Meine Eltern hatten zunächst Bedenken, aber mein Onkel war es auch schließlich, der durchsetzte, dass ich zumindest einen Teil des Trainings bekomme, das er auch bekommen hat." Sie zuckte die Achseln. „Und je älter ich wurde, desto mehr wurde aus dem Training."
„Aber... all diese Verletzungen..." Kate war maßlos entsetzt. Wie konnte man so etwas einem Kind nur antun?
„Es hat wehgetan", gab Amanda zu. „Sehr oft. Und ich habe geweint. Sehr oft. Aber nicht, weil es wehgetan hat. Sondern weil ich traurig darüber war, dass ich nicht stärker war, um diese Schmerzen einfach wegzustecken. Meine Brüder haben alle das Gleiche durchgemacht, und sie schienen mir soviel stärker zu sein als ich. Ich wollte mit ihnen mithalten können."
Sie nahm einen weiteren Schluck Kaffee aus ihrem Becher. „Man sagt, unsere Familie sei schwer zu töten. Dass wir aus Schlachten zurückkehren würden, in denen andere längst krepiert wären. Dass man uns Feinde vor die Füße werfen könnte, die zehnmal so stark wären wie wir, und wir würden trotzdem siegen. Ich kann dir sagen, Kate: Nach allem, was ich durchgemacht und gelernt habe, um so zu werden, wie ich bin... weiß ich auch, warum die Leute das denken. Wer das überlebt, wird mit allem fertig."
Das alles musste Kate erst einmal verdauen. Sie hatte „Socke" völlig falsch eingeschätzt. Natürlich war die Frau so, wie sie war, auch im Umgang mit anderen – weil es ihr so beigebracht worden war. „Das alles, um für das Söldnerleben bereit zu sein...", murmelte sie.
„Socke" blickte sie grinsend von der Seite an. „Ich habe es nicht einen einzigen Moment lang bereut."
Es war knapp gewesen, wenn man „Masters" Worten Glauben schenken durfte, als sie zum Treffpunkt zurückgekehrt waren. Doch es hatte funktioniert: Da sie Waffe und Körper des toten Söldners weggeschafft und nur Spuren zurückgelassen hatten, die von jedem hätten stammen können, waren ihre Verfolger mehr damit beschäftigt, nach ihrem verlorenen Mann zu suchen. Die sechs Söldner auf ihren Fersen teilten sich auf, nach „Masters" Blick durch das Zielfernrohr zu urteilen, und zogen in drei verschiedene Richtungen los. Keiner von ihnen kam in die Richtung, in der die „Unicorn Riders" sich verbargen.
Was auch gut so war. Sie hatten schon genug Probleme am Hals.
Alle starrten auf den toten Söldner, der in der Kuhle ausgebreitet lag. Neben dem Loch in der Brust prangte das Emblem seiner Söldnereinheit, und jeder konnte es sehen. „Spooner" schien der Einzige zu sein, der sich über dessen Bedeutung nicht im Klaren war. „Tank" blickte etwas ratlos drein, aber Kate wusste, dass er sich einfach nur ungern an sie erinnerte. Doch Jenkins, und vor allem „Master", betrachteten die silberne Schlange mit zunehmender Unruhe.
Keiner sprach ein Wort. Die Stille war erdrückend.
Bis schließlich „Master" doch den Mund aufmachte. „Das ist nicht gut", bemerkte er düster.
„Danke für diese herzerfrischende Untertreibung!", gab „Socke" zischend zurück.
„Tank" sah verwirrt von einem zum anderen. „Habe ich irgendwas verpasst? Wer ist dieser Kerl?"
Darauf erntete er einen fassungslosen Block von „Socke". „Das ist jetzt nicht dein Ernst, Mann! Du bist doch damals wie ein Berserker auf sie losgegangen."
„Das habe ich zu verdrängen versucht", knurrte „Tank" - sein düsterer Gesichtsausdruck in diesem Augenblick war völlig untypisch für ihn.
„Sie nennen sich die Dawn Serpents", erklärte Kate. Ihre letzte Begegnung mit diesen Söldnern war ihr noch recht frisch im Gedächtnis, und es war keine angenehme Begegnung gewesen. Was für Söldnergruppen wie ihre nicht ungewöhnlich war, nur zu diesem Zeitpunkt war keine der beiden Gruppen auf irgendeiner Mission gewesen. „Sie haben auf mehreren Planeten Stützpunkte, aber ihre Heimatbasis ist auf Geratius Prime. Sie kämpfen für alle, die gut bezahlen, sei es Magentron, Blue Cloud One, UnityComm..."
„Klingt nach einem freundlichen Haufen", meinte „Spooner" und zog eine Grimasse. „Tank" schüttelte nur stumm den Kopf.
„Es kommt noch besser." „Master" saß weiterhin auf seinem erhöhten Posten auf dem Baum und blickte alle paar Herzschläge durch das Zielfernrohr, um ferne Gefahren aufzuspüren. Er widmete zumindest noch genug seiner Aufmerksamkeit der Diskussion, um seinen Senf dazuzugeben. „Es handelt sich hier um eine der richtig großen Söldnergruppen. Die arbeiten für mehrere Auftraggeber gleichzeitig, solange es ihnen Geld einbringt. Wenn sich eine der Gruppen dann in die Mission einer anderen Gruppe einmischt, und beide Seiten es nicht rechtzeitig merken, löschen sie sich auch gerne mal gegenseitig aus."
„Außerdem wissen wir nicht, warum sie hier sind", erklärte Kate, während sie den Leichnam des Söldners genauer untersuchte. Mit ihrer Medizintasche und einigen Werkzeugen aus Jenkins' Vorrat bewaffnet, nahm sie sich die Spuren vor, die sie in der Wunde des Toten finden konnte. „Wir hatten den Auftrag, Daten von Magentron zu beschaffen. Wer weiß, was für einen Auftrag sie haben."
„Also ist Vorsicht angebracht", schloss „Spooner" aus diesen Erklärungen und nickte langsam. „Passt mir ganz gut."
„Und wenn wir kämpfen würden?", fragte „Socke" dann. „Ich meine, wie viele Söldner werden sie wohl geschickt haben?"
„Zwanzig", warf „Master" kalt in die Runde. „Mindestens. Die Dawn Serpents reisen nicht in kleinen Gruppen an, sondern in Schwadronen. Wenn wir Glück haben, sind sie uns nur Vier zu Eins überlegen. Und was ich bei denen an Bewaffnung gesehen habe, scheinen die es auf einen Kampf anzulegen." Er nahm das Auge vom Zielfernrohr und blickte in die Runde, den Kopf schief gelegt. „Und nichts für ungut, aber... wir nicht so."
Kate blickte auch abschätzend in die Runde. „Socke" war Kämpferin und konnte gut mit einer kleinen Gruppe Gegner fertig werden. „Master" war kriegserprobt, auch ihn sollte man nicht unterschätzen. „Spooner" war Metaller, ein erfahrener Kämpfer, der es nur vorzog, andere Wege zu gehen. „Tank" wusste genug über Bomben und Sprengstoff, um in großen Gruppen schweren Schaden anzurichten. Jenkins hingegen war Techniker, aber auch im Kampf war er mit seiner Raptor ein harter Gegner. Sie selbst hingegen... fünf Jahre an der Front für das Zentralius-Militär, mehrere schlecht geplante Einsätze bei Söldnergruppen, die sie trotz aller Widrigkeiten überlebte, und dann genug Missionen für Tim Stones Sölnderbande, um sich sein Vertrauen zu verdienen und von ihm im letzten Atemzug zur Nachfolgerin ernannt zu werden...
Der Enthusiasmus verflog so schnell, wie er gekommen war. „Master" hatte mit seiner Einschätzung absolut Recht. Von diesen sechs Söldnern waren nur zwei wirkliche Kämpfer, teils aufgrund ihrer Profession, teils aus eigener Entscheidung. Sie hatten viele Möglichkeiten, mit ihren Feinden fertig zu werden. Aber ein offener Kampf war die schlechteste Entscheidung, die sie treffen konnten.
„Also wie gut stehen die Chancen, dass sie uns in Ruhe lassen?", fragte dann „Tank" mit einem letzten Funken aufglimmender Hoffnung.
Jenkins schüttelte skeptisch den Kopf. „Ich würde sagen, es ist vollkommen egal, was sie ursprünglich vorhatten. Wenn sie herausfinden, dass wir einen von denen getötet haben..."
„Hey, Moment mal!", empörte sich „Spooner". „Keiner von uns hat ihn umgebracht! Frag Kate, die wird es dir sagen."
Gerade in diesem Augenblick hatte Kate etwas in der Wunde entdeckt. Mit einer Pinzette zog sie es heraus und hielt es in das spärliche Sonnenlicht, das durch die Blätter des Waldes schien. Es war winzig, fast unsichtbar, doch es war aus einem gelblichen Metall und blitzte in der Sonne, obwohl Blut daran war. „Socke, komm mal her!", befahl sie der Waffenexpertin. „Schau dir das mal an!"
Doch nicht nur „Socke" trat näher, auch alle anderen hatte die Neugierde gepackt. Nur „Master" verharrte auf seinem Posten. „Socke" nahm die Pinzette in die Hand und kniff die Augen zusammen, um das Objekt besser sehen zu können. Sie brauchte einige Augenblicke, dann hatte sie bereits eine Vermutung, was es war. „Hast du davon noch mehr gefunden?", fragte sie Kate.
Diese nickte. „Überall im Körper, aber hauptsächlich in der Wunde. Er ist übersät davon. Das ist nur das größte Stück, das ich rausholen konnte."
„Spooner" riskierte auch einen näheren Blick. „Als hätte ihn jemand mit einem schartigen Schwert oder Messer ausgehöhlt..."
„Ja, da liegst du gar nicht so falsch...", murmelte „Socke". „Es war ein Projektil."
Jenkins hob eine Augenbraue und wies auf die Pinzette. „Was? Das da?"
„Ein Bruchstück, Idiot!" „Socke" gab die Pinzette mit der winzigen Beute wieder an Kate zurück – diese war allerdings bereits dabei, auf einem kleinen Computer die Leiche zu kartographieren, besonders die anderen Fundstellen der Bruchstücke. „Das Projektil war wahrscheinlich so groß", sie zeigte mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand eine Größe von knapp acht Zentimetern, „und es ist mit einer höllischen Geschwindigkeit in den Körper eingedrungen, bevor es darin zersplittert ist. Ich hatte mit solchen Waffen mal zu tun, auch wenn sie heutzutage keiner mehr benutzt."
Daher kannte Kate diese Art von Wunde, erinnerte sie sich. Projektilwaffen waren altmodisch und unzuverlässig – die modernen Lasergewehre, die mittlerweile von Söldnern und Soldaten überall in der Galaxis getragen wurden, hatten keine dieser Schwächen der alten Waffen mehr. Doch vereinzelt gab es noch solche, die sich mit Projektilwaffen ausrüsteten – Privatleute oder arme Schlucker, die sich keine richtigen Waffen leisten konnten. Die einfachsten Projektilwaffen ließen sich selber bauen, nur die Munition war schwer herzustellen.
Als sie einen groben Überblick hatte, wie sich die Bruchstücke des Projektils im Körper verteilt hatten, war das Ergebnis keinesfalls beruhigend. „Socke, das Projektil ist nicht einfach nur zersplittert", berichtigte sie die andere Frau. „Es ist explodiert."
Und ihre Vermutung traf zu: Es beruhigte niemanden. „Spooner" war „Master" auf seinem Baum einen rätselhaften Blick zu, der Kate zunächst nicht auffiel. „Socke" unterdrückte mit Mühe einen obszönen Fluch. „Tanks" Gesicht hellte sich kurz auf, ein Zeichen seiner Profession, doch die Situation selbst ließ ihn dann verstummen. Jenkins hingegen... der ließ seiner Meinung freien Lauf.
„Dann können wir also davon ausgehen, dass es keiner von uns gewesen sein kann, oder?", brachte er schließlich hervor und sah misstrauisch in die Runde. „Oder hat jemand von euch eine Waffe, von der die anderen nichts wissen?"
„Master" zog nur die Augenbrauen hoch und sah ihn kurz an, dann widmete er sich wieder seiner Wache. „Socke" fühlte sich jedoch bei ihrer Berufsehre gepackt. „Das ist doch absoluter Blödsinn, Jenkins!"
„Ja ja ja, halt die Luft an!" Jenkins hob eine Hand und wimmelte sie respektlos ab. „Und wie hoch sind die Chancen, dass die Dawn Serpents ihren eigenen Mann umlegen? Null, oder noch schlechter?"
Kate ahnte, worauf er hinauswollte. Und es gefiel ihr nicht. Denn dieser Gedanke erschreckte sie fast noch mehr als die Gewissheit, dass eine große feindliche Söldnertruppe ihnen auf den Fersen war und Rache für den Tod ihres Mannes nehmen wollte. Und sie konnte sehen, dass die anderen ein ähnlicher Gedanke beschäftigte. Doch genau wie „Socke" ließ sich Jenkins nicht davon abbringen, etwas laut auszusprechen, was ohnehin alle dachten. „Also, wir waren es nicht, und die waren es nicht.
Wer war es dann?"
Nach einer halben Stunde – ständig unterbrochen durch Zwischenfragen bei „Master", der jedoch wie ein Adler die Waldregionen überwachte, in denen er die Söldner vermutete – war Kate mit der Untersuchung der Leiche fertig.
Das Projektil, das den Mann getötet hatte, war mit voller Wucht in seinen Torso eingeschlagen und explodiert. Die Bruchstücke hatten sich durch einen Großteil der inneren Organe gebohrt und sie förmlich in Stücke gerissen. Wahrscheinlich hatte der Söldner nicht einmal Zeit gehabt, um irgendwelche Schmerzen zu spüren. Kate musste mit schwerem Schlucken feststellen, dass die modernen Waffen auch noch den zusätzlichen Vorteil hatten, dass ihr beim Anblick der von ihnen angerichteten Wunden nicht gleich kotzübel wurde. Es musste eine ziemlich barbarische Zeit gewesen sein, in der solche Waffen alltäglich gebraucht worden waren.
In dieser Hinsicht war „Socke" etwas anderer Meinung, und die ganze Sache frustrierte sie. Sie war stolz darauf, sich mit allen gebräuchlichen und ungebräuchlichen Waffen in der Galaxis beschäftigt zu haben, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine solch alte und primitive Waffe einen solchen Schaden anrichten konnte. Hinzu kam noch, dass ihre Jacke durch den toten Söldner wahrscheinlich voller Blutflecken war, und sie zog sie kurzerhand aus, um die Rückseite anzusehen. Erstaunt stellte sie jedoch fest, dass kaum Blut daran war.
Nachdem sie „Tank" zu Rate gezogen hatte, hatten sie gemeinsam festgestellt, dass die Explosion, durch die das Projektil zersplittert war, kein Unfall gewesen war. „Tank" bemerkte, dass der Radius der Explosion ihn an Mikrogranaten erinnerte – klein genug und mit geringer Sprengkraft, um einzelne Menschen zu töten oder schwer zu verletzen, sodass man mit ihnen äußerst präzise arbeiten konnte. „Tank" hatte in seinem Vorrat ein halbes Dutzend dieser Mikrogranaten und erklärte Kate die genaue Funktionsweise. Allerdings, so gestand er, hatte er noch nie erlebt, dass sie als schnellfliegende Projektile eingesetzt worden waren.
Kate fiel dann der rätselhafte Blick ein, den sie bei „Spooner" gesehen hatte, und dies beschäftigte sie. Wusste der Metaller mehr, als er bislang gesagt hatte? Als sie aufblickte, stand er in der Nähe von „Master" und sprach leise mit ihm. Kurzentschlossen ging sie zu den beiden hinüber.
„Spooner" sah sie kommen und hörte sofort zu reden auf. Er sah sie unsicher an. „Was ist los?", fragte sie misstrauisch. Sie schaute nach oben. „Master" konzentrierte sich auf den Wald, aber es schien auch so, als wollte er sie mit Gewalt ignorieren.
Dann jedoch, völlig überraschend, wandte er sich ihr zu. „Svandt hat eine Theorie. Ich persönlich halte aber nicht viel von ihr."
Kate sah „Spooner" fragend an, der sich unter ihren Blicken unwohl fühlte. Noch nie hatte sie den Metaller so nervös gesehen. „Es ist keine richtige Theorie", rechtfertigte er sich. „Ein Gerücht, das ich auf New Wacken aufgeschnappt habe. Eher eine Geschichte, erzählt aus vierter oder fünfter Hand."
„Ich mag Geschichten", entgegnete Kate gelassen und verschränkte die Arme. „Wenn du irgendwas weißt, was uns weiterhelfen könnte, dann raus damit."
Mit einem verächtlichen Grunzer wandte sich „Master" wieder von ihnen ab und dem Wald zu. „Spooner" zögerte noch, dann sprach er: „Ich habe mal von einem Mann gehört, der solche Waffen benutzt. Also diese Projektilwaffen, deren Geschosse beim Aufprall explodieren."
„Eine alte Geschichte, oder ist sie aktuell?", wollte Kate wissen. Mit Legenden und Geschichten konnte sie derzeit nichts anfangen.
„Relativ aktuell", beruhigte „Spooner" sie. „Aber manche betrachten sie schon als Legende. Es gibt Gerüchte über diesen Kerl schon seit dem ersten Comm-Krieg. Seitdem taucht er immer wieder auf, mal auf der einen Seite, mal auf der anderen. Er ist ein Einzelgänger, ein Jäger. Auf New Wacken nannte man ihn Varjo."
„Ja, klar, und eine gute Singstimme macht einen auf New Wacken automatisch zu einem Gott", warf „Master" respektlos von oben ein. „Glaubt mir, wenn es diesen Varjo tatsächlich gäbe, wäre ich ihm längst begegnet."
Kate ignorierte den Scharfschützen und bedeutete „Spooner", fortzufahren. Das tat er auch: „Niemand hat ihn je wirklich gesehen, deswegen die Gerüchte. Aber er soll den Umgang mit diesen alten Projektilwaffen bis zur Perfektion beherrschen. Außerdem versteht er es wie kein zweiter, sich zu verstecken und zu tarnen. Er hinterlässt nie Spuren – außer den Projektilen und den Leichen, in denen sie stecken. Und alles, was man von ihm hört, ist ein lauter Knall, wenn er seine Waffe abfeuert."
Der Knall! Kate erinnerte sich daran, wie sie ihn gehört hatten und sofort in den Wald gestürmt waren. Gerade mal eine Stunde war es her. „Warum benutzt er sowas?", fragte sie dann.
„Spooner" zuckte die Achseln. „Aus dem gleichen Grund, warum wir auf New Wacken mit Schwertern trainieren. Es ist eine Kunst, eine besondere Fähigkeit, mit einer Waffe umzugehen, die sonst keiner mehr beherrscht. Man sucht und findet damit Herausforderungen, dann meistert man sie und wird dadurch immer besser. Aber diese Waffe hat noch einen anderen Vorzug: Sie erfüllt andere mit Schrecken."
Kate pflichtete dem bei. Jetzt, da sie wusste, was nur ein Schuss aus dieser Waffe anrichten konnte, hatte sie absolut keine Lust, am falschen Ende des nächsten Schusses zu landen. „Kannst du mir noch was über ihn sagen? Zum Beispiel, warum er gerade jetzt hier ist? Was sagen die Gerüchte darüber, was er hier treibt?"
Darauf schüttelte „Spooner" den Kopf. „Ehrlich, ich wünschte, ich wüsste es. Ich kann nur sagen, dass Varjo kein echter Söldner in dem Sinne ist. Er ist ein Jäger, in der reinsten Form. Er sucht sich ein Ziel und bringt es zur Strecke. Nur manchmal ist es jemand anderes, der das Ziel für ihn auswählt. Aber egal, wen er jagt, er wird nicht aufhören, bis die Jagd beendet ist."
„Ist er überhaupt ein Mensch?"
Wieder ein Achselzucken von „Spooner". „Da weißt du genauso viel wie ich, Boss. Niemand hat ihn je gesehen. Man weiß allgemein nur von seinen Taten."
Diese Taten hatten bereits einen Söldner der Dawn Serpents umgebracht. Kate wusste nicht, ob sie darüber schockiert sein oder sich freuen sollte. Denn auf der einen Seite hatten sie eine Söldnergruppe, von der sie nicht wussten, was sie hier wollten, auf der anderen Seite war nun ein nahezu unsichtbarer Jäger entweder hinter ihnen oder hinter der anderen Söldnerbande her. Und die einzigen, die auf diesem Planeten bislang unangenehm aufgefallen waren, waren die „Unicorn Riders" selbst – indem sie das Lager von Magentron zerstört hatten, statt es heimlich zu infiltrieren, wie es der Auftrag vorgesehen hatte.
Im besten Fall waren jedoch die beiden anderen Parteien hintereinander her und würden sich gegenseitig über den Haufen schießen. Und solange Kate ihre Leute aus dem Kreuzfeuer raushalten und zum Schiff bringen konnte, sollte es ihr recht sein.
„Ich hoffe, du hast Recht, Boss", teilte „Spooner" ihr mit, als sie es ihm sagte. „Ich hoffe es inständig."
Sein Tonfall verunsicherte sie. „Was ist, wenn ich nicht Recht haben sollte? Wenn Varjo aus irgendeinem Grund hinter uns her sein sollte?"
„Spooners" Gesichtsausdruck gefror. Seine Stimme klang so sachlich und nüchtern wie noch nie zuvor. Seine Worte schienen so endgültig zu sein, dass sie es für einen Augenblick für eine Tatsache hielt, nicht bloß für eine pessimistische Vorhersage:
„Dann werden wir hier alle sterben."
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