Wölfe
„Kleiner Tipp: Das Passwort für's Leben heißt Humor."
Mit gesenktem Kopf kam Paul, wieder als Mensch, zu mir zurück. Er blieb etwa einen Meter vor mir stehen und kratzte sich nervös im Nacken. Ihm war diese Situation sichtlich unangenehm. Mir erging es da nicht anders. Irgendwie fiel es mir schwer, die richtigen Worte zu finden.
„Wir sollten zurück.", brach es plötzlich aus ihm heraus. Vorsichtig und langsam nahm er meine Hand in seine, achtete dabei darauf mich nicht weiter zu verschrecken. Ich ließ die Nähe zu und fühlte mich sogar etwas erleichtert. Ich weiß nicht wieso, aber ich wollte ihn als Freund nicht verlieren, auch wenn er ein Monster war.
„Erklär es mir!", forderte ich, aber er blieb still. Paul zog mich einfach weiter mit sich durch den Wald, schaute mich dabei nicht einmal an.
„Paul!", drängte ich weiter. In meiner Stimme lag ein fast schon verzweifelter Ton.
„Es wäre besser, wenn Sam es dir erklärt.", kam es schließlich von ihm, aber damit wollte ich mich nicht zufrieden geben. Ich wollte es von ihm hören und zwar sofort.
„Nein, du wirst das machen.", Ich blieb abrupt stehen und entzog ihm meine Hand. Ich wusste, dass ich mich wie ein kleines bockiges Kind verhielt, aber das war mir sowas von egal. Hauptsache ich kriege ihn dazu, vernünftig mit mir zu reden.
„Mika bitte.", flehte er mit leiser Stimme. Er drehte sich zu mir um und versuchte wieder nach meiner Hand zu greifen. Aber ich hatte gerade keine Lust auf Händchen halten, also wich ich ihm geschickt aus.
„Nein! Ich will, dass du mir erzählst, was hier los ist!", langsam wurde ich wütend. Meine Ungeduld und Neugierde machten es nicht gerade besser.
„Du wirst es heute Abend beim Lagerfeuer erfahren.", ertönte plötzlich die Stimme einer dritten Person. Mir war gar nicht aufgefallen, dass wir schon fast beim Haus angekommen waren. Und, dass Sam sich uns näherte, entging mir ebenso.
„Wieso denn bei einem Lagerfeuer?", fragte ich skeptisch. Sie konnten es genauso gut jetzt erzählen. Ich hasste es, wenn man nicht gleich mit der Sprache raus rückte. Wenn es zu einem unangenehmen Gespräch kam, versuchte man es immer hinauszuzögern. Ich hingegen hielt eher was von der Methode kurz und schmerzlos, wie beim Abziehen eines Pflasters.
Bei Sam's Blick wusste ich allerdings, dass er keine Widerrede dulden würde. Also knickte ich doch ein und stieß ein leicht aggressives Knurren aus. Ich ließ die beiden einfach stehen und stampfte wütend weiter in Richtung Haus.
Emily wartete schon auf mich. Auch die anderen Jungs saßen am Tisch und sahen mich abwartend an. Sie schienen auf einen Kommentar oder irgendeine Reaktion meinerseits zu warten, aber ich ging einfach wütend schnaubend die Treppe hoch in mein Zimmer. Meine Tür ließ ich mit voller Wucht zuknallen und schmiss mich auf mein Bett. Ich griff nach meinem Kissen und schrie so laut ich konnte hinein. Ich wusste nicht wohin mit meiner Wut.
Spät am Abend klopfte es an der Tür. Sam sagte mir, ich solle mich fertig machen und in zehn Minuten unten sein.
Ich hatte den ganzen Tag auf dem Fensterbrett gesessen und ein Buch gelesen. Es hatte mich etwas beruhigt, aber trotzdem ärgerte es mich, dass sie mir einfach nicht die Wahrheit sagen wollten.
Ich zog mir rasch einen dicken Pullover und eine lange Röhrenjeans an, band meine Haare zu einem lockeren Dutt und schnappte mir eine dicke Jacke. Es würde sicherlich kalt werden, also musste ich ja vorsorgen.
Unten angekommen, schob mich Sam zum Auto, wo Emily schon wartete. Sie hatte einen großen Korb voll mit Essen bei sich, wahrscheinlich für die Jungs. Ich kenne auch keine andere Bande, die so eine Menge verdrücken könnte.
„So dann mal los.", sagte Sam eher zu sich selbst. Ich lehnte mich auf der Rückbank zurück und sah aus dem Fenster. Es war schon ziemlich dunkel draußen und so wirkte der Wald irgendwie gefährlich und etwas gruselig.
Ich lauschte dem Radio, welches Emily gerade etwas lauter gedreht hatte. Das Lied, welches gerade ertönte, gefiel mir wirklich sehr. Ohne es zu bemerken, fing ich erst an mit zu summen und dann sogar zu singen. Zwar nur ganz leise, aber die beiden, die vorne im Wagen saßen, hörten es. Emily drehte das Radio noch etwas lauter, dabei lächelte sie begeistert. Auch meine Stimme wurde etwas lauter, aber ich achtete immer darauf, die Musik aus dem Radio nicht zu übertönen. Eigentlich hasste ich es vor anderen zu singen, es war mir irgendwie peinlich. Aber die beiden würden es sowieso irgendwann erfahren, da ich ja bei ihnen wohnte.
„Du hast eine schöne Stimme.", meinte Emily, nachdem der Wagen anhielt und wir ausstiegen. Sam hatte nach dem Korb gegriffen und lief schon etwas voraus, während ich ihm mit Emily folgte. Ich konnte schon von weitem das Lagerfeuer erkennen. Ich wusste allerdings nicht wo wir waren. Um uns herum waren wie immer Bäume und ein kleines Häuschen konnte ich noch erkennen. Dahinter war noch eine ebene Fläche.
„Danke", sagte ich zu Emily, blickte aber weiterhin stur gerade aus. Emily hakte sich bei mir unter und zog mich mit sich. Sie beschleunigte ihre Schritte etwas, aber ich hielt problemlos mit ihr mit.
Am Lagerfeuerplatz angekommen, begrüßte uns die Meute. Die Jungs waren alle schon da, dazu noch zwei Mädchen ungefähr in meinem Alter, die ich noch nicht kannte, und ein paar ältere Leute. Emily ließ sich neben Sam auf einen der Baumstämme nieder und kuschelte sich an ihn. Die beiden wirkten wirklich glücklich zusammen, da wurde man ja fast neidisch. Wer wünschte sich denn nicht einen Mann, der einen so ansah als würde man das wertvollste und schönste auf der Welt sein? Einen Mann der einen beschützen wollte und einen wahrhaft liebte.
„Hey", begrüßte mich Paul und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich setzte mich neben ihn, blieb aber noch auf Abstand. Ich würde erst wieder seine Nähe zulassen, wenn ich endlich die Wahrheit wusste, vorher nicht.
Paul schien die Distanz, die ich aufbaute, zu bemerken. Erst wirkte sein Blick etwas enttäuscht, aber ich konnte nicht lange darauf achten, da mir die zwei fremden Mädchen vorgestellt wurden. Seth verriet mir den Namen seiner Schwester, Leah. Sie wirkte unnahbar und verschlossen, irgendwie auch zurückgezogen.
Jared verkündete schon fast stolz, dass das Mädchen in seinen Armen seine feste Freundin Kim war. Sie strahlte ununterbrochen und versprühte auch so mehr Fröhlichkeit als ich ertragen konnte. Aber sie schien, so wie auch Emily, eine offenherzige und liebenswerte Person zu sein. Ich konnte mir einen kleinen Kommentar allerdings nicht verkneifen.
„Tut mir leid für dich Kim. So einen Volldeppen als Freund, das ist sicherlich anstrengend.", meinte ich und versuchte meine Stimme ernst klingen zu lassen. Ich versuchte mit aller Kraft nicht lauthals loszulachen, sondern einen mitleidigen Blick aufzusetzen. Aber bei den anderen sah es anders aus. Einige kullerten sich schon auf dem Boden, andere husteten wie wild, weil sie sich an ihrem Getränk verschluckt hatten. Jareds empörter Blick zeigte mir, dass ich ihn erwischt hatte. Kim, entgegen meiner Erwartungen, kicherte ebenfalls leise vor sich hin.
Jared wollte gerade etwas sagen, als die älteren Menschen begannen von den Legenden der Quileute zu erzählen. Sie handelten von einem Stammeshäuptling, welcher sich in einen Wolf verwandelte, um sein Dorf vor den 'kalten Wesen' zu beschützen. Ich lauschte den Worten des erzählenden Mannes gespannt. Es wirkte so lebendig als könnte ich einfach in diese Legende springen und mein Leben dort fortführen. Naja, das konnte ich wahrscheinlich auch. Immerhin wusste ich ja schon, dass sie wahr waren.
Der Erzähler beendete die Geschichte, woraufhin kurz Schweigen herrschte. Aber lange hielt es die Jungs nicht auf den Baumstämmen, sie rannten ja beinahe auf das Essen zu. Die ersten begannen auch sofort sich zu streiten. Nur Paul blieb neben mir sitzen und blickte stur zu Boden.
Ich brauchte eine Weile, um meine Gedanken zu sortieren. Ich starrte einfach in die Flammen des Lagerfeuers und bewegte mich keinen Zentimeter.
„Ihr seid also alle ...", fragte ich mit schwacher Stimme. Wir beide sahen uns nicht an, wir fixierten einfach weiter das Feuer.
„Nein, nicht alle. Aber die Jungs, Leah und ich sind Wölfe.", erklärte er ruhig.
„Und diese Prägung? Was hat es damit auf sich?"
„Wenn ein Wolf seine Seelenverwandte gefunden hat, dann prägt er sich auf sie. Sie wird der Mittelpunkt der Welt für einen. Sie ist alles was zählt und man kann nicht mehr ohne sie leben. Man will, dass sie glücklich ist. Außerdem erträgt der Wolf es nicht lange von seiner Prägung getrennt zu sein, er weiß sie am liebsten durchweg in seiner Nähe."
„Hast du dich auf jemanden ... geprägt?", fragte ich zögerlich. Meinen Kopf drehte ich leicht in seine Richtung und sah ihm fest in die Augen. Seine wirkten beinahe flehend und etwas ängstlich.
Ich wusste die Antwort auch ohne dass er etwas sagen musste, aber trotzdem konnte ich falsch liegen. Die Wahrscheinlichkeit dafür war aber äußerst gering.
„Das musst du noch fragen?", fragte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Dennoch entging mir sein liebevoller Blick nicht. „Ich hab mich auf dich geprägt, schon als ich dir im Wald das erste Mal begegnet bin.", fügte er noch hinzu und griff nach meiner Hand. Er strich mir langsam über meinen Handrücken. In meinem Bauch begann es auf einmal wie wild zu kribbeln, es fühlte sich an wie ein kleines Feuerwerk. Allerdings wusste ich nicht ganz wieso.
„Was bedeutet das jetzt für mich? Was ändert das jetzt?", nun war ich diejenige, die verzweifelt klang. Mir wurde das gerade alles zu viel, aber Paul strahlte diese gewisse Wärme und Geborgenheit aus, was eine beruhigende Wirkung auf mich hatte.
„Es ändert überhaupt nichts. Das, was wir beide bis jetzt hatten, war alles echt. Nur weißt du jetzt, wie stark meine Gefühle für dich wirklich sind."
„Aber reicht dir das überhaupt? Ich meine, die Prägung klang nach ... mehr, sehr viel mehr. Und wir beide sind nur Freunde.", gab ich ihm zu bedenken. Seine Mundwinkel zuckten etwas nach oben.
„Solange du glücklich bist, bin ich es auch. Außerdem kennen wir uns erst seit ein paar Tagen und sind uns schon so nahe gekommen. Woher willst du also wissen, dass sich da nicht noch mehr entwickelt?"
„Und was wenn nicht? Was passiert wenn du bemerkst, dass du mich gar nicht liebst? Du kennst mich ja nichtmal richtig. Du hast keine Ahnung wie kaputt ich im Inneren bin! Die Wunden auf meinem Rücken sind nicht die einzigen Narben meiner Vergangenheit!", redete ich mich in Rage, beachtete aber dennoch so leise zu sein, dass die anderen nichts mitbekamen. Sie waren zwar mittlerweile weit von uns entfernt, da sie uns etwas Zeit allein geben wollten, aber trotzdem ging ich lieber auf Nummer sicher.
„Mika, meine Gefühle für dich werden sich nie ändern. Sie werden höchstens noch stärker.", meinte er und rutschte etwas näher an mich heran. Er zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Ich hatte gar nicht bemerkt wie sehr ich vor Kälte zitterte. Aber Paul entging wie immer nichts.
„Aber wenn ich deine Gefühle nicht erwidern kann?"
„Ich glaube das kannst und wirst du.", kam es von Emily, welche sich uns leise genähert hatte. Paul wirkte kein Stück überrascht, ich allerdings zuckte enorm zusammen.
„Emily", flüsterte ich und sah sie fragend an. Ihr Blick war wie immer warm und ihr Gesicht zierte ein sanftes Lächeln. Sie überwand auch noch die letzten Meter und hockte sich dann zu mir.
„Du hast jetzt schon den selben Blick Paul gegenüber wie Kim und ich bei Jared und Sam. Du suchst wie von selbst seine Nähe und strahlst in seiner Gegenwart immer so. Du vertraust ihm sogar mehr als Sam und mir.", erklärte sie ihre Sicht. Bei ihrem letzten Satz stutzten Paul und ich. Wir wussten nicht, wovon sie redete.
„Als Carlisle dich untersuchen wollte, hattest du Angst vor ihm, du wolltest nicht, dass er dir zu nahe kommt. Aber anstatt dich an Sam oder mich zu wenden, hast du lieber Paul geweckt und bei ihm Schutz gesucht.", ihr Lächeln wurde immer breiter. Jetzt machte es auch bei mir Klick, ebenso bei Paul.
„Emily, kannst du uns mal helfen?", rief jemand zu uns hinüber. Emily stand wieder auf und ging zu Sam und den anderen zurück. Und wieder waren Paul und ich allein. Für eine Weile blieb es still zwischen uns, wir beide hingen unseren Gedanken nach.
Emily hatte Recht, so wie immer eigentlich. Ich fühlte mich bei Paul wohl und beschützt, aber war das schon Liebe? Ich kannte mich damit nicht aus. Diese Gefühle waren komplettes Neuland für mich. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Nicht nur wegen seines Äußeren, sondern vor allem wegen seiner Art und seiner Wirkung auf mich. Diese Prägung war ja eigentlich sogar meine Versicherung, dass er mich nie verlassen würde. Er würde bei mir bleiben und seine Liebe wäre aufrichtig. Bei ihm wusste ich, dass er mich diesbezüglich nie anlügen würde.
„Du musst dich nicht unter Druck setzen. Lass dir soviel Zeit wie du benötigst.", sagte Paul mit seiner tiefen und rauen Stimme. Ich hob meinen Kopf an und nickte kurz erleichtert. Er lächelte leicht und stand schließlich auf. Ganz der Gentleman hielt er mir seine Hand hin, damit ich ebenfalls aufstehen konnte.
„Wir sollten besser mal essen gehen, sonst ist nachher nichts mehr übrig.", lachte Paul und zog mich mit sich. Er hielt meine Hand dabei fest umklammert, als würde er befürchten, ich könnte wegrennen.
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