Mein Mädchen
„Die Freundschaft ist eine Kunst der Distanz, so wie die Liebe eine Kunst der Nähe ist."
Der darauf folgende Morgen verlief genauso wie der vorige. Mein Wecker klingelte, ich machte ihn aus und schlief wieder ein. Dann stürmte Sam ins Zimmer und schmiss mich aus dem Bett. Ich machte mich fertig und frühstückte mit Emily und Sam. Danach holten mich die Jungs ab und ich saß WIEDER auf Pauls Schoß. In der Schule angekommen, begrüßte mich Lucy und ging mit mir zusammen in unser Klassenzimmer. Zu unserer Freude waren Jenny und ihr Gefolge noch nicht da, also hatten wir noch für eine Weile unsere Ruhe.
„Moin Mika!", kam es von der Tür und der Obermacho von gestern kam reingestürmt. Mir fiel gerade auf, dass ich seinen Namen noch garnicht kannte. Es war bis jetzt auch nicht wichtig gewesen, aber da er mir anscheinend weiter auf die Nerven gehen wollte, musste ich mich wohl oder übel darüber schlau machen.
„Hey Lucy, wie heißt der Vollidiot eigentlich?", fragte ich Lucy, die neben mir saß und stieß ihr leicht mit dem Ellbogen in die Seite. Sie kicherte kurz.
„Daniel", antwortete sie mir leise, da er schon an seinem Platz angekommen, sich gesetzt und sich zu uns umgedreht hatte. Er strahlte überglücklich in meine Richtung.
„Und, wie sieht's aus? Wie gefällt es dir in unserer Schule?", fragte er interessiert und ignorierte Lucy dabei komplett. Sie störte es nicht wirklich, immerhin mochte sie ihn ebenfalls nicht.
„Is' auf jeden Fall besser, als meine letzte. Aber hier gibt es genauso nervende Schüler wie dort.", sprach ich mit todernster Stimme und verdeutlichte ihm, dass ich auch ihn mit meinem letzten Satz meinte. Als er sich gekränkt umdrehte, konnte ich mein Kichern nicht mehr unterdrücken. Auch Lucy prustete los.
Kaum eine Minute später kamen die Oberzicken ins Zimmer, dicht gefolgt von Frau Handau. Lucy ging auf ihren Platz und Frau Handau begann mit ihrem Unterricht.
Am Ende des Schultages hatten wir zu meiner Freude eine Stunde Sport. Die Turnhalle war gleich neben dem Schulgebäude und ziemlich groß. Dafür waren die Umkleideräume recht klein.
Die Jungs waren natürlich eher fertig mit dem Umziehen. Das hab ich wirklich noch nie verstanden. Wieso waren die so schnell? Die brauchten allerhöchstens fünf Minuten, dann rannten die schon
mit 'nem Fußball quer durch die Turnhalle.
Wir Mädchen verquatschten uns meistens noch beim Umziehen und benötigten deshalb etwas länger. Lucy und ich waren da natürlich mal wieder die Ausnahme. Wir zogen uns um und setzten uns auf eine Bank in der Turnhalle. Von dort aus beobachteten wir die Jungs und machten uns über einige von ihnen lustig.
Als der Unterricht endlich begann, mussten wir erstmal ein paar Runden zur Erwärmung rennen. Ich persönlich fand es jetzt nicht so schlimm, aber ein paar Mädchen, Jenny zum Beispiel, waren schon nach der ersten Runde erledigt und setzten sich einfach wieder auf die Bank.
Nach dem Rennen spielten wir Basketball mit gemischten Teams. Ich liebte Sport wirklich sehr, aber die Ballspiele waren das Beste! Da konnte ich mich mal so richtig austoben.
Leider landete ich mit Daniel und Jenny in einem Team, aber ich würde es schon überleben. Ich spielte also mit vollem Einsatz und bekam sogar einige Jubelrufe von meinen Klassenkameraden. Lucy war natürlich am lautesten.
„Nicht schlecht, Uley.", lobte mich Daniels Kumpel Ben. Ich lächelte ihm kurz zu und lief dann zu Lucy hinüber.
Der Sportunterricht war vorüber, also konnten wir uns wieder umziehen gehen. Als wir fertig waren, ging ich gemeinsam mit Lucy auf den Parkplatz vor der Schule. Es hatte noch nicht zur Pause geklingelt, weshalb nur ein paar wenige Schüler aus meiner Klasse dort rumstanden. Unter anderem auch die Machos, welche sofort in unsere Richtung sahen. Ihre Blicke waren mir aber alles andere als angenehm, es wirkte als wollen sie uns damit ausziehen.
„Soll ich noch warten, bis deine 'La Push Gang' raus kommt?", fragte Lucy nach, als sie meine Unsicherheit bemerkte. Mittlerweile waren wir schon an ihrem Motorrad angekommen.
„Nein, ist schon okay.", versicherte ich ihr und zog mein Handy aus der Tasche, um nach der Uhrzeit zu sehen. „Außerdem klingelt es schon in zehn Minuten.", fügte ich noch hinzu und umarmte sie zum Abschied. Sie musterte mich erst noch skeptisch und nickte dann.
Danach sah ich ihr noch zu, wie sie vom Parkplatz raste und machte mich dann auf den Weg zu Jacobs Wagen.
Leider kam ich nicht weit, da sich mir Daniel in den Weg stellte, sodass ich mit voller Wucht gegen ihn knallte. Sein tiefes Lachen ertönte daraufhin.
So schnell ich konnte, wich ich zurück, aber Daniel griff nach meinem Arm und zog mich wieder an sich. Er schlang seine Arme um mich und vergrub seinen Kopf in meinen Haaren. Mein ganzer Körper versteifte sich. Beinahe panisch versuchte ich von ihm wegzukommen, aber ich war zu schwach, um gegen einen Jungen zu gewinnen.
„Lass mich los, Daniel!", forderte ich und versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen. Aber es funktionierte nicht, er hielt mich weiterhin fest.
„Vergiss es, du würdest nur wegrennen.", murmelte er in mein Haar und sog meinen Geruch ein. Eine unangenehme Gänsehaut lief über meinen Rücken. Verzweifelt stemmte ich meine Hände an seine Brust, aber auch das half nicht.
„Was zur-? ... MIKA", ertönte Pauls Stimme. Er klang extrem wütend. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und erkannte, wie er auf uns zu eilte. Sein Körper zitterte leicht und seine Hände ware zu Fäusten geballt. Hinter ihm kamen noch Jacob und Jared.
Kurz stellte ich mir dir Frage, warum sie überhaupt schon hier sein konnten, eigentlich war ja noch Unterricht. Aber dann fiel es mir wieder ein, Paul hatte mir von ihrer Freistunde erzählt. Sie wollten in der Bibliothek Hausaufgaben machen, bis wir anderen Schluss hatten.
Als Paul nahe genug war, um mich hören zu können, rief ich ihm zu:„Paul! Hilf mir!" Meinen flehenden Ton konnte man nicht überhören. Paul wurde augenblicklich noch wütender und ich konnte sein Knurren deutlich hören.
Ohne zu zögern schnappte sich Paul Daniels Kapuze und riss ihn von mir weg. Ich stolperte einige Schritte nach vorn, aber Paul stützte mich sofort und schloss seine Arme um meine Hüfte. Auch er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und überbrückte so den restlichen Abstand zwischen uns. Aber bei ihm störte es mich nicht. Ich empfand es als beruhigend und angenehm ihm so nahe zu sein.
„Hey! Was soll der Scheiß? Was denkst du wer du bist?", brüllte Daniel sauer, wobei seine Stimme leicht zitterte. Als Paul seine Worte hörte, verkrampfte er sich und ließ mich gefährlich langsam los. Mit einem kurzen Blick in Pauls Augen wusste ich, dass Daniel lieber rennen sollte und zwar richtig schnell.
„Das sollte ich wohl eher dich fragen!", knurrte Paul und baute sich vor Daniel auf. Er überragte den Macho mit Leichtigkeit und auch so war Paul auf jeden Fall stärker.
„Du hast MEIN Mädchen angefasst!", fügte Paul noch hinzu und schon flog seine Faust direkt in Daniels Gesicht. Dieser landete etwas unsanft auf dem Arsch und wollte schon auf Paul losgehen, aber Jared und Jacob stellten sich zwischen die beiden. Jared musste Daniel festhalten, während sich Jacob um Paul kümmerte. Pauls Zittern wurde immer schlimmer und die Wahrscheinlichkeit größer, dass er sich verwandeln würde.
Und ich stand wie ein kleines verschrecktes Reh daneben. Unsicher, was ich in einer Situation wie dieser tun sollte. Ich versuchte einfach auf meine Intuition zu hören. Diese meinte, ich solle zu Paul gehen und das schnell.
Also machte ich es. Vorsichtig näherte ich mich den beiden Wölfen, wobei Paul mir den Rücken zugedreht hatte und mich nicht sehen konnte. Aber Jacob sah mich und schüttelte wild den Kopf, um mir zu verdeutlichen, dass es zu gefährlich für mich war, näher zu kommen. Aber ich ließ mich davon nicht beirren und ging einfach weiter. Als ich hinter Paul zum Stehen kam, legte ich meine Arme um seine Mitte und drückte mich an seinen Rücken.
Ich merkte wie verspannt er war und wie sehr er zitterte, aber das ließ nach, als er mich bemerkte. Er löste sich aus seiner Angriffspose und wehrte sich nicht mehr gegen Jacob. Paul legte seine Hände auf meine, an seinem Bauch verschränkten, Arme.
„Du weißt doch, wie gefährlich es ist einen von uns in einer solchen Situation zu nahe zu kommen. Du weißt, was passieren kann.", flüsterte Paul, während sich Jacob lächelnd entfernte. Er half Jared dabei Daniel nicht auch noch an die Kehle zu springen, sondern ihn von Paul und mir wegzubringen.
„Ja, das weiß ich. Aber ich weiß auch, was für eine Wirkung ich auf dich ausübe und ich wollte nicht, dass du Ärger bekommst.", rechtfertigte ich mich und drückte mich noch enger an Paul. Ich spürte seinen immer langsamer werdenden Herzschlag, was mich beruhigte.
„Außerdem danke für deine Hilfe.", fügte ich noch hinzu. Aber er reagierte darauf nicht, auf jeden Fall nicht so, dass ich etwas davon mitbekam.
„Wenn er dich das nächste Mal anfasst, ist er tot! Er soll gefälligst seine Grabschhände bei sich behalten!", knurrte Paul bedrohlich und versteifte sich für einen Moment.
Ich löste mich von Paul und ging um ihn herum. Ich stellte mich so, dass ich in seine wunderschönen dunklen Augen sehen konnte. Beinahe sehnsüchtig suchte er meinen Blick und schloss mich sofort wieder in seine Arme. Er wollte die Nähe nicht nochmal unterbrechen, also blieben wir solange in dieser Position, bis die anderen alle da waren und wir nach Hause fahren konnten. Aber auch dabei ließ mich Paul nicht los.
Erst im Auto bemerkte ich das Kribbeln in meiner Magengegend und meinen rasenden Herzschlag. Die Reaktion meines Körpers verdeutlichte mir nur noch mehr, was ich mittlerweile schon für Paul empfand. Es war wie ein kleiner Samen, den man in die Erde pflanzt. Unter den richtigen Voraussetzungen wächst er, wird stärker und blüht auf. Genau das passierte gerade mit mir. Mein Leben wurde besser und meine Gefühle entwickelten sich wieder. Die kalte abweisende Art, welche ich zu meinem Schutz erschaffen hatte, verschand langsam und stattdessen kam wieder das freundliche, aber leicht verletzliche Mädchen von früher. Nur machte es mir Angst wieder so zu werden. Ich fühlte mich schutzlos ohne die vielen undurchdringlichen Mauern um mein Herz. Wer konnte mir denn versichern, dass ich für immer hier sein würde? Dass sie mich für immer beschützen würden? Bis jetzt habe ich immer für mich alleine gekämpft und konnte mich auch gut von allem abschotten, aber das war nun unmöglich geworden.
„Willkommen Zuhause, Mika.", begrüßte mich Emily heiter, als ich durch die Tür kam. Sie war im Wohnzimmer auf der Couch und sah sich einen Film an. Sam lag mit dem Kopf auf ihrem Schoß und schlief tief und fest, man konnte ihn sogar leise Schnarchen hören.
„Wie war dein Tag, Süße?", fragte Emily und weckte Sam sanft. Er rieb sich die Augen und richtete sich langsam auf. Als er mich sah, begrüßte auch er mich und machte mir auf der Couch Platz.
Nach einem langen Seufzer, schmiss ich meine Schultasche in irgendeine Ecke und setzte mich zu den beiden. Langsam wurde es eng, aber wenigstens wurde mir sofort wärmer.
„Was ist passiert?", hakte Sam misstrauisch und gleichzeitig besorgt nach. Anscheinend war mein Seufzer etwas zu lang gewesen.
„So ein Macho aus meiner Klasse, Daniel, ist aufdringlich geworden und hat mich bedrängt. Ich konnte mich nicht wehren, aber dann tauchte plötzlich Paul auf und kam mir zur Hilfe.", erklärte ich und versuchte es runter zu spielen. Sie sollten sich keine Sorgen machen.
„Mika, das-", Emily klang aufgebracht, deshalb unterbrach ich sie lieber schnell.
„Es ist okay! Mir geht's gut und dank Paul wird er mir sicherlich nicht nochmal zu nahe kommen.", entschärfte ich die angespannte Situation. Emily nickte zögerlich, machte sich aber augenscheinlich immer noch Sorgen um mich.
„Und Paul hat sich unter Kontrolle gehabt?", fragte Sam nach einigen Minuten der Stille nach.
„Ja, Jacob und Jared sind dazwischen gegangen. Ich hab ihn dann wieder beruhigt.", antwortete ich ruhig.
„Du hast was?! Du sollst doch keinen von den Jungs zu nahe kommen, wenn sie kurz vor der Verwandlung stehen!", donnerte Sam los und wirkte verärgert. Ich zuckte erschrocken zurück und fiel dabei fast über die Lehne der Couch.
„Sam", versuchte Emily Sam zu beruhigen, was aber nur minimal Wirkung zeigte.
„Du weißt genau, was alles hätte passieren können! Und trotzdem bringst du dich in eine solche Gefahr?!", Sam sah mich vorwurfsvoll an. Ich gab unter seinen Blicken nach und sah betreten zu Boden. Sam schien zu merken, was für eine Wirkung er gerade auf mich ausübte, wie sehr er mich verschreckte und atmete aus diesem Grund tief durch. Er fuhr sich durch die Haare und lehnte sich wieder zurück.
„Entschuldige, ich hätte nicht so laut werden sollen. Aber ich will dich doch nur vor Gefahren beschützen.", flüsterte er.
„Ich weiß, ist schon gut. Ich empfand es in der Situation aber nicht als gefährlich mich ihm zu nähern, immerhin waren Jared und Jacob noch da.", sagte ich und stand dann auf.
„Ich leg mich für 'ne Stunde auf's Ohr.", fügte ich noch hinzu und ging auf mein Zimmer, nebenbei schnappte ich mir noch meine Tasche.
Oben angekommen, setzte ich mich an meinen Schreibtisch und suchte nach meinem Hausaufgabenheft. Ich wollte nochmal nachsehen, was in der Klassenarbeit in Deutsch dran kommt. Ich würde zwar sowieso nicht dafür lernen, aber so konnte ich mir zu dem Thema schon mal einige Gedanken machen. Wir sollten nur eine Charakteristik zu einer Figur eines Romans schreiben, mindestens 250 Wörter. An sich nicht schwer, aber das kommt immer auf die Figur an.
Als ich den Eintrag im Heft gefunden hatte, stach mir das Datum besonders ins Auge. Es zeigte mir, dass übermorgen der Tag war, den ich mehr als alle anderen hasste. An diesem einen Datum sank meine Laune auf seinen äußersten Tiefpunkt. Ich bin dann leicht reizbar, am besten bleibe ich gleich im Bett. Wenigstens war es dieses Jahr ein Samstag, so konnte ich den halben Tag verschlafen.
Die meisten Menschen lieben diesen Tag zwar, aber bei Waisenkindern, besonders bei mir, war das anders. Es erinnerte uns jedes Jahr auf's Neue, dass wir unerwünscht waren.
Geburtstag! Oder in meinem Fall eher der Tag, an dem ich im Waisenhaus landete.
„Mika! Die Jungs sind da. Willst du vielleicht auch ein Stück Kuchen?", rief Emily von unten. Im Hintergrund konnte ich tatsächlich die tiefen Stimmen erkennen. Immer wieder mal ertönte ein Lachen.
„Ja. Ich bin in fünf Minuten unten.", erwiderte ich wenige Sekunden später mit derselben Lautstärke wie Emily. Ich packte das Heft wieder weg und fuhr mir durch die Haare. Ein paar lose Strähnen fielen mir wieder zurück ins Gesicht.
Ich überlegte kurz, entschied mich aber relativ schnell. Ich würde den anderen nichts von meinem 'Geburtstag' verraten. Es war besser so. Ich wollte weder feiern noch Geschenke, genauso wenig wollte ich diese ganze Aufregung. Sowas passte einfach nicht zu mir, also konnte es auch ausfallen. Und solange es keiner wusste, war ich sicher.
Ich schleifte also meinen erschöpften Körper wieder runter ins Wohnzimmer. Die Jungs saßen schon alle am Esstisch und redeten wild durcheinander. Jared fixierte dabei gespannt die Tür. Als er mich sah, lächelte er kurz freudig, aber sein Gesichtsausdruck wandelte sich augenblicklich wieder. Wenn man Jared kannte dann wusste man, dass er gerade sehnsüchtigst auf Emilys Kuchen wartete.
Paul war der nächste der mich bemerkte. Sein Lächeln übertraf sogar noch das von Jared. Paul stand auf und umarmte mich schnell.
„Man, Paul! Ihr habt euch doch grad eben erst gesehen! Muss das denn immer sein?", fragte Jared genervt.
„Nur weil Kim nicht hier ist, musst du ja nicht gleich neidisch werden.", konterte Paul mit einem frechen Grinsen. Ich kicherte leise vor mich hin, während ich mich wieder von ihm löste und mich auf einen freien Platz setzte.
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