39. Kapitel - Teil II
Am nächsten Tag begab ich mich gemeinsam mit Ma, Gawain und Jake mit seiner Wikingerhaarpracht zum Besuchereingangs des Zaubereiministeriums. Es war eine gewöhnliche, etwas veraltete, rote Telefonzelle.
«Na dann, viel Erfolg», sagte Ma, die vor der Telefonzelle stehen geblieben war und lächelte mich aufmunternd an. «Ich bin mir sicher, du schaffst das mit links.»
«Kommst du nicht mit rein?», fragte ich überrascht.
Ma schüttelte den Kopf. «Nein, ich will kein unnötiges Aufsehen erregen. Gawain wird dich begleiten.»
Ich runzelte die Stirn. «Weshalb nicht Jake? Er kennt sich doch sicher besser aus hier.»
Gawain setzte eine beleidigte Miene auf. «Bin ich dir nicht gut genug?»
«Weil ich nicht riskieren will, dass ich erkannt werde», erklärte Jake ungeduldig. «Man soll das Glück ja nicht herausfordern.»
«Na gut.» Ich umarmte die beiden und sah dann unschlüssig auf die Telefonzelle.
Ma schob Gawain und mich hinein und wies dann auf das Telefon ihr müsst sechs, zwei, vier, vier, drei wählen.»
Gawain nahm den Hörer ab und begann zu wählen. Es war eines dieser alten Telefone mit einer Drehscheibe anstatt mit Tasten. Gawain wählte die einzelnen Ziffern und die Drehscheibe surrte jeweils sanft zurück und schliesslich, nachdem alle Ziffern gewählt waren, erklang eine kühle Frauenstimmen, die von überall und nirgendwo zu kommen schien: «Willkommen im Zaubereiministerium. Bitte nennen Sie Ihre Namen und Ihr Anliegen.»
«Gawain Carlion und Adrienne Seanorth», sagte Gawain. «Adrienne Seanorth wird heute ihre erste UTZ-Nachprüfung ablegen und ich begleite sie.»
«Vielen Dank», erklang die kühle Frauenstimme. «Besucher, bitte nehmen Sie die Plaketten und befestigen Sie sie vorne an Ihrem Umhang.»
Ein Klicken und Rattern war zu hören und etwas glitt aus dem Metallschacht, aus dem normalerweise die restlichen Münzen fielen. Es waren zwei quadratische Silberplaketten, eine mit dem Aufdruck Adrienne Seanorth, UTZ-Nachprüfungen, auf der anderen stand Gawain Carlion, Begleitung.
«Sehr aussagekräftig», kommentierte Gawain mit Blick auf seine Plakette und mir entschlüpfte ein nervöses Kichern.
«Jaja, lach mich nur aus. Erst bist du mit mir als Begleitung unzufrieden und jetzt lachst du mich auch noch aus», jammerte Gawain theatralisch.
«Besucher des Ministeriums, Sie werden aufgefordert, sich einer Durchsuchung zu unterziehen und Ihren Zauberstab zur Registrierung am Sicherheitsschalter vorzulegen, der sich am Ende des Atriums befindet», rief die kühle Frauenstimme uns wieder zur Ordnung.
Dann begann die Telefonzelle zu beben. Plötzlich sank der Boden ab, versank in der Erde. Ma und Jake winkten uns zu und drückten die Daumen, während die Kabine der Telefonzelle im Erdboden verschwand und sich dann auf einmal ein Schimmer goldenen Lichts von unten in mein Sichtfeld schob. Das Licht wurde heller und heller, je breiter der Spalt wurde, der den Blick auf das Atrium des britischen Zaubereiministeriums freigab.
Als ich das letzte Mal hier gewesen war – erst vor ein paar Tagen, allerdings zu nachtschlafender Stunde – hatte der riesige Raum imposant und ehrfurchtgebietend gewirkt. Die Leere hatte diesen Eindruck sogar noch verstärkt. Nun, am Tag, war er immer noch imposant, das geschäftige Gewusel und Geschnatter, sowie die zahlreichen Schäden, die durch das Duell zwischen Dumbledore und Voldemort entstanden waren, schmälerten den Eindruck jedoch.
«Das Zaubereiministerium wünscht Ihnen einen angenehmen Tag», wünschte die kühle Frauenstimme, als die Telefonzelle zu Boden gesunken war und Gawain und ich stiegen aus.
«Und wohin jetzt?», fragte ich unsicher.
Gawain stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte die Menge zu überblicken. «Dort hinüber», sagte er schliesslich und führte mich quer durch den riesigen Raum zu einem Pult über dem eine Tafel mit der Aufschrift Sicherheit hing.
An dem Pult sass ein schlecht rasierter Zauberer in pfauenblauem Umhang, der aufsah, als wir uns näherten und seinen Tagespropheten zur Seite legte.
«Wir sind wegen der UTZ-Nachprüfungen hier und wurden aufgefordert unsere ... äh ... unsere Zauberstäbe hier vorzuweisen – wobei ich allerdings gar keinen Zauberstab besitze», erklärte Gawain.
Der Zauberer kniff die Augen zusammen. «Sind Sie ein Muggel?»
«Fey», korrigierte Gawain und entblösste seine spitzen Zähne, die allerdings lange nicht so spitz waren wie Mas.
Misstrauisch sah der Zauberer ihn an.
«Soll ich etwas zaubern, damit Sie mir glauben?», fragte Gawain, leicht genervt. «Und ist das überhaupt wichtig? Immerhin bin ich nur als Begleitung hier.»
Der Zauberer brummte etwas Unverständliches und wandte sich dann mir zu. «Ihren Zauberstab, Miss.»
Ich händigte ihn dem Zauberer aus und der liess ihn auf ein merkwürdiges Messinginstrument fallen, das an eine Waage mit nur einer Schale erinnerte. Es fing an zu vibrieren. Ein schmaler Pergamentstreifen schnellte aus einem Schlitz im Sockel hervor. Der Zauberer riss ihn ab und verlas die Aufschrift: «Zehneinviertel Zoll, Kern Drachenherzfaser, sieben Jahre in Gebrauch. Ist das korrekt?»
«Ja», sagte ich.
«Das hier behalte ich», sagte der Zauberer und spiesste den Pergamentstreifen auf einen kleinen Messingdorn. «Den bekommen Sie zurück», fügte er hinzu und drückte mir meinen Zauberstab in die Hand.
«Danke.»
«Und wo geht es zu den Räumen für die Nachprüfungen?», fragte Gawain.
Der Zauberer seufzte entnervt. «Ich bin nicht die Auskunft», knurrte er. «Schauen Sie bei den Aufzügen nach, solche Dinge werden normalerweise ausgeschildert und sonst ist dort die Auskunft.» Er deutete auf ein Pult seinem gegenüber auf der anderen Seite des Atriums.
Gawain legte eine Hand auf meine Schulter und schob mich vorwärts, ohne sich zu verabschieden.
Der Zauberer am Sicherheitsschalter behielt recht: Rechts neben den goldenen Aufzügen stand ein Schild mit der Aufschrift Die Nachprüfungen für den Zauberergrad (ZAG) und den Unheimlich Tollen Zauberer (UTZ) finden im Appariertestzentrum statt (6. Stock).
«Na dann ... soll ich dich noch hoch begleiten oder denkst du, du findest den Weg alleine?», fragte Gawain.
«Ich denke, ich finde es allein», sagte ich etwas nervös und lächelte.
«Dann wünsche ich dir viel Erfolg und bis später», verabschiedete sich Gawain.
«Danke ... bis später.» Mit diesem Worten bewegte ich mich auf die Aufzüge zu, wo sich bereits unzählige Hexen und Zauberer drängten.
Es dauerte etwas, bis ich in einem der Fahrstühle Platz fand und als dieser sich in Bewegung setzte und Gawain aus meinem Sichtfeld verschwand, hatte ich kurz das Gefühl, mir bliebe das Herz stehen. Jetzt war ich wirklich allein. Tief durchatmend versuchte ich mich zu beruhigen. Immerhin war das nur eine Prüfung, eine ganz normale Prüfung ... von der ganz zufällig meine ganzes späteres Berufsleben abhängen könnte ... aber ich hatte meinen Ausbildungsvertrag bereits unterschrieben und Mr Holmes hatte selbst gesagt, dass es im Leben nicht nur um Noten ging. Aber er hatte auch gesagt, dass es wünschenswert wäre, wenn ich die Prüfungen bestehen würde ... aber ich hatte bereits unterschrieben ... Tief durchatmen, Adrienne. Ein- und ausatmen, einfach ein- und ausatmen, rief ich mich zur Ordnung. Es war nur eine Prüfung. Aber da war auch noch die leise Furcht, dass sich das Zaubereiministerium nicht an die Vereinbarung mit dem AZMGUK mich betreffend halten würde.
Unvermittelt hielt der Fahrstuhl und riss mich aus meinen Gedanken: «Siebter Stock, Abteilung für Magische Spiele und Sportarten, mit der Zentrale der Britischen und Irischen Quidditch-Liga, dem Offiziellen Koboldstein-Klub und dem Büro für Lächerliche Patente», verkündete die bereits vertraute, kühle Frauenstimme.
Im Fahrstuhl gab es Gedränge, als sich eine Hexe aus den hinteren Reihen nach vorn kämpfte und ausstieg, bevor es weiterging. Es war viel zu eng hier drin. Und stickig.
«Sechster Stock, Abteilung für Magisches Transportwesen, mit der Flohnetzwerkaufsicht, dem Besenregulationskontrollamt, dem Portschlüsselbüro und dem Appariertestzentrum.»
Gut. Nun gehörte ich zu denen, die mich aus dem Aufzug drängten. Ich war froh, diesem stickigen Kabäuschen endlich entkommen zu sein. Auf dem Flur hielt ich inne und sah auf und ab. Jetzt galt es nur noch, das Appariertestzentrum zu finden. Da, es war ausgeschildert. Kurz darauf betrat ich einen weitläufigen Raum in dessen Mitte in Reih und Glied achtundzwanzig Pulte aufgestellt waren. Gut die Hälfte war bereits belegt.
«Nehmen Sie an dem für Sie vorgesehenen Pult Platz», wies mich die Hexe an, die vor den Pulten stand. Ich erkannte sie von meinen ZAG-Prüfungen wieder: Professor Marchbanks, die Leiterin der Zaubererprüfungsbehörde.
«Ja, Professor Marchbanks», antwortete ich laut, soweit ich mich erinnerte, war die Gute etwas schwerhörig, machte mich auf die Suche. Aus den Augenwinkeln konnte ich erinnern, wie sich ein überraschtes Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete, vermutlich weil ich ihren Namen gewusst hatte.
Ich ging die Tischreihen ab, doch meinen Namen konnte ich nicht finden.
«Verzeihen Sie, Professor Marchbanks, kann es sein, dass mein Name fehlt?», war ich schliesslich gezwungen zu fragen.
Die alte Hexe sah mich neugierig an. «Ja, dass kann sein», sagte sie etwas zu laut für meinen Geschmack. «Dann sind Sie also Miss Adrienne Seanorth? Das Obscurial?»
Ich zuckte zusammen. Vielleicht hätte ich damit rechnen müssen, dass sie Bescheid wusste – immerhin hatte es im Tagespropheten gestanden.
«Sie werden die Prüfung in einem separaten Raum ablegen – oben in der Aurorenzentrale», mir wich das Blut aus dem Gesicht bei ihren Worten. «Eine kleine, sicherlich nicht notwendige Sicherheitsmassnahme. Bitte folgen Sie Professor Tofty, Miss Seanorth. Er wird Sie hinbringen und Ihre Prüfung überwachen.»
Ein alter, kahlköpfiger Zauberer trat vor und nickte mir lächelnd zu. «Wenn Sie mir gerne folgen würden, Miss Seanorth.»
Mir blieb kaum eine andere Möglichkeit und so verabschiedete ich mich höflich von Professor Marchbanks bevor ich dem alten Professor hinaus auf den Flur folgte. Bei jedem Schritt spürte ich die heissen, neugierigen Blicke der anderen im Nacken.
«Sind Sie nervös, Miss Seanorth?», fragte Professor Tofty gutgelaunt auf dem Weg zurück zu den Aufzügen.
Ich nickte nur kurz stumm, zu mehr war ich gerade nicht in der Lage.
«Das brauchen Sie nicht. Ich bin sicher, Sie haben sich gut auf die Prüfungen vorbereitet. ...» Er redete weiter, doch ich hörte nicht zu. Es waren nicht die Prüfungen, die mich nervös machten ... Wenn es hier überhaupt um Prüfungen ging.
Abschätzend betrachtete ich den alten Professor. Mit ihm konnte ich problemlos fertig werden, aber was dann? Würde es mir gelingen, aus dem Ministerium zu fliehen?
Wir betraten einen bereits vollen Aufzug und dieser setzte sich ruckelnd in Bewegung. Nach oben. Natürlich. Wäre auch zu praktisch gewesen, wäre es zurück nach unten gegangen. Richtung Ein- respektive Ausgang.
«Fünfter Stock, Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit, mit dem Internationalen Magischen Handelsstandardausschuss, dem Internationalen Büro für Magisches Recht und der Internationalen Zauberervereinigung, britische Sektion.»
Einige Leute drängten sich nach draussen. Zudem schossen einige Papierflieger in und aus dem Lift. Irgendein Mittel der Kommunikation vielleicht? Allerdings war ich gerade zu abgelenkt, um darüber nachzudenken.
«Vierter Stock, Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe, mit der Tierwesen-, der Zauberwesen- und der Geisterbehörde, dem Koboldverbindungsbüro und dem Seuchenberatungsbüro.»
Wieder Gewusel im Lift und schwirrende Papierflieger. Wohin ein Büro des AZMGUK wohl am besten passte? Aber sollte ich mich nicht besser auf die vor mir liegende Prüfung konzentrieren? Und was ... was wenn es keine Prüfung war, die mir bevorstand? Was wenn ich geradewegs in eine Falle lief?
«Dritter Stock, Abteilung für Magische Unfälle und Katastrophen, mit dem Kommando für die Umkehr verunglückter Magie, der Vergissmich-Zentrale und dem Komitee für Muggelgerechte Entschuldigungen.»
Meine Prüfung war in die Aurorenzentrale verlegt worden ... also sollte ich jetzt aussteigen und versuchen zu fliehen, lange würde mir kaum noch Zeit bleiben, immerhin blieben nur noch zwei Stockwerke. Gerade leerte sich der Fahrstuhl, alle Verbliebenen ausser Professor Tofty und mir schienen hier raus zu wollen.
«Wo wollen Sie hin, Miss Seanorth?», fragte der alte Professor irritiert.
«Ähm ... nirgends, ich musste mich nur ... etwas bewegen ... nervös ...», stammelte ich.
Der alte Professor lächelte warm. «Ich bin mir sicher, Miss Seanorth, Sie schaffen das. Ganz sicher. Sie sind eine kluge, fähige, junge Frau, das haben Sie bereits bei Ihren ZAG-Prüfungen bewiesen.»
Ich nickte, versuchte ein dankbares Gesicht aufzusetzen, was mir jedoch nicht gelang. Die Prüfungen waren gerade meine geringste Sorge.
«Zweiter Stock, Abteilung für Magische Strafverfolgung, mit dem Büro gegen den Missbrauch der Magie, der Aurorenzentrale und dem Zaubergamot-Verwaltungsdienst.»
«Na dann, auf in die Schlacht», sagte Professor Tofty fröhlich und führte mich hinaus in den Flur.
Ich verzog hinter seinem Rücken die Lippen, ob dieser Wortwahl. Lieber nicht.
Und dann waren wir da. Eine zweiflüglige Tür führte in ein Grossraumbüro, das in einzelne Bürozellen aufgeteilt war. Der Raum war weitläufig und unübersichtlich und voller Bewegung, was sicher auch an den vielen Papierfliegern lag, die in Höchstgeschwindigkeit zwischen den verschiedenen Zellen hin und her schossen. Auf einem schief hängenden Schild an der nächstgelegenen Zelle stand: Aurorenzentrale.
«Selbstverständlich haben wir für die Prüfung einen separaten Raum zur Verfügung», erklärte Professor Tofty fröhlich. «Folgen Sie mir.»
Und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Am liebsten hätte ich mich ganz klein gemacht oder mein Aussehen verändert oder sonst etwas, solange die Auroren nur aufhörten, mich anzustarren. Denn genau das taten sie: Zuerst einer, dass zwei, dann immer mehr, bis ich das Gefühl hatte, die Aufmerksamkeit des gesamten Raums läge auf mir. Tat sie wahrscheinlich auch. Und ich ... ich stand mitten im Raum, umgeben von den Leuten, die bis gestern noch den Befehl hatten, mich zu töten – nicht zu vernichten – wenn sie meiner habhaft wurden.
«Was ist hier los? Haben Sie nicht alle zu arbeiten?», erklang eine tiefe, befehlsgewohnte Stimme, zweifelsohne männlich.
«Das Obscurial ist hier, Sir», kam es aus der Menge.
«Aha ... nun, Sie wussten, dass sie kommen würde. Jetzt zurück an die Arbeit. Wir haben viel zu tun», sagte der Mann und schob sich zwischen den Bürozellen auf mich zu. Er hatte eine dunkelblonde Haarmähne, die von grauen Strähnen durchsetzt war und sein Gesicht war von vielen harten Erfahrungen gezeichnet; die gelblichen Augen hinter den Gläsern seiner Drahtbrille waren wachsam und obwohl er leicht hinke, waren seine Bewegungen geschmeidig und kampfgewohnt. Irgendwie erinnerte er mich an einen alten Löwen ... scharfsinnig, zäh ... gefährlich. Ganz unbewusst ging ich leicht in die Knie, nahm eine Kampfhaltung ein.
«Wollen Sie mich etwa herausfordern, Miss Seanorth?», fragte der Mann, mit einer Spur Belustigung in der Stimme.
«Nein, Sir», antwortete ich schnell und stellte mich wieder gerade hin
Langsam nickte er mir zu, mich eingehend musternd, dann streckte er mir die Hand entgegen. «Darf ich mich vorstellen? Rufus Scrimgeour, Leiter der Aurorenzentrale.» Und laut Mr Holmes der nächste Zaubereiminister.
Ich nahm seine Hand; sein Griff war fest. «Adrienne Seanorth. Freut mich Sie kennen zu lernen, Mr Scrimgeour.»
«Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Miss Seanorth. Bitte folgen Sie mir. Wir haben für Sie und Professor Tofty ein Sitzungszimmer hier oben reserviert. Nur für den Fall der Fälle versteht sich.» Misstrauisch musterte Scrimgeour mich. «Es ist höchst selten, dass ein Obscurial Ihr Alter erreicht. Haben Sie eine Vermutung, wie es dazu kam?»
Ein Räuspern in meinem Rücken war zu hören und Mr Scrimgeour verzog die Lippen zu etwas, das ein Lächeln hätte sein können. «Aber natürlich, ich überlasse Sie Ihrer Prüfung. Viel Erfolg, Miss Seanorth», sagte er und deutete in einen kleinen Raum, in dem ein Tisch mit vier Stühlen. «Soweit ich weiss, steht heute Zauberkunst auf dem Programm, Theorie am Morgen, Praxis am Nachmittag, nicht wahr, Professor Tofty?»
«Das ist richtig, Mr Scrimgeour», erwiderte der alte Professor etwas frostig. «Nun kommen Sie, Miss Seanorth, wir sind bereits spät dran.»
Insgesamt verliefen die UTZ-Prüfungen nicht viel anders, als ich die ZAG-Prüfungen in Erinnerung hatte – ausser natürlich, dass ich sie nicht in Hogwarts ablegte, sondern im Zaubereiministerium. In der Aurorenzentrale. Jedes Mal wenn ich das Grossraumbüro betrat lief mir wieder ein kalter Schauder über den Rücken, sogar der Gedanke allein reichte, um mich nervös zu machen, doch nach meinem ersten Auftritt dort nahmen die meisten Auroren kaum noch Notiz von mir. Oder aber sie wussten es sehr gut zu verbergen. Natürlich gab es dennoch einige, die mich offen misstrauisch beäugten, aber wer konnte es ihnen verdenken. Und es gab diejenigen, die mich in meiner Mittagspause neugierig belagerten, während ich vergeblich versuchte, noch einmal meine Notizen durchzublättern. Tonks war eine von ihnen und war dabei wie immer so lebhaft aufgekratzt, dass ich den Versuch in letzter Minute noch etwas zu lernen aufgab. Es würde ja ohnehin nichts nützen. Stattdessen liess ich mich dazu überreden, den Mittag jeweils mit einer Gruppe junger Auroren – einige von ihnen waren sogar noch in der Ausbildung – zu verbringen und über alles Mögliche zu reden. Angefangen von Hogwarts, den Lehrern und den UTZ-Prüfungen, über die gegenwärtige Lage in der Zauberergemeinschaft und den Alltag der Auroren, bis hin zu den besten Süssigkeiten, Zauberscherze und ob ich schon einmal in dem neuen Laden in der Winkelgasse gewesen war: Weasleys Zauberhafte Zauberscherze. Mein überraschtes Blinzeln verriet mich.
«Aber natürlich nicht!», rief eine der jungen Aurorinnen aus. «Immerhin galt bis letzte Woche noch ein Haftbefehl gegen dich.»
Ich fand 'Haftbefehl' recht schön dafür ausgedrückt, dass jeder Auror, der mich in die Finger bekam, den sofortigen Befehl hatte, mich zu töten.
«Wie ist das eigentlich, ein Obscurial zu sein?», fragte ein anderer und schlagartig kehrte Stille ein. Verdächtige Stille. Offenbar schienen auch die anderen Pausengrüppchen mit halbem Ohr unserem Gespräch gelauscht zu haben. Hatte ich mich in falscher Sicherheit gewähnt, als ich glaubte, die Auroren würden gar nicht mehr auf mich achten?
«Es ist ...», ich überlegte, mir wohl bewusst, dass gerade sehr viel mehr Leute zuhörten als die kleine Schar junger Auroren, mit denen ich jeweils zu Mittag ass, «... beängstigend – zumindest am Anfang war es so, als ich es nicht kontrollieren konnte. Jetzt ist es recht praktisch.» Ich konnte mich eines Grinsens nicht erwehren.
«Inwiefern?», erklang eine tiefe, befehlsgewohnte Stimme. Sie klang ruhig, fast gelangweilt, aber hinter dem äusseren Schein war ein Lauern verborgen, das konnte ich spüren. Eine Bereitschaft beim geringsten Anzeichen von Gefahr zu handeln.
Deswegen war ich ganz behutsam, als ich mich zu dem Mann hinter mir umdrehte und mit einem leisen Lächeln sagte: «Guten Tag, Mr Scrimgeour. Was meinten Sie mit Ihrer Frage?»
Der alte Löwe lächelte ebenfalls, aber es wirkte nicht echt und wie er so über mir aufragte, während ich gemeinsam mit den jungen Auroren in einem unregelmässigen Kreis auf dem Boden zwischen den Bürozellen sass, fühlte ich mich recht unangenehm.
«Inwiefern ist es recht praktisch ein Obscurial zu sein?», fragte Scrimgeour und liess sich zu meiner Überraschung neben mir nieder.
«Ähm ... nun ja ...», begann ich unsicher.
Scrimgeour beobachtete mich aufmerksam. Meine Lunchkameraden ebenfalls. Und alle anderen anwesenden Auroren spitzten sicher gerade die Ohren. Was zum Teufel sollte ich ihnen nur sagen?
«Nun ja ...», begann ich erneut und beschloss dann: Weshalb sollte ich es nicht mit der Wahrheit versuchen? «Also ... einmal, da habe ich mich mitten in der Nacht nach draussen geschlichen, in dem ich mich in meine Obscurusgestalt verwandelt habe und dann aus dem Fenster des Gryffindorgemeinschaftsraums nach draussen geflogen bin.»
«Echt jetzt? Wirklich?», kam es von meinen Zuhörern.
«Für ein Date?», kiekste eine Aurorin in Ausbildung.
«Ähm, nein. Kein Date», stellte ich klar, lief aber rot an, was einige zum Lachen brachte.
«Verhörtechniken gehören zur Ausbildung als Aurorin, Adrienne. Und selbst wenn nicht: Rot anlaufen bedeutet oft, dass jemand nicht die ganze Wahrheit sagt», sagte ausgerechnet Tonks streng. Verräterin.
Beifälliges Nicken der anderen Auroren, doch niemand schien es mir übel zu nehmen, stattdessen hatten die meisten ein Schmunzeln auf den Lippen oder ein Funkeln in den Augen.
«Na schön, ich habe diese Fähigkeit auch eingesetzt, um ungesehen zu einem Date zu gelangen.» Sogar ziemlich oft. «Aber besagter Ausflug war kein Date. Ich musste damals einfach ... für eine Weile nach draussen. An die frische Luft. Drinnen habe ich es nicht mehr ausgehalten und der Weg durchs Fenster war derjenige, auf dem ich mit grösster Wahrscheinlichkeit keinem Lehrer begegnete.» Ich verstummte einen Moment und erinnerte mich an diese Nacht. Es war während des Erwachens von Balor gewesen, dem Dämonenkönig. Seine Kraft war stärker geworden und hatte eine seltsame Spannung über Hogwarts gelegt. Meine magischen Sinne waren damals dabei gewesen stärker zu werden, meine Feykräfte hatten gerade begonnen, sich zu entfalten und so hatte ich diese Spannung viel stärker wahrgenommen, als die anderen Bewohner des Schlosses. In dieser Nacht hatte ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Und dann war ich draussen ausgerechnet Remus in seiner Werwolfgestalt über den Weg gelaufen, der damals mein Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste war. Er war alles andere als begeistert gewesen, mich dort anzutreffen, hatte aber nicht viel ausrichten können. Irgendwie hatte er mich sogar verstanden. Den Rest der Nacht war mir der Werwolf nicht von der Seite gewichen und dann am nächsten Morgen ... «Leider war ich nicht so schlau, den gleichen Weg wieder zurück zu nehmen. Professor McGonagall war fuchsteufelswild, als sie mich im Schlafanzug in der Eingangshalle erwischt hatte, wie ich gerade durchs Schlossportal kam», erzählte ich schmunzelnd.
Die Auroren ringsum lachten. Auch von den anderen Pausengruppen waren einige Lacher zu hören – sie hatten also wirklich zugehört.
Sogar Scrimgeour brachte ein Lächeln zustande, ein ehrliches, bevor er fragte: «Fällt es Ihnen leicht, Ihren Obscurus zu beherrschen, Miss Seanorth?»
«Soll das ein Verhör werden, Mr Scrimgeour?», fragte ich und versuchte dabei, möglichst lässig zu klingen. Ich durfte nicht vergessen, dass ich mich hier trotz allem auf ... nun vielleicht nicht gerade feindlichem aber auf jeden Fall auf gefährlichem Territorium befand.
«Wenn man es genau nimmt, Miss Seanorth, dann heisst es 'Minister'. Seit heute Morgen», sagte Scrimgeour und lächelte erneut. Diesmal erreichte es nicht seine Augen. Tatsächlich war es mehr ein Zähneblecken und ich konnte mich gerade noch zurückhalten, diese Geste zu erwidern. «Und wir können gerne ein Verhör daraus machen, wenn Sie das wünschen, allerdings haben wir wohl beide heute Nachmittag keine Zeit mehr dafür. Ich überlasse Sie vorerst Ihren Prüfungen. Viel Erfolg, Miss Seanorth», sagte der frischgebackene Minister, erhob sich und ging davon.
Meine letzten UTZ-Prüfungen hatte ich in Verwandlung: am Vormittag die theoretische Prüfung und am Nachmittag die praktische. Ich konnte kaum erwarten, dass es endlich vorüber war. Meine Nerven hingen mittlerweile in Fetzen – weniger wegen den Prüfungen, da hatte ich bei den meisten ein ganz gutes Gefühl, sondern vielmehr, weil jeder Tag, den ich im Zaubereiministerium verbrachte, weiter an ihnen zerrte. Es war weniger die Angst, dass die Auroren mir etwas antun könnten, als die Furcht, dass der neue Zaubereiminister beschliessen würde, mich doch noch ins Kreuzverhör zu nehmen. Was bisher nicht geschehen war; ja, ich hatte Scrimgeour seit diesem Mittagessen überhaupt nicht mehr gesehen – ausser auf Zeitungsfotos mit langen Artikeln darunter in denen erklärt wurde, wie der neue Minister für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen gedachte. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte er gute Ansätze, aber Dumbledore war alles andere als überzeugt von ihm. Offenbar versuchte der neue Minister meinen Bruder für das Ministerium einzuspannen, was Dumbledore resolut abgelehnt hatte. Ich selbst hatte es während einer Ordensversammlung erfahren, an die Öffentlichkeit gelangt war davon nichts.
Der theoretische Teil am Vormittag verlief erwartungsgemäss. Verwandlung war schon immer sehr komplex gewesen, wenn auch lange nicht so komplex wie Theoretische Magie. Und wenn man in letzterem einigermassen den Überblick hatte, war ersteres auf einmal völlig logisch.
Über den Mittag versuchte ich gar nicht erst zu lernen. Lieber liess ich mich von meiner kleinen Mittagsgruppe ablenken, die von ihrer Arbeit an diesem Morgen erzählten und von ihren Plänen fürs anstehende Wochenende.
«Hast du auch Pläne, Adrienne?», fragte Tonks neugierig.
Ich zuckte die Schultern. «In irgendeiner Art das Ende der Prüfungen feiern, nehme ich an», brummte ich.
Einer der Auroren lachte. «Das ist die richtige Antwort!»
Dann wurde es Zeit für die letzte Prüfung. Um Punkt ein Uhr bat Professor Tofty mich in den Konferenzraum, der für meine UTZ-Prüfungen reserviert worden war und stellte mir wie immer zu Beginn jeder Prüfung die Frage, ob ich mich körperlich in der Lage fühlte, die Prüfung abzulegen. Ich bejahte und dann ging es los. Zuerst sollte ich einen Stuhl aus dem Nichts beschwören, dann einen der Tische in ein Schwein verwandeln und zurück, danach dem Modell Drachen Leben einhauchen und so weiter. Professor Tofty machte sich geschäftig Notizen.
«Nun, das war es dann», sagte der alte Professor gefühlte Stunden später, «bis auf ... eine letzte, kleine Aufgabe.» Unsicher sah Professor Tofty mich an, was so gar nicht zu dem fröhlichen, alten Mann passte. «Bitte ... entschuldigen Sie, Miss Seanorth», sagte er und klang beinahe ängstlich, während er zur Tür ging und kurz klopfte. Sehr seltsam. Kurz darauf betrat Minister Scrimgeour mit drei Auroren im Gefolge ein. Es beruhigte mich nur unwesentlich, dass Kingsley einer von ihnen war.
«Miss Seanorth ...», Professor Toftys Stimme zitterte. «Der Minister hat persönlich darum gebeten, den Prüfungsaufgaben eine weitere hinzuzufügen und darum, bei Ihrer Ausführung dieser Aufgabe anwesend sein zu dürfen.» Der alte Professor schluckte und sah auf seine Unterlagen hinab, um Zeit zu gewinnen. «Die Aufgabe ist folgende: Sie sollen Ihre Obscurusgestalt annehmen und sich nach zehn Minuten wieder zurückverwandeln, ohne dabei irgendjemanden oder irgendetwas Schaden zuzufügen. Ich werde Ihnen sagen, wann die zehn Minuten um sind», erklärte Professor Tofty.
Entsetzt sah ich zwischen Professor Tofty und Scrimgeour hin und her und versuchte dabei, Kingsley möglichst zu ignorieren.
«Das ... das geht nicht!», brachte ich schliesslich hervor.
«Nicht? Sie sagten, Sie hätten den Obscurus unter Kontrolle, Miss Seanorth», mischte der Minister sich ein.
«Schon, aber ...», meine Stimmer brach. Wie war ich nur in diese Zwangslage geraten?
«Haben Sie gelogen, als Sie behaupteten, Ihren Obscurus kontrollieren zu können?», fragte Scrimgeour.
«Ich kann ihn kontrollieren: Er bricht nicht aus mir heraus, wenn ich das nicht will», knurrte ich.
«Dann wollten Sie also Ihre Mitschüler angreifen, Miss Seanorth?», fragte Scrimgeour mit gefährlich leiser Stimme. «Sie haben diese Schüler mit voller Absicht verletzt. Finden Sie Freude daran, anderen Schmerzen zuzufügen? Wie Ihre Mutter Kathalena Norvik, Grindelwalds rechte Hand?»
Darum ging es hier also. «Sie sollten erst alle Fakten kennen, Minister, bevor Sie derlei Schlüsse ziehen. Ich nehme an, als Auror sollten Sie das eigentlich wissen», gab ich zurück.
Scrimgeour schwieg einen Moment, beobachtete mich nur mit diesem lauernden Blick, dem Blick einer Raubkatze, die ihre Beute ins Auge fasst – dem gleichen Blick, wie ihn auch meine Mutter und mein Vater perfekt beherrschten. Ich hatte geglaubt, mittlerweile gegen solche Blicke immun zu sein und doch .... Unwillkürlich zog ich die Lippen hoch und fauchte. Ersteres sah bestimmt lächerlich aus, letzteres ... Der Minister, die Auroren und Professor Tofty zuckten zusammen, als sie diesen gefährlichen, animalischen Laut hörten.
Allerdings liess der Minister sich davon nicht beeindrucken. «Dann erzählen Sie mir doch, Miss Seanorth, was Ihrer Meinung nach die Fakten sind», forderte er.
Fest sah ich Scrimgeour an. «Diese Schüler waren alle Mitglieder von Umbridges Inquisitionskommando. Sie haben mir aufgelauert und einer von ihnen hat mich mit dem Cruciatus-Fluch belegt.»
Professor Tofty schnappte entsetzt nach Luft.
«Ich wollte dem einfach entkommen. Also Obscurus besitze ich keine körperliche Gestalt und kann demnach auch keinen körperlichen Schmerz empfinden. An mehr konnte ich in diesem Moment nicht denken», erklärte ich leise.
«Ich verstehe», sagte der Minister und Stille kehrte ein.
«Weshalb weigern Sie sich, uns die Verwandlung vorzuführen?», kam Scrimgeour auf das ursprüngliche Thema zurück.
Gereizt biss ich die Zähne zusammen. Dass war wohl auch eine Eigenschaft des neuen Ministers: Er liess niemals locker. Und eine meiner Eigenschaften war es, dass ich nur ungern Schwächen eingestand, aber vielleicht sollte ich diesmal eine Ausnahme machen – zumal es Scrimgeour sogar beruhigen könnte.
Stolz reckte ich das Kinn und sah dem Minister direkt in die gelben Augen; begegnete seinem forschenden Blick mit meinem schwarzen. «Weil der Obscurus sich gegen mich wendet. Wenn ich mich verwandle, verletzt er mich», erklärte ich mit fester Stimme.
«Ist das denn normal?», kam es überraschend von Professor Tofty. «Weshalb sollte der Obscurus Sie verletzen?»
«Woher soll ich wissen, was bei einem Obscurial meines Alters normal ist?», antwortete ich an Professor Tofty gewandt. «Soweit ich weiss, werden Obscuriale nur äusserst selten älter als zehn Jahre alt.»
Professor Tofty nickte aufgeregt. «Das ist richtig, äusserst selten ... die meisten Kinder werden bereits in frühen Jahren von ihrem Obscurus vernichtet. Vielleicht hatten Sie einfach Glück, dass Ihr Obscurus erst jetzt beginnt, sich gegen Sie zu wenden, während er dies bei diesen anderen ... schon so viel früher tat.» Der alte Professor schluckte traurig. «Es ist wirklich ein Glück für Sie, dass Sie es kontrollieren können und dem nicht hilflos ausgeliefert sind. Ich bin sicher, Sie sind dankbar, Miss Seanorth.»
Ich nickte. Was sollte ich auch anderes tun, wenn mir hier eine Ausrede mundgerecht serviert wurde?
«Nun denn, wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu in der Lage sind, diese letzte Aufgabe zu bewältigen, dann werde ich sie selbstverständlich streichen», erklärte Professor Tofty und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. «Sie haben Ihre Sache dennoch hervorragend gemacht. Sie dürfen jetzt gehen, Miss Seanorth.»
«Vielen Dank, Professor Tofty und einen schönen Tag. Einen schönen Tag, Minister, die Herren», verabschiedete ich mich und verliess beschwingten Schrittes den Konferenzraum und das Zaubereiministerium. Und so bald, schwor ich mir, würde ich es bestimmt nicht wieder betreten.
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