21. Kapitel
«Was soll das nun wieder heissen, 'die letzte Absicherung, wenn euer Plan mit dem Ritual fehlschlägt'?», grummelte Jessie.
«Nun, für mich klingt das so, als fände Finëa eure Idee, den Ritualzauber wieder zu errichten, doch gar nicht so schlecht», meinte Helena.
«Aber weshalb ist sie dann gegangen?», fragte Kaspar verwirrt. «Wir brauchen doch ihre Hilfe, um diesen Zauber aufzubauen.»
Helena zuckte mit den Achseln und liess ihren Blick über den staubigen Raum schweifen. «Ich kenne mich nur sehr wenig mit Ritualzaubern aus.»
«Ja, aber es muss doch auch für dich so aussehen, als wolle Finëa uns nicht helfen, Helena», wandte ich ein.
Langsam nickte Helena. «Ja, so scheint es.» Nachdenklich legte sie den Kopf zur Seite. «Ich werde mit ihr reden, vielleicht kann ich sie umstimmen, aber vielleicht solltet ihr auch eine andere Möglichkeit suchen.» Mit diesen Worten verliess auch Helena den Raum und liess Kaspar, Jessie und mich zu dritt zurück.
«Und jetzt?», fragte Kaspar schliesslich.
Wir sahen uns an.
«Auf jeden Fall werden wir Patrick und Elias von diesem Schutzzauber erzählen», sagte Jessie. «Dann treiben wir noch einige andere Schülerinnen und Schüler auf, die beim Ritual mitmachen. Ginny, Luna ... vielleicht Tristan ... ja, und dann führen wir dieses Ritual durch und errichten den Schutzzauber über Hogwarts neu.»
«Und was ist, wenn Professor Finjarelle uns nicht hilft?», fragte Kaspar zweifelnd.
«Dann ... dann finden wir einen anderen Weg», sagte Jessie entschlossen.
«Wir fragen Gawain», beschloss ich. «Wir können ihn in den Weihnachtsferien fragen, das ist ja nicht mehr lange hin. Bis dahin können wir die Leute zusammentrommeln, die wir brauchen, und dann können wir nach Weihnachten gleich loslegen.
«So machen wir es», sagte Jessie. In ihren Augen konnte ich ein entschlossenes Funkeln sehen.
Ginny Weasley, Luna Lovegood und auch Tristan Landers abzupassen war nicht weiter schwierig, immerhin waren sie regelmässig im Gemeinschaftsraum der Finjarelles, mit Patrick O'Connor und Elias Montan war es da schon etwas schwieriger. Kaspar, Jessie und ich fingen ihn nach einer der Kooperationsstunden ab, in der wir Verwandlung, Zauberkunst und Theoretische Magie kombiniert hatten.
«Was gibt's?», fragte Patrick fröhlich wie immer.
«Was würdet ihr davon halten, wenn wir euch sagen, dass wir eine Möglichkeit kennen, Hogwarts vor Voldemort zu schützen?», fragte ich die beiden unumwunden.
Patrick liess seine Tasche fallen, als ich Voldemorts Namen nannte, während Elias heftig zusammenzuckte.
«Jetzt habt euch nicht so», grummelte ich. «Also, was haltet ihr davon?»
«Klingt zu gut um wahr zu sein», erklärte Patrick nachdem er seine Tasche wieder aufgehoben hatte.
«Allerdings», stimmte Elias ihm zu.
«Wärt ihr dabei?», hakte ich nach.
«Natürlich!», gab Patrick zurück.
«Kommt natürlich darauf an, was genau diese Möglichkeit beinhaltete», relativierte Elias.
«Nun ja ... das wissen wir auch noch nicht so genau», gestand ich ein und lotste gemeinsam mit Kaspar und Jessie die beiden vom Klassenzimmer und den belebten Korridoren weg hin zum Gemeinschaftsraum der Finjarelles.
«Und wo gehen wir jetzt hin?», fragte Patrick und sah über meine Schulter hinweg, den ausgestorbenen Gang entlang, der um einige Ecken bog, schliesslich die Galerie oberhalb der Eingangshalle entlangführte und durch die verrostet aussehende Tür auf den Dachboden der Grossen Halle.
«Hier geht's zum Gemeinschaftsraum des fünften Hauses, stimmts?», fragte der Hufflepuff gewitzt.
«Stimmt», sagte Kaspar und setzte sich an die Spitze unserer Gruppe. Er öffnete die Tür zum Schrank und führte Elias und Patrick dann hinein in das Labyrinth hölzerner Schrankwände. Eine Weile irrten wir durch die nur schwach erleuchtete, engen, hölzernen Korridore, bis wir schliesslich in eine Sackgasse kamen und Kaspar die Wand gekonnt bei Seite schob.
Elias und Patrick linsten zu beiden Seiten an meinem besten Freund vorbei, der schliesslich einen Schritt in den Raum hinein ging und den beiden den Blick in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles freigab.
«Wow», sagte Patrick leise und machte einige zaghafte Schritte auf den Dachboden. Elias folgte seinem besten Freund und sah sich neugierig um. Er musterte alles so genau, als wolle er sich den Anblick für immer einprägen. Und vielleicht wollte er das auch, Elias war ein Ravenclaw, wer konnte da schon wissen ...
«Genial», sagte Patrick nach einer ganzen Weile. «Und da geht es zu den Schlafsälen?», fragte er und deutete Gänge zu beiden Seiten des Kamins, einer auf dieser Ebene, einer eine Ebene höher.
«Genau. Auf diesem Stockwerk die Jungs, eins höher die Mädchen», erzählte Kaspar.
«Und das hier?», fragte Elias und zeigte auf drei zusammengeschobene Tische mit Reagenzgläsern, Petrischalen und verschiedenen Kesseln, die nahe einem der Lukarnenfenster standen. Unter dem Tisch lagen Kisten mit allerlei Zutaten, solche für Zaubertränke, wie auch alchemistische.
«Oh, das sind die Versuchsaufbauten der Zwillinge ... Fred und George Weasley», sagte Kaspar grinsend. «Der Gemeinschaftsraum eines Hauses, das es offiziell gar nicht gibt, ist ein guter Ort um an geheimen Experimenten zu arbeiten.»
«Definitiv», sagte Patrick, der sich vorsichtig den Versuchsaufbauten näherte und versuchte herauszufinden, was die Zwillinge hier genau trieben.
«Ich nehme an, ihr drei verbringt den grössten Teil eurer freien Zeit hier», sagte Elias, der seine Aufmerksamkeit mittlerweile den Bücherregalen zugewandt hatte, die sich unter den Fenstersimsen den ganzen Raum entlang zogen.
«Welche freie Zeit?», gab ich trocken zurück. «Genau wie du habe ich acht UTZ-Fächer, dann ist da noch diese Vertiefungsarbeit und natürlich die DA ...»
«Und dann musst du noch die ganze Zeit bei irgendeinem Lehrer Nachsitzen», ergänzte Patrick kopfschüttelnd. «Ich wundere mich ehrlich gesagt, wie du all deine Hausaufgaben geschafft kriegst.»
«Ich mich auch», grummelte ich und brachte die anderen damit zum Lachen.
«Nun gut, was war das nun für eine Möglichkeit, mit der wir Hogwarts gegen Du-weisst-schon-wen verteidigen können?», fragte Elias und ich begann von dem Schutz-Ritualzauber zu erzählen, von dem Finëa berichtet hatte. Elias und Patrick hörten nachdenklich und neugierig zu und stellten einige Fragen.
«Wenn ihr möchtet, können wir euch auch noch den Raum zeigen, in dem wir die Überreste des Ritualzaubers gefunden haben», bot ich an.
Patrick sah zu Elias hinüber, doch dieser schüttelte den Kopf. «Das wird vorerst nicht nötig sein. Was wisst ihr sonst noch über dieses Ritual?»
Elias war der Meinung, dass wir unbedingt so bald wie möglich nach einer Möglichkeit suchen sollten, das Schutzritual wieder zu beschwören. Mit anderen Worten: Wir beschlossen unser Glück wieder einmal in der Verbotenen Abteilung der Bibliothek zu suchen. Leider wollte Finëa uns nicht die Erlaubnis dazu geben, weshalb wir uns wieder einmal hineinschleichen mussten, aber Kaspar, Jessie und ich waren nach sechs Jahren Hogwarts schon ziemlich versiert darin. Elias und Patrick nicht und sie waren auch nicht übermässig begeistert von unserer Versiertheit.
«Wie viel Mal habt ihr euch bereits hier eingeschlichen?», fragte Patrick, nachdem wir die Tür der Verbotenen Abteilung hinter uns zugeschlagen und einige Regale zwischen uns und den öffentlich zugänglichen Teil der Bibliothek gebracht hatten.
«Keine Ahnung mehr, ich hab' irgendwann aufgehört zu zählen», gestand ich. «Aber ... aber ich war auch oft mit Erlaubnis hier.» Professor Snape hatte mir in meinem vierten Jahr die Erlaubnis gegen, als wir auf der Suche nach einem Geisterbeschwörungsritual gewesen waren. Wir hatten versucht Salazar Slytherin zu rufen, um mehr über die Kammer des Schreckens zu erfahren. Damals hatte es Wochen gedauert, bis wir ein Ritual gefunden hatten. Mein Vater hatte schliesslich irgendwo einen verstaubten Index gefunden, anhand dem wir gezielt nach Geisterbeschwörungsritualen hatten suchen können. Ich hoffte, dass wir auch dieses Mal auf einen solchen Index stossen würden, doch wir wurden nicht fündig.
Die Weihnachtsferien rückten näher, die Stimmung wurde ausgelassener und der Schnee immer höher. Wir schlichen uns noch einige Male in die Verbotene Abteilung, doch Elias und Patrick war nie wohl dabei und schliesslich zogen Kaspar, Jessie und ich wieder allein los, jedoch erfolglos.
«Wir könnten es noch einmal in der grossen Bibliothek von Londinium versuchen», schlug Jessie schliesslich vor. «Ich nehme an, ihr fahrt über die Ferien auch nach Hause?»
Das taten wir. Und so schmiedeten wir eifrig Pläne, wann und wo wir uns in Londinium treffen würden, immerhin wohnten Jessie und ihr Vater seit dem Sommer auch in der verborgenen Stadt.
Das letzte DA-Treffen vor den Ferien kam, ohne dass wir in der Bibliothek – weder im öffentlich zugänglichen Bereich noch in der Verbotenen Abteilung – fündig geworden wären, aber da wir uns ohnehin in der Bibliothek von Londinium umsehen wollten, störten sich weder Jessie noch Kaspar noch ich sonderlich daran.
Ich war etwas früher dran als sonst – Kaspar hatte sich mit Jessie bei den Finjarelles getroffen und die beiden wollten lieber ungestört sein, Angelina und Alicia waren dabei, die Quidditchmannschaft von Gryffindor wieder aufzustocken, und die Zwillinge unterhielten sich zusammen mit Lee in einer Ecke des Gemeinschaftsraums über Geschäftliches, womit ihre Erfindungen gemeint waren und was sie damit anfangen sollten. So kam es jedenfalls, dass ich an diesem Abend allein durch die Korridore streifte. Meine Füsse trugen mich Richtung Bibliothek – vielleicht traf ich dort ja auf Patrick und Elias und dann könnte ich mit dem hyperaktiven Hufflepuff und dem abgedrehten Ravenclaw hoch in den siebte Stock gehen.
«He, Seanorth! Warte!» Schritte und eine Stimme klangen hinter mir durch den Korridor. «Warte, Adrienne!»
Verärgert biss ich die Zähne zusammen und ging weiter, als ob ich nichts gehört hätte – na ja, verärgert war eigentlich nicht das richtige Wort.
«Warte, Adrienne!», hörte ich die Stimme erneut hinter mir, zusammen mit den Schritten in regelmässigem, aber schnellem Rhythmus.
Ich wartete nicht, beschleunigte aber auch nicht mein Tempo. Die Schritte kamen näher und kurz darauf hatte Adrian Pucey mich eingeholt. Er war kaum ausser Atem, als er seine Schritte verlangsamte. Ganz klar eine Folge des regelmässigen Quidditchtrainings. Ich war mir nicht sicher, ob ich auch so wenig ausser Atem wäre, wenn ich die Marmortreppe hinauf und durch die Korridore gerannt wäre, immerhin lagen meine Trainingseinheiten mit Gawain im Sommer schon eine Weile zurück und seither hatte ich mich nur selten sportlich betätigt – abgesehen vom Kampf gegen den Drachenmensch-Inferius natürlich und gelegentlichem Gerenne, durch die Schlossgänge, wenn ich zu spät dran war.
«Was willst du, Pucey?», fragte ich in möglichst gleichgültigem Ton.
«Dich an dein Versprechen erinnern», sagte Pucey im gleichen Tonfall.
Meine Stirn legte sich in Falten. Welches Versprechen?
«Mein Leben dafür, dass ich dich einfach nur loslasse», half Pucey mir auf die Sprünge.
Ah, er sprach von dem Abend, als wir zusammen im Quidditchstadion waren – dem zweiten Abend, wohlgemerkt, der damit geendet hatte, dass ich Pucey ausversehen in meiner Obscurusgestalt angegriffen hatte und ihn danach zusammen mit meinem Vater in seinen Schlafsaal hatte bringen müssen. Dem letzten Abend, an dem wir miteinander gesprochen hatten; seither hatten wir kein Wort mehr gewechselt.
Ich blieb stehen und wandte mich ihm zu. Pucey hielt ebenfalls inne. Er sah gut aus, mit dem verwuschelten schwarzen Haar, den breiten Schultern, ... von meinem Angriff war nichts mehr zu sehen.
«Ich wollte dich nicht angreifen», gestand ich.
Puceys Lippen verzogen sich zu seinem nervigen Grinsen, das das gute Aussehen gleich wieder schmälerte, aber nicht gänzlich zunichte machte.
«Das hätte mich auch ehrlich verwundert. Vielmehr denke ich, dass du eigentlich auf meine Küsse stehst», sagte er grinsend.
Dieses Grinsen, wie ich es hasste.
Mein Gesicht verfinsterte sich bei seinen Worten. Und noch mehr, als er seine Hand ausstreckte und an meine Wange legte, um mit seinen Fingern die dünne, grüne Narbe aus meinem Kampf gegen den Drachenmensch-Inferius nachzufahren.
«Lass das», fauchte ich und packte sein Handgelenk.
Pucey biss die Zähne zusammen, als sich meine Hand mit der Kraft einer Fey um sein Handgelenk schloss, verzog aber ansonsten keine Miene. Schritte hallten durch den Korridor und ich liess zu, dass Pucey mich etwas zur Seite schob, damit die anderen Schüler vorbei kamen.
«Du hast versprochen, mir das Kämpfen beizubringen», sagte Pucey eindringlich. «Dafür musst du aber aufhören, mir aus dem Weg zu gehen.»
Ich konnte nicht anders, als zu lachen. «Du gehst mir aus dem Weg. Seit diesem ... Abend gehst du mir aus dem Weg, Pucey», erinnerte ich ihn. «Hast du Angst vor mir?»
Etwas regte sich in Puceys Augen – verletzter Stolz? – doch sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt. «Ich und Angst? Bestimmt nicht», gab er zurück.
Wieder brach ich in Lachen aus. Pucey hatte wirklich Angst vor mir. «Gib's doch einfach zu», stichelte ich breit grinsend.
«Und wenn schon», brummte er und sah im Korridor auf und ab. Mittlerweile waren wir wieder allein. «Es ist keine angenehme Erfahrung, von einem Obscurus angegriffen zu werden.»
Da hatte Pucey allerdings recht.
«Und, wirst du dein Versprechen nun halten und mir das Kämpfen beibringen?», fragte er nach einer kurzen Pause.
«Natürlich», sagte ich leicht verärgert.
«Natürlich», wiederholte Pucey. «Immerhin bist du eine Gryffindor und es wäre ehrlos, ein Versprechen zu brechen.»
Meine Augen verengten sich. «Immerhin bist du ein Idiot, der einen Blutschwur geschworen hat, mich zu beschützen, obwohl dir mit nur einem kleinen bisschen Nachdenken hätte klar sein müssen, dass du gar nicht dazu in der Lage bist, mich zu beschützen. Ich will nur nicht, dass du wegen deiner Dummheit abnippelst», gab ich verärgert zurück.
«Schon klar, eigentlich bist du viel zu grosszügig für diese Welt und gehörtest eigentlich nach Hufflepuff», konterte Pucey genauso verärgert. «Wann fangen wir an? Von mir aus, können wir sofort beginnen.»
«Keine Zeit – jedenfalls nicht vor den Ferien, und über die Ferien fahre ich nach Hause. Du wirst warten müssen, bis im nächsten Jahr – und hoffen, dass deine Dummheit dich bis dahin nicht in Schwierigkeiten bringt», sagte ich und wandte mich von Pucey ab. Doch das war ein Fehler.
Sofort packte Pucey mich, schlang seine Arme Schraubstockartig um meinen Oberkörper und hob mich hoch, so dass ich meine Arme nicht mehr bewegen und selbst strampelnd den Boden nicht mehr erreichen konnte.
«Lass mich runter, du Idiot. Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn», knurrte ich. Das DA-Treffen würde nächstens anfangen.
«Nicht so frech, liebe Adrienne», flüsterte Pucey in mein Ohr.
«Lass mich runter!», knurrte ich erneut.
«Na, na», säuselte er. «Was hab' ich denn davon?»
«Wie wär's mit keinem gebrochenen Arm und keinem Schlag in die Magengrube?», gab ich zurück.
Pucey lachte. «Ne, das haben wir doch schon mal diskutiert.»
Hatten wir. Und damals hatte ich mich darauf eingelassen – diesmal jedoch hatte ich keine Geduld für dieses Spielchen. Ein weiteres Knurren entrang sich meiner Kehle, diesmal jedoch war es wilder, ungezähmter. Ich griff auch meine Feykräfte zu und drückte mit einer Kraft, gegen die Pucey nichts ausrichten konnte, gegen seine Arme. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis der Druck zu gross war und Pucey mich nicht mehr halten konnte. Kaum hatte ich festen Boden unter den Füssen, wirbelte ich herum und boxte Pucey in den Magen – das hatte er verdient – und eilte dann den Flur entlang ausser Sicht, schneller als ein Mensch das können sollte.
Das DA-Treffen hatte bereits begonnen, als ich im Raum der Wünsche ankam, jedoch hatte ich nichts verpasst: Harry hatte beschlossen, dass wir heute nichts Neues machen, sondern nur die Zauber wiederholen würden, die wir bereits durchgenommen hatten. Auch gut. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich auf einen neuen Zauber hätte konzentrieren können, ich war viel zu verärgert von meinem Treffen mit Pucey.
«Was ist los?», fragte Jessie mich, nachdem Harry das Training beendet hatte. «Weshalb bist du so wütend, Adrienne?»
Immer noch mit einem Knurren in der Stunde berichtete ich Jessie von meinem Zusammenstoss mit Pucey, während wir meinem Bruder, Ron und Hermine halfen, die Kissen aufzusammeln, die wir für den Schockzauber gebraucht hatten. Der Raum der Wünsche leerte sich langsam, die anderen Schüler verliessen ihn lachend und schwatzend in kleinen Gruppen, immer nur wenige, damit wir nicht auffielen. Jessie hielt mich zurück, während Kaspar den Raum mit den anderen Gryffindorjungs aus der Siebten verliess.
«Weshalb erzählst du mir erst jetzt von Pucey?», fragte Jessie vorwurfsvoll.
«Keine Ahnung ... wahrscheinlich, weil wir in letzter Zeit einfach noch so viel anderes um die Ohren hatten», gestand ich leise, das Knurren war mittlerweile aus meiner Stimme verschwunden.
«Schon, aber so etwas wichtiges wie ein Kuss, enthält man seiner besten Freundin nicht vor», sagte Jessie, klang dabei zum Glück jedoch nicht übermässig beleidigt.
«Ein Kuss von Pucey ist nichts wichtiges», hielt ich dagegen. «Er ist ein Idiot, das ist alles. Und ich hätte ihn nicht küssen sollen».
Jessie nickte beifällig. «Definitiv, Idioten sollte man nicht küssen.» Ein Funkeln tauchte in ihren Augen auf. «Auch wenn er ein Idiot ist ... küsst Pucey denn gut?»
«Was?», fragte ich verwirrt.
Wir waren mittlerweile fast die letzten im Raum der Wünsche
«Nun ja, Pucey ist ziemlich ... begehrt bei den Slytherin-Mädchen – und ich glaube auch bei einigen Jungs. Und da nimmt es mich einfach Wunder ...», meinte Jessie gespannt.
Ich musste lachen. «Denkst du, er wäre so begehrt, wenn er schlecht küssen würde?»
«Nein», sagte Jessie. «Hmm, ich muss sagen, ich bin doch etwas neidisch auf dich, Adrienne, wenn Pucey wirklich so gut küsst, wie alle sagen.»
«Was? Du hast Adrian Pucey geküsst, Adrienne?»
Die Stimme war unvertraut trotz all den Stunden, die wir während der DA-Treffen zusammen verbracht hatten, doch schon am vorwurfsvollen Tonfall erkannte ich, wer mich da angesprochen hatte. Cho Chang und ihre beste Freundin Marietta Edgecombe standen nur wenige Schritte von Jessie und mir entfernt und Cho sah mich entgeistert an.
«Du hast Pucey geküsst? Wie konntest du das Cedric antun? Hast du ihn denn überhaupt geliebt?», fragte Cho.
Cedric. Der Name traf mich wie ein Schlag. «Natürlich habe ich ihn geliebt!», verteidigte ich mich, ohne nachzudenken.
«So sah es aber nicht aus, vorhin», sagte Marietta gehässig.
«Was? Vorhin?», ich konnte der Ravenclaw nicht ganz folgen.
«Wir haben euch beide gesehen, dich und Pucey, vor dem DA-Treffen, wie ihr geflirtet habt. In der Nähe der Bibliothek, mitten auf dem Korridor. Er hat deine Wange gestreichelt», erklärte Marietta bereitwillig.
«Was? Nein, das stimmt nicht!», verteidigte ich mich.
«Oh doch, das stimmt. Wir haben euch gesehen», sagte Cho. «So verhält sich niemand, der verliebt ist und trauert.»
«Glaubst du wirklich, Chang, das Cedric wollen würde, dass Adrienne aus Kummer um ihn nie mehr jemanden küsst?», mischte sich nun Jessie ein.
«Natürlich nicht», sagte Cho empört, «aber es ist noch kein halbes Jahr her, seit er ge-ge-gestorben ist.» Sie schniefte, was Jessie mit einem verächtlichen Blick kommentierte. «Du bist eine Slytherin, Silver. Natürlich verstehst du das nicht. Wie könntest du das auch.»
«Jetzt hör mir mal gut zu, Chang», sagte Jessie und machte einen Schritt auf Cho zu, der diese zurückweichen liess. «Cedric, Adrienne und ich, wir waren seit der ersten Klasse befreundet. Wir kannten Cedric also sehr viel besser als du, das getan hast, Chang. Glaub nicht, dass eine kurze romantische Beziehung mehr bedeuten würde als jahrelange Freundschaft. Glaub nicht, dass du Cedric deswegen besser kennen würdest. Denn das sage ich dir: Cedric würde nicht wollen, dass wir aus Trauer um ihn unser eigenes Leben vernachlässigen. Er würde wollen, dass wir weitermachen, dass wir unser Leben leben, Fehler machen und daraus lernen. Er würde wollen, dass wir unseren Weg finden und glücklich werden.»
«Du kannst nicht wirklich glauben, Silver, dass Cedric wollen würde, dass seine Freundin mit einem Slytherin geht – vor allem nicht mit einem Idioten wie Pucey. Aber wie solltest du das auch verstehen, Silver», hielt Cho dagegen und Marietta unterstützte ihre Worte mit einem entschiedenen Nicken.
Ein Knurren drang aus meiner Kehle. Jessie hatte Recht, da war ich mir ziemlich sicher, sonst hätte sich Cedric an Samhain Pucey gegenüber ganz anders verhalten. Und nun besass Cho die Frechheit, etwas anderes zu behaupten und noch dazu meine beste Freundin zu beleidigen. Erneut knurrte ich und es war dasselbe wilde, ungezähmte Knurren wie früher am Abend bei Pucey.
«Komm, Adrienne, das ist unter unserer Würde, mit denen beiden zu diskutieren», sagte Jessie, nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Raum der Wünsche, bevor ich endgültig die Beherrschung verlieren konnte.
Bevor die Tür zum verborgenen Raum hinter uns zufiel, konnte ich Marietta noch sagen hören: «Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, weshalb Cedric sich für sie entschieden hat, Cho. Sie ist einfach nur unheimlich, während du lieb bist und einfühlsam und wunderschön. Aber Adrienne ist ziemlich gut in Zaubertränke, habe ich von Melanie Cole gehört und ausserdem ist Snape ihr Vater – vielleicht hatte sie ja einen Liebestrank oder so.»
Nur mit Mühe gelang es Jessie mich davon abzuhalten, nicht sofort zurück in den Raum der Wünsche zu stürmen und Marietta zu sagen, was ich von ihr hielt. Stattdessen schleifte Jessie mich durch die ausgestorbenen Korridore – es war schon kurz vor der Ausgangssperre – bis zum Portrait der fetten Dame, wo sie mich resolut aufforderte, ins Bett zu gehen, weil sich der ganze Ärger, den ich mir einhandeln würde, wenn ich Marietta Edgecombe an die Gurgel ginge, nicht lohnen würde. Ich war mir da nicht so sicher, leistete aber schliesslich Jessies Anweisung folge.
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