2. Kapitel
Mein Gehör kehrte nur sehr langsam zurück. Da waren hektische Stimmen um mich herum, dann schlug etwas fest gegen meine Brust und schickte eine gleissend helle Kraft durch mich hindurch. Ich keuchte, riss meine Augen auf und sah in die wütenden Raubkatzenaugen meiner Ma.
Sie war nicht die Einzige, die mich verärgert anstarrte, während ich mich aufrappelte. Ich sass, beziehungsweise lag auf dem langen Tisch in der Küche.
«Zweifellos eine beeindruckende Leistung, Adrienne», erklang eine nachdenkliche Stimme zu meiner Rechten und mein Kopf fuhr herum. Professor Dumbledore sass auf einem Stuhl und seine eisblauen Augen schienen mich zu durchbohren. «Du hast es tatsächlich geschafft, meinen Imperturbatio-Zauber zu brechen. Äusserst beeindruckend.»
«Und dumm», setzte Ma knurrend hinzu. «Der Zauber hätte dich das Leben kosten können.»
«Aber ich lebe noch!», entgegnete ich trotzig. Eigentlich hätte ich erschöpft sein müssen, Angst haben müssen, aber ich fühlte mich, als könnte ich von London nach Hogwarts und wieder zurück rennen. Jede einzelne Faser meines Körpers schien vor Kraft zu beben; ich war hibbelig und es kostete mich unglaublich viel Mühe, ruhig auf dem Tisch sitzen zu bleiben. Ganz ähnlich hatte ich mich Ende des letzten Schuljahrs gefühlt, als Ma meine Erschöpfung mit ihrer Magie vertrieben hatte. Das gleiche hatte sie heute Abend offenbar wieder getan.
«Ja, du lebst noch, weil Gawain dich rechtzeitig hierhergebracht und Lena dich mit ihrer Magie aufgeweckt hat», sagte Dumbledore ernst.
«Und was jetzt? Weisen wir sie in den Orden ein?», fragte eine Stimme in meinem Rücken und ich sah mich um. Es war Tonks, die gesprochen hatte und sich dabei verärgerte Blicke und lautstarken Protest einfing.
«Was hast du gehört, Adrienne?», fragte Dumbledore und wieder durchbohrte mich dieser eisblaue Blick.
«Nicht viel ...», wiegelte ich ab.
Dumbledore sah mich weiterhin an und wartete.
Ich wand mich unter seinem Blick. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und aus der Küche verschwunden. Mit der Kraft, die immer noch in meinem Körper vibrierte, würde ich keine Probleme haben, eine magisch versiegelte Tür zu durchbrechen, wenn es denn sein musste.
Eine starke Hand schloss mich um mein Handgelenk, bevor ich meinen Fluchtplan in die Tat umsetzen konnte. Missmutig sah ich hoch und mein Blick traf auf Gawains, der mich warnend ansah.
«Nicht viel», sagte ich erneut. «Nur etwas von einer Prophezeiung, der Mysteriumsabteilung und Todessern.»
Verärgertes Gemurmel setze an, einige seufzten und Sirius begann wieder zu lachen.
«Nicht viel», wiederholte mein Vater und sah mich mit diesem Blick an, den er immer aufsetzte, um Schüler einzuschüchtern.
«Nur genau das, das du auf keinen Fall hättest hören sollen», setzte Jake hinzu. «Sie kommt ganz klar nach dir, Sev.»
«Vermutlich.» Ein kleines Lächeln kräuselte sich auf den Lippen meines Vaters, bevor er seinen Kopf zu Jake wandte. «Soll das eine Beleidigung sein oder ein Kompliment, Jake?»
Jake zuckte mit den Schultern. «Wie man's nimmt.»
«Was jetzt?», fragte Kingsley und sah mich nachdenklich an.
«Ich könntet mich einfach in den Orden einführen», schlug ich kühn vor, «wenn ich schon genau das weiss, was ich nicht wissen sollte.»
«Oder wir obliviieren dich», entgegnete Kingsley.
«Ich denke nicht, dass das klug wäre», sagte Ma langsam.
«Kathleen–», protestierte Mrs Weasley, doch Ma hob die Hand und Mrs Weasley verstummte.
Forschend sah Ma mich an. Mutig erwiderte ich ihren Blick.
«Adrienne ist nicht nur menschlich ...», sagte sie zögernd. «Sie trägt auch die Kräfte der Fey in sich und einen veränderten Obscurus. Wer weiss, was passieren könnte, würden wir uns an ihrem Gedächtnis zu schaffen machen.»
«Na, dann ist es wohl entschieden», sagte Sirius und drängte sich zu mir durch. «Wir nehmen die kleine Iris in den Orden auf», sagte er grinsend, den Spitznamen nutzend, den er mir letzten Sommer verpasst hatte. Iris. Schwertlilie. Weil ich Lily so ähnlichsah und die ganze Zeit mit einem Schwert rumfuchtelte, wie er das nannte. Aber gegen mich anzutreten hatte er sich nicht getraut.
«Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig», sagte Dumbledore und sah mich weiterhin mit diesem eisblauen, berechnenden Blick an. «Adrienne, schwörst du, dass du nichts von dem, was du heute Abend hier erfährst und dass du später erfahren wirst, weitersagen wirst? An niemanden; auch nicht an Kaspar oder Jessica Silver?»
Ich nickte ernst, doch Dumbledore schien damit noch nicht zufrieden. «Ich schwöre es», sagte ich leise.
«Und schwörst du, dich voll und ganz dem Kampf gegen Lord Voldemort zu verpflichten, an der Seite des Ordens zu kämpfen, wenn die Zeit kommt?», fuhr Dumbledore fort.
Mrs Weasley protestierte und auch von einigen anderen wie meinem Vater und von Jake kamen Einwände, doch Dumbledore ging nicht darauf an. Er sah mich weiterhin erwartungsvoll an.
«Ich schwöre es», sagte ich fest. Das zu schwören fiel mir nicht schwer, denn genau das hatte ich bereits an Cedrics Grab geschworen. «Ich schwöre es bei Cedric», wiederholte ich entschlossen.
Einen Moment lang glaubte ich ein triumphierendes Lächeln auf Dumbledores Gesicht zu sehen, doch dann hatte er wieder sein ernstes Gesicht aufgesetzt. «Wir werden dich heute nicht vollständig in den Orden einführen, Adrienne. Du gehörst nun zum Orden des Phönix, aber du gehst auch immer noch zur Schule, weswegen es noch eine Weile dauern wirst, bis du voll und ganz an unserer Seite kämpfen kannst. Lena wird dich heute Abend in alles einweihen, fürs Erste kannst du einen Platz an diesem Tisch einnehmen und zuhören.»
Schnell nickte ich und setzte mich zwischen Gawain und Jake. Beide sahen mich mit gerunzelter Stirn an. Jake war verärgert, Gawain ... nachdenklich? Besorgt? Verärgert, sagte mir das Gefühl, das kurz darauf gegen die Barriere brandete, die unsere Gefühle voreinander abschirmte. Aber da war auch Sorge.
Ich nahm mich zusammen und konzentrierte mich auf die Versammlung. Wenn ich schon das Privileg hatte, zum Orden zu stossen, dann wollte ich das auch voll und ganz auskosten. Sie sprachen von Bündnissen, die sie geschmiedet hatten und schmieden wollten. Sowohl zu Leuten aus der Zaubererwelt wie auch zu anderen magischen Gemeinschaften. Es ging darum, wie man mit Leuten Kontakt aufnehmen sollte, wie man sie davon überzeugen sollte, dass Voldemort wirklich zurückgekehrt war, ohne damit die Aufmerksamkeit des Ministeriums oder der Todesser zu erregen. Es schien, als bekomme der Orden immer noch die meiste Unterstützung von ausserhalb der Zauberergemeinschaft, dabei war es doch eben diese, die am meisten bedroht war. Danach ging es um die Überwachung von Todessern und dann war die Versammlung auch schon beendet.
Die Ordensleute erhoben sich, schwatzten und warfen mir immer wieder Blicke zu. Ma machte mir ein Zeichen, wieder zu ihr und Dumbledore zu kommen. Ma schien wie selbstverständlich die Rolle als Dumbledores rechte Hand eingenommen zu haben. Und wahrscheinlich war das für sie auch selbstverständlich, nach allem, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten, immerhin hatten sie gemeinsam gegen Grindelwald gekämpft. Und zuvor hatten die drei zusammen die Ideen ausgeheckt, die überhaupt dazu geführt hatten, dass Grindelwald sich erhoben hatte.
«Adrienne», sagte Dumbledore, als ich neben die beiden getreten war, «Lena wird dir heute Abend alles erklären, was du wissen musst. Du wirst in Zukunft nicht mehr an den Versammlungen teilnehmen – das wird ohnehin unmöglich sein, sobald du nach Hogwarts zurückkehrst. Wenn es etwas Wichtiges gibt, werden wir es dich wissenlassen.»
«Und wenn wir dich brauchen, werden wir einen Weg finden, damit du an unserer Seite kämpfen kannst», fügte Ma hinzu. Wieder glaubte ich einen triumphierenden Ausdruck über die Gesichter der beiden huschen zu sehen, doch ich war mir nicht sicher, ob meine Augen mich nur getäuscht hatten.
«Sehr gut», sagte Dumbledore schliesslich und erhob sich von seinem Stuhl. «Wir sehen uns, Lena. Und dir, Adrienne, noch einen schönen Sommer ... und übe dich im Kämpfen. Der Tag wird kommen, an dem du über jede einzelne Trainingsstunde froh sein wirst.»
Entschlossen nickte ich und als ich Dumbledores Blick diesmal erwiderte, sah ich nicht den Schulleiter, sondern einen grimmigen, mächtigen Zauberer der genau wusste, wovon er sprach. Der wusste, was es hiess zu kämpfen, und er war bereit, den Kampf erneut aufzunehmen.
Kaspar, Jessie, die Zwillinge, Harry, Ron, Hermine und Ginny betraten etwas später angeführt von Mrs Weasley die Küche. Kaspar und Jessie drängten sich sofort zwischen den verbliebenen Ordensleuten zu mir durch.
«Geht es dir gut?», fragte Jessie besorgt.
«Ja, mir geht's gut», wiegelte ich ab.
«Sicher?», fragte sie erneut. «Du warst vorhin auf einmal ganz komisch, es hat so gewirkt, als könntest du uns nicht mehr hören, ganz egal, wie lange wir dich angeschrien und an dir gerüttelt haben. Und dann bist du plötzlich umgekippt und nur Sekunden später kam Gawain ins Zimmer gestürmt, hat dich auf die Arme genommen und ist mit dir nach unten verschwunden.»
«Alles gut. Mir geht's gut, Jessie», versuchte ich meine Freundin zu beruhigen, doch sie wollte mir offenbar nicht glauben.
«Es war ganz seltsam», setzte nun Kaspar hinzu. «Auf einmal ist eine seltsame Magie von dir ausgegangen. Sowas hab ich ... schon lange nicht mehr gespürt», rasch sah er sich um und senkte die Stimme. «Nicht mehr, seit ich in dieser Zeit bin.»
Beunruhigt sahen Jessie und ich ihn an.
«Das war Feymagie, Adrienne. Ureigene Feymagie», flüsterte Kaspar.
«Und was ist so schlimm daran?», erwiderte ich genauso leise.
«Du dürftest diese Art der Magie gar nicht besitzen, Adrienne», sagte er eindringlich. «Nicht einmal Halbfey können diese Kräfte nutzen und du besitzt nur ein winziges bisschen Feyblut.»
Aber dieses winzige Bisschen schien stärker zu sein als das Blut eines Halbfey. Jared zum Beispiel hatte ich letztes Jahr bei einem kleinen Wettrennen locker abgehängt – er besass die übernatürliche Schnelligkeit der Fey nicht. Und vermutlich auch nicht ihr hypersensibles Gehör und diese einschüchternde Aura, die sie um sich legen konnten. Und keine Feymagie. Was hatte meine Ma getan, dass all diese Kräfte auf mich übertragen hatte? Was war das für ein Blutzauber gewesen? Ma hatte einmal gesagt, dass sie mich mit diesem Zauber zu ihrer Tochter gemacht hatte. War es das gewesen, was sie damit gemeint hatte? War ich sowas wie ein Wechselbalg?
Der Geruch nach Abendessen riss mich aus meinen Grübeleien. Ich setzte mich neben Jessie und Kaspar und schöpfte mir grosszügig. Mas Magie hatte mich zwar wieder auf die Beine gebracht, aber nur Magie allein reichte nicht aus, um sich von einem so Zauber wie dem, den ich unwissentlich angewandt hatte, zu erholen, also schlug ich mächtig zu und schöpfte mir gleich zweimal nach. Als ich danach erneut nach der Schöpfkelle griff und die letzten Reste aus der Schüssel fischte und auf meinen Teller häufte, spürte ich die Blicke der anderen auf mir. Sie guckten amüsiert oder ungläubig, einige schüttelten die Köpfe, aber andere grinsten.
«Was?», fragte ich.
«Wie kannst du immer noch Hunger haben?», fragte George. «Sogar Ron ist mittlerweile satt.»
Ich zuckte mit den Schultern und griff wieder zur Gabel.
Während ich wieder zu essen begann, wandte sich Sirius an Harry. «Ehrlich gesagt, du überraschst mich, Harry. Ich hätte gedacht, sobald du hier ankommst, stellst du Fragen über Voldemort.»
Selbst mit halbvollem Mund brachte ich ein Schnauben hervor. Sirius hatte Harry nicht herumschreien hören wie wir es getan hatten. Oh, mein Bruder hatte Fragen zu Voldemort gestellt.
Sirius forderte Harry auf, seine Fragen nochmals zu stellen, bot an, diese zu beantworten, doch Mrs Weasley ging fauchend wie ein wütender Drache dazwischen. Sie wollte nicht, dass Harry etwas von den Angelegenheiten des Ordens erfuhr. Verzweifelt erbat sie sich Schützenhilfe, erst von ihrem Mann, dann von Remus und schliesslich wandte sie sich an Jake.
«James!», rief sie verzweifelt. «Du weisst, was Dumbledore gesagt hat: Harry soll nicht mehr wissen, was er wissen muss! Da kann man ihn doch nicht einfach dazu auffordern zu fragen, was auch immer er fragen will!»
Nun waren alle Augen auf Jake gerichtet, der bedächtig nickte. «Ja, Dumbledore hat das gesagt. Aber ich denke, da gibt es einiges, dass Harry wissen sollte.»
«Aber das ist noch lange kein Grund ihn aufzufordern, alles zu fragen!», rief Mrs Weasley.
«Wieso sollte er nicht nach allem fragen dürfen, was er wissen will, Molly? Harry muss sich einfach damit abfinden, wenn wir eine Antwort verweigern.» Fragend sah Jake zu Harry, der die Schultern straffte und dann nickte.
«In Ordnung», sagte mein kleiner Bruder.
Mrs Weasley schnaubte vor Wut und machte sich daran, ihre Kinder und Kaspar, Jessie und Hermine aus der Küche zu vertreiben, die jedoch laut protestierten.
«Und was ist mit Adrienne?», fragte Fred wütend, als Mrs Weasley darauf beharrten, dass sie zwar volljährig waren, aber als Hogwartsschüler trotzdem nichts erfahren durften.
«Adrienne bleibt», sagte Ma schlicht.
«Wieso darf sie bleiben und wir nicht?», fragte Fred, der nun Ma wütend anfunkelte.
Diese zog unbeeindruckt eine Augenbraue in die Höhe. «Die Umstände haben sich geändert, deshalb.» Dann wandte sie sich an Mrs Weasley: «Lass sie bleiben, Molly, sie alle. Sie alle halten zusammen wie Pech und Schwefel. Was auch immer wir Harry erzählen, die anderen werden es schlussendlich ebenfalls erfahren.»
Mrs Weasley legte erneut los, doch Ma schnitt ihr das Wort ab: «Du kannst ihnen nicht das Recht absprechen, neugierig zu sein oder nach Antworten zu suchen, Molly. Und egal was wir Harry erzählen – und Albus ist durchaus damit einverstanden, dass der Junge einige Informationen erhält – egal was wir erzählen, die anderen werden es schlussendlich von ihm erfahren. Ich halte es für klüger, wenn sie es direkt von uns hören.»
In jedem einzelnen ihrer Worte hatte die einschüchternde Macht der Fey mitgeschwungen und so bestand Mrs Weasleys einzige Erwiderung nun in empörtem Schweigen.
Gespannt hörte ich den Ausführungen von Jake und Sirius zu, während ich den letzten Rest von meinem Teller putzte.
Insgesamt erzählten Jake und Sirius nicht viel mehr, als wir bereits wussten: Dass der Orden versuchte, Leute davon zu überzeugen, dass Voldemort zurück war ... dass sie versuchten Bündnisse mit anderen magischen Gemeinschaften zu knüpfen ... was Fudge alles tat, um Dumbledore, der beharrlich von Voldemorts Rückkehr erzählte, unglaubwürdig zu machen und ihn in den Dreck zu ziehen .... Von den Wachdiensten, von denen wir mit den Langziehohren so viel gehört hatten, erzählten sie nichts und auch nicht von der Prophezeiung, von der ich vorhin gehört hatte. Dafür erklärten sie, welche Methoden Voldemort nutzte, um sich die Leute gefügig zu machen, und dass es nur wenige gab, die ihm etwas entgegenzusetzen hatten oder es wagten. Und schliesslich kam Sirius zu dem Punkt, der uns alle am meisten verwirrte: Weshalb zeigte Voldemort sich nicht?
«Er sucht nach Dingen, die er nur absolut heimlich beschaffen kann ... zum Beispiel nach einer Waffe.»
Mrs Weasley explodierte, wütete, dass Harry und die anderen kein Wort mehr erfahren sollten, da sie sie sonst auch gleich in den Orden einführen konnten. Ihr wütender Blick huschte kurz zu mir. Harry und die anderen hätten natürlich nichts dagegen, in den Orden eingeführt zu werden, wie sie lautstark verkündeten.
Der Streit fand erst ein Ende, als Ma sich erhob und ihre Aura der Macht wieder die Küche erfüllte. «Es ist spät», sagte sie streng. «Es ist an der Zeit, zu gehen. Adrienne, Kaspar, Jessie, wir gehen zurück nach Londinium.»
Gawain, der still dagesessen hatte, stand ebenfalls auf und ich tat es ihm gleich.
«Da hört ihr's!», fauchte Mrs Weasley. «Ab ins Bett mit euch!»
Den Weg nach Londinium legten wir schweigend zurück. Mit Ma und Gawain fühlte ich mich sicher, selbst wenn wir im Dunklen durch die zwielichtigsten Gegenden Londons liefen, doch ein Teil der Anspannung blieb. Die schwüle Hitze des Tages hatte etwas nachgelassen und eine kühle Brise strich durch die Strassen. Die frische Luft tat mir gut und vertrieb die letzte Erinnerung an den ungewollten Zauber aus meinen Knochen.
Erst als wir wieder in Londinium waren, fielen die Anspannung und Sorge, die mich umtrieb, sobald ich die sicheren Grenzen der verborgenen Stadt hinter mir liess, von mir ab. Bunte Laternen erhellten die Strassen, auch wenn Londinium nicht mehr so fröhlich war wie früher. Jessie verabschiedete sich an einer Kreuzung von uns und machte sich auf den Weg zu der Wohnung, die ihr Vater gemietet hatte, während Kaspar und ich mit Ma und Gawain zu unserer Wohnung weitergingen. Dort angekommen hiess Ma Kaspar und mich zu Bett gehen. Ich wollte protestieren, immerhin hatte Dumbledore ihr den Auftrag gegeben, mich in die Geheimnisse des Ordens einzuweihen, doch ein warnender Blick liess mich verstummen. Also tat ich wie geheissen, zog meinen Pyjama an, putzte die Zähne und verkrümelte mich in mein Zimmer. Kurz darauf klopfte es leise an meiner Zimmertür und Ma trat ein. Sie schloss die Tür hinter sich und versiegelte sie mit einem Zauber.
Breit grinsend kam sie weiter in den Raum herein und setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
«Ich muss sagen, deine Leistung heute war wirklich beeindruckend. Dass du Albus Zauber gebrochen hast, hat dir ein hartes Stück Magie abverlangt und es war sehr gefährlich, aber du hast es geschafft und einen seiner Zauber zu brechen ist keine Kleinigkeit.»
Unruhig knetete ich meine Hände. Weshalb war sie gerade auf dieses Thema gekommen? War es, weil sie wusste, dass mich dieses Thema stärker umtrieb, als die Sache mit dem Orden?
«Kaspar ... Er hat gesagt, dass ich dabei Feymagie angewandt habe ...»
Ma nickte, als sei es das Normalste auf der Welt.
«Und er sagte auch, dass ich das eigentlich gar nicht können sollte .... Wieso kann ich es trotzdem?», fragte ich schliesslich direkt.
Nachdenklich sah Ma mich an. «Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist da natürlich der Blutzauber. Es ist ein sehr mächtiger Zauber, Adrienne. Sobald Blut im Spiel ist, sind die Zauber mächtiger ... stärker ... gefährlicher. Und dieser war besonders mächtig. Lily wollte, dass ich dich mit meinem Leben beschützte, sie wollte, dass ich dich grossziehe, als wärst du mein eigenes Kind – also habe ich dich genau dazu gemacht: zu meinem eigenen Kind. Selbst unter den Fey gehöre ich zu den Mächtigen, Adrienne, und da ich mich gut mit Blutmagie auskenne, war es für mich ein Leichtes, einen kleinen Teil meiner Macht auf dich zu übertragen. Der Zauber hat dich in gewisser Weise zu einer Fey gemacht. Nicht vollständig natürlich, aber du trägst einen Gutteil unserer Macht in dir. Wie viel genau du von unseren Gaben und Talenten du in dir trägst, wird sich aber noch zeigen müssen.»
Beklommen schluckte ich leer und sah auf meine Finger. Es war also tatsächlich so: Ich war ein Wechselbalg. Ein unschuldiges, junges Menschenkind, dass man mit Zauberkräften, die ausserhalb der Vorstellungskraft gewöhnlicher Menschen oder Hexen und Zauberern lagen, verwandelt hatte. In was genau ich verwandelt wurde, das wusste nicht einmal die Urheberin des Zaubers.
«Aber es gibt noch weitere Gründe. Du hast diese Macht in dir getragen, seit ich dich aufgenommen habe und trotzdem hat sie sich lange Zeit nicht gezeigt. Du erinnerst dich, da war anfangs nur der Geruch nach Fey», sagte Ma.
Natürlich erinnerte ich mich. Allein dieser Geruch hatte verhindert, dass ein mordlüsterner Grimm mich gefressen hatte. Aber Ma hatte auch damit Recht, dass sich meine Feykräfte sehr lange nicht gezeigt hatten ... sie waren erst viel später erwacht ...
«Der Obscurus», fasste Ma in Worte, was mir bereits gedämmert hatte. «Seine Kraft war es, der die Gaben der Fey, die ich dir verliehen hatte, weckte. Erst ganz langsam, aber je mehr du ihn unter deine Kontrolle brachtest, desto stärker konnten sich deine Feygaben entwickeln. Vor dem Obscurus fehlte dir die nötige Kraft dazu. Trotz allem bist du ein Mensch und deine Magie ist schwach im Vergleich zu der der Fey; aber der Obscurus hat sie verstärkt.»
«Dann habe ich den Zauber heute Abend also mit dem Obscurus gebrochen? Aber–»
Ma schüttelte den Kopf. «Du hast die zusätzliche Magie genutzt, die er dir verliehen hat, nicht den Obscurus selbst, das ist ein wichtiger Unterschied. Aber selbst das hätte nicht ausgereicht, um dir Zugang zur Feymagie zu schaffen, Adrienne. Der Obscurus gab dir die Kraft, deine körperlichen Fähigkeiten zu entwickeln: die Geschwindigkeit ... die geschärften Sinne .... Damit du Zugang zu unserer Magie bekamst, war noch etwas Weiteres notwendig.» Ernst sah Ma mich an. «Ich weiss nicht, was genau bei diesem Ritual letzten Sommer zwischen dir und Gawain geschehen ist, nur, dass es eine Verbindung zwischen euch geschaffen hat, eine Verbindung, die ich nicht verstehe.»
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, doch Ma winkte ab.
«Du musst es mir nicht erklären, Adrienne. Diese Verbindung ist eine Sache zwischen euch beiden. Gawain meint, dass ihr euch damit habt arrangieren können und es reicht mir, das zu wissen. Allerdings ... es scheint, als habest du in diesem Ritual unbewusst gelernt, auf die Magie der Fey zuzugreifen ... vermutlich, als ihr als eine Person auf eure gemeinsame Magie zugegriffen habt ...»
Sie sah nachdenklich aus dem dunklen Fenster, aber etwas sagte mir, dass sie nicht nur nachdachte, sondern meinen Blick ganz bewusst mied.
«Ma?», fragte ich vorsichtig und sie drehte sich zu mir um und erwiderte meinen Blick. In ihren Augen stand etwas, dass ich so noch nie gesehen hatte und es verunsicherte mich. Obwohl sie so gelassen über die Verbindung zwischen Gawain und mir sprach, war sie eifersüchtig. Eifersüchtig auf mich, weil mich diese Sache mit Gawain verband.
«Wir können gegenseitig unsere Gefühle spüren», fühlte ich mich genötigt zu erklären. «Anfangs war es ... sehr verwirrend, vor allem für Gawain. Er konnte seine Gefühle von Anfang an vor mir verbergen, aber ich musste es erst lernen ...» Die Röte schoss mir erneut in die Wange, als ich mich an verschiedene Gelegenheiten erinnerte, in denen Gawain Gefühle von mir wahrnahm, die eigentlich für niemanden sonst bestimmt waren.
Ma nickte langsam, ihr Gesichtsausdruck war unergründlich.
«Ich denke, Gawain sollte dir das Kämpfen mit unserer Art der Magie beibringen», sagte sie schliesslich. «Es könnte sich schlussendlich als Vorteil erweisen, wenn du nicht nur mit einem Zauberstab oder der stablosen Magie einer Hexe verteidigen kannst, sondern auch mit der Macht der Fey. Aber zum Orden des Phönix.»
Der Themenwechseln kam abrupt und ich hatte etwas Mühe, Ma zu folgen, als sie von den Geheimnissen und Zielen des Ordens zu erzählen begann. Von den strategischen Überlegungen, auf denen sie ihren Widerstand gegen Voldemort aufbauten und welche Massnahmen sie jeweils ergriffen. Alles in allem war es nicht viel mehr, als das, was ich bereits heute Abend – während der Versammlung und nach dem Abendessen – erfahren hatte. Allerdings war da diese Sache mit der Prophezeiung, von der mein Vater gesprochen hatte. Diese eine Sache war besonders wichtig und streng geheim ... und war auch der Grund für die ganzen Wachdienste: Die Prophezeiung wurde im Ministerium aufbewahrt, genauer in der Mysteriumsabteilung, gefangen in einer Glaskugel. Voldemort wollte diese Prophezeiung, um zu verstehen, weshalb Harry, ausgerechnet Harry, ihn damals vor all den Jahren hatte aufhalten können.
«Aber nur die Leute, die die Prophezeiung betrifft, können eine dieser Glaskugeln aus der Mysteriumsabteilung entfernen», erklärte Ma, «und das weiss Voldemort nicht. Zumindest noch nicht ... es ist nur eine Frage der Zeit, bis er es herausfindet. Und dann ...»
«Dann muss er selbst ins Ministerium gehen und sie holen und sich damit offenbaren», überlegte ich.
Ma lachte bitter. «Wenn er will, wird er einen anderen Weg finden, einen, bei dem er sich nicht offenbaren muss.»
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro