12. Kapitel
Ich wusste nicht, wo ich war, als ich erwachte. Ich wusste nur, dass ich schrecklichen Durst hatte. Wie lange hatte ich geschlafen? Dem trockenen, flaumigen Gefühl in meinem Mund nach musste es sehr lange gewesen sein. Auch mein Kopf schmerzte und ich fühlte mich hundeelend.
Apropos Hund ... Am Fussende des Bettes, in dem ich erwacht war, schlief ein Hund. Verwirrt beobachtete ich, wie sich sein Rücken im Schlaf leicht hob und senkte. Was machte ein Hund in meinem Bett? Und wo stand dieses Bett eigentlich?
Ich versuchte, mich aufzusetzen, um es herauszufinden, doch vor meinen Augen flackerten leuchtende Punkte und alles begann sich zu drehen, als ich mich bewegte.
«Ganz vorsichtig», sagte eine sanfte Stimme neben mir. Ein leises Lächeln schwang darin mit und hallte in meiner Brust wider. Ich musste mich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass es Gawain war.
Sein Kopf mit den blonden Locken tauchte neben dem Bett auf; offenbar hatte er dort gesessen. Gawain half mir aufzusitzen und reichte mir dann ein Glas Wasser, das ich in mich hineinstürzte wie eine Verdurstende.
«Mehr», verlangte ich heiser.
«Noch nicht», sagte Gawain leise. «Gib deinem Körper erst ein wenig Zeit.»
Ich wollte meinem Körper keine Zeit geben. In meinen Muskeln spürte ich den unbändigen Drang mich zu bewegen, etwas anderes zu machen, als hier in diesem Bett zu liegen. Zweifellos hatte ich schon viel zu viel Zeit in diesem Bett verbracht.
«Wo bin ich?», fragte ich Gawain.
«Grimmauldplatz», kam es gähnend von irgendwo hinter Gawain. «Guten Morgen.»
«Morgen, Jake», sagte Gawain gutmütig. «Sieh mal, wer aufgewacht ist.»
«Wuff!», machte es in diesem Moment vom Bettende.
«Oh, Sirius ist aufgewacht!», sagte Jake grinsend.
Ein weiteres Bellen und der Hund war aufgesprungen und versuchte schwanzwedelnd über die Decken zu mir zu kommen.
«Jetzt benimm dich mal, Tatze», sagte Jake streng und zog den Animagus vom Bett. Der Hund winselte und jaulte und versuchte, sich Jakes Griff zu entwinden.
«Aber das macht keinen Spass. Ich wollte doch nur sehen, ob es Adrienne wieder besser geht», beschwerte sich Sirius, der sich schliesslich in Jakes Umklammerung zurückverwandelt hatte und sich nun im Schwitzkasten wiederfand.
«Das ist ein Krankenbesuch, der soll keinen Spass machen», scholt Jake seinen besten Freund.
«Ja, ja, schon verstanden. Lässt du mich nun los, Krone, damit ich sehen kann, ob Adrienne noch grün ist oder nicht?», sagte Sirius.
«Grün?», fragte ich verwirrt.
«Das Gift», erklärte Gawain. «Es hat sich als grünes Muster unter deiner Haut ausgebreitet.»
Grünes Muster? Ich hielt meine Arme hoch und betrachtete sie eingehend. Vielleicht ... ganz schwach auf den Innenseiten meiner Arme zeichneten sich einige verästelte grüne Linien ab ... kaum sichtbar ... aber sonst war da nichts.
«Jetzt ist kaum noch etwas zu sehen, aber vor ein paar Tagen, da hättest du noch der grünen Hexe aus Der Zauberer von Oz Konkurrenz machen können», erklärte Jake.
«Was für ein Zauberer?», kam es von Sirius.
Lachend schüttelte Jake den Kopf. «Du bist ein Kulturbanause, Tatze.»
Während Jake und Sirius über den Zauberer von Oz, Theater und diese komische Muggelerfindung namens 'Film' diskutierten, wie Sirius sagte, untersuchte ich weiter meine Arme. Nebst den verblassenden, sich verästelnden Linien, gab es noch weitere grüne Linien. Sie waren gerade und von einem satten smaragdgrün. Ich fuhr mit dem Finger darüber. Die Linien standen leicht auf und waren steinhart.
«Narben», sagte Gawain, der mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. «Sie sind grün, genau wie das Muster, das das Gift hinterlassen hat, weil der Drachenmensch – oder was auch immer das war – grüne Schuppen hatte. Hätte er blaue Schuppen gehabt, dann wären die Narben jetzt blau.»
Stirnrunzelnd besah ich die grünen Narben. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Mir meinen nächsten Gegner nach Farbe aussuchen?
«Adrienne!», rief jemand von der Tür her und im nächsten Moment schnürte mir eine feste Umarmung die Luft ab. «Adrienne. Oh, Adrienne», schluchzte Ma in mein Haar. «Ich hab mir solche Sorgen gemacht.»
«Ma», brachte ich krächzend heraus und versuchte mich aus ihrer Umklammerung zu befreien. Ma lockerte ihre Arme etwas, aber sie liess mich nicht los, was mir ganz recht war. Ich schlang meine Arme um sie und hielt sie fest. Es tat so gut, umarmt zu werden. Bei Ma fühlte ich mich geborgen, warm und sicher.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns voneinander lösten. Die drei Männer hatten das Zimmer verlassen. Mas Tränen waren getrocknet und sie sah mich mit einem Ausdruck an, als hätte sie das Wertvollste in ihrem Leben verloren geglaubt und es nun doch wiedergefunden.
«Ich liebe dich so sehr, Adrienne», sagte sie leise. «Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Niemals.»
«Ich liebe dich auch, Ma», murmelte ich und schlang erneut meine Arme um ihre Schultern und schmiegte mich an sie.
«Was ist eigentlich passiert?», nuschelte ich nach einer Weile in Mas Pullover. «Gawain hat etwas von Gift gesagt ...?»
Ma seufzte und brachte etwas Abstand zwischen uns, legte ihre Hände aber auf meine Oberarme, wie um zu verhindern, dass ich wegrannte – oder umkippte.
«An was erinnerst du dich?», fragte sie mich vorsichtig.
Stirnrunzelnd dachte ich nach. Was hatte ich gemacht, bevor ich in diesem Bett aufgewacht war? Abgesehen von sehr lange schlafen.
Langsam fiel es mir wieder ein: «Es war Hogsmeade-Wochenende und Hermine hat einige Leute im Eberkopf zusammengetrommelt und wir haben beschlossen, dass Harry uns Verteidigung gegen die dunklen Künste beibringen soll ... als dann alle gegangen sind, bin ich geblieben ... ich habe vor den Treffen gegen ein Wesen gekämpft, das ein Drachenmensch-Inferius war – oder so. Professor Dumbledore hat diesen dann verhört ... nach dem Treffen mit den anderen ... und er hat etwas gesagt ... er sagte, dass sein 'Herr' ihn geschickt hat, um entweder Professor Dumbledore oder dich, Ma, zu töten ... Dann hat er lange damit geprahlt, wie mächtig sein Herr doch sei und dass ihr ihn verraten habt ... Moment, das Monster hat auch gesagt wie sein Herr heisst ...»
Stirnrunzelnd versuchte ich mich an den Namen zu erinnern, doch er fiel mir nicht mehr ein. Dabei war ich mir sicher, dass ich den Namen kannte – und nicht nur weil der Drachenmensch ihn gesagt hatte ...
«Gellert Grindelwald», sagte Ma leise.
«Genau!», sagte ich und sah meine Ma überrascht an. Diese jedoch erwiderte meinen Blick nicht, sondern sah blicklos in die Ferne. Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, der an tiefe Trauer erinnerte.
«Alles in Ordnung, Ma?», fragte ich zaghaft.
Ma schüttelte sich wie ein Hund und als sie mich danach anschaute, war die Trauer aus ihrem Gesicht verschwunden und sie lächelte mich liebevoll an.
«Natürlich, Adrienne. Jetzt, wo du wieder wach bist, ist alles gut.»
Ich glaubte ihr.
«Und was ist nun mit diesem Gift, von dem Gawain gesprochen hat?»
Etwas Finsteres zog über Mas Gesicht und als sie sprach, lag ein Knurren in ihrer Stimme: «Der Drachenmensch-Inferius hat dich verletzt», es war keine Frage, doch trotzdem nickte ich, «und dich dadurch vergiftet. Und damit beinahe umgebracht.» Die letzten Worte waren nichts anderes als ein Knurren und mir stellten sich die Nackenhaare auf. Eins war mir klar: Wenn man Ma liesse, würde sie den Drachenmenschen eigenhändig in der Luft zerfetzen.
«Was wird dieser Grindelwald nun tun, nachdem es dem Drachenmenschen nicht gelungen ist, dich oder Professor Dumbledore zu töten?», fragte ich.
«Nichts», war die schlichte Antwort. «Er hat erreicht, was er erreichen wollte.»
Verwirrt sah ich Ma an.
«Gellert hatte nie die Absicht, einen von uns beiden zu töten, er wollte uns lediglich dazu bringen, seinen Boten anzuhören – was er am besten erreichte, in dem er den Boten uns angreifen liess. Dummerweise scheint dieser Bote deine Energiesignatur mit meiner verwechselt zu haben und die von Aberforth mit der von Albus. Es war sehr mutig von euch beiden, dem Drachenmenschen gegenüber zu treten und ich bin sehr beeindruckt, dass ihr ihn besiegen konntet.»
Nun ja, ich wäre stolzer auf dieses Lob gewesen, wenn das Monster mich nicht beinahe ebenfalls getötet hätte ... mit Gift ... nachdem ich es im Kampf besiegt hatte ...
«Was war das für eine Botschaft, die der Drachenmensch überbringen sollte?», fragte ich ungeduldig.
«Gellert hat uns angeboten, uns mit ihm gegen Voldemort zu verbünden. Er glaubt, dass wir drei – Gellert, Albus und ich – Voldemort besiegen könnten», sagte Ma leise.
Forschend sah ich sie an. «Was glaubst du?»
Als Ma mich ansah, loderte in ihrem Blick ein Feuer. «Ich bin derselben Meinung, aber Albus will Gellerts Vorschlag nicht einmal in Erwägung ziehen.»
«Wieso nicht? Wenn wir Voldemort so besiegen können?»
Ein mildes Lächeln umspielte Mas Mundwinkel. «Albus ist der Meinung – und vielleicht hat er Recht damit – dass es die ganze Sache nur noch schlimmer machen würde, wenn wir dunkle Magie mit dunkler Magie bekämpften.»
Mir klappte der Mund auf. Dunkle Magie?
«Mir ist jedes Mittel recht, Adrienne, wenn es mir nur hilft, diejenigen, die ich Liebe, gegen Voldemort zu verteidigen», sagte sie entschlossen.
«Aber ... denkst du wirklich, schwarze Magie ist das richtige Mittel, Ma?», fragte ich zaghaft.
«Denkst du wirklich, Adrienne, dass 'richtig' und 'falsch' noch eine Rolle spielen, wenn es darum geht, diejenigen zu beschützen, die man liebt?», knurrte Ma.
«Ja», war meine feste, entschlossene Antwort. «Es spielt eine Rolle. Weil es nämlich das ist, was uns von denen, gegen die wir kämpfen, unterscheidet.»
Ma zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen, doch sie liess sich davon nicht kleinkriegen. «Meiner Meinung nach ist der Unterschied, dass sie uns angreifen und wir uns verteidigen. Es ist edel, dass du so denkst, wie du denkst, Adrienne, aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo du die ganze Situation pragmatischer ins Auge fassen wirst. Und nun komm, unten in der Küche gibt es Frühstück – zumindest, wenn Sirius uns was übriglässt.»
Der Themenwechsel kam etwas zu plötzlich und so blinzelte ich nur verwirrt, als Ma mir einen Umhang hinhielt.
«Du kannst natürlich auch im Pyjama nach unten kommen. Ich glaube, Frühstück im Pyjama wäre durchaus verzeihbar, immerhin bist du immer noch dabei zu genesen.»
Die Idee war verlockend, aber ich wollte nicht vor Jake, Sirius und Gawain im Pyjama auftreten – und wer wusste schon, ob sonst noch jemand vom Orden anwesend war. Immer noch etwas verwirrt zog ich mich um und betrachtete mich danach im Spiegel, der neben einem Kleiderschrank an der Wand lehnte. Ich hatte noch nie andere Umhänge getragen als meine Schuluniform – abgesehen von dem Festumhang letztes Jahr an Weihnachten. Mich nun in einem 'Alltags'-Umhang zu sehen, war auf ähnliche Weise irritierend wie Mas abrupter Themenwechsel: Ich wusste nicht wirklich, was ich davon halten sollte. Ich mochte meine Pullover, T-Shirts und Jeans und noch mehr hatte ich mich mit der Tunika und den weiten Leinenhosen angefreundet, die man in Londinium trug. Dieser Umhang nun ... daran musste ich mich erst gewöhnen ... vor allem, weil dieser so in grün, schwarz und silber gehalten war, dass er geradezu «Slytherin!» schrie. Mir gefiel er nicht. Und noch weniger, als mich der Gedanke durchzuckte, dass er wunderbar mit den grünen Narben auf meinen Armen und meiner Wange harmonierte. Immerhin war die Narbe an meiner Wange, obwohl recht prominent direkt über meinem linken Wangenknochen platziert, nur sehr schmal und damit eher unauffällig; vor allem im Vergleich zu Finëas Narbe, die ihre rechte Wange verunstaltete.
«Kommst du, Adrienne?», fragte Ma von der Tür her. Ich nickte und folgte ihr nach unten in die Küche.
Nur wenige Stunden später stand ich vor dem schmiedeeisernen Tor, das, von zwei geflügelten Ebern auf Säulen flankiert, den Zugang zum Schlossgelände von Hogwarts markierte. Das Tor stand offen, doch trotzdem wartete ich darauf, abgeholt zu werden. Ungeduldig sah ich zu Jake, der als Wikinger getarnt neben mir stand – so hatte ich sein Aussehen mit den blonden Locken und dem ebenso blonden Bart getauft, dass er in der Zaubererwelt zur Schau stellte, um nicht als James Potter enttarnt zu werden.
«Es kommt schon jemand», sagte er nun zum gefühlt hundertsten Mal und sah weiter beharrlich zum Schloss hoch.
Nachdem ich am Morgen gefrühstückt hatte – ich hatte Sirius mit einem «Accio Frühstück» davon abhalten müssen, mir die letzten Reste wegzuessen – hatten mich Gawain, Jake und Ma auf den neusten Stand der Dinge gebracht. Sirius hatte währenddessen schmollend auf mein Frühstück gestarrt. Wobei er sich vermutlich mehr darüber ärgerte, dass er im Hauptquartier festsass und nichts beitragen konnte, als darüber, dass ich gerade die letzten Reste des Frühstücks verschlang. Offenbar hatte ich seit mehr als zwei Wochen nichts gegessen, denn solange war ich Bewusstlos gewesen; kein Wunder, dass ich einen Mordshunger hatte.
Wie ich erfuhr, hatten sowohl der Orden des Phönix als auch Professor Umbridge vom Treffen der Schüler im Eberkopf Wind bekommen. Zum Glück wusste Umbridge aber lange nicht so gut über die Vorgänge dort Bescheid, wie der Orden, der offenbar alles wusste. Aber Umbridge wusste genug, um Verdacht zu schöpfen und so hatte das Ministerium bereits am Montag nach dem Hogsmeade-Wochenende einen neuen Ausbildungserlass verabschiedet: Ausbildungserlass Nr. 24 löste alle Schülergruppierungen mit sofortiger Wirkung auf – sogar die Quidditchmannschaften.
«Na endlich», grummelte Jake, der immer noch zum Schloss hoch starrte.
Ich folgte seinem Blick und sah eine Gestalt, die uns den Weg hinab entgegeneilte. Als die Gestalt näher kam, erkannte ich sie als Professor McGonagall. Leise Enttäuschung breitete sich in mir aus – ich hatte darauf gehofft, dass es mein Vater sein würde.
«Miss Seanorth, es ist schön, Sie wiederzusehen», sagte McGonagall, als sie uns erreichte, und klang erleichtert. Dennoch musterte sie mich besorgt. «Wie geht es Ihnen?»
«Gut», sagte ich etwas verlegen.
Die Erleichterung war Professor McGonagall anzusehen, als sie nickte. «Nun denn ... Professor Dumbledore hat Professor Umbridge glauben gemacht, dass Sie in Hogsmeade zusammengebrochen sind, Miss Seanorth. Als es sowohl den Passanten, die Sie gefunden haben, als auch Madam Pomfrey nicht möglich war, Sie aufzuwecken, wurden Sie ins Sankt Mungos verlegt. Dort wurde festgestellt, dass Sie aufgrund einer Meningitis – einer Hirnhautentzündung – ins Koma gefallen sind. Wie Sie sich diese Hirnhautentzündung zugezogen haben, konnte nicht abschliessend geklärt werden, vermutlich wurde sie von einem Insekt auf Sie übertragen. Jedenfalls wurden Sie im St. Mungos behandelt und sind nun wieder gesund, wenn auch noch etwas wackelig auf den Beinen.» Professor McGonagall sah mich streng an. «Sie werden bei dieser Geschichte bleiben, Miss Seanorth.»
«Verstanden», sagte ich und versuchte mir die wichtigsten Details einzuprägen. Wegen einer Hirnhautentzündung – Meningitis – war ich ins Koma gefallen und musste im St.-Mungo-Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen behandelt werden.
«Wer weiss alles, was wirklich passiert ist?», fragte ich schliesslich.
«Von den Schülern niemand, von den Lehrern nur jene, die im Orden sind», erklärte Professor McGonagall, «und ich empfehle Ihnen, es dabei zu belassen. Weihen Sie Mr Shade und Miss Silver ein, aber niemanden sonst.»
Das konnte ich leicht versprechen, jemand anderem hätte ich ohnehin nichts davon erzählen wollen.
Nachdem das geklärt war, verabschiedete ich mich von Jake und folgte Professor McGonagall hoch zu Schloss Hogwarts und zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo ich mich erst einmal umziehen und etwas zurecht finden sollte, bevor ich mich am Mittag den anderen Schülern in der Grossen Halle stellen würde – und am Nachmittag wie immer den Unterricht besuchen musste. Ich fand ja, dass das mit dem Unterricht ruhig noch etwas warten könnte, immerhin war ich ja gerade erst aus dem Koma erwacht und noch etwas wackelig auf den Beinen, wie McGonagall gesagt hatte. Und da sollte ich direkt wieder in den harten Schulalltag einsteigen? Das war doch Unverantwortlich ...
Sobald ich am Mittag die Grosse Halle betrat und zum Gryffindortisch ging, wurde ich mit lautem Hallo begrüsst.
«Adrienne ist wieder da!»
«Wie geht es dir, Adrienne?»
«Schön, dass du wieder da bist.»
«Bist du wieder gesund?»
Ich lächelte und versicherte allen, dass es mir gut ging und ich ganz und gar genesen war, bevor ich mich zu meinen Freunden setzte. Kaspar, Lee und Alicia rutschten zusammen, damit ich neben ihnen auf der Bank Platz hatte. Natürlich fragten sie sofort, was genau geschehen war und ich erzählte ihnen die Geschichte, die Professor McGonagall mir eingetrichtert hatte.
«Da hattest du aber Glück», kommentierte Angelina. «So eine Hirnhautentzündung kann ganz schön böse ausgehen.»
Am Nachmittag in Verwandlung wiederholte ich die Geschichte, die Professor McGonagall mir eingetrichtert hatte erneut, diesmal Jessie gegenüber. Dabei sprach ich allerdings etwas lauter, als man es bei Gesprächen während des Unterrichts eigentlich tun sollte, aber Professor McGonagall schritt nicht ein. Vermutlich dachte sie genau wie ich: Je schneller sich die Geschichte verbreitete, desto besser. Jessie allerdings sah mich stirnrunzelnd an, während ich erzählte, und die Runzeln vertieften sich mit jedem Wort, das ich sprach. Sie glaubte mir nicht – was ich ihr auch nicht verübeln konnte.
«Zum Glück ist es nicht irgendwo passiert, wo dich niemand so schnell gefunden hätte», sagte sie ebenfalls etwas zu laut. «Du hattest wirklich Glück, Adrienne.»
«Ja, das haben die Heiler auch gesagt. Es war gut, dass die Passanten so schnell Hilfe geholt hatten und Madam Pomfrey mich dann direkt ans St. Mungos verwiesen hat, nachdem ich nicht aufgewacht bin.»
Jessie lächelte fast überzeugend erleichtert, warf mir aber einen kritischen Blick zu. Sie glaubte mir kein Wort.
«Später», flüsterte ich.
Der Rest der Doppelstunde verging damit, dass ich versuchte, im Unterricht mitzukommen. Ich war nur etwas mehr als zwei Wochen Bewusstlos gewesen und es überraschte mich, wie viel Stoff ich in dieser Zeit verpasst hatte. Jessie half mir aus, wenn ich etwas nicht wusste und versprach, mir zu helfen, den versäumten Stoff nachzuholen.
In Theoretischer Magie lief es nicht anders.
Kaum war der Unterricht zu Ende und ich verliess das Klassenzimmer, da packte Jessie mich am Ärmel und zog mich Richtung Gemeinschaftsraum der Finjarelles, wo wir auf Kaspar trafen.
Jessie drückte mich auf ein Sofa. «Erzähl», befahl sie.
Gehorsam berichtete ich von meinem Kampf mit dem Drachenmensch-Inferius und von seiner Botschaft an Ma und Dumbledore – dass sie den Kampf gegen Voldemort bereits verloren hatten, als sie sich von Gellert Grindelwald abwandten. Jessie und Kaspar rissen erschrocken die Augen auf.
«Laut Ma hat er angeboten, sich mit uns zu verbünden», fuhr ich fort und Jessie und Kaspar sahen noch erschrockener drein. «Und wenn ich sie richtig verstanden habe, dann hätten wir dann auch eine reelle Chance, Voldemort zu besiegen.»
«Aber er ist ein Schwarzmagier, Adrienne!» sagte Jessie empört. «Der schlimmste direkt nach Voldemort!»
Kaspar runzelte die Stirn: «Wie wollen sie gemeinsam mit Grindelwald gegen Voldemort vorgehen? Welche Methoden kennt Grindelwald, die Dumbledore nicht bereits einsetzt –» Entsetzt verstummte Kaspar und starrte mich an.
«Sie wollen doch nicht ... er will doch nicht», stammelte er schliesslich.
«Doch», sagte ich nickend. «Grindelwald will Voldemort mit schwarzer Magie bekämpfen ... und meine Ma auch», gestand ich.
«Aber Dumbledore würde das nie zulassen!», sagte Jessie.
«Genau», bestätigte ich, «das hat Ma auch gesagt ...» Mit mir ringend, ob ich die folgenden Worte aussprechen sollte, knetete ich meine Finger. «Ma hat auch gesagt ... dass sie es ohne Zögern tun würde ... mit schwarzer Magie kämpfen.»
Langsam nickte Jessie. «Ja, das passt zu Kathleen. Sie will dich beschützen, Adrienne, kannst du ihr das vorwerfen?»
Geschockt starrte ich Jessie an, meine beste Freundin ... «Wir reden hier von schwarzer Magie, Jessie! Schwarze Magie ist böse! Egal, wozu man sie einsetzt!»
Kaspar legte nachdenklich die Stirn in Falten, während Jessie mich vorwurfsvoll ansah.
«Erinnerst du dich noch an unser erstes Schuljahr, Adrienne?», fragte Jessie. «Als wir den Grimm gejagt haben und du mit ihm im Netz gelandet bist?» Ich nickte. «George ist fortgelaufen, um Hilfe zu holen, und mit Snape zurückgekommen – deinem Vater, Adrienne. Und dann hat Snape den Todesfluch auf den Grimm abgefeuert. War das böse?»
Stille folgte Jessies Worten, während ich versuchte zu verdauen, was sie mir sagen wollte. Sie hatte recht ... irgendwie hatte Jessie Recht. Aber ich wollte es nicht akzeptieren.
«Ja, reib mir nur unter die Nase, dass nicht nur meine Mutter eine Schwarzmagierin ist, sondern auch mein Vater!», fauchte ich sie an und eilte aus dem Gemeinschaftsraum der Finjarelles.
Bevor der Eingang zum Schranklabyrinth sich ganz hinter mir geschlossen hatte, hörte ich Kaspar noch sagen: «Ich denke, was Adrienne sagen will, ist, dass der Zweck nicht immer die Mittel heiligt.»
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