5. Kapitel
Die Ferien schritten voran und schliesslich kam der Tag, an dem wir unsere ZAG-Ergebnisse bekamen – eines Morgens zum Frühstück sassen vier Eulen am Küchentisch: eine für Kaspar, eine für mich und je eine für die Zwillinge.
«Ganz gut, dass die jetzt kommen», sagte George und musterte die drei Eulen mit ihren wichtig aussehenden Umschlägen mit dem eingestanzten Hogwarts-Emblem argwöhnisch.
«Du machst dir doch nicht etwas Sorgen, Georgie?», sagte Fred gut gelaunt und nahm seiner Eule den Brief ab. Wir anderen taten es ihm gleich.
Mit leicht zitternden Händen schlitzte ich den Umschlag mit meinem Frühstücksmesser auf und zog einen schweren, protzigen Pergamentbogen heraus.
ERGEBNIS DER ZAUBERERGRAD-PRÜFUNGEN
Bestanden mit den Noten:
Ohnegleichen (O)
Erwartungen übertroffen (E)
Annehmbar (A)
Nicht bestanden mit den Noten:
Mies (M)
Schrecklich (S)
Troll (T)
ADRIENNE SEANORTH hat folgende Noten erlangt:
Alte Runen...................................................................................................................... A
Astronomie...................................................................................................................... E
Geschichte der Zauberei................................................................................................... M
Kräuterkunde................................................................................................................... E
Pflege magischer Geschöpfe.............................................................................................. O
Verteidigung gegen die dunklen Künste............................................................................ O
Verwandlung................................................................................................................... E
Zauberkunst.................................................................................................................... E
Zaubertränke................................................................................................................... O
Aufmerksam las ich das Pergament durch. Besser als erwartet. Das ich in Geschichte der Zauberei durchgefallen war, überraschte mich nicht – immerhin hatte ich die Hälfte der Zeit im Unterricht geschlafen – das ich Alte Runen bestanden hatte, obwohl mir an diesem Tag die Nerven geflattert hatten wie ein Segel auf stürmischer See, hingegen schon. Die anderen Noten waren mehr oder weniger wie erwartet ausgefallen – beim 'O' in Zaubertränke hatte ich allerdings meinen Vater in Verdacht, etwas nachgeholfen zu haben, damit ich seine UTZ-Kurse besuchen konnte – oder er mich dazu verpflichten konnte.
«Drei 'O's!», rief Fred empört aus, der mir über die Schulter gelinst hatte. «Das ist nicht fair! Zumindest der in Pflege magischer Geschöpfe hast du bestimmt nur wegen des Feybluts. Und in Verteidigung haben die Grindelohs dich deswegen in Ruhe gelassen. Und in Zaubetränke hat Snape nachgeholfen, jede Wette.»
«Was habt ihr denn?», fragte ich, um von meinem Zeugnis abzulenken. Vielleicht hatte Fred recht, und die 'O's waren wirklich nicht ganz ehrlich verdient – aber man musste seine Vorteile schliesslich ausnutzen.
«Hier, zwei absolut vorzeigbare Zeugnisse», meinte Fred und hielt mir stolz die Pergamente von ihm und George entgegen.
«Wir haben uns auf das Wesentliche konzentriert und unsere Kapazitäten sinnvoll aufgeteilt – aber eigentlich hätten sie uns ja in jedem Fach ein 'E' geben müssen, schliesslich sind wir zu den Prüfungen erschienen», erklärte George und brachte Kaspar, Gawain und mich damit zum Lachen.
Immer noch kichernd musterte ich die beiden Zeugnisse. Ja, 'auf das Wesentliche konzentriert' und 'unsere Kapazitäten gut aufgeteilt', war durchaus eine passende Beschreibung für die Zeugnisse der Zwillinge. Sie hatten beide zusammen nur sieben Fächer bestanden und das obwohl sie beide keineswegs schlecht in der Schule waren. Fred hatte Verteidigung gegen die dunklen Künste (E), Verwandlung (E) und Zauberkunst (A) bestanden, George Kräuterkunde (E), ebenfalls Verteidigung (E) und Zauberkunst (A) und zu meiner grossen Überraschung Zaubertränke und zwar mit einem 'E'!
«Uns reicht es, wenn jeweils einer von uns den UTZ macht», erklärte George.
«So haben wir genug Zeit, uns ans Erfinden zu machen», fügte Fred spitzbübisch grinsend an. «Deshalb beschäftigen wir uns jetzt intensiv mit Alchemie.»
«Du siehst also, dass wir trotz der wunderschönen Zeugnisse immer noch an Fortbildung interessiert sind – nur einfach auf Fachgebieten unserer Wahl», meinte George.
«Aber ihr seid doch beide viel besser in Zauberkunst als ein 'A'», kommentierte Kaspar, der nun ebenfalls Fred und Georges 'wunderschöne' Zeugnisse begutachtete.
«Aber Flitwick verlangt nur ein 'A' für seine UTZe», erklärte George. «Da fanden wir es sinnvoller, uns intensiver mit anderen Fächern zu beschäftigen.»
«Zeig mal dein Zeugnis, Kaspar», forderte Fred ihn auf und etwas verschämt reichte Kaspar uns das Pergament.
«Alles bestanden!», rief ich verblüfft. «Sogar Geschichte der Zauberei. Wie hast du das denn geschafft?»
Kaspar war es sichtlich unangenehm, so im Mittelpunkt zu stehen. «Nun ja, ich fand, dass ich das, was ich in all diesen Jahrhunderten verpasst habe, einfach wissen sollte.»
«Aha. Und in Muggelkunde also auch», folgerte Fred. «Aber du hättest nicht gleich so rumstrebern müssen, Kaspar. Ein 'O' ist wirklich etwas übertrieben.»
Mit dem Verstreichen der Ferien kam auch das Finalspiel der Quidditchweltmeisterschaft näher und somit der Stichtag, an dem Fred und George wieder bei uns ausziehen würden. Die beiden sahen diesem Zeitpunkt mit beinahe genauso grossem Unwillen entgegen wie ich, denn dann mussten sie Mrs Weasley ihre 'wunderschönen' Zeugnisse vorweisen und die war bestimmt alles andere als begeistert. Und von mir aus hätten die beide gerne noch etwas länger Asyl bei uns erhalten können: Ich hatte mich mittlerweile so sehr an die beiden gewöhnt, dass sie für mich schon fast zum Inventar gehörten. Ihre ganze Zeit in Londinium waren die beiden wie ausgewechselt gewesen, so ernst und konzentriert waren sie an ihre Ausbildung in Alchemie herangegangen. Natürlich verbrachten wir viele ausgelassene Abende zuhause und auf Londiniums Strassen, aber die meiste Zeit verhielten sich die beiden geborenen Unruhestifter ruhig. Wenn ich den Grund dafür nicht gewusst hätte, wäre es mir unheimlich gewesen.
Am letzten Abend vor ihrer Abreise, gab Sirius für uns alle eine Party im Innenhof von Jakes Haus. Nebst den Zwillingen würde auch Harry am nächsten Morgen zum Fuchsbau reisen und Sirius hatte mittlerweile einen richtigen Narren an seinem Patensohn gefressen. Man sah die beiden fast immer zusammen, während Remus meistens allein unterwegs war und seinen Geschäften nachging. Er hatte einen Job als Heiler im Hospital von Londinium bekommen. Jake war natürlich genauso selten daheim wie meine Ma, was es Harry schwer gemacht hatte, eine wirkliche Beziehung zu seinem Vater aufzubauen, auch wenn beide es versuchten. Allerdings gab es da noch jemand anderen, mit dem Harry oft seine Zeit verbrachte: Zu meinem Leidwesen war es ausgerechnet Jared Andrej, mein ungeliebter Nachbar. Während Gawain und ich uns jeden Tag fast in Stücke gehackt hatten, waren Harry und Jared ebenfalls oft im Amphitheater gewesen und Jared hatte Harry das Kämpfen beigebracht – natürlich mit tatkräftiger Unterstützung von Boudicca, denn auch Jared hatte noch kaum Erfahrung im Schwertkampf; er konnte gerade einmal einen Sommer Training vorweisen.
Nun sassen wir alle hier zusammen, mein kleiner Bruder war mit Fred, George, Jared und Sirius in ein Gespräch vertieft, an dem sich auch Kaspar beteiligte, während die übrigen Erwachsenen – Jake, Remus, Gawain und Ma – über irgendwelche Themen sprachen, die den AZMGUK betrafen. Ich sass allein und schob lustlos meinen Kartoffelsalat über den Teller. Immer noch war es mir nicht gelungen, meine Gefühle vor Gawain zu verschliessen, was diesen unendlich nervte. Ich war daran Schuld, dass sein Chef ihn in Zwangsferien geschickt hatte. Ausserdem war es mir nicht ein einziges Mal gelungen, in einem Kampf einen Vorteil gegenüber Gawain herauszuschlagen. Es war fast so, als würde er jedes meiner Manöver durchschauen, bevor ich es überhaupt ausführte. Das Ganze war furchtbar frustrierend und auch Boudiccas beschworene Technik des Meditierens hatte keinerlei erfolg – obwohl, ohne die Meditationen wäre ich wahrscheinlich längst durchgedreht, sie hatten schon etwas Beruhigendes und halfen mir, so etwas wie Ruhe zu finden. Der einzige Lichtblick am Horizont war Joannes Ankunft übermorgen. Meine beste Freundin aus Kindertagen würde die letzten beiden Ferienwochen bei mir in Londinium verbringen.
Ausnahmsweise ging einmal einer meiner Wünsche zu meinem Vorteil in Erfüllung: Joannes Anwesenheit half mir wirklich, etwas gelassener mit der ganzen Situation umzugehen. Es tat unglaublich gut, wieder einmal mit ihr zu sprechen, mit einer Freundin, einem anderem Mädchen, dem man bedingungslos vertraute. Natürlich gab es auch noch Jessie, aber Joanne war anders als meine Freundin aus Slytherin. Joanne war ... viel verständnisvoller, sie urteilte viel weniger hart. Und so war Joanne auch die Einzige, der ich in der Sicherheit meines Zimmers von meiner Gefühlsverbindung zu Gawain erzählte.
«Das klingt ziemlich ... verworren», meinte Joanne nachdenklich. «Das ist sicher ziemlich verwirrend für euch beide.»
Ich verdrehte die Augen. «Vor allem für Gawain. Er hat keinerlei Probleme seine Gefühle vor mir zu verbergen, aber ich schleudere sie ihm geradezu entgegen. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das verhindern soll, ganz egal wie viele Stunden er bereits versucht, es mir beizubringen.»
«Er ist wohl nicht gerade ein guter Lehrer in diesen Dingen ...», sagte Joanne nachdenklich. «Der Umgang mit einem Dolch scheint ihm eher zu liegen. Oder der Schwertkampf, auch wenn du dort ebenfalls keine Fortschritte machst.»
«Es ist wirklich zum Verrücktwerden, ehrlich Joanne», sagte ich und schmiss mich wütend auf mein Bett. «Ganz im Ernst, kann ich nicht einfach mit dir nach Oxford kommen?»
Joanne kicherte. «Du solltest bedenken, dass du dann auch Jasmin und Laureen wieder am Hals hast.»
«Vielleicht nehme ich das sogar in Kauf, in Hogwarts gibt es schliesslich auch einige Nervensägen.»
«Du meinst diese Melanie Cole von den Ravenclaws?», fragte Joanne.
Ich nickte. «Und Adrian Pucey von den Slytherins. Nun ja, eigentlich fast alle Slytherins ausser Jessie natürlich.»
«Sind also alle Slytherins gemein? Ausser Jessie.»
«Nein», sagte ich seufzend. «Einige sind schon ganz in Ordnung, aber die Mehrheit sind verzogene Bälger, die sich für etwas Besseres halten, nur weil sie Reinblüter sind.»
«Und du, als Muggelstämmige – und ich als Muggel – sind für die natürlich rein gar nichts wert», ergänzte Joanne.
«Hmpf. Mich halten sie unterdessen für irgendein Halbblut-Mischwesen-Irgendwas», sagte ich und erzählte Joanne von den verschiedenen Theorien, die letztes Jahr über meine Herkunft in Umlauf gekommen waren, dass sich in meiner Ahnenreihe Vampire oder Kobolde tummeln müssten, weil Gawain, der sich scherzeshalber als mein Vater vorgestellt hatte, die typischen spitzen Zähne, spitzen Ohren und schrägstehenden Augen eines Fey hatte, von seiner bedrohlichen Ausstrahlung ganz zu schweigen. Auf die Idee, dass er ein Fey war, war kaum jemand gekommen. Wirklich enttäuschend.
«Also, die Sache mit dem Abschirmen», kehrte Joanne zum eigentlichen Problem zurück. «Wenn du willst, kann ich dir helfen.»
Erstaunt sah ich meine Muggelfreundin an.
«Ich habe da unzählige Fantasybücher gelesen, in denen immer wieder irgendwelche Leute ihre Gedanken oder Gefühle vor anderen verbergen mussten, die Gedanken lesen oder Gefühle erspüren konnten. Da gibt es eine ganze Reihe von Techniken, die sich je nach Autor unterscheiden – aber zumindest genug, dass es bestimmt eine darunter hat, die funktioniert.»
Gawain war geradezu euphorisch, als Joanne und ich ihm von dieser Idee erzählten und erklärte sich sofort bereit, mitzumachen. Und so kam es, dass ich tagelang mit Joanne und Gawain zusammengepfercht in unserem Wohnzimmer sass und übte. Nur an den Abenden gönnten wir uns eine kleine Auszeit, in der Gawain jeweils auf einem kleinen Schwerttrainig bestand.
Bald stellte ich fest, dass bei den meisten Techniken, die Joanne im Angebot hatte, Meditation und die Fähigkeit, den Geist zu fokusieren, eine zentrale Rolle spielte. Zumindest in dieser Disziplin machte ich auch tatsächlich Fortschritte und ich fühlte mich zunehmends ruhiger und ausgeglichener. Und dann hielt auch Boudicca Recht: Eines Abends gelang es mir doch tatsächlich, Gawain ... nicht zu besiegen, aber der Kampf endete in einem Unentschieden. Die nächste Parite gewann er allerdings wieder, da ich in meiner Euphorie meine Deckung vergass. Am darauffolgenden Abend, lief es allerdings anders: Wieder war ich konzentriert und klar wie bereits am Vorabend. Ich atmete ruhig und fokusierte mich auf die bevorstehende Aufgabe, ohne mir dabei aber allzuviel Druck zu machen. Ich würde mein Bestes geben. Wenn mich das zum Sieg führte, dann war das hervorragend, wenn nicht, dann war es eben Pech, aber ich hatte zumindest mein Bestes versucht. Es war eine ganz andere Haltung als früher, als ich nur auf den Sieg versessen gewesen war.
Ich brachte mich in Stellung, die Hand fest um den Schwertknauf geschlungen, aber nicht verkrampft, die Beine mit etwas Abstand seitlich nebeneinander, so dass ich Gawain meine Seite zuwandte und somit weniger Angriffsfläche bot, als wenn ich ihm Brust und Bauch zugewandt hätte. Wir musterten einander aufmerksam, bewegten uns mehrere Schritte umeinander herum, bevor Gawain schliesslich den ersten Angriff startete, den ich in einer einzigen, fliessenden Bewegung parierte und gleich darauf zurückschlug. In meinen Muskeln spürte ich ein Kribbeln, wie ich es in letzter Zeit öfter während unserer Kämpfe gespürt hatte – meine Feykräfte waren wieder da. Doch diesmal bemerkte Gawain es nicht und er zügelte seine Kräfte weiterhin. Einige Hiebe lang spielte ich diese Taktik mit, bevor ich ihn mit voller Wucht angriff – und ihn besiegte.
Joanne, die uns zugeschaut hatte, begann wie wild zu klatschen und auch einige andere Anwesende fielen mit ein. Gawain grinste mich überrascht und glücklich an, als könnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als von mir besiegt zu werden.
«Nochmals», forderte er mich auf.
Diesmal hielt Gawain sich nicht zurück und ich tat es genauso wenig. Der Kampf war atemberaubend. Schnelle Schläge und wirbelnd fliessende Bewegungen, die kaum länger als ein paar Herzschläge dauerten, während wir in übernatürlich schnellem Tempo umeinander wirbelten. Es war wie ein Tanz, ein gefährlicher, wilder Tanz, der tötliche Kräfte entwickelte. Mir war klar, dass nur ein kleiner Fehler, eine kleine Unachtsamkeit ausreichen würde und das ganze würde in einem Fiasko enden, doch ich schob den Gedanken daran beiseite. Ich musste mich auf diese Aufgabe, auf diesen Kampf konzentrieren und durfte mich nicht ablenken lassen. Ich weiss nicht, wie dieser Kampf von aussen ausgesehen hat, ob eine Betrachterin überhaupt wirklich verfolgen konnte, was geschah – ausser natürlich sie war eine Fey und solche übernatürliche Schnelligkeit war ganz natürlich für sie – doch obwohl wir uns so unglaublich schnell bewegten, hatte ich das Gefühl, dass der Kampf sehr lange dauerte. Weder Gawain noch mir gelang es, eine wirkliche Schwäche in der Abwehr des anderen zu finden. Irgendwann sprang Gawain schliesslich aus meiner Reichweite und hielt inne. Schwer atmend stützte er seine Arme auf seine Knie und ich war genauso erschöpft.
Wieder brandete Applaus auf, diesmal allerdings um einiges lauter und begeisteter als zuvor. Als ich mich umsah, bemerkte sich, dass sich um Gawain und mich ein grosser Kreis aus Zuschauern gebildet hatte, die uns nun zujubelten und zu diesem famosen Kampf gratulierten. Boudicca war sprachlos vor Entzücken.
«Du hast es geschafft, Adrienne», erklärte Gawain strahlend, sobald er zu Atem gekommen war. «Du hast es geschafft, deine Gefühle vor mir abzuschirmen.»
Irritiert sah ich ihn an. Was hatte das jetzt damit zutun?
Gawain grinste spitzbübisch. «Solange du deine Gefühle nicht verbergen konntest, war es kinderleicht dich zu besiegen – ich wusste immer, was du tun würdest.»
Verärgert funkelte ich ihnan. Das hätte er mir nun wirklich früher sagen können.
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