29. Kapitel
Zum Mittagessen in der Grossen Halle trennten Cedric und ich uns voneinander und setzten uns mit unseren Begleitern an unsere jeweiligen Haustische. Wieder ging Jake voran und setzte sich auf einen Platz direkt neben Harry. Schmunzelnd folgten wir und setzten uns zu den beiden und den Weasleys, damit Jakes Manöver nicht auffiel. Es funktionierte.
«Miss Seanorth», wandte sich Mrs Weasley sofort an meine Ma, nachdem diese sich gesetzt hatte. «Ich hoffe, Sie hatten den Sommer über nicht zu viel Ärger mit meinen Zwillingen.» Es funkelte gefährlich in Mrs Weasleys Augen.
«Sie haben sich sehr gut benommen», sagte Ma. «Den ganzen Sommer über haben sich die beiden dem Studium der Alchemie gewidmet und haben dabei sehr gute Fortschritte gemacht, wie Professor Pye mir versichert hat.»
Mrs Weasley blinzelte überrascht und sah sich zum Lehrertisch um, wo Professor Pye angeregt mit Professor Sprout sprach.
«Wirklich? Sie haben also nicht an ihren Erfindungen gebastelt?», fragte Mrs Weasley.
«Nicht, dass ich wüsste», sagte Ma.
Mit Mühe verbiss ich mir ein Lachen. Wissen tat Ma es tatsächlich nicht, genauso wenige wie auch Kaspar, Jessie, Cedric und ich. Die Zwillinge hatten nichts dazu gesagt und wir hatten auch nicht danach gefragt. Vermuten taten wir es aber sehr wohl. Diese 'Erfindungen', die Zauberscherze und alles, waren schliesslich der Grund, weshalb die Zwillinge sich überhaupt für Alchemie interessierten.
Während Ma mit Mrs Weasley über das seltsame Interesse der Zwillinge an der Alchemie sprach, verwickelte Jessie Bill in ein Gespräch über seine Tätigkeiten als Fluchbrecher und erwähnte dabei, dass ich mir überlegte, diesen Beruf zu wählen. Dass ich sogar extra dafür im Selbststudium Arithmantik lernte, vor kurzem die Prüfungen der Dritt- und Viertklässler abgelegt und bestanden hatte und nach der dritten Aufgabe zu den ZAG-Prüfungen in diesem Fach antreten würde. Bill war erstaunt und ganz begeistert von meinem Ehrgeiz, ebenfalls Fluchbrecherin zu werden.
Nachdem Mrs Weasley und Bill abgelenkt waren, registrierte ich mit einem Schmunzeln, wie Harry und Jake näher zueinander lehnten und ein leises Gespräch begannen.
Am Nachmittag wanderten Ma, Jake, Gawain und ich durchs Schloss. Die beiden Fey liessen sich von Jake und mir das Schloss zeigen, soweit sie es nicht bereits kannten, wobei Jake uns durch eine Unzahl verborgener Durchgänge und versteckter Treppen und Korridore führte.
Am Abend gab es zur Feier des Tages und zur Einstimmung auf die letzte Aufgabe ein Festessen, doch wie ich bereits am Morgen geahnt hatte, brachte ich kaum einen Bissen hinunter; die Nervosität füllte meinen Magen bis oben hin. Ludo Bagman war mittlerweile eingetroffen, wie auch der Zaubereiminister Cornelius Fudge, der Mr Crouchs Platz als einer der Richter einnehmen würde. Ma sass gemeinsam mit den Ministeriumszauberern am Lehrertisch, während Gawain und Jake wie beim Mittagessen am Gryffindortisch Platz genommen hatten.
Es schien länger zu dauern als sonst, bis Dumbledore sich erhob, um das Festmahl zu beenden. Doch schliesslich stand er auf und Stille kehrte ein.
«Meine Damen und Herren, noch fünf Minuten, und ich werde Sie bitten, sich auf den Weg zum Quidditchfeld zu begeben, zur dritten und letzten Aufgabe des Trimagischen Turniers. Die Champions folgen bitte jetzt schon Mr Bagman hinunter zum Stadion.»
Harry und ich standen auf. Die Gryffindors tischauf, tischab klatschten Beifall und Jake flüsterte uns zu: «Viel Glück, ihr beiden. Und gebt auf euch acht.»
Gemeinsam mit den anderen vier verliessen wir die Grosse Halle und machten uns auf den Weg. Im Gehen fassten Cedric und ich uns an den Händen. Es gefiel keinem von uns beiden, dass wir nun wieder Gegner sein mussten.
Wir betraten das Quidditchfeld – so gut das eben ging, wenn sich eine sieben Meter hohe Hecke um das ganze Spielfeld zog. Direkt vor uns lag eine Öffnung; der Eingang zum weitläufigen Irrgarten. Der Weg hinein verlor sich schon nach wenigen Schritten in beklemmender Dunkelheit.
Fünf Minuten später füllten sich die Ränge; die Luft war erfüllt vom aufgeregten Stimmengewirr der anderen Schüler und vom Getrappel hunderter Füsse. Der Himmel hatte ein tiefes, klares Blau angenommen und jetzt erschienen auf die ersten Sterne. Hagrid, Professor Moody, Professor McGonagall und Professor Flitwick kamen ins Stadion und auf Bagman und uns Champions zu. Sie trugen grosse, leuchtend rote Sterne an den Hüten, nur Hagrids Stern prangte auf dem Rücken seiner Maulwurffell-Weste.
«Wir werden um den Irrgarten herum Wache gehen», erklärte Professor McGonagall. «Wenn Sie in Schwierigkeiten stecken und gerettet werden wollen, sprühen Sie rote Funken in die Luft, und einer von uns wird Sie da rausholen, haben Sie verstanden?»
Wir nickten.
«Na dann mal los!», sagte Bagman und strahlte die vier an, die losgingen, um ihre Posten im Umkreis des Irrgartens einzunehmen.
Bagman richtete den Zauberstab auf seine Kehle, murmelte «Sonorus», und seine magisch verstärkte Stimme hallte auf den Tribünen wider.
«Meine Damen und Herren, gleich beginnt die dritte und letzte Runde des Trimagischen Turniers! Zu Ihrer Erinnerung noch einmal der gegenwärtige Punktestand! Mit jeweils fünfundachtzig Punkten zusammen auf dem ersten Platz – Mr Cedric Diggory und Mr Harry Potter, beide von der Hogwarts-Schule!» Jubelschreie und Applaus liessen einige Vögel aus dem Verbotenen Wald in den abendlichen Himmel flattern. «Auf dem zweiten Platz, mit achtzig Punkten – Mr Viktor Krum vom Durmstrang-Institut!» Ebenfalls Applaus. «Es folgen auf dem dritten Platz mit sechsundsiebzig Punkten Mr Jerôme Varaux von der Beauxbatons-Akademie ...» Erneuter Applaus. «... auf dem vierten Platz mit vierundsiebzig Punkten Miss Adrienne Norvik für das Durmstrang-Institut ...» Der Applaus für mich war etwas grösser als für Jerôme, da die Gryffindors wie gewohnt einigen Radau machten. «... und last-but-not-least mit neunundsechzig Punkten Miss Fleur Delacour für die Beauxbatons-Akademie!» Wieder wurde applaudiert.
«Die Champions werden nun in der Reihenfolge ihrer Rangierung den Irrgarten betreten; die Differenz ihrer Punkte zu dem nächst höher klassierten in Minuten gibt an, wie viel Zeit zwischen deren Start in den Irrgarten liegt. Nun ... auf meinen Pfiff, Harry und Cedric!», sagte Bagman. «Drei – zwei – eins –»
Er blies kurz und kräftig in seine Trillerpfeife und Harry und Cedric liefen in den Irrgarten hinein und verschwanden ausser Sicht.
«Mr Krum, Sie sind der nächste», kündigte Bagman an.
Nachdem fünf Minuten verstrichen waren, blies Bagman erneut in seine Trillerpfeife und auch Viktor verschwand im Irrgarten.
Vier Minuten später kam der Pfiff für Jerôme und zwei weitere Minuten danach kam mein Pfiff und ich folgte den anderen zwischen die düsteren Hecken.
Die hoch aufragenden Hecken warfen schwarze Schatten über den Weg, und, ob sie nun verzaubert waren oder einfach, weil sie so hochgewachsen waren, jedenfalls verschluckten sie jedes Geräusch. Der Lärm der Menge war nicht mehr zu hören, und nicht einmal meine Schritte. Das einzige Geräusch, das ich noch hören konnte, war das Klopfen meines Herzens.
«Lumos», murmelte ich und die Spitze meines Zauberstabs leuchtete auf und erhellte den schmalen Gang zwischen den übermächtigen Hecken. Ich folgte dem Gang bis zur ersten Verzweigung, dann sprach ich den Aufspürzauber, den ich vor so langer Zeit von Charlie gelernt hatte: «Inverstiga!» Der Zauberstab kreiselte auf meiner ausgestreckten Hand bis er zitternd verharrte. Seine leuchtende Spitze zeigte ungefähr in die Richtung des rechten Gangs und ich bog in diesen ein. Wenig später erklang der Pfiff von Bagmans Trillerpfeife ein letztes Mal; Fleur hatte den Irrgarten nun ebenfalls betreten.
Diese langen, schmalen Gänge zwischen den hohen, dunklen Hecken waren zermürbend. Wahrscheinlich wäre ich durchgedreht, wenn nicht hin und wieder ein Monster oder ein Zauber meinen Weg gekreuzt hätte. Das erste war eine Rotkappe, die ihre langen, grausigen Finger ausstreckte, um mich zu erwürgen, diese nach einem Knurren und einem warnenden Blick meinerseits aber sofort wieder zurückzog. Nicht alle Wesen liessen sich jedoch durch Knurren und böse Blicke vertreiben; nebst den Tierwesen gab es schliesslich noch andere Unholde und Dämonen, wie zum Beispiel den Irrwicht, den ich nur mit einem «Riddikulus!» besiegen konnte. Die Zauber bargen eine ganz eigene Herausforderung: Meist waren es Fallen, die ausgelöst wurden, wenn man an einen bestimmten Ort trat oder einen bestimmten Punkt passierte. Aus den meisten Fallen konnte ich mich mit einem nachdrücklichen «Finite!» befreien, aber einige waren heimtückischer und brauchten raffiniertere Zauber, um ihnen zu entkommen. Dann waren da auch noch einige gefährliche Pflanzen, die vermutlich Professor Sprout zur Verfügung gestellt hatte. Da gab es Fangzähnige Linien, Kreischbeisser und eine besonders hinterhältige Venemosa Tentacula. Und natürlich immer wieder Teufelsschlingen, die sich um meine Füsse wanden und mich zu Fall bringen wollten. Bald hatte ich eine Strategie erarbeitet, die mich vor den meisten Hindernissen warnte oder schützte. Zum einen streckte ich meine magischen Sinne aus, die durch das Feyblut und den Obscurus sehr viel feiner waren als gewöhnlich und mit denen es mir gelang, die meisten Zauber aufzuspüren, bevor ich diese auslöste, zum anderen hielt ich immer einen leichten Schildzauber um mich herum aufrecht und zu guter Letzt hatte ich wieder eine Lichtkugel beschworen, die helles, warmes Licht verströmte, das nicht nur die Gänge erleuchtete, sondern auch die Teufelsschlingen auf Abstand hielt. Gegen die Tierwesen wappnete mich mein Feyblut.
Immer und immer wieder wandte ich den Aufspürzauber an und bog in die Richtung, in die er mir wies. Ich wusste nicht, wie lange ich schon unterwegs war, doch ich musste bereits tief im Irrgarten drin sein. Der Pokal war irgendwo in der Mitte, das hatte Bagman gesagt, doch woher sollte ich wissen, wo die Mitte war? Ob einer der anderen bereits dort war?
Ich bog um eine weitere Ecke und stand einem Geschöpf gegenüber, das ich nach Cedrics Beschreibung als einen von Hagrids Knallrümpfigen Krötern identifizierte. Das Wesen war riesig und schwarz und in einen Panzer gehüllt, der meinen Schockzauber abprallen liess. Es gelang mir gerade noch zur Seite zu springen, bevor ich von meinem eigenen Zauber ausser Gefecht gesetzt worden wäre. Leider wollte der Kröter nicht auf mich hören. Langsam wich ich zurück, hastig überlegend, was ich tun sollte. Dieser Gang führte in die Richtung, in die ich wollte und dieser dumme Kröter stand mitten drin. Mir kam eine Idee und Sekunden später umfingen mich Schatten. Langsam näherte ich mich dem Biest wieder, doch das liess sich von den Schatten meines Obscurus nicht ablenken und krabbelte bedrohlich weiter auf mich zu. Dann musste ich wohl einen anderen Weg nehmen, gestand ich mir schliesslich seufzend ein.
Ein Schrei durchbrach die alles umfassende Stille im Irrgarten – hallte durch die dichten Hecken hindurch, die sonst jedes Geräusch schluckten. Ich verharrte stockstill und lauschte. War das Fleur gewesen? War sie in meiner Nähe und brauchte Hilfe? Oder meldete sich wieder einmal mein Feygehör zurück? Aber ich konnte nicht ausmachen, woher der Schrei gekommen war und schliesslich blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem unguten Gefühl im Magen weiterzugehen.
Eine weitere Abbiegung und vor mir im Gang schwebte ein merkwürdiger, goldener Nebelschleier. Ein weiterer Zauber. Ich richtete meinen Zauberstab auf den Nebel: «Finite!» Und als es nicht funktionierte, rief ich entschlossener: «Finite incantatem!»
Der Nebel waberte, doch ansonsten tat sich nichts. Nun gut ... vielleicht würde es diesmal mit dem Obscurus funktionieren. Erneut in bedrohliche Schatten gehüllt näherte ich mich dem Nebel. Schritt für Schritt für Schritt für Schritt ... Plötzlich tat die Welt einen Ruck und mit einem Mal hing ich kopfüber von der Erde, der unendliche Himmel unter mir. Beinahe wurde mir schwindelig während ich in diese unendlichen Weiten sah. Was würde geschehen, wenn ich weiterging? Wenn ich meine Füsse vom Boden löste? Würde ich dann in den Himmel fallen? Der Gedanke war gleichermassen bedrohlich wie komisch. In den Himmel fallen ... Irgendwie hatte diese Idee etwas Reizvolles, auch wenn ich es nicht unbedingt ausprobieren wollte. Aber halt! Man konnte nicht in den Himmel fallen; die Schwerkraft verhinderte das. Und wenn die Schwerkraft in diesem Nebel auch aufgehoben schien, der Nebel reichte nicht bis in die Unendlichkeit. Entschlossen löste ich einen Fuss vom Boden und sofort kippte die Welt wieder ins Lot.
Ich ging weiter, folgte dem Weg, den der Aufspürzauber mir wies, entdeckte einen Zauber, der sich diesmal mit einem entschlossenen «Finite!» bezwingen liess und vertrieb einen weiteren Irrwicht. Mittlerweile musste ich doch sicher langsam die Mitte das Labyrinths erreicht haben. Plötzlich konnte ich meine Schritte wieder hören, und das Rascheln und Tapsen von Füssen. Ich bog um die nächste Ecke und sah vor mir ein befremdliches Geschöpf. Es war etwa so gross wie ein Hund, hatte einen Froschkopf mit rot leuchtenden Augen und einem Horn, das auf seiner Stirn spross.
«Lass mich einfach vorbei, dann passiert dir nichts», sagte ich zu dem froschköpfigen Wesen, das sofort den Weg freigab.
Nur wenige Schritte nachdem ich das Wesen passiert hatte, hielt ich erneut inne. Laute Rufe waren zu hören. Cedrics Stimme: «Was tust du da? Was zum Teufel machst du da?»
Dann eine andere Stimme, die von Viktor: «Crucio!»
Cedrics Schreie gellten durch die Luft und hallten in meinen Ohren wider. Ich dachte nicht nach, als ich mich in den Obscurus verwandelte und auf Cedrics Schreie zu schoss, direkt durch die Heckenmauern hindurch; die wütenden Krallen eines Obscurus konnten diese nicht abwehren, stattdessen zerfetzte der Obscurus sie. Dann war ich da. Da war Viktor, mit dem Zauberstab in der Hand. Und am Boden: Cedric, der sich in Höllenqualen wand und schrie. Rote Funken leuchteten in meiner wabernden Finsternis auf. Und dann war ich bei Viktor und er war derjenige, der schrie. Schrie und schrie und schrie und dann nur noch wimmerte ...
«Adrienne! Hör auf!» Cedrics Stimme war heiser, aber seine Stimme brachte mich wieder zur Besinnung.
Viktor lag auf dem Boden unter meinen krallenbewehrten Schatten und blutete aus unzähligen Kratzern. Er war bewusstlos. Ich hatte ihn so zugerichtet. Entsetzt wich ich zurück.
Cedric kniete neben seinem Angreifer nieder, hielt seine Hand vor Viktors Nase und tastete nach seinem Puls. «Er lebt.»
In diesem Moment kletterte Harry aus einem Loch in der Hecke.
«Was ist passiert?! Cedric! Alles in Ordnung bei dir? Wo ist Krum?», rief er und hielt dann inne, als er Krum sah. «Was ist mit ihm passiert?», sagte er tonlos und sah sich um, und entdeckte die finster wabernden Schatten, in denen immer noch hin und wieder rote Funken loderten. Mich. Mein kleiner Bruder hob den Zauberstab und richtete ihn auf mich, einen Fluch auf den Lippen.
«Nicht!», rief Cedric und stürzte sich auf Harrys ausgestreckten Arm und der Reduktor-Fluch, den Harry auf mich hatte feuern wollen, wurde abgelenkt.
Harry schüttelte Cedric ab. «Da ist etwas. Irgendein Zauber oder so. Das siehst du doch!» Und wieder richtete Harry den Zauberstab gegen mich.
Doch Cedric stellte sich dazwischen. «Hör auf, Harry! Das ist Adrienne.»
Sichtlich erschüttert starrte Harry in meine Finsternis.
«Adrienne», wandte Cedric sich nun an mich. «Verwandle dich zurück. Bevor der Obscurus dich zu schlimm verletzt.»
Natürlich. Cedric hatte Recht.
Ich konzentrierte mich, doch sobald ich wieder in meiner menschlichen Gestalt war, entglitt mir jeder klare Gedanken und ich schrie. Es tat so weh, so unendlich weh. Die Schnitte, die der Obscurus bei mir hinterlassen hatte, waren anders. Es waren weniger als bei Viktor, doch sie waren länger, schienen tiefer.
Harry keuchte auf vor Entsetzen, während Cedric zu mir geeilt kam und einige einfache Heilzauber über meine Wunden legte. Die Blutung stoppte und die Wunde verheilte, wenn er einen der Kratzer berührte, doch es waren einfach zu viele.
«Hör auf, Cedric», brachte ich schliesslich zitternd hervor. «Du brauchst deine Kräfte noch. Du musst weiter. Ihr beide müsst weiter.»
Harry nickte und eilte den schmalen, düsteren Gang entlang weiter, doch Cedric blieb bei mir stehen. «Nicht wenn du verletzt bist, Adrienne.»
Ich lächelte. Einer der Gründe, weshalb ich Cedric liebte. «Mir geht es gut, Cedric», sagte ich mit klappernden Zähnen. Mir wurde kalt vom Blutverlust. «Jetzt geh weiter und hol diesen verdammten Pokal für mich. Ich schicke rote Funken, dann kommen sie mich holen. So kann ich ohnehin nicht weiter.»
Unsicher sah Cedric mich an, dann kniete er sich neben mich, strich sanft über mein Haar und beugte sich dann vor und küsste mich. Der Kuss begann sanft und voller Sorge, wurde aber bald inniger und verlangender und ich vergass alles um mich herum. Es war Cedric, der sich schliesslich von mir löste, heftig atmend und mit geröteten Wangen.
«Also gut, ich hole diesen verdammten Pokal für dich. Und du ... lass dich rausholen und verarzten.»
«In Ordnung», sagte ich und lächelte ihn an, den Schmerz, der mit voller Wucht zurückgekehrt war, ignorierend. Ich hob meinen Zauberstab in die Höhe und schickte rote Funken in den Himmel.
«Gut», murmelte Cedric, beugte sich ein letztes Mal zu mir hin und küsste mich. Mit einem «Bis später, Adrienne!» entfernte er sich und verschwand nur Sekunden später in der Finsternis zwischen den Hecken.
Das Wimmern, das ich bis jetzt unterdrückt hatte, kam mir nun über die Lippen und wurde schnell zu einem unterdrückten Schluchzen. Es tat so weh. Was hatte mich nur geritten, meinen Obscurus zu beschwören, obwohl ich doch genau wusste, was das mit mir machte? Cedric natürlich. Weil Viktor ihn angegriffen hatte. Gefoltert hatte. Voller Wut starrte ich auf den bewusstlosen Durmstrang-Schüler nur zwei Meter von mir entfernt. Ich hätte ihn umgebracht, wenn Cedric mich nicht aufgehalten hätte; und ich war mir nicht sicher, ob ich es bereut hätte.
Schwarze Punkte tanzten in meinem Sichtfeld und meine Arme und Beine wurden langsam taub, als sich endlich jemand der Labyrinth-Patrouille näherte. Ich erkannte den einseitigen Gang. Professor Moody.
«Snape», raunzte er, sobald er bei mir war. Sein Gesicht war zu einem hämischen Lächeln verzogen, was es noch unheimlicher aussehen liess als ohnehin schon. Er hielt den Zauberstab direkt auf meine Brust gerichtet. «Was wird dein Vater wohl von dir halten?» Dann lachte er bellend und ein ungutes Kribbeln lief über meinen Rücken. Es war nicht das Kribbeln und Prickeln meiner Feykräfte; es war eine Vorahnung, dass diese Begegnung hier nicht gut enden würde.
«Was wird dein Vater wohl sagen, wenn er weiss, dass ich dich getötet habe?», sagte er erregt und trat näher an mich heran. An Viktor hatte er keinen Blick verschwendet. Nicht einmal sein magisches Auge war zu dem Durmstrang gehuscht.
Moodys Lächeln wurde breiter und in seinen Augen glitzerte es verschlagen. Dann öffnete er den Mund und setzte zu einem Zauber an: «Avada–»
Ein einzelner Gedanke reichte aus und mein Körper löste sich erneut in schwarze Schatten auf. Der Todesfluch jagte auf die Stelle zu, an der mein Körper kurz zuvor gelegen hatte, doch da war kein Körper mehr, ich hatte keinen Körper mehr. Stattdessen war ich Finsternis, war dunkle, ungezähmte Magie, war Wut, so unendliche Wut. Die roten Funken in meinem dunklen Nebel leuchteten stärker und heller als zuvor, als ich mich auf Moody stürzte, doch dieser schaffte es im letzten Moment einen Schildzauber zu beschwören; einen, der so stark war, dass meine Krallen aus Finsternis an ihm abglitten. Wieder und wieder warf ich mich dagegen. Lodernde heisse Wut und Hass löschten jeden klaren Gedanken aus. Moody hatte wirklich veraucht mich zu töten. Er hatte versucht mich zu töten! Moody schickte Zauber um Zauber gegen mich, doch sie gingen von Mal zu Mal durch mich hindurch – ich war schneller und meine Schatten waren überall, doch nie dort, wo er hinzielte. Und mit jedem Zauber wurde meine Wut stärker und damit mein Obscurus. Der Schildzauber, mit dem Moody sich vor mir schützte, geriet ins Wanken und die Augen des Ex-Aurors weiteten sich vor Entsetzen, als ihm klar wurde, dass ich stärker war. Er tat das einzig Vernünftige in seiner Situation: Er ergriff die Flucht, so schnell sein Holzbein es erlaubte. Ich hätte ihm folgen können, ihn zerfetzen, zerreissen, bis nur noch winzige Fitzelchen von ihm übrig waren, doch ich tat es nicht. Irgendwo in mir war eine Stimme, die mir sagte, dass es falsch war. Genau wie es auch falsch gewesen wäre, Viktor zu töten. Ich waberte um den bewusstlosen Durmstrang-Schüler, überlegte, was ich nun tun sollte, doch ich war machtlos in dieser Gestalt, wenn es um etwas anderes ging, als das Zerstören und Töten. Und sobald ich meine menschliche Gestalt annehmen würde ...
Bevor ich Viktor helfen konnte, musste ich zuerst für mich selbst sorgen. Ich musste raus hier. Meine Schatten stiegen auf, hinauf in den Himmel, dessen Sterne silbern über der sieben Meter hohen Hecke leuchteten. Von oben betrachtet war der Irrgarten lange nicht so gross wie wenn man darin steckte. An einem Punkt am Rand brannten helle Lichter, dort war der Eingang – dort würde man mich verarzten können. Ich waberte auf das Licht zu. Kurz bevor ich es erreichte, wurde mir bewusst, dass es vielleicht nicht besonders klug war, mich vor der ganzen Schule inklusive den anwesenden Beauxbatons, Durmstrangs und den anderen Zuschauern zurück zu verwandeln. Stattdessen tauchte ich hinab in den Gang, durch den wir den Irrgarten betreten hatten und verwandelte mich dort zurück. Augenblicklich brach der Schmerz über mir zusammen, Schmerz wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Ich schrie. Schrie den Schmerz hinaus, ohne dass es etwas brachte. Punkte tanzten in meinem Sichtfeld – weisse Punkte, grell wie der Schmerz ... und schwarze Punkte, dunkel wie das Vergessen. Oh ... wie gerne würde ich vergessen. Aber ich musste weiter. Mit meinen vom Schmerz benebelten Gedanken konnte ich nicht herausfinden weshalb, aber ich musste weiter ... den Gang entlang ... auf das Licht zu ... Ich stützte mich an der Hecke ab, hielt mich an ihren Zweigen aufrecht und stolperte vorwärts ... auf das Licht zu ... und dann gewannen die schwarzen Punkte die Oberhand und meine Welt versank in einer Finsternis anders als der des Obscurus. Einer Finsternis, aus der es kein entrinnen gab. Auch die Panik, die in meiner Brust aufwallte, wie grelles, weisses Licht, konnte mich nicht davor retten, in die Schatten zu sinken. Ich war zu schwach, um nach diesem rettenden Seil aus Licht zu greifen.
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