26. Kapitel
In den Tagen nach der zweiten Aufgabe wurden wir Champions und die Geiseln von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Was war genau passiert dort unten im See? Offenbar hatten die Schüler und die anderen Zuschauer einfach eine Stunde auf diesen Tribünen am Ufer gesessen und darauf gewartet, dass sie wir wieder auftauchten. Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, weshalb das Ministerium eine Aufgabe kreierte hatte, die für die Zuschauer derart langweilig war. Sollte das Turnier nicht auch einen gewissen Unterhaltungswert für die Zuschauer haben? Das wäre für alle beteiligten von Vorteil: Zum Zusehen würde es spannender und ich müsste nicht immer und immer wieder die gleiche Geschichte von mir geben wie ein Papagei. Andere genossen es natürlich umso mehr, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen: Ron zum Beispiel, der eine haarsträubende, äusserst unterhaltsame Geschichte erzählte, wie die Wassermenschen ihn erst hatten zusammenschlagen müssen, um ihn zu kidnappen. Kaspar und mir war es im Rampenlicht aber nicht so wohl, vor allem Kaspar nicht.
Anfang März wurde das Wetter trockener, aber wenn wir draussen auf den Ländereien waren, röteten furchtbare Winde unsere Hände und Gesichter. Ich hatte Pflege magischer Geschöpfe zum Glück zu Gunsten von Alte Runen abgewählt, aber selbst der kurze Weg zu den Gewächshäusern war im beissenden Wind alles andere als angenehm.
Vom Wind im Schloss eingesperrt und durch das Tränke-Kit, das mein Vater gegen die Auswirkungen meiner Obscurusverwandlungen zusammengestellt hatte, ermutigt, beschloss ich wieder mit meinem Obscurus zu üben. Allerdings nicht mich zu verwandeln – auf die blutenden Striemen und den Schmerz konnte ich gerne verzichten – sondern mich in seine Schatten zu hüllen. Bereits als ich im Herbst versucht hatte, meinen Obscurus zu kontrollieren, war mir aufgefallen, dass ich die Schatten des Obscurus beschwören konnte, ohne mich zu verwandeln. In diesen Schatten war ich nahezu unsichtbare. Allerdings erforderte es unheimlich viel Konzentration, dieses Stadium der Halbverwandlung zu halten. Es war eine Gratwanderung, die jederzeit in die ein oder andere Richtung kippen konnte. Doch obwohl mich der Obscurus während diesen Übungen einige Male leicht verletzte, war ich nicht gewillt, aufzugeben. Es war äusserst praktisch, ungesehen durchs Schloss schleichen zu können und mit etwas Glück würde mir diese Fähigkeit auch bei der dritten und letzten Aufgabe nützlich sein.
Mein Bruder jedenfalls hätte diese Fähigkeit sicher gerne gehabt, nachdem einige Tage später ein Artikel über ihn in einem Klatschheft, der Hexenwoche, erschien. Wieder war er von dieser Rita Kimmkorn und sorgte für hämisches Gelächter von den Slytherins. Aus Sympathie zu meinem Bruder hielt ich mich weiterhin vom Slytherintisch fern – und auch, weil ich Pucey nicht gegenübertreten wollte. Leider konnte ich ihm im Unterricht nicht so gut aus dem Weg gehen, vor allem in Alte Runen nicht, wo wir nebeneinandersassen. Der Kuss hatte nichts bedeutet; dass ich darauf reagiert hatte, lag einzig und allein daran, dass Pucey ein guter Küsser war.
Auch von Cedric hielt ich mich wann immer möglich fern und ignorierte ihn während den gemeinsamen Unterrichtsstunden. Allerdings nicht so erfolgreich wie bei Pucey. Eines Nachmittags nach einer Doppelstunde Verteidigung gegen die Dunklen Künste, in der Moody wieder einmal versucht hatte, mich mit finsteren Blicken zu ermorden – er schien mich richtiggehend zu hassen, weil Snape mein Vater war – packte Cedric mich am Arm und zog mich von meinen Freunden weg.
«He, was soll das!», protestierte ich und versuchte, mich loszumachen, aber Cedrics Griff blieb fest. Ich hatte ganz vergessen, wie stark er war. Und so blieb mir keine andere Wahl, als ihm zu folgen, während er mich durch die Korridore schleifte, bis auf den Dachboden der Grossen Halle und in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles.
«Was soll das?!», fragte ich erneut verärgert und funkelte Cedric an. Ich versuchte, all meine Feykräfte in den Blick zu legen, doch entweder funktionierte es nicht oder Cedric schaffte es irgendwie, der einschüchternden Aura der Fey zu widerstehen.
«Wir müssen reden», beschied er mir.
«Worüber denn reden?»
«Über uns, über das alles, was seit der ersten Aufgabe geschehen ist», sagte Cedric eindringlich. «Hast du meinen Brief bekommen? Zu Weihnachten?»
Beschämt sah ich zur Seite. Nur zu gut erinnerte ich mich an den Brief. Cedric hatte sich entschuldigt für all das, was geschehen war, hatte alle Schuld auf sich genommen und mich um Verzeihung gebeten. Dabei hatte ich doch mindestens genauso viel falsch gemacht wie er. Wenn nicht noch mehr. Eigentlich war mir das schon lange klar.
«Es tut mir leid», flüsterte ich und starrte auf unsere Füsse, um Cedric nicht ansehen zu müssen.
«Mir tut es auch leid», sagte er genauso leise und zog mich in seine Arme. Ganz fest. Fest genug, dass meine Tränen seinen Pullover durchnässten. So standen wir da, fest aneinandergeklammert. Eine Ewigkeit lang.
«Das mit Cho», begann Cedric schliesslich, «dass sie meine Geisel war dort im See ... du bedeutest mir viel mehr als sie, Adrienne. Viel, viel mehr.»
«Ich weiss», murmelte ich in Cedrics Pullover. Und dann: «Aber sie hätten ja schlecht mich nehmen können, was?»
«Wäre schwierig geworden», sagte Cedric kichernd.
Es war, als wäre nochmals Weihnachten, so glücklich war ich, wenn ich in den nächsten Tagen Seite an Seite mit Cedric durchs Schloss ging. Die eifersüchtigen Blicke von Cho waren mir egal, teilweise empfand ich sogar hämische Freude. Cedric war mein Freund und ich würde nie wieder zulassen, dass sich etwas so Unwichtiges, wie ein Trimagisches Turnier oder eine eifersüchtige Ravenclaw, zwischen uns drängte; dafür war Cedric mir viel zu wichtig.
Doch jedes Weihnachten geht vorüber. Die Zeit läuft einfach weiter und wenn auch der Geist von Weihnachten bleibt, holt einem der Alltag wieder ein und man wird mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Zum Beispiel mit einer Viertel-Veela, die sich am nächsten Hogsmeade-Wochenende in den Drei Besen wie selbstverständlich zu Cedric, Kaspar, Jessie und mir an den Tisch setzte und davon schwärmte, wie fantastisch sie Hogwarts finde.
Wann genau Fleur beschlossen hatte, meine Freundin zu sein, wusste ich nicht – vielleicht beim Weihnachtsball, als sie schliesslich recht behalten hatte, dass mir das Tanzen gefallen würde. Oder als ich endlich ihren Rat angenommen und mich mit Cedric versöhnt hatte. Aber eigentlich war es mir egal. Die Unterhaltungen mit Fleur waren erfrischend und seltsam tröstlich. Da sie nicht vollkommen menschlich war, verstand sie die unterschwellige Abneigung, die einige Leute in Hogwarts, vor allem viele Slytherins, mir entgegenbrachten, seit Gerüchte aufgekommen waren, dass ich nicht vollkommen menschlich war. Erst war es wegen Gawain gewesen, der sich scherzeshalber als mein Vater ausgegeben hatte, nun lag es an Ma, an Kathalena Norvik, die bekanntermassen nicht ganz menschlich war – und damit war nicht nur gemeint, dass sie an Grindelwalds Seite ein Unmensch gewesen war. Was eine Fey war und das Ma zu ihnen gehörte, wussten nur die wenigsten, aber sie war nicht vollkommen menschlich und das reichte.
«Bei uns in Beauxbatons ist es auch nischt einfach, so su sein, wie wir 'alt sind, aber wir werden akzeptiert», erklärte Fleur. «Man bringt uns nischt so viel Abneigung entgegen wie 'hier in 'ogwarts.»
Tatsächlich war mir mehrfach aufgefallen, wie die Leute Fleur anstarrten: Diejenigen, die ihrem Veela-Zauber verfallen waren natürlich mit gläsernen Augen und offenen Mündern, aber von den anderen viele mit Verachtung.
«Früher war das anders», erklärte ich. «Früher gab es in Hogwarts einmal ein Haus für Leute, die nicht oder nicht ganz menschlich waren, oder die Begabungen hatten, die der Rest der magischen Welt fürchtete und verabscheute.» Fleur sah mich neugierig an. «Das Haus Finjarelle.»
«Finjarelle wie Professor Finjarelle, die Professorin für Theoretische Magie?», hakte Fleur nach.
Wie sich herausgestellt hatte, reichte Finëas Begeisterung fürs Unterrichten so weit, dass sie sogar angeboten hatte, den Beauxbatons und den Durmstrangs Unterricht zu geben. Dabei hatte ich herausgefunden, dass Finëa fliessend Französisch sprach, eine Sprache, die unter den Adligen ihrer Zeit weit verbreitet war.
«Genau wie Professor Finjarelle. Sie ist eine der Gründerinnen von Hogwarts und war die erste Hauslehrerin von Finjarelle – und auch die letzte.»
«Was ist passiert?»
«Sie wurde ermordet», sagte ich düster. «Und bald darauf wurden keine nichtmenschlichen Wesen mehr in Hogwarts unterrichtet.» Das alles hatte ich herausgefunden, als ich in meinem zweiten Jahr eine unfreiwillige Zeitreise gemacht und in der Zeit der Gründer gelandet war.
Der Alltag hielt noch andere Herausforderungen bereit, Herausforderungen, die lange nicht so erfreulich waren, wie Fleurs Entschluss, meine Freundin zu sein. Es war an einem Abend; ich war auf dem Weg zu meinem Vater zu unseren wöchentlichen Teestunden, als ich die Stimmen von ihm und Karkaroff hörte. Mir war in den letzten Tagen öfters aufgefallen, das Karkaroff versuchte, meinen Vater in die Enge zu treiben, um mit ihm zu sprechen; nun war es ihm also gelungen.
«Du kannst das nicht länger ignorieren, Severus!», hörte ich Karkaroffs Stimme. Sie klang anders als sonst, nicht so ölig, sondern rau, fast schon panisch. «Es wird immer deutlicher und deutlicher.»
«Das sehe ich, Igor, ich bin nicht blind», gab Snape bissig zurück.
Neugierig schlich ich näher und spähte um die Ecke des Korridors. Karkaroff stand meinem Vater gegenüber, der mit dem Rücken zur Wand stand, und hielt ihm seinen Unterarm entgegen. Was war da los? Es war unmöglich, etwas anderes zu tun: Ich hüllte mich in die Schatten meines Obscurus und näherte mich in den undurchdringlichen Schatten verborgen weiter den beiden. Zum Glück war es in den Kerkern immer etwas düster und so fielen meine Schatten kaum auf.
«Und jetzt weg damit!», fauchte Snape und stiess Karkaroffs Arm beiseite.
«Nein!», rief Karkaroff und griff dann nach Snapes Ärmel. «Wir müssen etwas unternehmen!»
«Wenn du Angst hast, dann flieh», zischte Snape und versuchte seinen Ärmel Karkaroffs Griff zu entziehen.
«Du willst nichts tun?!» Karkaroffs Stimme hallte schrill durch den steinernen Korridor. «Du kannst das nicht ignorieren, Severus! Das kannst du nicht! Es wird immer dunkler, immer deutlicher!» Mit diesen Worten riss er fest am Ärmel meines Vaters und der Stoff zerriss.
«Idiot!», knurrte Snape und versteckte seinen Unterarm schnell unter den Stofffetzen, doch es war schon zu spät. Ich hatte gesehen, was dort war. Ein Aufkeuchen kam ungewollt über meine Lippen und die beiden Männer sahen sich hastig im menschenleeren Korridor um. Karkaroffs Augen huschten hin und her, aber die meines Vaters lagen fest auf mir. Er wusste, dass ich da war.
«Verschwinde!», zischte er Karkaroff zu, der sofort Reissaus nahm.
Am liebsten wäre ich dem Schulleiter von Durmstrang gefolgt, doch es würde das Unvermeidliche nur herauszögern. Snape fixierte mich mit diesen schwarzen Augen, den gleichen wie meinen, und hielt meinen unsichtbaren Blick fest, bis Karkaroffs Schritte verhallt waren.
«Adrienne», sagte er dann streng. «Mitkommen.»
Immer noch in Schatten gehüllt trottete ich hinter meinem Vater her zu dessen Büro und liess die Schatten erst von mir abfallen, als ich den Raum betrat und mich auf den unbequemen Stuhl vor seinem Schreibtisch setzte.
Anders als erwartet nahm mein Vater nicht auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz, sondern lehnte sich an eines der vielen Regale mit den Glasbehältern mit in Formaldehyd schwimmenden Tieren. Sein Gesicht zeigte nicht die emotionslose, kalte Maske, die er sonst immer zur Schau trug, stattdessen sah er müde aus, und resigniert. «Jetzt weisst du es also.»
«Was bedeutet es, das dunkle Mal am Unterarm zu tragen?», fragte ich leise. Es war jedenfalls kein Motiv, das man sich einfach mal so als Tattoo stechen liess.
«Der Dunkle Lord hat jeden seiner Todesser mit dem Mal gekennzeichnet», sagte mein Vater matt und liess sich nun doch auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Geschlagen stützte er die Stirn auf seinen Händen ab.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich hatte es bereits geahnt, seit ich das Mal an seinem Arm gesehen hatte, aber es jetzt aus seinem Mund zu hören ... es klang so endgültig.
«Wieso?», hauchte ich.
Sev hob den Kopf und sah mich traurig an. «Ich war jung, dumm und zerfressen von Wut und Hass. Letzteres bin ich wohl immer noch», fügte er mit einem humorlosen Lachen an.
Eine ganze Weile sassen wir schweigend da, einander gegenüber, getrennt durch den Tisch und die Neuigkeit, die sich langsam in mir festsetzte. Mein Vater war ein Todesser. Ein Anhänger von Voldemort. Einer von denen, die Jake verachtete und jagte. Er musste es gewusst haben; deshalb hatte Jake mich anfangs immer voller Abscheu angesehen. Und Moody musste es auch wissen. Aber ... weshalb war mein Vater dann hier in Hogwarts und unterrichtete, wenn doch bekannt war, dass er ein Gefolgsmann von Voldemort war. Weshalb hatten sie ihn nicht nach Askaban gebracht wie Sirius?
«Ich kann verstehen, wenn du nicht hierbleiben willst, Adrienne. Wenn du nicht mehr zu unseren Teestunden kommen willst. Wenn du möchtest, kannst du gehen», sagte Sev leise.
Das musste er nicht zweimal sagen. Ich stand auf und verliess das Büro, dann machte ich mich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum der Finjarelles. Aber wollte ich Cedric, Kaspar und Jessie wirklich davon erzählen? Was hielt ich davon, dass mein Vater ein Todesser war? Wie ging es mir damit? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass er Dinge getan hatte, die zu schrecklich waren, um sie in Worte zu fassen. Zu abscheulich. Unverzeihbar. ... genau wie bei Ma ...
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