19. Kapitel
Ich konnte nicht klar denken. Da war nichts als Wut. Gleissend rote, brennend heisse, alles verzehrende Wut. Wie hatte Cedric mir das nur antun können? Wie hatte er mich unvorbereitet gegen einen Drachen antreten lassen können? Natürlich, es war vorgesehen gewesen, dass wir dem Drachen unvorbereitet entgegen traten. Aber so war es eben nicht gewesen! Ich war die Einzige, die unvorbereitet gewesen war, während die Anderen die Chance gehabt hatten, sich eine Strategie auszudenken. Ich war die Einzige gewesen, die nach den Regeln gespielt hatte. Und was hatte mir das gebracht? Gerade einmal neunundzwanzig winzige Pünktchen – in die Notenskala umgerechnet war ich damit sogar ungenügend, wenn auch nur sehr knapp. Und trotzdem!
Ich schlug erneut auf das Kissen meines Himmelbetts in meinem Finjarelle-Schlafsaal – aber es brachte nichts. Es half nicht, diese Wut loszuwerden. Mit dem Fuss gegen den Bettpfosten zu treten auch nicht – das hatte ich schon versucht und mir dabei beinahe den Fuss verstaucht.
Dieser verdammte ... Am liebsten hätte ich die anderen Champions allesamt erwürgt! Oder ihnen dieses verdammte goldene Ei an den Kopf geschmissen, dass da so unschuldig am Fussende meines Betts funkelte. Ich sollte dieses verdammte Ding einfach in den See werfen, dann war ich es ein für alle Mal los. Ja, genau das würde ich tun!
Ich schnappte mir das Ei und rauschte aus dem Gemeinschaftsraum, hielt dann aber auf halbem Weg die Marmortreppe hinab in die Eingangshalle inne. Eigentlich könnte ich das Ei auch in den See werfen und dann mit Gryffindors Schwert losziehen und im Wald auf ein paar Bäume umschlagen. Ja, das war eine gute Idee. Brachte sicher mehr als auf irgendwelche Kissen zu hauen. Ich machte kehrt und lief die Marmortreppe wieder hinauf, diesmal bis zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors.
«Quatsch!», raunzte ich die Fette Dame an.
«Nicht in diesem Ton, meine Liebe», sagte sie tadelnd, den Finger hatte sie erhoben wie eine Mutter, die ein kleines Kind ausschimpfte.
«Ich hab das Passwort gesagt, also mach schon auf!» blaffte ich und funkelte sie wütend an.
Beschwichtigend hob die Fette Dame die Hände. «Schon gut, schon gut», sagte sie schon fast ängstlich und schwang beiseite.
Es war, als hätte jemand das Tor zur Hölle aufgestossen. Unglaublicher Lärm, laute Stimmen, schrilles Kieksen, Gelächter und Jubelrufe drangen durch das Portraitloch. Dann verstummten die Stimmen und wurden von lautem Applaus und Pfiffen abgelöst, als sie mich im Portraitloch stehen sahen.
«Es ist Adrienne!»
«Das war einfach unglaublich!»
«Du hast es geschafft!»
«Wie hast du das gemacht?»
«Herzlichen Glückwunsch!», drangen die Stimmen durcheinander, so laut und verworren, dass ich davon Kopfschmerzen bekam.
Genervt biss ich die Zähne zusammen. Eine Party war nun wirklich das Letzte, worauf ich Lust hatte. Ich drängte mich durch die Menge und verteilte grosszügig Rippenstösse, wenn meine Mitschüler nicht freiwillig Platz machten und funkelte jeden wütend an, der mich ansah. Ich hatte sowas von keine Lust auf so eine verdammte Party! Schlussendlich war ich schneller als erwartet durch die Schülerschar durch und endlich bei den Treppen hoch zu den Schlafsälen. Ich nahm zwei Stufen auf einmal und dann drei aufs Mal – das mittlerweile vertraute Prickeln in meinen Adern, dass mir verriet, dass meine Feykräfte aktiv waren, war immer noch nicht abgeflaut.
Im Schlafsaal griff ich nach der Handtasche, die einst Jessie gehört hatte und die sie für mich mit einem unaufspürbaren Ausdehnungszauber belegt hatte, damit ich Gryffindors Schwert darin transpontieren konnte. Das Ei stopfte ich auch in die Tasche – es wer nicht nur doof und schwer, sondern auch gross und unhandlich und ganz allgemein zum Kotzen protzig. Dann fiel mein Blick auf meinen Nachttisch und meinen Walkman. Das war genau das richtige. Schnell zog ich meinen Koffer unter dem Bett hervor und durchwühlte meine Kassettensammlung, bis ich etwas gefunden hatte, das zu meiner Stimmung passte, legte die Kassette ein und setzte die Kopfhörer auf. Nur sekunden später hämmerte Survivor in meinen Ohren und ich drehte die Lautstärke so richtig schön hoch, bis ich nichts mehr hörte aussern den Lyrics, den Gitarrenriffen und dem Bass, der in meiner Brust hämmerte.
Als ich die Treppe hinab sprang, beinahe high von der Wut und der Musik und vollkommen auf meine Feyreflexe vertrauend, fühlte ich mich bereits etwas besser. Dann waren da wieder meine Mitschüler und ich wünschte, ich könnte mir Stacheln wachsen lassen wie ein Igel und alle stechen, die mir zu nahe kamen. Wiederum verteilte ich wütende Blicke und Rippenstösse und kam schnell durch die Menge. Nur jemand wollte sich nicht abschütteln lassen.
Es war Harry, der mein Handgelenk umklammert hatte und etwas sagte ... allerdings nicht laut genug, um Eye of the tiger zu übertönen. Ich riss mich los und funkelte ihn so wütend an, wie ich nur irgend konnte und Harry stolperte mit entsetztem Blick rückwärts. Einige andere Gryffindors machten ebenfalls grosse Augen und deuteten tuschelnd auf mich. Ich achtete nicht auf sie, sondern drehte mich um und rauschte durchs Portraitloch.
Die Stufen der Marmortreppe flogen unter meinen Füssen dahin, während ich die Stufen hinab sprang, jeweils fünf bis sieben überspringend. Dann war da die Eingangshalle, die ich in Sekundenschnelle durchquerte. Die Treppenstufen vor dem Schlossportal nahm ich in einem Sprung, hatte dann aber doch etwas Mühe, beim Aufkommen nicht umzufallen. Aber es war egal, es war mir einfach egal. Ich hatte nicht geahnt, wie befriedigend es sein konnte, einfach nur zu rennen, einfach zu rennen und all das ... alles ... Ich kam ans Ufer des Schwarzen Sees und hielt kurz inne, um das verdammte goldene Ei aus meiner Handtasche zu klauben und dann kräftig auszuholen und befriedigt zuzuschauen, wie es weit draussen ins Wasser platschte. Dieses vermaledeite Ding war ich also los, aber die Wut ... Wieder rannte ich los, rannte und rannte schnell wie der Wind. Dass mir die Äste ins Gesicht schlugen, wenn ich mich durch ein Dickicht kämpfte oder meine Schuhe nass wurden, wenn ich durch einen Bach platschte ... es war mir egal. Ich wollte einfach rennen. Rennen, rennen, rennen. Spüren, wie die ganze angestaute Kraft, die von der Wut herrührte und von dem Adrenalin, dass mir die Begegnung mit dem Drachen verpasst hatte, in meine Muskeln schoss und mich schneller und weiter voranbrachte, als ich es je für möglich gehalten hatte. So also musste es Xameria jeweils gegangen sein. Musste es Ma und Gawain gehen. Es tat einfach so gut.
Den See hatte ich lange hinter mir gelassen und auch den Verbotenen Wald konnte ich nicht mehr sehen, als ich endlich müde wurde. Dafür breitete sich vor mir die raue schottische Küste aus. Schwer atmend liess ich mich ins verdorrte Gras fallen, lag dort und starrte hinauf in den wolkenverhangenen Himmel, der langsam eindunkelte. Bei Gott, Merlin, oder wem auch immer, ich hatte mich noch nie so müde gefühlt. Ich war gerannt und gerannt und gerannt und jetzt konnte ich einfach nicht mehr. Ich war völlig ausgelaugt, aber es fühlte sich wunderbar an. Ähnlich müde hatte ich mich nur nach den Kämpfen mit Gawain gefühlt. Erschöpft lächelnd beobachtete ich die langsam vorbeiziehenden Wolken und stellte meinen Walkman etwas leiser. Die Kassette lief bereits zum dritten oder vierten Mal und ich summte glücklich meine Lieblingssongs mit. Mir fielen die Augen zu.
Etwas Nasses und Kaltes weckte mich. Regentropfen. Es hatte zu regnen begonnen. Und es war stockfinster. Und der Boden war verdammt hart – jeder einzelne Knochen tat mir weh und jeder einzelne Muskel war verspannt. Ausserdem fror ich. Und mir war schwindlig und ich konnte nicht aufstehen. Sitzen ging gerade noch, aber meine Beine fühlten sich so an, als könnten sie mich nie wieder tragen. Das Prickeln der Feykräfte hatte natürlich schon lange nachgelassen. Also blieb ich seufzend sitzen und zog die Schultern gegen die Kälte hoch – was meinem verspanntem Nacken wiederum gar nicht gefiel. Ein weiterer Seufzer, während ich überlegte, was ich nun tun sollte. Wir hatten schon Ende November, draussen bleiben, vor allem bei diesem Wetter, war also keine Option. Aber was sollte ich dann machen? So völlig mitten im Nirgendwo im Stockfinsteren? Ich versuchte nochmals aufzustehen und diesmal schaffte ich es, auch wenn ich nur auf wackeligen Beinen stand – eine heftige Böe würde mich wahrscheinlich umwerfen. Dennoch war es ein Anfang. Das eigentliche Problem war allerdings ... wo war ich überhaupt? Bereits als es noch hell gewesen war, hatte ich See und Wald nicht mehr sehen können, sondern nur noch die karge Heide des schottischen Hochlands. Das hatte ich ja gut hinbekommen.
Konzentriere dich, Adrienne, schalt ich mich selbst. Ich musste vor allem aus diesem kalten Regen raus und irgendwo ins Trockene und Warme. Ein Haus oder etwas in der Art war natürlich nirgends zu sehen. Egal wie gründlich ich mich umsah, nirgends sah ich ein noch so kleines erleuchtetes Fenster. Aber ... was dann?
Licht. Ich brauche Licht. Das war nicht schwer: Ein einziger, konzentrierter Gedanke und vor mir in der Luft erschien eine kleine Kugel aus Licht, die etwa einen Umkreis von drei Metern erleuchtete. Nicht viel, doch als ich das Licht verstärken wollte, begann die Kugel zu flackern und erlosch. In mir breitete sich betäubende Müdigkeit aus. Aber ich musste ... irgendwo hin ... wo es Trocken ... und Warm war. Und dazu brauchte ich ... Licht. Mit aller Mühe versuchte ich zwischen der Müdigkeit und der aufkommenden Angst einen klaren Gedanken zu fassen. Meinen Zauberstab ... ich brauchte ... Ich fand den Zauberstab in einer Tasche meines Umhanges und kurz darauf hatte ich wieder Licht. Ich liess das Licht heller strahlen und es beleuchtete steil abfallende Klippen in der Nähe. Unten hörte ich das Meer rauschen. Allerdings bildeten die Klippen keine gerade Felswand. Mancherorts waren sie eingestürzt, von den seit Jahrhunderten anbrandenden Wellen unterspühlt. Die abgestürzten Felsbrocken waren im Lauf der Zeit wieder mit Gras überwachsen und bildeten nun viele Vorsprünge in der ausgefransten Felswand. Und einige dieser Vorsprünge kauerten sich unter überhängende Felsen. Dort war ich immerhin etwas vom Wind und vom Regen geschützt. Und gegen die Kälte ... Feuer. Natürlich ... Feuer. So einfach. Ich riss einige der entlaubten, verdorrten Heidebüschen aus und kletterte damit in eine dieser Felsnischen. Ein «Incendio» entzündete die Büsche und mit einem etwas veränderten Schildzauber, gelang es mir den Rest an Wind und Regen abzuhalten, der mich hier im Schutz des Felsens zu belästigen suchte, sowie die Wärme des Feuers bei mir zu halten. Es war wirklich ein Glück, dass ich eine Hexe war, ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich hatte weder Zündhölzer noch Feuerzeug und ohne Feuer wäre diese kalte Novembernacht sicher unerträglich gewesen.
Irgendwann musste ich wieder eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen aufschlug begrüsste mich ein heller, freundlicher Tag – sowie einige kreischende Möwen und mein wütend knurrender Magen. Aber immerhin hatte ich wieder einen klaren Kopf und klare Sicht und als ich zurück auf die Klippen geklettert war, konnte ich einen tiefen Einschnitt zwischen zwei Hügeln sehen, von dem ich hoffte, dass dahinter der Schwarze See lag.
Nein, ich ging nicht zu Fuss, weder rennend noch wandernd. Ich nahm die einzige, mir zur Verfügung stehende Alternative und verwandelte mich in meine Obscurusgestalt, in der ich über das Hochland flog. Ich behielt recht. Ich brauchte dem Einschnitt zwischen diesen Hügeln nur kurz zu folgen, bis der Schwarze See in Sicht kam. Und somit auch das Durmstrang-Schiff und dahinter Hogwarts. Ich tauchte kurz vor dem Waldrand in die Tiefe und verwandelte mich, vor neugierigen Blicken geschützt, zurück. Der verstümmelte Obscurus forderte sofort seinen Tribut und ich sackte keuchend zusammen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Bei all dem? Beim Fortrennen? Bei meiner Verwandlung in den Obscurus? Mit zusammengebissenen Zähnen atmete ich gegen den Schmerz an und schleppte mich vorwärts. Ich musste ... musste zum Schloss. Am besten zu meinem Vater. Aber der würde stinkwütend sein. Einzig die Hoffnung, dass dann der Schmerz aufhören würde, liess mich trotz der Aussicht auf einen stocksauren Professor Snape vorwärts taumeln. Immer wieder musste ich gegen bunte Punkte ankämpfen, die durch mein Sichtfeld tanzten. Die Blicke der anderen Schüler folgten mir bei jedem Schritt, den ich unsicher durch die Gänge des Schlosses wankten. Manche schauten verwirrt, manche besorgt, manche sprachen mich sogar an, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, und stolperte weiter. Die Gänge entlang. Die Treppe hinab in die Kerker. Weitere Korridore entlang. Bis zur Tür zum Klassenzimmer für Zaubertränke, wo ich das Ende der Stunde abwartete, bevor ich die Tür aufstiess.
Weder 'stocksauer' noch 'stinkwütend' beschrieben die Reaktion meines Vaters, als ich mich nach dem Ende einer Zaubertrankstunde der Drittklässler ins Klassenzimmer schob und mich dabei an der Wand abstützte. Die Reaktion war eher als 'stocksauer' hoch 'stinkwütend' einzuschätzen.
Wutschnaubend packte er mich am Arm. «Wo warst du, Adrienne?», schnauzte er mich an, dann hielt er inne, als die warme, rote Flüssigkeit zwischen seinen Fingern hindurchsickerte. Blut. In einer solchen Inbrunst, wie mein Vater es jetzt tat, hatte ich bisher nur Gaius fluchen hören. Als der Schwall an Schimpfwörtern dann abgeflaut war, schickte er einen Patronus an Professor Pye, damit die Lehrerin für Alchemie ihn in seiner nächsten Klasse vertrat, während er sich um einen Notfall kümmern musste. Ich war mehr als froh, als er den 'Notfall' dann auf die Arme nahm und zu Slytherins Labor trug, wo er mich auf ein schmales Feldbett legte. Danach hantierte er mit einigen Kesseln, Phiolen und Schöpfkellen und kam schliesslich mit einem grossen Becher blutrotem, dampfendem Zaubertrank zurück, den er mir einflösste.
«Der Trank ist zwar noch nicht fertig entwickelt, aber so können wir immerhin gleich testen, ob er wirklich gegen die Auswirkungen deines Obscurus wirkt», sagte Sev finster und beobachtete mich scharf.
Der Trank schmeckte so fürchterlich, dass ich mich beinahe übergeben hätte und er verursachte Kopfschmerzen, aber die Wunden schmerzten nicht mehr länger und hatten aufgehört zu bluten; langsam begannen sie zu heilen.
«Der Geschmack spielt keine Rolle, aber gegen die Kopfschmerzen muss ich noch etwas unternehmen», meinte Sev seufzend, während er beobachtete, wie die Wunden heilten. «Das Problem ist, dass dieser Zaubertrank so viel bewirken soll. Du sollst ihn regelmässig einnehmen können, damit er dich nach einer Verwandlung schnell heilt, egal wann du dich verwandelst und egal für wie lange.» Er schüttelte den Kopf. «Ich glaube, das ist schlichtweg nicht möglich.»
«Vie-viel-vielleicht r-reicht es sch-schon, w-w-wenn der Trank geg-gegen die Auswirkungen hilft.» Der Blutverlust hatte mir kalt werden lassen und Sev holte schnell eine Decke – eine Löschdecke, etwas anderes hatte er im Labor gerade nicht zur Hand – und breitete sie über mich, bevor er sich auf die Suche nach einem Blutbildenden Trank machte. Und nach einem gegen Kopfschmerzen.
«Wenn er gegen diese Schnitte hilft, dann kann ich ihn einfach immer mitnehmen und nach jeder Verwandlung einnehmen», vervollständigte ich meinen Vorschlag, als meine Zähne nicht mehr so sehr klapperten.
«Das wäre vermutlich die bessere Lösung», meinte mein Vater und legte mir dann die Hand auf die Stirn, um meine Temperatur zu messen.
«Soll ich hoch in den Krankenflügel?», schlug ich vor, doch Sev schüttelte den Kopf.
«Du kannst hier bleiben – oder besser in meiner Wohnung. Ruh dich aus, Adrienne, und danach will ich wissen, was los ist, verstanden?»
Ich nickte und liess mir dann von meinem Vater aufhelfen. An seiner Seite wankte ich durch die Korridore, die Gott sei Dank leer waren, da alle Schüler im Unterricht sassen. In Sevs Wohnung kuschelte ich mich mit einer warmen, weichen Wolldecke aufs Sofa und war eingeschlagen kurz nachdem mein Vater die Wohnung verlassen hatte.
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