16. Kapitel
Ein paar Tag später wurden Cedric und ich nach dem Unterricht in ein kleines Klassenzimmer bestellt; es ging um die 'Eichung' der Zauberstäbe – was auch immer das sein sollte – und darum, Fotos für den Tagespropheten zu machen. Ich hatte nicht die geringste Lust auf letzteres und auch Cedric schien nicht überaus begeistert.
Viktor Krum war bereits da und auch die beiden Beauxbatons-Champions Fleur Delacour und Jerôme Varaux. Nur Harry fehlte noch. Hinter einem Tisch sass Ludo Bagman und plauderte mit einer Hexe in magentarotem Umhang. Der Rest der Richter fehlte. Dann war da noch ein dickbauchiger Mann mit einer grossen schwarzen Kamera in der Hand, aus der es ein wenig rauchte und der ständig durch die Linse schielte, ganz klar in Fleur Delacours Richtung.
«Kann ich dich kurz sprechen?», fragte mich plötzlich eine Stimme mit hartem Akzent und ich sah überrascht auf in das Gesicht von Viktor Krum.
«Ähm ... ja, klar», willigte ich ein und folgte dem weltberühmten Sucher und Schüler von Durmstrang neugierig in eine Ecke des Raums.
«Du bist nicht die richtige Tochter von Kathalena Norvik, richtig?», fragte er und starrte mich mit zusammengezogenen Brauen an.
«Richtig.»
Forschend sah er mich an. «Und du wusstest nicht, wer sie wirklich ist ... richtig?»
Überrascht sah ich ihn an.
«Dein Gesicht hat gesagt, dass du noch nie vorher davon gehört hast», erklärte er.
«Das stimmt, ich wusste es nicht.»
Viktor Krum nickte, sah mich aber weiter eindringlich an. «Und stimme ich in der Annahme, dass du deinen Namen nicht selbst für Durmstrang in den Feuerkelch geworfen hast?»
Wieder bejahte ich. Natürlich hatte ich meinen Namen nicht für eine andere Schule eingeworfen. Wo läge denn da der Sinn?
«Dann stehen wir ja auf selber Seite», sagte er und das erste Mal zeichnete sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ab. «Ich bin Viktor.»
Ich blinzelte überrascht, nahm aber die Hand, die er mir hinhielt an. «Adrienne ... Seanorth, nicht Norvik», stellte ich mich vor.
Viktors Lächeln wurde noch etwas breiter und er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, bevor er zu den anderen dreien hinüber sah. Cedric starrte uns mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, die beiden Beauxbatons wirkten neugierig. Ich kratzte all meinen Mut zusammen und ging zu ihnen hinüber, um mich auch mit diesen beiden Mitstreitern im Trimagischen Turnier – oder vielmehr meinen Gegnern – bekannt zu machen.
Fleur Delacour – oder einfach nur Fleur – war genau wie Viktor ein Jahr älter als ich, beide Siebtklässler. Und sie war einfach unglaublich, beinahe unmenschlich schön mit ihrem seidig silbernen Haar, den glatten, ebenmässigen Zügen, die von Innen her zu leuchten schienen, und diesen freudig funkelnden, blauen Augen. Jerôme war wie Cedric und ich in der sechsten Klasse und er sah neben Fleur beruhigend normal aus. Sein Haar war dunkelbraun und in seinem Gesicht zwinkerte die ein oder andere Sommersprosse frech mit seinen hellblauen Augen um die Wette. Überhaupt hatte Jerôme ein Gesicht, das so fröhlich und offen wirkte, dass man ihn einfach mögen musste.
Es dauerte eine ganze Weile, bis die anderen Richter eintrafen. In der Zwischenzeit hatten Cedric und ich uns bestens mit Fleur und Jerôme unterhalten. Viktor hielt sich im Hintergrund, er schien nicht besonders gesprächig zu sein, und Harry war nur kurz aufgetaucht und dann mit der Hexe in Magenta, auch bekannt als Rita Kimkorn, Reporterin des Tagespropheten, wieder verschwunden. Kurze Zeit nachdem Mr Crouch, Professor Karkaroff und Madame Maxime sich zu Mr Bagman gesetzt hatten, tauchte auch Dumbledore aur und führte Harry herein, hinter ihnen folgte die Hexe in Magenta.
Dumbledore setzte sich zu den anderen Richtern an den Schiedsrichtertisch und wandte sich dann uns Champions zu. «Darf ich Ihnen Mr Ollivander vorstellen?», fragte er und deutete auf eine Ecke, in der – bisher unbemerkt – ein alter Zauberer mit schütterem, weissem Haar und grossen blassen Augen stand. Der Zauberstabmacher aus der Winkelgasse.
«Mr Ollivander wird Ihre Zauberstäbe prüfen, um sicherzustellen, dass sie vor dem Turnier in gutem Zustand sind», erläuterte Dumbledore.
«Madmoiselle Delacour, dürfen wir Sie als Erste nach vorn bitten?», sagte Mr Ollivander und trat auf den freien Platz in der Mitte des Raums, wo er Fleurs Zauberstab entgegen nahm und ihn funkensprühend durch die Luft schwang und eingehend musterte.
«Ja», sagte er leise, «neuneinhalb Zoll ... unbiegsam ... Rosenholz ... und er enthält ... meine Güte ...»
«Ein 'aar vom Kopf einer Veela», sagte Fleur. «Eine meiner Grossmütter.»
Das erklärte natürlich ihr übernatürlich gutes Aussehen.
«Ja», sagte Mr Ollivander, «ja, ich persönlich habe natürlich nie Veela-Haare verwendet. Ich finde, das ergibt doch recht eigenwillige Zauberstäbe ... nun, für jeden gibt's den richtigen, und wenn er zu Ihnen passt ...»
Mr Ollivander fuhr nochmals mit den Fingern über den Zauberstab, um seinen Zustand zu prüfen und beschwor dann einen Strauss Blumen herauf, den er zufrieden an Fleur überreichte, mit dem Kommentar, dass der Zauberstab zum Arbeiten völlig geeignet sei.
Die Prozedur wiederholte sich erst bei Cedric ... bei Viktor ... Jerôme ... und schliesslich war ich an der Reihe. Etwas unsicher trat ich vor und überreichte Mr Ollivander meinen Zauberstab.
«Ah ja, wieder einer von meinen», sagte der Zauberstabmacher und untersuchte den Stab eingehend. «Trauerweide und Drachenherzfaser. Zehneinviertel Zoll. Ist in ganz exzellentem Zu- ... -stand.» Nachdenklich runzelte er die Stirn und drehte den Zauberstab noch einige Male in den Händen, bevor er mich streng ansah. «Miss Seanorth, wie gut können Sie mit diesem Stab noch arbeiten?»
Überrascht blinzelte ich den Zauberstabmacher an. Was sollte diese Frage. «Sehr gut, Sir. Wie immer.»
Unzufrieden verzog Mr Ollivander den Mund. «Das ist seltsam. Der Zauberstab ist ... verschmutzt. Er ist von einer anderen magischen Kraft durchdrungen ... wie ein dunkler Schatten ... Bitte erlauben Sie mir ...» Der Zauberstabmacher schwang den Zauberstab und verwandelte einen der Schultische in ein Schwein und wieder zurück, runzelte aber unbefriedigt die Stirn.
«Bitte, versuchen Sie es einmal, Miss Seanorth», sagte er und übergab mir den Zauberstab. «Einfach irgendeinen Zauber.»
Ich hob den Zauberstab und setzte zu einem simpeln «Wingardium Leviosa» an, hielt aber mitten im Wutschen und Wedeln inne. Mr Ollivander hatte seine Hand auf meine gelegt.
«Nur zu, Miss Seanorth, nur zu», ermunterte er mich.
Mit einem letzten verwirrten Blick auf die Hand vollführte ich den Zauber und liess eines der Schulpulte durch den Raum schweben. Dann setzte ich den Tisch wieder ab und sah fragend zu Mr Ollivander, der immer noch im höchsten Masse unbefriedigt wirkte.
«Versuchen Sie es nochmals, aber dieses Mal mit einem ungesagten Zauber», forderte er.
Ich tat wie geheissen und war dieses Mal nicht übermässig überrascht, als sich erneut die Hand des Zauberstabmachers auf meine legte.
Nachdem ein weiterer Tisch quer durchs Klassenzimmer geschwebt war, sah ich Mr Ollivander an, der missgestimmt vor sich hin stierte.
«Es scheint so, als können Sie tatsächlich problemlos mit diesem Zauberstab arbeiten», stellte er fest, sah mich dabei aber so durchdringend an, dass sich mir die Nackenhaare aufstellte. «Offenbar hat der Zauberstab sich Ihren ... speziellen ... Bedürfnissen gefügt.»
Erschrocken sah ich Mr Ollivander an ... Hatte er gerade gesagt, was ich glaubte, dass er gesagt hatte? Wusste er wirklich ...? Wusste er von meinem Obscurus?
Aber der Zauberstabmacher hatte bereits Harry nach vorn gerufen und ich machte, dass ich mich zwischen die anderen stellte. Dort, zwischen den anderen Champions fühlte ich mich nicht mehr gar so ausgestellt, wie mitten im Raum. Aber ... war es wirklich möglich, dass mein Obscurus meinen Zauberstab verändert hatte? Nun ja ... wieso auch nicht? Immerhin war er eine mächtige, magische Kraft ...
Während Harrys Zauberstab geprüft wurde, drehte ich meinen in den Händen. Ein dunkler Schatten, eine fremde magische Kraft ... ja, diese Beschreibung passte zweifellos auf meinen Obscurus. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass sich der Zauberstab nicht gegen mich richtete, jetzt wo der Obscurus genau das tat. Es war wirklich an der Zeit, dass ich meinen Obscurus wieder in den Griff bekam, bevor er mir im Trimagischen Turnier zum Nachteil wurde ... nur wie?
Nachdem alle Zauberstäbe geprüft waren, bestanden die Hexe in Magenta und der Fotograf noch auf Fotos – Gruppenfotos und Einzelportraits – und ignorierten dabei, das immer lauter werdende Knurren meines Magens, bis es so laut war, dass ich fest überzeugt war, dass man es auch auf den Fotos hören würde.
Danach waren wir endlich erlöst.
Wofür die Hexe in Magenta die Bilder brauchte, erfuhren wir bereits am nächsten Morgen. Auf der Titelseite prangte ein riesengrosses Foto von Harry und der darauf folgende Bericht (fortgesetzt auf den Seiten zwei, sechs und sieben) – angeblich eine Reportage über das Trimagische Turnier – befasste sich einzig und allein mit Harry. Wir übrigen Champions wurden nur einmal kurz in der letzten Zeile erwähnt; ich, zu meiner grossen Erleichterung, als Adrienne Seanorth. Offenbar hatte diese Kimkorn sich so sehr auf Harry konzentriert, dass ihr die ganze Aufregung um die Tochter der berüchtigten Schwarzmagierin und Anhängerin Grindelwalds Kathalena Norvik entgangen war. Mir kam das ganz gelegen. Nur Harry war zu bedauern. Der Artikel war wirklich grauenhaft und die Slytherinclique von Draco Malfoy machte sich einen Spass daraus, wann immer Harry in der Nähe war, laut aus dem Artikel vorzulesen.
Die Sache mit dem Zeitungsartikel hatte mich dennoch bestärkt, mich mit meinem Obscurus auseinanderzusetzen. Wer wusste denn, dass der nächste Artikel nicht über mich war? Und dann wäre es ganz angenehm, einfach mit den Schatten verschmelzen zu können, und zwar ohne jedes Mal Schnittwunden davonzutragen. Nun übte ich in jeder freier Minute – also in den paar wenigen Stunden in der Woche, die mir zwischen Unterricht, Hausaufgaben und den überlebenswichtigen Tätigkeiten wie Essen, Trinken und Schlafen, noch blieben. Ich machte tatsächlich Fortschritte – wenn auch nur insofern, dass es mir immer leichter fiel, meinen Obscurus zu beschwören und wieder zurückzudrängen. Teilweise gelang es mir sogar, ihn zu beschwören, ohne dass sich mein Körper dabei in Schatten auflöste. Dann stand ich dort, in den Schatten verborgen, aber immer noch ganz und gar Mensch. Wenn mir das gelang, dann war es ein Erfolg, denn dann trug ich keine Schnitte davon, allerdings war es durchaus praktisch, sich vollkommen in Schatten und Finsternis auflösen zu können. Zum Beispiel wenn ich wieder einmal nachts hinaus aufs Gelände wollte: Dann konnte ich einfach in meiner Obscurusgestalt aus dem Fenster schweben. Also übte ich verbissen weiter, aber es schien vergebens. Ich wurde nur immer besser mit den Heilzaubern. Aber auf Dauer war das auch keine Lösung, auch wenn ich es versuchte. Ich probierte, wie lange ich ein Obscurus bleiben konnte, testete, inwiefern das mit den Schnitten zusammenhing. Hielt mich länger und länger in meiner Gestalt aus Schatten und Finsternis ...
«... Krankenflügel bringen?», drang eine verschwommene Stimme an mein Ort.
«Nein ... Snape», sagte eine andere.
«Sicher?»
«Natürlich ... Tochter ...», erklärte die zweite Stimme.
Dann waren Schritte zu hören, die sich entfernten.
Ich fühlte mich seltsam, da war überall Schmerz, aber er wirkte seltsam ... betäubt. Er schien durch mich zu sickern, zur einen Seite hin, die sich heiss und kalt zugleich anfühlte. Hart. Klebrig. Feucht und durchweicht.
«Was ... schlimmsten Dämonen ... passiert, Adrienne?», fragte die zweite Stimme, die offenbar immer noch bei mir war.
Ich wollte etwas sagen, ihr sagen, dass ich sie nicht verstand, aber die Worte, die bereits in meinem Kopf nur mühsam in einen Zusammenhang rutschen wollten, fanden gar nicht erst den Weg in meinen Mund. Nur ein leises Stöhnen kam über meine Lippen, das die Stimme mit einem beruhigenden Murmeln erwiderte und dabei vorsichtig mit den Fingerspitzen über mein Haar strich.
Aber das war ein Fehler. Kaum trafen die Finger auf meine Haut, explodierte greller Schmerz unter der Berührung. Ich schrie. Vielleicht war mein Kopf nicht in der Lage, einen Satz zu formen, aber schreien konnte ich. Und es tat so weh, dass ich einfach schreien musste. Gleissende Lichter flammten unter meinen Lidern und sie verschwanden auch nicht, als ich die Augen aufriss. Es tat so weh ... so weh ... SO WEH! Es sollte aufhören! Einfach ... Aufhören!
Die Finger hatten sich schon längstens von meiner Haut gelöst, doch ich hatte das Gefühl, sie immer noch dort zu spüren. Meine Kopfhaut brannte, mein ganzer Kopf pochte vor Schmerz. Mein ganzer Körper fühlte sich zerschunden an. Es tat so weh. Ich konnte nicht anders, als zu schreien, zu schluchzen, zu wimmern. Aber es half nichts. Nicht das Schreien, das in meiner Kehle kratzte und in meinen Ohren gellte. Nicht das Schluchzen, das meinen zerschundenen Körper schüttelte. Nicht einmal das Wimmern, denn das war nicht stark genug, um meinen Schmerz aus mir heraus zu lassen.
Ich hörte Stimmen, Schritte und noch mehr Stimmen, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Es tat so weh ... so weh ... und hinter dem Schmerz ... hinter dem Schmerz wartete eine dumpfe Leere, eine alles umfassende Dunkelheit. Ich sehnte mich nach dieser Dunkelheit, denn in ihr würde ich endlich Frieden finden. Immer währenden Frieden. Tränen quollen aus meinen Augen, so sehr sehnte ich mich nach dieser Dunkelheit. Ich wollte, dass es aufhörte, dass alles aufhörte, dass diese Dunkelheit mich umfing, mich vollkommen umfing.
«Passt auf!», schrie eine Stimme, als der Schmerz erneut und noch heftiger in meiner Brust explodierte, mich vollkommen verschlang, mein Denken, den letzten Rest meines Bewusstseins ...
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