28. Kapitel
Es war gar nicht so einfach, die drei Aneinandergeketteten durch den Geheimgang nach draussen zu schaffen. Lupin, Pettigrew und Ron mussten sich seitlich aufstellen, um überhaupt durch die Falltür in den Gang zu kommen und im Tunnel selbst war auch kaum mehr Platz. Dazu kam noch Rons Bein, dass sie zusätzlich behinderte. Hinter den Dreien kamen Sirius und Harry, die leise miteinander redeten, Hermine und ich bildeten das Schlusslicht.
«Das war sehr mutig von dir vorhin», flüsterte ich Hermine zu. «Wie du erst Snape Paroli geboten und dann zwischen Black und Pettigrew verhandelt hast.»
«Vielleicht, aber ich hätte Snape nicht angreifen dürfen. Es tut mir wirklich Leid, Adrienne, dass ich deinen Vater angegriffen habe», gab sie bedrückt zurück. «Ich hoffe, Lupin hat Recht und ihm ist nichts Schlimmes passiert.»
Ich schwieg. Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte, ich hatte ihn schliesslich selbst angegriffen.
Hermine sah mich unsicher an.
Während wir voranschritten, legte ich meine Hand an die Tunnelwand und strich darüber, bis meine Finger schliesslich an einer Stelle, die genauso solide schien wie der Rest, in der Erde verschwanden. Grinsend hielt ich inne und sah mir das Wandstück genauer an.
«Was ist?», fragte Hermine, die ebenfalls stehen geblieben war.
«Sieh dir das an», sagte ich und griff nach ihrer Hand. «Es ist genau wie bei dem Pfeiler, der zum Gleis Neundreiviertel führt.» Vorsichtig führte ich ihre Hand zur Tunnelwand, bis sie darin verschwand.
Hermine keuchte auf, trat zögernd einen Schritt näher und trat dann durch die scheinbar feste Wand. Ich folgte ihr in den verborgenen Gang, indem Hermine sich bereits staunend umsah.
«Was ist das für ein Ort, Adrienne?», fragte sie.
«Ein anderer Geheimgang der aus dem Schloss führt», sagte ich spitzbübisch grinsend. «Einer, der nicht auf der Karte der Rumtreiber drauf ist.»
Sie sah mich überrascht an und ich grinste noch breiter.
«Vielleicht sollten wir diesen Gang ins Schloss hoch nehmen ...», überlegte sie.
Das Grinsen auf meinen Lippen erlosch augenblicklich. «Lieber nicht.»
«Weshalb nicht?»
«Der Tunnel ... er verzweigt nicht weit von hier und der eine Gang – glaub mir, an den Ort, an den er hinführt, willst du nicht gehen – nichte einmal, wenn dein Leben davon abhinge.»
Fragend sah sie mich an, aber ich schüttelte den Kopf. «Später. Wir sollten zu den anderen zurück.»
Wieder schritten wir durch die Wand und sputeten uns dann, um die anderen einzuholen. Trotzdem konnte ich unseren kleinen Abstecher in den anderen Tunnel nicht vergessen: Die Geschehnisse des Abends hatten die Sache mit Balor in den Hintergrund gedrängt, aber nun war alles wieder da, noch drängender als je zuvor, denn der Gang, der in die Grabkammer hinabführte, war nicht länger versperrt. Ich musste Ma und Gawain unbedingt davon erzählen. So bald wie möglich.
Der Ausstieg aus dem Tunnel gestaltete sich genauso schwierig wie der Weg durch die Falltür hinein, aber immerhin hielt die Peitschende Weide, die den Ausgang des Tunnels bewachte, für einmal ihre peitschenden Zweige im Zaum und bewegte sich nur leise im kühlen Nachtwind.
Die Nacht war irgendwann während meiner Zeit im Geheimgang und in der Heulenden Hütte hereingebrochen. Das einzige Licht kam von den fernen Fenstern des Schlosses. Schweigend machten wir uns auf den Weg hinauf nach Hogwarts. Pettigrew atmete immer noch pfeifend und gelegentlich hörte ich ein Wimmern. Ich hatte bisher nicht darüber nachgedacht, was es bedeuten würde, wenn wir ihn im Schloss ablieferten, aber das Wissen der gesamten Zaubererwelt würde darüber einstürzen – ein Totgeglaubter war am Leben und ein verurteilter Mörder, der die gesamte Zauberergemeinschaft in Angst und Schrecken versetzt hatte, war in Wahrheit unschuldig. Mein Blick schweifte zu Harry und blieb an meinem kleinen Bruder haften. Was bedeutete es für ihn? Immerhin war Black sein Pate und er war unschludig ...
«Keine falsche Bewegung, Peter», sagte Lupin vor uns in drohendem Tod. Den Zauberstab hielt er nach wie vor auf Pettigrews Brust gerichtet.
Schweigend zogen wir weiter und langsam wurden die Lichter des Schlosses grösser. Und dann –
Am Himmel tat sich ein Loch in den Wolken auf. Plötzlich warfen sich dunkle Schatten über das Gras. Der Mond tauchte uns in sein helles Licht. Black erstarrte und hielt die Arm aus um Harry, Hermine und mich zurückzuhalten, während Professor Lupin wie gebannt den vollen Mond anstarrte. Er begann an Armen und Beinen heftig zu zittern.
«Oh nein –», japste Hermine. «Er hat heute Abend seinen Trank nicht genommen! Er ist gefährlich!»
«Rennt los», flüsterte Black. «Rennt, und zwar schnell.» Er stürzte sich auf die drei Aneinandergeketteten, doch Harry, Hermine und ich konnten uns nicht bewegen – erstarrt vor entsetzen.
Dann auf einmal regte sich Harry, hatte sich endlich aus der Starre gelöst – und tat etwas unglaublich Dummes. Anstatt nach meinem und Hermines Armen zu greiffen und uns fortzuschleppen oder etwas in der Art, stürzte er nach vorn, um sich zwischen Black und Lupin zu stellen.
Doch soweit kam er nicht – eine dunkle Gestalt riss ihn weg.
«Seien Sie nicht dümmer als Sie sind, Potter!», schnarrte eine altvertraute Stimme. Mein Vater war wieder zu sich gekommen und baute sich nun zwischen Harry, Hermine, mir und Black und dem sich verwandelnden Werwolf auf.
Ein schauriges Knurren erklang. Lupins Kopf zog sich in die Länge, dann der Körper. Die Schultern schrumpften. Ganz deutlich sah man Haare aus Gesicht und Händen spriessen und die Hände ballten sich zu klauenartigen Pfoten.
Während der Werwolf sich aufbäumte und sein langes Maul aufriss, verwandelte sich Black in den grossen schwarzen Hund und sprang mit einem mächtigen Satz vor. Als der Werwolf sich von seiner Fessel befreit hatte, packte ihn der Hund am Nacken und zerrte ihn fort, weg von Ron und Pettigrew. Ineinander verbissen lagen sie da und zerfetzten sich mit ihren Krallen das Fell.
Ich sprang vor – der Werwolf würde sich sicher beruhigen, wenn ich ihn erreichte. Zumindest etwas, schliesslich war da mein Feyblut – aber eine starke Hand riss mich unerbittlich zurück.
«Hast du den Verstand verloren, Adrienne?!», fuhr mein Vater mich an. «Du bleibst hier!»
«Lass mich los!», fauchte ich und versuchte mich zu befreien, doch plötzlich schlossen sich schmale Seile um meine Beine und Handgelenke wie früher am Abend bei Lupin. Das war jetzt aber nicht sein ernst! Wütend kämpfte ich gegen die Fesseln.
Und dann ... Pettigrew hatte sich auf Lupins Zauberstab im Gras geworfen. Ron, ohnehin wacklig auf seinem bandagierten Bein, wurde umgerissen. Es gab einen Knall, einen Lichtblitz – Ron regte sich nicht mehr.
«Nein!», rief Hermine verzweifelt.
«Expelliarmus!», schrie Harry und richtete den Zauberstab gegen Pettigrew; Lupins Zauberstab flog in den Nachthimmel und verschwand. Harry stürzte los. «Bleib, wo du bist!»
Ich versuchte verzweifelt, mich aus den Fesseln zu befreien. Sie zogen sich immer wieder zusammen, wenn ich es geschafft hatte, sie etwas zu lockern.
Und dann war es zu spät. Pettigrew hatte sich verwandelt. Fassungslos, unfähig etwas zu unternehmen, beobachtete ich die Szene. Der kahle Rattenschwanz glitt mühelos durch die Fessel an Rons ausgestrecktem Arm, dann raschelte etwas im Gras davon.
Ein Heulen und ein donnerndes Grollen, so laut, dass meine Trommelfelle zu platzen drohten, liessen mich zusammenzucken. Der Werwolf ergriff die Flucht und setzte mit langen Sprüngen zum Verbotenen Wald hinüber. Ich wandte meinen Kopf wieder zur anderen Seite, wo ich immer noch das Rascheln hörte. Mein übernatürliches Gehör meldete sich zurück. Wenn nur diese verdammten Fesseln nicht wären ...!
Harry rief Black etwas zu und der grosse Hund, blutend, mit tiefen Rissen am Maul und auf dem Rücken, rappelte sich auf und taumelte in die Richtung, in die die Ratte verschwunden war. Black würde ihn nicht einholen, nicht in diesem Zustand. Niemals.
Dann, endlich, kam mir die erlösende Idee. Finsternis schlängelte sich um meinen Körper und die Fesseln umschlangen nur noch dunkle Leere.
«Adrienne! Komm zurück, Adrienne! Adrienne, du kommst sofort zurück!», hörte ich Snapes wütende Stimme hinter mir, aber ich hörte nicht auf ihn. «Komm sofort zurück. Sie beide bleiben hier, Potter, Granger! Bleiben Sie hier!»
In meiner Obscurusgestalt schnellte ich in die Richtung, in die Pettigrew verschwunden war, verwandelte mich dann aber zurück und verfolgte ihn zu Fuss, mit der übernatürlichen Geschwindigkeit der Fey, denn als Obscurus war mir der feine Gehörsinn der Fey abhanden gekommen. Jetzt hörte ich das Rascheln wieder und verfolgte es. Immer näher kam ich. Näher und näher. Und dann warf ich mich nach vor, wie eine Katze sich auf eine Maus stürzte und hielt das zappelnde Tier in Händen. Die Ratte quieckte und wand sich, währen ich meine Sinne nach den Banden der Magie ausstreckte, um ihn abermals zu zwingen, sich zurückzuverwandeln. Aber da war keine Magie. Fassungslos starrte ich das Tier an, seine Klauen, mit den zehn unversehrten Krallen. Das war nur eine Ratte. Nichts als eine gewöhnliche, ganz normale, durchschnittliche Ratte!
Ich liess den Schwanz des zappelnden Tiers los. Es fiel zu Boden und verschwand raschelnd im hohen Gras, während ich ihm immer noch fassungslos nachstarrte. Eine ganz gewöhnliche Ratte. Und Pettigrew ... fort, verschwunden. Er musste mir in den kurzen Momenten, in denen ich im als Obscurus gefolgt war, entwischt sein. Dieser verdammte ...! Diese verdammte Ratte!
Hoffnungslos sah ich mich um. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte, wusste nicht einmal, wo ich mich genau befand. Das Schloss war längst ausser Sicht verschwunden, aber hangabwärts erkannte ich die dunkle, glatte Oberfläche des Schwarzen Sees. Langsam, mit einem unendlichen Gefühl der Leere in der Brust, stolperte ich darauf zu. Von dort würde ich zum Schloss zurückfinden, auch wenn ich nicht wusste, welchen Sinn das haben sollte.
Eine Gestalt, ein dunkler Umriss, zeichnete sich vor dem kaum helleren Wasser ab, als ich den See erreichte. Der Schatten kam mir vertraut vor.
«Harry?», murmelte ich und taumelte weiter. Jegliche Feykraft hatte mich verlassen. Ich war einfach nur noch müde. Unendlich müde.
Auf einmal wurde es unsäglich kalt und Verzweiflung füllte die Leere in meiner Brust. Es hatte keinen Sinn. Das alles hatte keinen Sinn. Ich sollte einfach aufhören. Hier und jetzt ins Gras sinken und nie mehr aufstehen. Und trotzdem schleppte ich mich aus irgendeinem Grund weiter. Da war noch etwas, das ich tun musste ... eine Verpflichtung ... meinem kleinen Bruder gegenüber ...
«Harry ...», nuschelte ich und stolperte mühsam vorwärts. Ich musste zu meinem kleinen Bruder ...
Dann sah ich sie, die Dementoren, die über den See schwebten, auf einen Punkt am Ufer eines Seitenarms des Sees zu - ungefähr meinem Standort gegenüber. Immer wieder leuchtete dort schwaches, silbernes Licht auf, aber es wurde immer undeutlicher und weniger, je näher die Dementoren kamen. Und dann ...
«Expecto Patronum!», rief die Gestalt auf meiner Seite des Sees und plötzlich brach ein silbernes Licht hervor, ein starkes Wesen, ein Tier aus reinem, silbernem Licht. Ich erkannte einen stolzen Hirsch, der über die Wasserfläche hinweg auf das andere Ufer zu galoppierte und mit seinem majestätischen Geweih die Reihen der Dementoren zersprengte. Die Dementoren wichen vor ihm zurück und verschwanden im Dunkel der Nacht.
«Harry. Du hast es geschafft», murmelte ich und stolperte weiter. Die Übungsstunden bei Professor Lupin hatten sich allemal ausgezahlt.
Die Dementoren waren sämtlich verschwunden und der silberne Hirsch machte kehrt und kam über das Wasser zurückgesprungen und erhellten die so vertrauten Züge, das strubbelige, schwarze Haar, das nach allen Seiten abstand und die braunen Augen.
Verwirrt blieb ich nur wenige Schritte von dem Mann entfernt stehen.
«Was machst du hier, Adrienne?», fragte eine viel dunklere, tiefere Stimme, als die meines Bruders. «Alles in Ordnung? Du siehst schrecklich aus, Adrienne.»
Er trat näher und legte eine grosse Hand sachte an meine Schulter.
«Dad? Mum?» Diesmal war es Harrys Stimme, der vom unweit entfernten Waldrand zu uns herüber gerannt kam.
Verwirrt sah ich zwischen den beiden hin und her. Zwischen dem Mann vor mir und meinem kleinen Bruder, der auf uns zu kam. Das konnte doch nicht sein. Sie glichen einander bis aufs Haar ... nur die Augen, die mich hatten innehalten lassen ...
«Nicht ganz, Harry.» Der Mann hatte sich meinem Bruder zugewandt. «Nicht ganz.»
Jetzt erkannte ich die Stimme. Jake. Es war Jake Corons Stimme und sie klang ähnlich verwirrt, wie ich mich fühlte.
«Du ... du warst doch eben noch ...», unschlüssig deutete Jake über seine Schulter zur anderen Seite des Sees. «Du hast doch eben noch dort drüben versucht, dich gegen die Dementoren zu verteidigen ...»
Harry ging nicht darauf ein. «Bist du es ... bist du es wirklich? Und ist das ... ist das ...?», Harry sah zu mir herüber und runzelte dann irritiert die Stirn. «Adrienne?»
«Was machst du hier, Adrienne? Wo warst du? Weshalb warst du nicht im Krankenflügel?»
Verblüfft sah ich meinen kleinen Bruder an. Wovon redete er?
«Harry! Harry! Was machst du denn da?! Wir haben keine Zeit!» Eine weiter Gestalt kam aus dem Wald gestürzt. Hermine. Und ihr folgte ... ein Hippogreif?
Sie hielt ein paar Schritte hinter Harry stolpernd inne und sah ungläubig zwischen Jake und Harry hin und her. Wenn ich es nicht gewusst hätte, hätte ich kaum sagen können, wer von ihnen wer war. Obwohl ... in Jakes Gesicht waren ganz deutlich die zusätzlichen Jahre abzulesen. Nicht dass er Falten hatte ... vielleicht ganz kleine; Lachfältchen um den Mund und eine Sorgenfalte zwischen den Brauen. Aber vor allem war es eine gewisse Härte, eine gewisse Strenge, die in seinen Zügen lag. Ein Ausdruck, der wohl niemandem Abging, der lange Jahre gekämpft hatte. Aber nun als sich die beiden gegenüberstanden, Überraschung auf den Gesichtern, den Mund leicht geöffnet, war davon kaum etwas zu sehen. Wie konnten zwei Menschen sich nur derart ähnlich sehen?
«Sind Sie ... sind Sie wirklich ...? Harry hat es gesagt, aber ich konnte es einfach nicht glauben ...», stammelte Hermine.
Jake nickte langsam, einleicht überfordertes Lächeln hatte die Überraschung abgelöst. «Ich bin James Potter.»
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