2. Kapitel
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fand ich mich in einem Wirrwarr aus Decken auf dem weichen Teppich vor dem Kamin im Wohnzimmer wieder. Im Kamin brannte ein Feuer, obwohl es mitten im Sommer war. Ich versuchte mich aus den Decken zu befreien, aber etwas hielt mich fest. Ein starker Arm hatte sich um meinen Oberkörper geschlungen und drückte mich an Ma's Brust. Ihr Gesicht hatte sie in meinen roten Locken vergraben, die sich mit ihren braunen mischten.
«Ma, wach auf!», sagte ich und versuchte, sie zu schütteln, aber ich konnte mich nicht bewegen. «Aufwachen!», rief ich lauter. Doch anstatt aufzuwachen vergrub Ma ihr Gesicht nur noch tiefer in meinem Haar und schliesslich ergab ich mich und beschloss, das Ausschlafen und die Umarmung zu geniessen.
Die Mittagssonne weckte mich erneut. Sie brannte durch die Wohnzimmerfenster und zusammen mit dem Kaminfeuer, den Decken und Ma's Körperwärme war es jetzt heisser als in einer Sauna. Dann waren da auf einmal verhältnismässig kühle Hände, die sich unter Ma's Arme schoben. Um die Handgelenke und die muskulösen Arme hinauf schlang sich je ein blautätowierter Drache. Nur langsam gelange es diesen Händen und Armen die Umklammerung zu lösen.
«Kaspar, geh bitte sofort los und besorge irgendwo Schokolade. Viel Schokolade. Frag die Nachbarn, das geht am schnellsten.»
Ich erkannte die ruhige Stimme. Gawain war wieder da.
Endlich schaffte ich es, mich aus Ma's Umarmung zu lösen. Sie begann sofort wieder zu zittern und wimmerte, sobald ich sie losliess. So hatte ich Ma noch nie erlebt und es machte mir Angst. Auch Gawain wirkte besorgt – so ernst hatte ich ihn noch nie gesehen. Er hob Ma hoch und sofort klammerte sie sich an ihm fest. Gawain taumelte und konnte sich gerade noch aufs Sofa retten, anstatt der Länge nach hinzuschlagen. Es hätte komisch ausgesehen, wenn diese ganze Situation nicht so beklemmend gewesen wäre.
«Wie schlimm sind diese Dementoren wirklich?», fragte ich, während ich beobachtete, wie Gawain sanft Ma's Rücken streichelte.
«Sie entziehen dir alle Kraft und alle glücklichen Erinnerungen und zurück bleiben nur schreckliche und quälende Gedanken und Erfahrungen», sagte Gawain leise. «Wie schlimm sie auf dich wirken, hängt davon ab, wie lange du ihnen ausgesetzt bist und vor allem von dem, was du erlebt hast.»
«Was war es bei Ma?»
Gawain seufzte. «Die Erlebnisse würde ich sagen. Jahrhunderte voller Krieg und Tod fordern irgendwann ihren Tribut. Endlich, Kaspar ist wieder da.»
Die Tür ging auf, sobald Gawain zu Ende gesprochen hatte und Kaspar stürmte ins Wohnzimmer. Er trug so viel Schokolade, wie es mit zwei Händen nur möglich war. Gawain nahm ihm sofort eine Tafel ab, brach sie an und fütterte Ma mit einem Stückchen davon. Erst dann betrachtete er etwas verwirrt die kyrillischen Schriftzeichen auf der Verpackung.
«He, wofür brauchst du die ganze Schokolade eigentlich?», klang eine Stimme mit dem entsprechenden, harten, kantigen Akzent von draussen herein.
«Habe ich doch gesagt: Notfall», rief Kaspar zurück.
Im nächsten Moment stand der Angesprochene bereits in der Tür zum Wohnzimmer und hob erst überrascht, dann spöttisch eine Augenbraue in die Höhe. Er war gross, mit dunkelblondem Haar und asiatischen Zügen. Ich hatte ihn noch nie gesehen.
«Hast du eigentlich keine Manieren? Hier einfach ohne Anklopfen reinkommen», fuhr ich ihn an. «Raus hier!» Ich war aufgesprungen und drückte gegen seine Brust, damit er sich bewegte. Ich wollte nicht, dass irgendjemand ausser Kaspar und Gawain meine Ma in diesem Zustand sah. Der Junge war viel zu stark, als dass ich ihn gegen seinen Willen hätte bewegen können. Erst als ich den Versuch aufgab, gab er nach und ging den Flur entlang zurück zur Tür, wobei er mich mit sich zog.
Ich rief empört, dass er mich loslassen solle und auch Kaspar kam verärgert hinterher, doch der Junge dachte gar nicht daran, bis er die Tür hinter uns geschlossen hatte.
«Autsch, lass endlich los, du verdammter Idiot!», keifte ich.
Er grinste nur selbstgefällig zurück. «Ich bin Jared. Meine Ma und ich sind letzte Woche hier eingezogen.» Er zeigte auf die Tür ein Stockwerk tiefer, wo bis im Frühling die Flamels gewohnt hatten. «Schön, einmal die Nachbarn kennenzulernen.»
«Na, auf deine Bekanntschaft hätten wir gerne verzichtet», knurrte Kaspar ihn an.
«Ach, ich dachte, ihr bräuchtet die Schokolade? Ihr könntet wenigstens etwas Dankbarkeit zeigen. Das war meine Lieblingsschokolade. Jetzt muss ich einen ganzen Monat warten, bis ich wieder zurück nach Durmstrang kann. Hier in Britannien», er spuckte das Wort aus, als sei es eine Krankheit, «gibt es diese Schokolade ja nicht. Ihr seid mir also echt was schuldig», fauchte Jared, wirbelte herum und verschwand dann durch die Tür einen Stock tiefer.
Wütend starrte ich ihm nach. Dann ging mein Blick zum Boden und zu den beiden Zeitungen, die dort auf der Fussmatte lagen. Die heutigen Ausgaben der Times und des Tagespropheten. Eines hatten die beiden Zeitungen heute ausnahmsweise gemeinsam: Das Foto eines struppig aussehenden Manns auf der Titelseite.
Es dauerte ganze drei Tage lang, bis Ma wieder auf den Beinen war. Jareds Schokolade war bis dahin restlos aufgebraucht, Gawain hatte Kaspar und mich sogar mehrfach losgeschickt, um noch mehr Schokolade zu besorgen. Es war schrecklich gewesen, mitanzusehen, wie Ma derart zusammengebrochen war.
Nur ein einziges Mal war Gawain in dieser Zeit von Ma's Seite gewichen: Als er Jared den Kopf zurechtrückte, der schon wieder ohne Erlaubnis in unsere Wohnung gekommen war und trotz mehrfacher Aufforderung nicht gehen wollte. «Benimm dich gefälligst, Junge, und zeige etwas Respekt gegenüber Älteren!», fauchte Gawain und zeigte seine Zähne, die leicht spitz waren – noch nicht so ausgeprägt wie bei Ma.
«Pah! Wieso sollte ich? Und glauben Sie nicht, dass ich vor Ihnen Angst habe, weil Sie ein Fey sind! Fey sind nichts als unnütze, verräterische Bastarde!» Das hätte Jared nicht sagen dürfen, denn schon befand er sich in Gawains Schwitzkasten, einen Dolch an seiner Kehle. Doch Jared liess sich davon nicht beirren: «Sie trauen sich sowieso nicht! Sie sind wie mein Vater: ein nutzloser, feiger Fey, der seine Familie im Stich lässt. Ein Arschloch. Und meine idiotische Mutter trauert dem Schwein immernoch hinterher!»
Im nächsten Moment fand Jared sich an die Wand gepresst wieder. Gawains starke Arme mit den blauen Drachentattoos hielten ihn dort fest, während die Spitze des Dolchs gegen Jareds Kehle stiess und er hatte sichtlich Mühe Luft zu holen. «So spricht man nicht über seine Mutter!», zischte Gawain. «Und du, Halbblut, solltest sehr wohl Angst vor uns Fey haben – auch wenn dein Vater ein Idiot war.»
Gawain liess von Jared ab und dieser sackte zusammen und rieb sich den Hals. Ein kleines, rotes Rinnsal floss von der Stelle hinab, an der Gawains Dolch gelegen hatte. Gawain liess Jared nicht die Chance, sich zu sammeln, sondern schleppte den Jungen hinaus auf die Strasse. Kaspar und ich folgten den beiden neugierig. Gawain schleifte Jared durch die Strassen, ob dieser wollte oder nicht, er war nicht stark genug, um sich aus dem stählernen Griff zu winden. Schliesslich betraten wir die Arena und Gawain stiess Jared in den Sand.
«Gaius! Bring diesem Jungen Manieren bei», befahl er, bevor er sich umdrehte und ging. Erschrocken starrte ich Gawain nach. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
Gaius hatte sich inzwischen vor Jared aufgebaut und blickte amüsiert auf den Jungen hinab. «Ich geb dir einen guten Rat, Junge. Leg dich nie wieder mit einem Fey an, wenn es sich vermeiden lässt. Und nun: bevorzugst du Speer oder Gladius?»
Ein paar Tage später segelte beim Frühstück Theo, mein Mäusebussard, zum Fenster herein. In seinen Klauen trug er zwei Briefumschläge mit purpurnem Siegel und smaragdgrüner Tinte sowie eine Postkarte mit einer Sphinx, die sich mit einer Pfote den Kopf kratzte und dann fauchte, als sie merkte, dass ich sie beobachtete. Ich liess meinen Hogwartsbrief ausser Acht und griff stattdessen erst zur Postkarte, die mit einer sauberen Schrift bedeckt war, allerdings so klein geschrieben, dass es schwierig war, den Text zu entziffern.
Liebe Adrienne
Wie du wahrscheinlich bereits aus dem Tagespropheten weisst, sind wir dieses Jahr alle zusammen nach Ägypten in Urlaub gefahren, wo wir Bill besuchen. Die magische Vergangenheit dieser Ägypter ist unglaublich spannend – wusstest du, dass sie bereits vor mehr als viereinhalbtausend Jahren ein grosses Wissen über Zauberei und Magie hatten? Sie hatten bereits damals ein sehr tiefes Verständnis theoretischer Magie. Interessierst du dich noch für das Thema?
Für mich jedenfalls sind die magischen Tierwesen, die es hier gibt, um einiges spannender. Die Sphinx zum Beispiel, die ja auf dieser Karte ist, und auch einige Drachenarten, die abgeschieden in der Wüste leben. Besonders fasziniert war ich aber von einer Art Schakal, die den Fluchbrechern in den Pyramiden das Leben schwer machen. Bill sagt, sie hätten mindestens einmal im Monat einen schweren Unfall, weil diese Schakale einfach so aus Sand und Stein entstünden und einem hinterrücks anfallen. Bill sagt, dass der Totengott Anubis diesen Schakalen angeblich die Aufgabe gegeben hat, die Pyramiden zu bewachen. Bei einer Führung haben wir sogar einen gesehen – wirklich beeindruckende Geschöpfe aber nicht halb so furchteinflössend wie der Grimm damals.
Hast du deine Bücher für Hogwarts bereits besorgt? Wenn nicht, wäre es toll, wenn du am Samstag vor der Abreise in die Winkelgasse kommen könntest. Ich habe es so eingerichtet, dass ich erst eine Woche nach Beginn des Schuljahrs wieder in Rumänien sein muss, damit ich meine Brüder und meine Schwester in die Winkelgasse und zum Zug begleiten kann. Es würde mich freuen, dich und Kaspar bei dieser Gelegenheit wiederzusehen.
Liebe Grüsse
Charlie Weasley
PS: Fred und George lassen dich auch grüssen, aber sie sind zu faul, um dir selbst zu schreiben.
Grinsend legte ich die Postkarte beiseite und erzählte Kaspar und Ma von Charlies Vorschlag, am letzten Tag vor Schulbeginn in die Winkelgasse zu gehen. Für Ma spielte es keine Rolle, wann wir dorthin gingen, es waren ja ohnehin nur fünfzehn Minuten zu Fuss von hier. Gawain bot an, uns ebenfalls zu begleiten, was ihm einen verärgerten Blick von Ma einbrachte, aber er ging nicht darauf ein. Ohne zu fragen wusste ich, worum es dabei ging: Seit Ma's Zusammenbruch versuchte Gawain sie überallhin zu begleiten, wo sie möglicherweise in Kontakt mit Dementoren kam. Im Tagespropheten hatte es geheissen, dass man diese schrecklichen Kreaturen ausgeschickt hatte, um Black zu jagen, aber auch Ma's Einheit beim AZMGUK hatte man auf die Jagd nach dem verurteilten Massenmörder geschickt. Dieser Mann war so gefährlich, dass man sogar in der Times von seinem Ausbruch berichtet hatte und Fahndungsfotos in Londinium aufgehängt wurden.
Die Ferien näherten sich ihrem Ende. Joanne, meine Muggelfreundin aus Kindertagen, kam für einige Tage zu uns und war ganz erschrocken, als ich erzählte, was es mit Sirius Black und Askaban auf sich hatte. Jared widersetzte sich Gaius versuchen, ihm Manieren beizubringen, machte sich dafür ganz gut im Umgang mit einem Speer, was Gaius wiederum versöhnlich stimmte. Ma hatte es noch nicht geschafft Sirius Black zu fangen und sie und Gawain stierten verärgert in ihr Nachtessen, wenn sie nach einem weiteren, erfolglosen Tag nach Hause kamen. Jake Coron tat es ihnen gleich, wann immer er bei uns ass – was meiner Meinung nach viel zu oft vorkam. Ich mochte ihn nicht. Er sah mich immer wieder finster und unversöhnlich an, als hätte ich ihm etwas getan oder ihn beleidigt.
Der letzte Ferientag kam und wir machten uns auf den Weg zur Winkelgasse. Im Tropfenden Kessel angekommen, begrüsste uns das Konterfei von Sirius Black gleich in mehrfacher Ausgabe, aber von den Weasleys war nichts zu sehen. Laut Tom, dem Wirt, waren sie bereits vor einer halben Stunde angekommen, hatten Zimmer gemietet und waren dann zum Einkaufen in die Winkelgasse gegangen. Ob wir auch ein Zimmer wollten, fragte er hoffnungsvoll, doch eine hochgezogene Augenbraue von Ma reichte und er senkte schnell den Blick, griff nach einem Lappen und begann, ein Glas zu polieren.
Gawain sah sich neugierig um, als wir die verwinkelte Strasse mit all ihren Zauberläden betraten. Er war noch nie hier gewesen, was mich erst verwundert hatte, doch das meiste hier gab es auch in Londinium zu kaufen – ausser Zauberstäben, aber wofür sollte Gawain einen Zauberstab brauchen. Er war ein Fey und die hatten ihre ganz eigene Magie.
Wir gingen als erstes zu Madam Malkins – Anzüge für alle Gelegenheiten, da unsere Schuluniformen schon etwas zu kurz waren. Danach ging es zur Apotheke, zum Schreibwarenladen und zu Flourisch & Blotts, wo ein riesen Käfig mit bissigen Büchern im Schaufenster stand.
«Brauchen wir die auch?», fragte ich und sah auf meiner Liste nach. Schien so. Das Monsterbuch der Monster. Ich vermutete, dass das unser neues Buch für Pflege magischer Geschöpfe war, dabei waren wir doch noch lange nicht durch mit Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Vielleicht fand Professor Kesselbrand, dass dieses Buch besser war, jetzt wo wir uns langsam den gefährlicheren Klassen der Tierwesen näherten.
Der Verkäufer war ganz entsetzt, als wir ihm sagten, dass wir zwei Stück wollten. Mit einer langen Stange bewaffnet schritt er hinüber zum Käfig, wo er unter viel Mühe zwei der Bücher aus dem wütend knurrenden Haufen holte. Ma nahm ihm die Bücher ab und sie erstarrten sofort regungslos.
«Aber wie ist das möglich?», fragte er verdutzt. «Das ist bis jetzt noch nie passiert!»
Anstatt eine Erklärung abzugeben, machte Ma ihm Beine. «Wir brauchen noch zwei Exemplare vom Lehrbuch der Zaubersprüche Band 5. Wenn sie die bitte holen würden, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!», fauchte sie und der Verkäufer rannte los.
Als wir den Laden verliessen, sah ich einen rothaarigen, jungen Mann, der vor dem Quidditchladen gegenüber stand und sich nun zu uns umdrehte und mir zuwinkte.
«Charlie!», rief ich und rannte auf meinen alten Freund zu, der mich lachend in die Arme schloss.
«Adrienne. Es ist ewig her», sagte er. «Ist das dein Vater? Hast du ihn doch noch gefunden?», fragte er dann neugierig und nickte zu Gawain hinüber.
Ich lachte. «Nein, das ist Ma's Freund. Aber ja, ich hab' herausgefunden, wer mein Vater ist», fügte ich leiser und ernster hinzu.
Charlie sah mich fragend an. Ich sah nachdenklich zurück. Schliesslich entschloss ich mich, es Charlie zu erzählen. Ich wusste, dass er dichthalten würde und er würde mich auch nicht verurteilen. Mit immer grösser werdenden Augen lauschte er mir, während ich ihm schilderte, welche Abenteuer ich in den letzten Jahren erlebt hatte.
«Erst der Grimm, dann Finëa di Finjarelle und diese Zeitreise und jetzt der Stein der Weisen, wie du gelernt hast deinen Obscurus zu beherrschen und deine Familie gefunden hast und dann auch noch eine Geisterbeschwörung und die Kammer des Schreckens. Ich wünschte ich könnte nochmals nach Hogwarts gehen – neben deinen Abenteuern nimmt sich meine Arbeit mit den Drachen wie ein langweiliger Bürojob aus.»
Ich grinste ihn an. «Ach komm schon, Charlie. Drachen sind doch viel interessanter als Geister und Basilisken. Und genauso tödlich wie letztere. Warum beschwerst du dich?»
Er lachte. «Stimmt schon, aber es ist nicht ganz so abwechslungsreich, wenn man nur mit Drachen zu tun hat.»
«Selber schuld!», sagte ich und streckte ihm die Zunge heraus.
«Wie geht es dir eigentlich damit, jetzt wo du weisst, dass Snape dein Vater ist?», fragte er nach einer Weile.
Ja, wie ging es mir eigentlich damit? Snape war in den Ferien zweimal vorbeigekommen. Wir waren durch Londinium spaziert, ich hatte ihm einige interessante Ecken gezeigt und wir hatten gemeinsam einen Tee getrunken und dabei über belangloses geredet.
«Nachdem ich es herausgefunden habe, hat Jessie zu mir gesagt, dass es zwei Arten von Familien gibt: Die, in die wir hereingeboren werden und die, die sich wirklich wie Familie anfühlt. Das können sie gleichen Menschen sein – oder Fey – müssen aber nicht. Kaspar und Ma sind meine Familie; und Cedric und Jessie. Und du kannst mein grosser Bruder sein, ich glaube, das fände ich schön», sagte ich und grinste Charlie an.
Er grinste zurück. «Einverstanden, kleine Schwester. Hui, jetzt hab' ich gleich zwei von der Sorte – und du passt sogar in die Familie mit den roten Haaren.»
«Und was ist mit Gawain? Ist er der Vater deiner selbstgewählten Familie?», fragte Charlie.
Ich sah zu Gawain, der mit Ma und Kaspar ein paar Schritte hinter uns ging und dachte darüber nach. Ich konnte ihn ziemlich gut leiden und es war einfach unglaublich lieb und süss, wie er sich um Ma gekümmert hatte. Er schien sie wirklich zu lieben.
«Vielleicht ... irgendwie ...», antwortete ich.
Ich hatte Ma dazu überreden können, dass wir mit Charlie, den restlichen Weasleys und Harry zu Abend essen durften. Sie hatte schliesslich eingewilligt – es waren ja nur fünfzehn Minuten Fussweg bis nach Hause.
Harry und die anderen waren bereits da, als wir zu fünft die Gaststube des Tropfenden Kessels betraten. Es war ziemlich voll und laut, doch alle Gespräche verstummten angesichts der geballten Präsenz zweier Fey. Die Köpfe drehten sich zu uns um, die Leute wirkten verwirrt, begannen dann aber langsam wieder miteinander zu reden. Zögerlich und leiser als zuvor. Auch die Weasleys hatten sich zu uns umgedreht und nun winkte Mrs Weasley uns zu.
«Hallo, Adrienne, hallo, Kaspar, schön euch beide zu sehen», sagte Mrs Weasley und begrüsste uns mit einer Umarmung. Ma und Gawain schüttelte sie kurz die Hand. Sie und Mr Weasley hatten die beiden Ende letzten Jahres kennengelernt, als sie in McGonagalls Büro waren, nachdem Ginny in die Kammer des Schreckens verschleppt wurde.
«Ah, Mr und Mrs Seanorth. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen», sagte Percy gewichtig und ging auf Ma und Gawain zu. Ich beobachtete Percy skeptisch, er hatte wirklich Mut.
«Er ist Schulsprecher geworden und gibt seither gewaltig damit an», flüsterte George mir als Erklärung zu, der zusammen mit seinem Zwillingsbruder das Geschehen gespannt verfolgte.
«Miss Seanorth», korrigierte Ma und nahm lächelnd Percys Hand, wobei ihre spitzen Zähne gut zur Geltung kamen. Percy war sein Unbehagen deutlich anzusehen und Charlie, Kasper, die Zwillinge und ich kicherten. Pflichtbewusst wandte er sich jedoch Gawain zu.
Der lächelte ebenfalls, als er Percys Hand nahm, aber sein Lächeln war freundlich und seine Zähne noch nicht so spitz wie Ma's. «Es heisst Carlion», korrigierte er Percy höflich, woraufhin dieser rot wurde.
«Zweimal falsch», sagte Fred triumphierend und klatschte mit George ab.
Das Essen wurde eine vergnügliche Angelegenheit. Fred und George erzählten uns in aller Ausführlichkeit von Ägypten und Charlie ergänzte hin und wieder etwas oder erzählte von der Arbeit mit den Drachen. Kaspar und ich erzählten von Londinium.
Ein paar Plätze weiter sprachen Ma, Gawain und Mr und Mrs Weasley über Sirius Black. Die Weasleys waren ganz überrascht, als Gawain erzählte, dass sie ihn jetzt seit bald einem Monat jagten.
«Wenn Sie 'wir' sagen, meinen Sie dann Sie beide?», fragte Mr Weasley überrascht.
«Nein, die Katastropheneinheit des AZMGUK – der Abteilung für die Zusammenarbeit der magischen Gemeinschaften Grossbritanniens.»
Mrs Weasley sah sie überrascht an. «Ich habe noch nie etwas von dieser Abteilung gehört.»
«Weil es eine Abteilung der Muggelregierung ist, Molly», erklärte Mr Weasley und seufzte. «Ich wusste gar nicht, dass sie gleich den AZMGUK eingeschaltet haben.»
«Black ist genauso sehr eine Gefahr für die Muggel wie für die Hexen und Zauberer», sagte Ma sachlich. «Natürlich musste die Regierung etwas unternehmen.»
«Ich wusste nicht, dass die Muggelregierung über uns Bescheid weiss», sagte Mrs Weasley und klang alles andere als begeistert.
«Nur unsere Abteilung und die direkten Vorgesetzten.»
Es wurde immer später und später und schliesslich hob Mrs Weasley die Tafel auf und schickte ihre Kinder auf ihre Zimmer, um fertig zu packen. Ma packte die Gelegenheit beim Schopf und verkündete, dass auch wir aufbrechen mussten. Wir wünschten einander gute Nacht und Charlie umarmte mich noch kurz.
«Wir sehen uns morgen auf dem Bahnsteig. Ich hab' noch was für dich», sagte er zum Abschied und zwinkerte mir zu.
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