16. Kapitel
Als ich am Abend die grosse Halle betrat, waren die Haustische wieder da. Gawain sass etwas verloren ganz am Ende des Ravenclawtischs.
«Hier rüber, Dad», rief ich und winkte Gawain zum Gryffindortisch hinüber.
Er folgte Kaspar und mir bis etwa in die Mitte des Tischs, wo bereits Harry, Ron und Hermine sassen und sich anschwiegen. Die Sache mit dem Feuerblitz hatte für böses Blut zwischen den dreien gesorgt: Nach dem Mittagessen war Professor McGonagall im Gemeinschaftsraum aufgetaucht und hatte den Besen konfisziert, mit der Begründung, dass er möglicherweise von Sirius Black kam. Harry und Ron fanden das unsinnig und ich war ebenfalls ihrer Meinung, aber Hermine und Professor McGonagall wollten kein Risiko eingehen.
«Jake hat ja gesagt, dass meistens nur wenige Schüler über Weihnachten in Hogwarts bleiben, aber so wenige ...», kommentierte Gawain die schlecht besetzte grosse Halle.
Kaspar nickte zustimmend. «Das hat mich anfangs auch überrascht. Gäbe es das Haus Finjarelle noch, wären sicher viel mehr dageblieben.»
Wir setzten uns und füllten unsere Teller mit Bratkartoffeln und kalt aufgeschnittenem Truthahn – die Reste vom Weihnachtsessen.
«Also, Gawain, weshalb bist du hier?», fragte ich den Fey.
Gawain sah sehnsüchtig auf seinen Teller, begann dann aber zu sprechen: «Es geht um das Julritual, genauer gesagt um euer Interesse an der Geschichte um den Sonnengott Lugh und Balor, den Dämonenkönig.»
«Was ist damit?», fragte Kaspar.
«Woher wisst ihr von der Geschichte?», hakte Gawain nach.
«Wir wussten nichts davon, deshalb haben wir ja danach gefragt», erwiderte ich keck.
Gawain verkniff sich ein Lachen. «Vielleicht muss ich anders fragen: Wie seid ihr dazu gekommen, danach zu fragen?»
Ich sah zu Kaspar und dieser zuckte die Achseln. Was konnte es schaden, Gawain davon zu erzählen.
Ich senkte die Stimme und begann zu erzählen: «Es gibt da so ein Buch – ich habe es letztes Jahr in der verbotenen Abteilung gefunden, aber das spielt jetzt keine Rolle. Jedenfalls ist das Buch ein Orakel, das auf die Seiten gebannt wurde. Das Orakel von Twr Avallach –»
Gawain unterbrach mich: «Sagtest du Twr Avallach?!»
«Ähm, ja, hab ich ... weshalb?»
«Twr Avallach», murmelte Gawain vor sich hin. «Und du sagtest, sie sei in ein Buch gebannt worden?»
«Ja», erklärte Kaspar. «Von irgendeinem Mönch, der in der Nähe vom Orakel ein Kloster errichten wollte. In Glastonbury, wenn ich mich Recht erinnere. Er hiess Josef von ... irgendwas.»
«Josef von Armathäa», korrigierte Gawain. «Er erbaute in der Nähe von Glastonbury das erste Kloster Englands. Aber weshalb sollte er das Orakel vertreiben? Das sieht ihm gar nicht ähnlich ... Er galt als sehr tolerant, hat nie versucht andere zu bekehren – freute sich aber immer, wenn sich jemand dem Christentum anschloss.»
Gawain sah nachdenklich in den Kürbissaft in seinem Glas. Er hatte einen Schluck probiert, schien sich aber nicht für das Getränk begeistern zu können.
«Wieso weisst du so viel darüber?», fragte ich misstrauisch.
«William meinte, du seist ein keltischer Priester. Stimmt das?», fragte Kaspar.
Gawain lächelte. «Euer alter Freund ist sehr aufmerksam – obwohl, es war ja auch nicht schwer zu bemerken.»
«Aber man muss trotzdem wissen, an was man das erkennt», verteidigte ich meinen ehemaligen Klassenkameraden.
«Stimmt natürlich.»
«Woran erkennt man es denn?», fragte Kaspar neugierig.
«Nun, zum einen am rituellen Gewand der Druiden, das wir bei Ritualen tragen. Und sonst an den Drachentattoos», sagte Gawain und schob die Ärmel hoch, so dass wir die blau tätowierten Drachen sehen konnten, die sich um seine sehnigen Unterarme wanden. «Wenn man die Arme auf eine bestimmte Weise bewegt, sieht es sogar so aus, als würden sie sich bewegen», sagte er schmunzelnd und machte es vor. Es sah tatsächlich so aus, als schlängelten sie sich um Gawains Unterarme und wollten gleich unter der Haut hervorbrechen, wie Corvus sich jeweils von meinem Armreif löste.
Hinter mir sog plötzlich jemand scharf Luft ein. Ich drehte mich um. Professor McGonagall stand hinter mir und starrte mit grossen Augen auf Gawains entblösste Unterarme.
«Chieftain», sprach Gawain Professor McGonagall an, die daraufhin zusammenzuckte.
«Druide», murmelte diese.
Neugierig sah ich zwischen den beiden hin und her.
Schliesslich fing Professor McGonagall sich wieder, räusperte sich und fragte: «Was führt einen keltischen Priester nach Hogwarts?»
«Lugh und der Dämonenkönig Balor», sagte Gawain und lächelte schief. «Und die Fragen von Adrienne und Kaspar zu diesem Thema, sowie meine eigene Verwunderung über diese Fragen, Chieftain.»
«Nennen Sie mich nicht so. Ich bin Professor McGonagall, Lehrerin für Verwandlung und Hauslehrerin von Gryffindor. Dass ich das Oberhaupt meiner Familie bin, tut hier nichts zur Sache. Und Sie sind ... , Druide?», fragte Professor McGonagall.
Gawain lächelte so charmant wie und je – aber vielleicht etwas breiter als normalerweise, so dass die spitzen Zähne zur Geltung kamen, die ihn als Fey auswiesen. «Ich bin Gawain Carlion. Ich gehöre zum AZMGUK und wir sind derzeit auf der Jagd nach Sirius Black – wie Sie sicher wissen, Professor. Im Moment bin ich jedoch tatsächlich als keltischer Priester hier. Macht es Ihnen etwas aus, uns alleinzulassen? Ich habe etwas mit der Tochter meiner Freundin zu besprechen.»
McGonagall sah verblüfft zwischen Gawain und mir hin und her, nickte uns dann zu und ging ohne ein weiteres Wort davon.
«Wow, du hast es geschafft, Professor McGonagall loszuwerden», sagte Kaspar beeindruckt. «Das ist eigentlich unmöglich.»
Gawain lachte. «Nun Kaspar, wenn du ein Fey wärst, wüsstest du, dass es nicht unmöglich ist. Ausserdem scheint sie ziemlichen Respekt vor uns Priestern zu haben. Die Druiden haben immer noch einen gewissen Einfluss in den schottischen Clans, wenn auch nur im Verborgenen und Abseits der Öffentlichkeit.»
«Bist du auch Schotte?», fragte Kaspar.
Gawain schüttelte den Kopf. «Ich bin Walise, aber das spielt keine Rolle.»
«Also, das Orakel von Twr Avallach. Was hat euch das verlorene Orakel von Avalon erzählt, um euer Interesse an der Geschichte von Lugh und Balor zu wecken?»
«Das verlorene Orakel von Avalon?!», wiederholte ich mit grossen Augen.
Gawain fuhr ungeduldig mit der Hand durch die Luft und gebot mir, zum eigentlichen Thema zurückzukehren.
«Also, begonnen hat alles damit, dass sich in letzter Zeit ungewöhnlich viele Irrwichte im Schloss herumtreiben», erklärte ich und schilderte Gawain unsere Begegnung mit Irrwicht-Molly, dem Irrwicht-Grimm und der gesichts- und namenlosen Gestalt, die mein Irrwicht war. Er schmunzelte, als ich erzählte, wie ich meinen Irrwicht besiegt hatte, in dem ich ihn zwang, eine Oper zu singen. Danach kam ich auf das Gespräch mit Jessie und Cedric zu sprechen und dass auch weitere Schüler von Irrwichten angefallen worden waren, sowie von unserem Entschluss, der Sache auf den Grund zu gehen. «Kaspar hatte die Idee, dass wir das Orakel befragen könnten – vielleicht kämen wir so schneller zu einer Antwort.»
«Und habt ihr die bekommen?», hakte Gawain nach.
«Ja, in gewisser Weise schon, aber es war ziemlich verworren», kam es von Kaspar.
Gawain lachte. «Wir sprechen hier von einem Orakel – deren Antworten sind immer verworren. Du solltest dir mehr Sorgen machen, wenn eine Antwort einmal klar ist.»
«Nun ja, ganz so unklar war die Antwort nicht. Das Orakel sprach von zwei Dingen: Davon, dass Voldemort zurückkehren wird, weil sein Diener ihm helfen wird –»
«Das ist dann wohl Sirius Black», stellte Gawain fest.
Ich nickte. «Und es sprach vom Erwachen der Monster – zuerst würden die weniger gefährlichen erwachen, dann die gefährlicheren und am Ende sogar der Dämonenkönig selbst, also Balor.»
Gawain war blass geworden und das erste Mal, seit ich ihn kannte, sah ich in seinen blauen Augen Angst aufblitzen.
«Das darf niemals geschehen», flüsterte Gawain.
«Das hat das Orakel auch gesagt», kam es von Kaspar. Gawain sah zu ihm auf, Hoffnung lag in seinen Zügen, doch Kaspar machte diese zunichte: «Allerdings wusste das Orakel selbst nicht, wie das gehen sollte.»
«Wie lang dauert das eigentlich, bis so ein Dämonenkönig von den Toten zurückkehrt?», fragte ich.
«Ich habe keine Ahnung», sagte Gawain brüchig.
Es herrschte so lange Stille, dass ich beschloss, mich dem Abendessen zuzuwenden. Kaspar tat es mir gleich, nur Gawain starrte immer noch tief in seine Gedanken versunken auf den Tisch. Auch wenn die Bratkartoffeln inzwischen kalt geworden waren, schmeckte sie immer noch sehr gut und die Truthahnstreifen waren ja ohnehin kalt serviert worden. Die bereits unterbesetzte grosse Halle hatte sich inzwischen noch weiter gelehrt, von den Lehrern waren nur noch Professor Flitwick und mein Vater anwesend, die sich miteinander unterhielten, allerdings sah mein Vater immer wieder zu mir herüber. Von den Schülern war ausser Kaspar und mir nur noch Hermine da. Sie guckte genauso appetitlos in ihren Teller wie Gawain.
«He, Seanorth!»
Ich seufzte. Und Pucey war auch noch da. Und kam nun zu uns rüber an den Gryffindortisch.
«Was willst du, Pucey», sagte ich genervt. «Ist das Essen am Gryffindortisch besser als bei den Slytherins? Natürlich ist es das.»
Ausnahmsweise ging Pucey nicht darauf ein. «Das ist also dein Vater, wie? Sie sind also ein Fey, Mr Seanorth?»
Gawain sah hoch und durchbohrte Pucey mit scharfem Blick. «Es heisst nicht Seanorth, sondern Carlion. Aber ja, ich bin ein Fey.» Er lächelte und zeigte die Zähne. Gawains gesamte Ausstrahlung wirkte mit einem Mal um ein Vielfaches gefährlicher als sonst und die schrägstehenden Augen funkelten beunruhigend. Zudem war da wieder diese respekteinflössende Aura, die die Fey immer umgab, die Gawain aber offensichtlich verbergen konnte, wenn er wollte.
Pucey stolperte ein paar Schritte zurück. «Nichts für Ungut, Mr Carlion. Nichts für Ungut», stotterte er, bevor er reissaus nahm.
«Beeindruckend», kommentierte Kaspar und kicherte.
«Gerne doch», murmelte Gawain abwesend und sah dann zu mir.
«Als ich das letze Mal hier war, habe ich dich doch nach dieser seltsamen ... Spannung ... gefragt, die hier im Schloss zu spüren ist», sagte Gawain.
Ich nickte. Wir hatten von diesem Gefühl der Anspannung gesprochen, dass mich schon das ganze Schuljahr verfolgte und dass offenbar auch andere spürten. Gawain zum Beispiel, aber auch Professor Lupin, wenn seine Sinne kurz vor Vollmond besonders scharf waren. «Du hast gesagt, es fühle sich mächtig an, unheimlich und gefährlich. Und schläfrig.»
«Genau», sagte Gawain und fügte dann besorgt hinzu: «Aber es ist jetzt nicht mehr so schläfrig wie damals.»
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Chieftain: schottisches Familienoberhaupt (erkennbar an den 2 Federn am Hut); nicht zu verwechseln mit den Clanoberhaupt, dem Chief (trägt 3 Federn am Hut)
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