14. Kapitel
Die Übungsstunden mit Kaspar und meiner Ma im Steinkreis im Verbotenen Wald waren jeweils auf Samstag angesetzt und mit jedem Samstag wurden sie deprimierender. Wir trafen uns jeweils am Steinkreis, da Ma keine Lust hatte, sich die ganze Zeit mit anderen Schülern befassen zu müssen, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre, wäre sie öfters in Hogwarts aufgetaucht. Und dann ging es los: Ich stellte mich in die Mitte des Steinkreises und versuchte meinen Obscurus zu befreien – übersetzt bedeutet das, dass ich dort stand und mich konzentrierte, um etwas zu beschwören, von dem ich keine Ahnung hatte, wo ich es hernehmen sollte. Einmal, ein einziges Mal war mein Obscurus bisher aus mir herausgebrochen und dieses eine Mal hatte nicht gereicht, um mir ein genaueres Bild davon zu machen. Und so stand ich da, mitten im Steinkreis und es passierte nichts. Um mir zu helfen, damit vielleicht doch etwas passierte, hatten sich Ma und Kaspar netterweise darauf verlegt, mich zu reizen: Sie beschimpften mich und warfen Pergamentkügelchen und Froschinnereien nach mir und fuhren mich verärgert an. Es funktionierte – das mit dem Provozieren zumindest: Meine Laune wurde von Mal zu Mal schlechter – doch mein Obscurus liess sich weiterhin nicht blicken.
Was mich zusätzlich ärgerte: Kaspar hatte es gleich beim zweiten Mal geschafft. Mit freudig glänzenden Augen trat er danach aus dem Steinkreis. «Jetzt weiss ich, weshalb es letztes Mal nicht geklappt hat! Mein Obscurus ist tatsächlich schwächer geworden!», rief er euphorisch.
Ich starrte ihn grummelig an.
Aber immerhin machte er danach keine weiteren Fortschritte – im Gegenteil: Bei seinem nächsten Versuch brach der Obscurus so aggressiv aus ihm heraus, dass Mas Schutzzauber darunter bebten – sie glühten auf, was bedeutete, dass sie dabei waren zu brechen. Gerade so war es Ma noch gelungen, die Zauber zu verstärken und sich und mich vor Schaden zu bewahren. Die Schadenfreude und die Scham über eben diese hätten meinen Obscurus zusätzlich befeuern müssen, doch Fehlanzeige.
Und dann gelang es Kaspar gemeinerweise, die Stärke, mit der der Obscurus hervorbrach einigermassen zu kontrollieren. Und ich hatte nach mehreren Wochen immer noch keinen Fortschritt gemacht! Oder überhaupt einen Schritt!
Der ständige Frust über meine ausbleibenden Erfolge führte dazu, dass Jessie, Cedric und Kaspar mich so gut es ging in Ruhe liessen, wenn ich wütend mein Geschichtsbuch von mir schleuderte. Verdammte Koboldaufstände! Wieso war es so schwierig, sich an einen runden Tisch zu setzten und solche Rechtsfragen und sonstigen Blödsinn in Ruhe auszudiskutieren, wie das Erwachsene doch tun sollten! Nein, stattdessen produzierte man Kriege und Aufstände und irgendwelche armen Schüler wie ich mussten diesen ganzen Mist auch noch auswendig lernen. Interessierte doch einen Dreck wie diese Koboldführer und Zauberer-Juristen geheissen hatten.
Und dann kam der Morgen, der meine Gedanken endlich auf etwas anderes lenkte und meine trübe Stimmung aufhellte. Es war ein Sonntagmorgen. Ein finsterer Morgen für das Haus Gryffindor, aber der heiterste Sonntagmorgen den ich seit langem erlebt hatte. Die unbefriedigende Obscurusstunde vom Vortag verblasste angesichts der hundertfünfzig Punkte, die Gryffindor über Nacht verloren hatte.
«Hundertfünfzig Punkte!», schimpfte Eliza, an diesem Morgen beim Frühstück und zwar so laut, dass sie bestimmt noch auf dem Astronomieturm zu hören war, denn genau da hatten sich, wenn man den Gerüchten trauen durfte, mein neuer Bruder und seine Freunde Hermine und Neville gestern Nacht herumgetrieben, um einen Drachen – einen norwegischen Stachelbuckel um genau zu sein – ausser Landes zu schaffen. Die hundertfünfzig Punkte Abzug waren der leidigen Tatsache geschuldet, dass Professor McGonagall sie dabei erwischt hatte.
Nun sassen alle drei mit hängenden Köpfen am Gryffindortisch und versuchten möglichst nicht aufzufallen, was Harry jedoch nie so ganz gelang. Zusammen mit Fred und George setzten Kaspar und ich mich zu den drei Übeltätern und zu Ron, der nur deswegen nicht an der Aktion beteiligt gewesen war, weil er mit einer schwerverletzten Hand im Krankenflügel gelegen hatte.
«Ach, hundertfünfzig Punkte sind gar nichts!», meinte Fred wegwerfend.
«Eine wirklich schwache Leistung von euch dreien. Wir haben es geschafft zweihundert Punkte in einer Nacht zu verlieren – damit sind wir Rekordhalter!», sagte George stolz.
«Ein wirklich toller Rekord», meinte Hermine betrübt.
«Nun ja, die eigentlichen Rekordhalter sind ja Adrienne und Charlie», erklärte Fred ohne auf Hermines Einwurf einzugehen. «Sie haben es beide nämlich gleich zweimal geschafft.»
«Tatsächlich?», fragten Ron und Kaspar gleichzeitig und sahen mich neugierig an.
«Nun ja, ich war in der ersten Klasse – wie ihr drei also – und ich habe mich zusammen mit Charlie auf die Suche nach dem Grimm gemacht, der im Verbotenen Wald sein Unwesen trieb», begann ich zu erzählen und merkte wie sich dabei ein abenteuerlustiges Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. Euphorisch erzählte ich den Erstklässlern und Kaspar von unserer Suche nach dem Grimm. «Und dann, als wir nur noch zwei Korridore vom Portrait der Fetten Dame entfernt waren, hat McGonagall uns aufgegabelt und uns einhundert Punkte pro Kopf abgezogen!»
«Das zweite Mal war nicht ganz so spektakulär», erzählte George unbefriedigt. «Da hat uns nämlich Snape erwischt und er hat nur fünfzig pro Kopf abgezogen, dafür waren Fred und ich auch dabei.»
«Ja, Snape hat da wirklich versagt. Nur fünfzig Punkte pro Kopf», erklärte Fred kopfschüttelnd.
«Und Cedric und Jessie waren auch dabei», ergänzte ich. «Hufflepuff und Slytherin haben in dieser Nacht auch je fünfzig Punkte verloren. Und, wirklich George, unspektakulär ist die wohl grösste Untertreibung des Jahrhunderts.» Und schon stürzte ich mich in die Erzählung von diesem zweiten nächtlichen Ausflug, oder besser, dem zweiten bei dem wir erwischt worden waren, und dieser war wirklich der spektakulärste von allen. Das war nämlich der, in dem ich von den anderen getrennt und beinahe vom Grimm angegriffen worden war. Die Münder von Harry, Ron und Kaspar standen weit offen, als ich mit meiner Erzählung zum Ende kam. Neville hatte sich in sich zusammengekauert und auch Hermine sah verschreckt aus, auch wenn sie es mit einem tadelnden Blick zu kaschieren versuchte.
«Vierhundert Punkte in nur zwei Nächten», sagte Ron staunend. «Weshalb hat Charlie nie davon erzählt?»
«Ich denke, er wollte dir kein schlechtes Vorbild sein, Bruderherz», meinte Fred diplomatisch und versenkte seine Zähne in einem Toast mit Butter.
«Du meinst, wie ihr beide?», schoss Ron zurück.
Verstohlen sah ich zu Harry. Ich war für meinen Bruder jedenfalls bestimmt kein gutes Vorbild. Doch irgendwie bereitete mir das gerade überhaupt keine Sorgen, denn hier hatte ich endlich eine Gemeinsamkeit zwischen uns beiden entdeckt. Ich war bei unseren Ausflügen in den Verbotenen Wald genauso die Drahtzieherin gewesen, wie er bei seinem nächtlichen Abenteuer mit Hagrids Drachenjungem.
«Jedenfalls, haben wir in diesem Schuljahr noch einen Schulrekord aufgestellt», erzählte George breit grinsend. «Wir haben den Häuserwettkampf mit dem tiefsten Ergebnis in der ganzen Geschichte von Hogwarts beendet.»
Fred nickte eifrig. «Ganz genau. Auch wenn ich heute noch nicht verstehe, wie es dazu kam, dass wir nicht im Minusbereich gelandet sind.»
Hermine schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht, bei der Aussicht auf eine solche Niederlage.
«Ich glaube, das lag daran, dass es nicht möglich ist, ins Minus zu kommen. Leerer als leer kann das Stundenglas ja nicht sein», überlegte ich.
Die Sache mit dem Stachelbuckel sorgte dafür, dass die andern Gryffindors Harry und seine Freunde mieden, was mir die Gelegenheit gab, etwas enger mit meinem Bruder anzubandeln. Meine Freunde und ich schienen die einzigen zu sein, die den dreien ihre Straftat nicht allzu übel nahmen und so sassen wir nun bei den Mahlzeiten regelmässig beieinander und auch in der Bibliothek, wenn es die Hausaufgaben zu erledigen galt, arbeiteten wir an zwei nahe zusammenstehenden Tischen – da hatte man nämlich seine Ruhe, weil die anderen Schüler einen grossen Bogen um Harrys Tisch machten.
Jessie hatte für Cedric, Kaspar und mich wieder einmal Pläne zur Stoffwiederholung für die Abschlussprüfungen aufgestellt und mich damit total überrascht. Zwischen dem regulären Unterricht und den ganzen Übungsstunden mit Kaspar und meiner Ma war mir völlig entgangen, wie die Zeit verstrichen war und nun standen schon bald die Osterferien an.
«Was würdet ihr drei nur ohne mich machen», sagte Jessie kopfschüttelnd, als sie mir bei einem unserer Treffen in der Bibliothek meinen Wiederholungsplan reichte und meinen überraschten Blick sah.
«Wahrscheinlich wären wir dann immer noch in der ersten Klasse», entgegnete Cedric grinsend und angelte sich einen von Jessies Plänen.
«Was hat es mit diesen Übungsplänen auf sich?», fragte Hermine vom Nachbartisch her neugierig.
Nur zu gerne erklärte Jessie ihr das und einen Tag später hatte auch Hermine Stoffwiederholungs-Pläne erstellt und sie Harry und Ron aufgedrängt, die Jessie daraufhin verärgerte Blicke zuwarfen.
«Und da habe ich schon gedacht, dass es doch gute Slytherins gibt», maulte Ron.
Kaspar schüttelte den Kopf über diesen Kommentar: «Was haben nur alle gegen Slytherin? Professor Slytherin war einer der besten Lehrer, den ich je hatte!» Und damit war an diesem Tag ans Büffeln nicht mehr zu denken, denn nun starrten die drei Erstklässler Kaspar mit offenen Mündern an und wir waren in ziemlicher Erklärungsnot.
«Was soll das heissen, 'den du je hattest'?», fragte Harry neugierig.
Meine Freunde und ich sahen uns unsicher an. Was sollten wir den dreien erzählen? Was konnten oder durften wir ihnen erzählen? Weder von meinen Familienverhältnissen, die mit dieser Geschichte verstrickt waren, noch von Kaspars und meinem Obscurus und von Finëas magischem Armreif wollte ich ihnen erzählen. Und auch nicht von Finëa selbst, dem Haus Finjarelle und der Zeitreise. Wieso hatte Kaspar sich auch versprechen müssen!
«Ich erzähle euch meine Geschichte, wenn ihr uns erzählt, weshalb ihr hinter dem Stein der Weisen her seid», sagte Kaspar leise. In seinen Augen lag ein verschlagenes Funkeln.
Nun war es an den drei Erstklässlern, sich unsicher anzusehen.
«Woher wisst ihr vom Stein?», traute sich schliesslich Hermine zu fragen.
«Wir haben so unsere Quellen», meinte Jessie grinsend, was ihr einen weiteren misstrauischen Blick von Ron einbrachte. Wahrscheinlich vermuteten die drei immer noch, dass Snape hinter dem Stein her war. So ein Unsinn.
«Nun gut», lenkte Harry schliesslich zerknirscht ein. «Wir fragen euch nicht weiter aus und ihr uns nicht.»
Ich betrachtete meinen Bruder mit schräggelegtem Kopf. Eigentlich hätte ich schon ganz gern gewusst, was die drei alles herausgefunden hatten. «Das wäre natürlich eine Möglichkeit, dieses Angebot», sagte ich nachdenklich. «Allerdings würde es uns nicht davon abhalten, sofort zu einem Lehrer zu gehen und diesem zu erzählen, dass ihr vom Stein wisst.»
Der Blick, den Harry mir daraufhin zu warf, war feindselig. «Das werdet ihr nicht tun!»
«Genau, ihr kommt genauso dran wie wir, wenn die Lehrer herausfinden, dass ihr vom Stein wisst!», sprang Ron seinem besten Freund bei.
«Ich glaube weniger», sagte Jessie gelangweilt und inspizierte ihre Fingernägel.
«Und wieso nicht?», fauchte Ron zurück.
«Weil unsere Quelle für uns Partei ergreifen wird», erklärte Cedric. Er hatte ein Grinsen auf den Lippen, dass ich bei ihm schon lange nicht mehr gesehen hatte. Dieses Grinsen, das besagte, dass ihm das Brechen der Schulregeln und andere unlautere Mittel für den Moment egal waren. Ein kleiner Schritt für unser Vorhaben, aber ein grosser für einen Hufflepuff. Cedric war eben kein gewöhnlicher Hufflepuff.
Die drei Erstklässler starrten uns wütend an. Cedric, Kaspar und ich grinsten zurück und Jessie beobachtete immer noch gespielt desinteressiert ihre Fingernägel.
«Ich wette, Snape ist diese Quelle», giftete Ron.
«Nein. Wieso sollte er Schülern von so etwas erzählen?», erklärte Jessie jovial.
«Wer ist es dann?», kam es neugierig von Hermine, die gleich darauf die Lippen zusammenpresste. Eigentlich hatte sie ihr Interesse nicht zeigen wollen.
«Diese Antwort gegen euer Wissen», flüsterte Kaspar. «Zusätzlich schwören wir, dass wir nichts davon irgendeiner Menschenseele erzählen werden. Und vielleicht können wir euch sogar helfen.»
Ich verkniff mir ein Grinsen. Wie praktisch, dass meine Ma eine Fey war.
«Wenn es denn sein muss», grummelte Harry und begann widerstrebend davon zu berichten, wie er mit Hagrid ein kleines Päckchen aus einem Verliess in Gringotts geholt hatte, wie Hagrid sich verplappert hatte, dass das Päckchen nur Dumbledore und Nicolas Flamel etwas anginge und wie sie dann nach Flamel gesucht und herausgefunden hatten, dass er der Hersteller des Steins des Weisen war.
«Jemand will den Stein stehlen», schloss Harry. «Bei Gringotts war es nur Glück, dass Hagrid den Stein gerade noch rechtzeitig abgeholt hat. Und jetzt versucht dieser Jemand hier in Hogwarts den Stein zu bekommen und die Schutzzauber der Lehrer zu brechen. Ich glaube ...», Harry sah kurz zwischen Jessie und Hermine hin und her, «ich glaube, dass es Snape ist und dass er jetzt alle Schutzzauber kennt und er nur nicht weiss, wie er an Fluffy vorbeikommt – also Fluffy ist Hagrids dreiköpfiger Hund, der den Zugang zum Stein bewacht.»
«Snape ist es bestimmt nicht», entgegnete ich kategorisch und dachte dann über die anderen Informationen nach. Es war nichts wirklich Neues dabei.
«Woher willst du wissen, dass es nicht Snape ist?», schoss Ron zurück. «Nur weil ihr mit einer Slytherin befreundet seid?»
Jessie verdrehte die Augen. «Nein. Weil wir jemanden kennen, auf deren Urteil wir uns in diesen Dingen absolut verlassen.» Und das wäre dann meine Mutter.
«Und wer ist nun eure Quelle?», kam Hermine zu ihrer Frage zurück.
Ich grinste sie breit an. «Mr Flamel natürlich. Er ist mein Nachbar.»
Hermines Augen nahmen die Grösse von Tennisbällen an und mein Grinsen zog sich bis zu meinen Ohren.
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