11. Kapitel
Ich hatte die Kette nicht umgelegt. Ich hatte sie und den Brief zurück ins schwarze Kästchen gelegt und es zuhinterst in meinem Kleiderschrank versteckt. Am liebsten hätte ich es nie bekommen. Es war wohl wahr, was man sagte: Man sollte aufpassen, was man sich wünschte. Weshalb ich das Kästchen am Tag vor der Rückkehr nach Hogwarts in meinen Koffer packte, verstand ich selbst nicht. Ich sprach nicht viel, irgendwie war ich auch jetzt, Tage später, noch damit beschäftigt, diese Neuigkeit zu verarbeiten. Es machte mich traurig, dass ich jetzt wusste, wer meine leibliche Mutter war, dabei hatte ich immer gedacht, dass ich vor Freude tanzen würde, wenn ich es herausfand. Aber jetzt – irgendwie fühlte es sich so an, als würde ich meiner Familie entrissen, als würde ich nicht mehr zu dieser bunt zusammengewürfelten Familie gehören. Meine vierhundert Jahre alte Fey-Mutter, mein 'Bruder' aus der Vergangenheit, der wie ich ein Obscurial war und die 'Grosseltern' Mr und Mrs Flamel. Diese Familie wollte ich um nichts in der Welt verlieren – und schon gar nicht für etwas so Ungewisses wie meine leibliche Familie, von der zumindest meine Mutter verstorben war. Vergeblich versuchte ich die Gedanken daran abzuschütteln.
Die ganze Fahrt über im Hogwarts-Express sagte ich kaum ein Wort. Ich hatte die Kopfhörer meines Walkmans aufgesetzt und starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Auch auf dem Bahnsteig in Hogsmeade schlurfte ich nur hinter meinen Freunden her. Ich verlor sie aus den Augen und stieg deshalb in eine andere Kutsche. Ein Mädchen stieg in die Kutsche, sie sagte etwas, doch wegen der Kopfhörer und der Musik hörte ich sie nicht. Sie setzte sich mir gegenüber und musterte mich neugierig. Sie war eine Gryffindor, hatte buschiges Haar und etwas zu lange Schneidezähne – die Freundin von Harry Potter und Ron. Wie hiess sie noch gleich? Ach ja, Hermine Granger.
Ich konzentrierte mich wieder auf die Musik und sah aus dem Fenster. Vielleicht sollte ich versuchen, eine etwas fröhlichere Miene aufzusetzen. Und mich auf ein Kreuzverhör meiner Freunde vorbereiten. Jessie und Cedric war im Zug nicht entgangen, dass etwas nicht stimmte.
Granger tippte mich schüchtern lächelnd an.
Ich seufzte und setzte die Kopfhörer ab. «Was ist?», fragte ich.
«Ähm ... ich wollte nur ...», druckste sie nervös herum, «ist das ... ist das ein richtiger Walkman, also ein Muggel-Walkman?»
«Gibt's noch andere Walkmans ausser denen?», erwiderte ich genervt.
«Ich weiss nicht», machte Granger. «Es ist nur, wenn es wirklich ein ganz normaler Walkman ist, dann dürfte er hier in Hogwarts eigentlich gar nicht funktionieren.»
Erstaunt zog ich eine Augenbraue hoch. Das war ja mal wirklich interessant.
«Wie kann es also sein, dass er doch funktioniert?», hackte sie nach, mutiger jetzt, da mein Gesicht nicht mehr Verärgerung zeigte.
Ich dachte nach. «Er hat tatsächlich nicht funktioniert!», erinnerte ich mich. Als ich ihn kurz nach meiner Ankunft in Hogwarts hatte aufsetzen wollen, hatte der Walkman nicht funktioniert, auch nicht, als ich die Batterien gewechselt hatte. Ich hatte gedacht er sei kaputt ... «Verdammte Holzsandalen!», fluchte ich. Ich hatte den Walkman an Ma geschickt, damit sie ihn reparieren liess! Mir hätte klar sein müssen, dass sie etwas daran gedreht hatte, damit er trotz Magie funktionierte.
«Was ist? Wieso Holzsandalen?», fragte Granger.
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. Gaius Versuche, mich in der Kunst der Flüche römischer Legionäre zu unterweisen, taten jetzt nichts zu Sache.
Granger beliess es dabei und drängte dafür auf das Thema, das sie wirklich interessierte: «Wie kann es sein, dass der Walkman hier läuft?»
«Meine Ma hat dran rumgebastelt», erklärte ich.
Sie runzelte die Stirn. «Aber ... ist sie nicht ... Sie ist doch eine Muggel, nicht? Wie hat sie das denn hinbekommen?»
«Es spielt keine Rolle», entgegnete ich zugeknöpft.
Enttäuscht sah sie mich an und setzte einen Hundeblick auf. Ein Hund mit Hasenzähnen. Doch zu meiner grossen Schande muss ich gestehen, dass es funktionierte. «Na gut, sie ist keine Muggel, sondern eine sehr begabte ... Magierin. Aber das geht keinen war an, verstanden?»
«Verstanden.» Ihre Augen funkelten vor Freude darüber, ein Rätsel gelöst zu haben. Irgendwie erinnerte sie mich an Jessie. Sie wollte auch immer alles wissen, jedem Rätsel auf den Grund gehen.
«Ich bin übrigens Hermine – nur falls du das noch nicht weisst», stellte sie sich vor. «Und du bist Adrienne, richtig? Du bist immer mit Rons grossen Brüdern unterwegs und mit diesem Slytherin-Mädchen und dem Hufflepuff-Jungen. Und diesem Kaspar Shade.»
«Hast du was gegen Kaspar?»
Meine Stimme hatte wohl einen bedrohlichen Unterton gehabt, denn sie krebste sofort zurück: «Nein, kein bisschen, ich wollte nur sagen ... nun ja, er ist schon etwas seltsam.» Sie schwieg. «Stimmt es, dass er erst seit Ende letzten Jahres in Hogwarts ist?»
Genervt funkelte ich Hermine an. «Wenn du nach etwas zum Tratschen suchst, bist du bei mir falsch.»
Sie biss auf ihrer Lippe herum. «Entschuldigung», sagte sie kleinlaut.
Oh. Ich hatte sie eigentlich nicht derart einschüchtern wollen, das tat mir leid. Wahrscheinlich färbte Ma auf mich ab – und sie war die absolute Meisterin im Einschüchtern, das stand ausser Frage.
Es war zu erwarten gewesen, das Jessie, Cedric und Kaspar mich sofort nach unserer Ankunft in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles schleiften, um mich der unausweichlichen Befragung zu unterziehen.
«Kaspar meint, du hast herausgefunden, wer deine Mutter ist?», platzte Jessie heraus, während Cedric gleichzeitig fragte: «Wie geht es dir mit all dem, Adrienne?»
«Ja und ... keine Ahnung», antwortete ich den beiden.
«Wie heisst sie?!», fragte Jessie übereifrig, während Cedric mich besorgt musterte.
Wie eine brave Verdächtige beim Polizeiverhör antwortete ich Jessie: «Sie heisst Lily Evans.»
Jessie legte den Kopf schief. «Evans. Lily Evans. Nie gehört, aber ich werde auf jeden Fall nochmals in der Bibliothek nachschlagen. Was weisst du noch über sie?»
Ich seufzte müde. «Den Rest weisst du schon. Sie hat mich bei meiner Ma abgegeben – sie hat geschrieben, dass sie sich nicht anders zu helfen gewusst hatte, was auch immer sie damit meint. Ähm ja, und dass sie von Voldemort ermordet wurde.»
Nachdenklich sah Jessie zu Finëas Portrait über dem Kamin. Die fünfte Hogwartsgründerin war gerade ausgeflogen und nicht hier, um uns beim Rätseln zu helfen.
«Das ist nicht gerade viel Info», meinte Jessie, «aber mal sehen; der Name wird uns bestimmt ein Stück weiterhelfen.»
«Und wie geht es dir mit der ganzen Geschichte?», wiederholte Cedric seine Frage, während Jessie überlegte.
Betrübt schüttelte ich den Kopf. «Ich weiss es ehrlich nicht. Ich bin nicht froh, wie ich eigentlich gedacht hätte. Eigentlich weiss ich gar nicht, ob ich noch mehr über das Ganze wissen will. Ich hab' eine Ma. Eine tolle Ma, die immer besser wird, jetzt, wo alle Geheimnisse ausgeräumt sind.»
«Glaubst du wirklich, dass sie keine Geheimnisse mehr vor dir hat?», fragte Jessie zweifelnd. «Erinnerst du dich noch daran, was sie gesagt hat, als wir herausgefunden haben, dass du ein Obscurial bist? Sie war eher begeistert als entsetzt und sie hat etwas davon erzählt, dass sie einmal versucht hat, ein Obscurial in einem Krieg einzusetzen. Weisst du, was sie damit gemeint hat?»
Ich konnte nur den Kopf schütteln und das wusste Jessie.
«Jessie, Kathleen ist ... was ... fast vierhundert Jahre alt. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass sie Adrienne nicht jedes Detail aus ihrem Leben erzählt hat», verteidigte Kaspar meine Ma.
«Ja klar», entgegnete Jessie genervt. «Aber hat sie euch während euren Ferien irgendetwas über Obscuriale und so erzählt? Wieso sie sich damit auskennt?»
«Sie hat die Hexenverfolgung während des Dreissigjährigen Kriegs miterlebt», erklärte ich jetzt verärgert. «Sie ist in dieser Zeit aufgewachsen. Vielleicht erinnerst du dich, Jessie, dass es zu dieser Zeit sehr viele Obscuriale gab. Da hast du deinen Grund, weshalb sie sich damit auskennt.»
Jessie durchbohrte mich mit ihrem Blick. Legte sie es darauf an, das Verhältnis zwischen Ma und mir, dass endlich einmal gut war, zu zerstören?
«Das erklärt, weshalb Kathleen sich damit auskennt, aber nicht, weshalb Finëa – Finëa die Finjarelle, die schon fast tausend Jahre alt ist und sogar so viel über Obscuriale weiss, dass sie Kaspar mit seinem Obscurus helfen konnte – das erklärt nicht, weshalb sie Kathleen als eine absolute Expertin in diesem Fach bezeichnet hat.»
«Was weiss denn ich!», ich verwarf die Hände. «Vielleicht hat sie sich einfach dafür interessiert und sie wusste ja auch von Xameria, dass Kaspar ein Obscurial war. Vielleicht hat sie sich deshalb näher mit dem Thema auseinandergesetzt.»
«Vielleicht, ja, aber du weisst es nicht sicher», hielt Jessie mir vor.
Wütend funkelte ich sie an und rauschte dann ohne ein weiteres Wort aus dem Gemeinschaftsraum. Konnte sie das Ganze nicht einfach auf sich beruhen lassen?
Die folgenden Wochen herrschte eisernes Schweigen zwischen Jessie und mir. Cedric bemühte sich, unsere Freundschaft wieder zu kitten, doch er kämpfte auf verlorenem Posten. Wieso wollte Jessie mir diese Familie, die ich jetzt hatte, mit Ma, Kaspar und Mr und Mrs Flamel, kaputt machen. Warum legte sie es darauf an, diesen Hort an Wärme und Glück zu zerstören? Ich verstand es einfach nicht. Gönnte sie mir dieses bisschen Glück etwa nicht? Also gingen wir uns aus dem Weg. Stillschweigend hatten wir uns darauf geeinigt, dass sie nicht in den Gemeinschaftsraum der Finjarelles kam, während ich mich von der Bibliothek und ganz besonders von der Ecke, in der ich so oft mit Jessie lernte, fernhielt. Cedric wechselte von Tag zu Tag von einem Ort zum anderen und versuchte zu verbergen, wie sehr ihn unsere Feindseligkeit verletzte. Kaspar hielt sich aus dem Ganzen so gut es ging raus, war aber doch meistens mit mir unterwegs, weshalb Jessie ihm vorwarf, dass er mit mir sympathisieren würde. Irgendwann hatten Kaspar und Cedric beschlossen, sich für eine Weile, mit keiner von uns mehr zu treffen, zweifellos in der Hoffnung, dass wir so diesen Streit endlich beilegen würden. Dass Jessie Kaspar vergrault hatte, nahm ich ihr besonders übel. Natürlich hatte ich auch weiterhin die ganze Zeit mit ihm zu tun. Im Unterricht, im Gemeinschaftsraum und bei den Übungsstunden mit Finëa in denen Kaspar gewaltige Fortschritte in stabloser Magie machte, während ich weit hinterherhinkte. Ich wünschte, Elaine wäre hier, sie hatte mir und Xameria immer helfen können, wenn wir etwas nicht verstanden. Vielleicht könnte mir in stabloser Magie sogar Xameria helfen, als Fey hatte sie schliesslich eine natürliche Begabung dafür.
Jedenfalls kam es so dazu, dass ich an diesem wolkenverhangenen, düsteren Freitagabend ganz allein im Gemeinschaftsraum der Finjarelles sass. Ich hatte mich in den Sessel am nächsten beim Kamin gesetzt, um der kalten Leere im Raum zu entgehen. Jetzt wusste ich, wie Finëa sich in den letzten tausend Jahren gefühlt haben musste – ihr Haus aufgelöst und sie dazu verdammt, hier zurück zu bleiben.
Der Korb mit dem Feuerholz neben dem Kamin war leer, ich hatte bereits alles nachgelegt, was da gewesen war und trotzdem war es mir immer noch zu kalt hier. Ich beschloss, nachzusehen, ob es in einem der Zimmer Feuerholz gab, auch wenn sie natürlich schon lange nicht mehr genutzt wurden. Ich sah zuerst unten in den Zimmern der Jungs nach und kletterte dann, nachdem ich nicht fündig geworden war, die schmale Holztreppe hinauf zu den Mädchenschlafsälen. Ich hatte die vage Hoffnung, dass es vielleicht in meinem alten Zimmer Holz gab, doch leider wurde meine Hoffnung enttäuscht. Wider besseres Wissen klapperte ich auch noch die anderen Zimmer ab, bis hin zum letzten, und in keinem wurde ich fündig. Im letzten Zimmer machte ich allerdings eine erstaunliche Entdeckung.
Ein grosser Spiegel stand vor einem der leeren Schränke. Der Spiegel war in Gold gefasst und herrlich verziert worden, einzig die scheusslichen Klauenfüsse ruinierten das Gesamtbild. Oben auf dem Rahmen war eine Inschrift eingeprägt und ich trat näher, um sie zu lesen:
NERHEGEB Z REH NIE DREBAZ TILT NANIEDTH CIN.
Was auch immer das bedeuten sollte, ich verstand es nicht. Stattdessen schaute ich in den Spiegel und schrak zurück. Da waren Leute! Viele Leute! Ich sah mich um, doch ich stand ganz allein in diesem Zimmer. Wieder sah ich in den Spiegel und erkannte Ma, die direkt hinter mir stand und jetzt schützend die Arme um mich legte. Mir wurde wärmer in dieser Umarmung, doch sie war nicht da, nicht einmal unsichtbar, wie ich zuerst vermutet hatte. Neben mir standen Kaspar und Joanne, Cedric, Jessie – ich zog einen Flunsch, als ich sie sah – Fred und George. Charlie stand hinter seinen Brüdern und zog sie grinsend in eine Umarmung, wogegen sich die beiden verzweifelt wehrten. Ich musste lächeln, als ich dieses vertraute Spiel zwischen den Brüdern sah. Hinter Joanne, Jessie und Cedric standen Mr und Mrs Flamel ... daneben meine Ma mit mir im Arm ... Mein Blick glitt zur anderen Seite und ich stolperte erschrocken zurück. Xameria, Elaine und William standen neben Kaspar. Verzweifelt vor Sehnsucht und Trauer legte ich meine Hand an die kalte Oberfläche des Spiegels. Elaine drückte ihre Hand dagegen, doch ich konnte sie nicht spüren – natürlich nicht.
Als ich erneut das Spiegelbild betrachtete, schmerzte mein Herz. Mit jeder Faser meines Körpers wünschte ich, dass dieses Bild, dieses Szenario, das es mir zeigte, real wäre. Ich würde schwimmen im Glück, wenn ich so mit meiner Familie und meinen Freunden aus der Gegenwart und der Vergangenheit zusammen sein könnte. Ein Wunsch, der sich nie erfüllen würde. Ein Wunsch, bei dessen Erfüllung ich wahrhaft glücklich wäre, glücklicher als nie zuvor, anders als beim Wunsch meine leiblichen Eltern kennenzulernen. Dieser Wunsch hier, den der Spiegel mir zeigte, tat mir jedoch, solange es nur ein Wunsch war – und etwas Anderes würde es nie sein – unendlich weh. Tränen traten mir in die Augen, so sehr schmerzte es mich, dieses so tief ersehnte Beisammensein zu sehen. Das Bild verschwamm vor meinen Augen und ich drehte mich weg, um es nicht länger sehen zu müssen. Es tat so weh. Doch es war vergeblich. Es hatte sich mir jetzt schon unvergesslich eingebrannt.
Ich verliess das Zimmer und schwor mir, nie wieder einen Fuss in diesen Raum zu setzen. Dieses Bild unmöglichen Glücks wollte ich nie mehr sehen müssen, auch wenn es mich zweifellos in meinen Träumen verfolgen würde. Aber ... vielleicht sollte ich zumindest die eine Seite des Bildes wieder zusammenfügen, die mit den Leuten in meiner Zeit. Ich sollte diesen dämlichen Streit mit Jessie endlich beenden.
In der Bibliothek konnte ich Jessie nicht finden und da ich keine Lust hatte, einen der Slytherins zu beten, sie zu mir zu schicken – ich konnte mir schon denken, was für Kommentare das geben würde: Allesamt würden sie die Worte Schlammblüterin und Blutsverräterin beinhalten und das wäre nicht gerade hilfreich, wenn ich mich mit Jessie versöhnen wollte. Also ging ich in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Ein klatschnasser Harry Potter in Quidditchumhang kam gleichzeitig mit mir am Portrait der fetten Dame an. Ich liess ihm den Vortritt und folgte der Spur aus Regentropfen, die er hinterliess, durchs Portraitloch. Ich setzte mich in einen Sessel und zog das Geschichtsbuch und ein Stück Pergament aus meiner Schultasche. Ich hatte nicht die geringste Lust, einen weiteren Aufsatz über die Koboldkriege für Binns zu schreiben.
Zum Glück stolperte ein paar Minuten später einer der Erstklässler durch das Portraitloch. Der ganze Raum brach in Lachen aus, als er durch den Raum hüpfte und dann strauchelte und auf die Nase fiel. Jemand hatte dem armen Teufel den Beinklammerfluch auf den Hals gejagt. Ein Wunder eigentlich, dass er es geschafft hatte, sich bis hier hoch zu kämpfen. Es war Hermine, die sich schliesslich erbarmte und den Gegenfluch sprach. Sie, Ron und Harry Potter hatten in ein paar Sesseln ganz in meiner Nähe gesessen und zogen den andern Erstklässler jetzt zu sich hinüber.
Ich tat so, als würde ich mich brennend für die Koboldkriege interessieren und lauschte dem Gespräch der vier. Ja, ich weiss, so was tut man nicht, aber sogar der banalste Streit unter Erstklässlern war interessanter als die Koboldkriege und im Moment war mir alles recht, dass mich irgendwie vom Wunsch im Spiegel ablenken konnte. Die Koboldkriege konnten es jedenfalls nicht.
Der Junge, der den Fluch abbekommen hatte, Neville, gestand, dass Malfoy ihn verflucht hatte. Bah, dieses kleine, aufgeblasene Ekel. Vielleicht sollten die Zwillinge ihn für die Erprobung und wissenschaftliche Weiterentwicklung ihres nächsten Streichezaubers nutzen. Hatten sie nicht etwas von modifizierten Stinkbomben erzählt? Schliesslich gab Harry Neville einen Schokofrosch und gut wars.
«Schon wieder Dumbledore», beschwerte sich Harry über die Schokofrosch-Sammelkarte, die Neville zurückgelassen hatte. «Er war der Erste, den ich –»
Ich musste mich ziemlich am Riemen reissen, um mich nicht zu den dreien umzudrehen und zu sehen, weshalb Harry plötzlich verstummt war.
«Ich hab' ihn gefunden!», flüsterte er. «Ich hab' Flamel gefunden! Hab' euch doch gesagt, dass ich den Namen schon mal irgendwo gelesen hab. Es war im Zug hierher. Hört mal: 'Professor Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf seinem Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der sechs Anwendungen für Drachenmilch und auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel.'!»
Oh! Hochinteressant. Und weshalb suchten die drei nach Mr Flamel? Wollten sie etwa ...? Nein, natürlich nicht, woher sollten sie auch davon wissen.
Hermine rannte hoch zu den Schlafsälen, um irgendein Buch zu holen und ich wartete gespannt darauf, was nun passieren würde. Sie kam mit einem schweren Wälzer zurück, in dem sie aufgeregt zu blättern begann.
«Ich hab's gewusst! Ich hab's gewusst!» Aufgeregt las sie eine Stelle aus dem Buch vor: «Nicolas Flamel ist der einzig bekannte Hersteller des Steins der Weisen!»
Was folgte war Schweigen und Hermine war gar nicht erfreut, dass die beiden noch nie etwas vom Stein der Weisen gehört hatten. Es verging eine Weile und ich spitzte meine Ohren noch weiter, nur für den Fall, dass sie jetzt noch leiser flüsterten. Taten sie nicht.
«Seht ihr?», sagte Hermine schliesslich. «Der Hund muss Flamels Stein der Weisen bewachen! Ich wette, Flamel hat Dumbledore gebeten, ihn sicher aufzubewahren, denn sie sind Freunde und er wusste, dass jemand hinter dem Stein her ist. Deshalb wollte er ihn aus Gringotts herausschaffen!»
«Ein Stein, der Gold erzeugt und dich nie sterben lässt!», sagte Harry. «Kein Wunder, dass Snape hinter ihm her ist! Jeder würde ihn haben wollen!»
Snape? Wie kamen die drei denn auf Snape? Und von welchem Hund sprachen sie? Ich war immer noch in Gedanken an das Gehörte versunken, als Kaspar eine Stunde später zusammen mit der klatschnassen Quidditchmannschaft in den Gemeinschaftsraum kam. Ich winkte ihm zu und hatte schon Angst, dass er mich ignorieren würde, doch er kam und liess sich in den Sessel mir gegenüber fallen.
«Was gibt's? Habt ihr den Streit endlich beigelegt?», fragte er.
«Morgen. Hab' Jessie heute nicht mehr erwischt. Aber ich habe gerade etwas gehört, dass du wissen solltest.»
«Dann werdet ihr euch also wieder vertragen?», fragte Kaspar überrascht.
«Ja-ah!», meine Güte, musste er jetzt darauf herumreiten? «Aber das ist jetzt gar nicht der Punkt. Hör zu!»
Ich erzählte Kaspar von dem belauschten Gespräch zwischen Harry, Ron und Hermine.
«Ich glaube auch nicht, dass Snape versuchen würde, den Stein zu stehlen. So wie er sich benimmt, so kalt und berechnend und einschüchternd, kann ich zwar verstehen, dass sie ihn verdächtigen, andererseits ... Kathleen vertraut ihm, und ich glaube nicht, dass sie sich täuscht.»
«Und was hältst du von dieser Sache mit dem Hund?», fragte ich nach.
Kaspar stützte nachdenklich sein Kinn auf. «Sie sagten, er bewacht den Stein, oder?» Es war eine rhetorische Frage, also blieb ich still und liess ihn weiter überlegen. «Hast du dir mal überlegt, was sich in diesem verbotenen Korridor im dritten Stock befindet?»
«Doch bestimmt kein Hund!», hielt ich dagegen.
Kaspar zuckte mit den Schultern. «Wir könnten Fred und George fragen, die wissen es bestimmt.»
Taten sie. Und es war tatsächlich ein Hund, besser gesagt ein Zerberus, ein dreiköpfiger Höllenhund.
«Wir hatten ziemlich Mühe, dort wieder zu verschwinden, bevor dieses Biest uns fressen konnte», erklärte George. «Wir hätten dich dabeihaben sollen, Adrienne, dann wäre er brav gewesen wie das Liebste aller Schosshündchen.»
«Hast du vor den Korridor etwas genauer zu erkunden?», fragte Fred sofort. «Wir sind dir gerne dabei behilflich.»
Lachend lehnte ich ab. Das musste ich gar nicht. Ich wusste ja jetzt, was sich dort in dem Korridor verbarg.
«Eine Bitte», wandte ich mich an die beiden. «Könnt ihr mir sagen, falls ihr auf der Karte jemanden in dem Korridor herumschleichen seht?» Die Zwillinge nickten. «Oh, und wäre es zu viel verlangt, wenn ihr eure modifizierten Stinkbomben mal in den Kerkern zünden könntet? Zu rein wissenschaftlichen Zwecken natürlich.»
Die beiden grinsten mich an. «Stehts zu Diensten, Mylady.»
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