NCS - Henry der Konditor
Das Café "Zum Haselnüsschen" war ein Lebenswerk. Henry hatte jahrelang dafür gespart sich den kleinen Laden kaufen zu können. Mit vollem Eifer hatte er nicht nur die Ausbildung zum Konditor gemacht, sondern auch noch in einer Bar gearbeitet, um dazu zu verdienen. Als er dann endlich in dem kleinen Laden stand, den er, auch wenn er den Kredit noch zurückzahlen musste, endlich sein Eigen nennen konnte platzte er fast vor Stolz. Er hatte es geschafft. Fehlten nur noch die Kunden.
Das Café lief holprig an. An den ersten Tagen kamen Viele, da das Café neu eröffnet war, aber es wurden weniger. Es bildeten sich nur wenige Stammgäste.
Dennoch lief es und Henry konnte sich über Wasser halten, indem er wieder seine alte Angewohnheit, abends in einer Bar zu arbeiten, wieder annahm.
Der Rhytmus des Alltags pegelte sich ein und irgendwann lief das Café gut genug, sodass Henry den Job in der Bar sausen lassen konnte.
Seine erste Begegnung mit Jaycee war nicht etwa der Moment, in dem sie das erste Mal fröhlich lächelnd in das Café trat. Henry erkannte sie sofort, auch wenn sie sich nicht an die Begegnung zwei Monate zuvor erinnern konnte.
Ihre erste Begegnung fand an einem klischeehaft regnerischen Tag statt. Klischeehaft deswegen, weil es in Filmen immer regnet, sobald man Trübsal bläßt oder weint.
An diesem schicksalhaften Samstagmorgen waren weder er noch Jaycee bester Laune. In dieser Woche hatte er besonders wenige Kunden gehabt und eigentlich keine Lust auch noch heute zu öffnen. Eigentlich sollten mehr Gäste da sein, wo doch Sommerferien waren. Aber die ganze Woche war verregnet gewesen und nur ein paar besonders verrückte Touristen hatten sich blicken lassen.
Obwohl es erst gegen drei Uhr Morgens war, keine Zeit um freiwillig hinaus zu gehen, aber Henry musste nunmal die Kuchen backen und dennoch rannte, sobald er nur aus der Tür getreten war, jemand in ihn hinein.
"Pass doch auf, ey!", ließ Henry sofort seine aufgestaute Wut an dem Mädchen aus. "Glaubst du nicht ich habe genug Probleme, ohne dass du mich umbringen willst?"
Das Mädchen schluchzte. Ihre schwarzen Haare waren zerzaust und sie trug nur eine kurze Hose und ein Top. Nicht einmal Schuhe. Kurz dachte Henry sie wäre vielleicht ein Opfer von Vergewaltigern, aber als er genauer hinsah konnte er keine Spuren von Gewalt erkennen.
"Was'n los mit dir?", erkundigte er sich.
"Du hast ja recht!", heulte sie plötzlich auf und schlug die Hände vors Gesicht. "Ich bin eine Mörderin. Eine scheiß Mörderin!" Henry blinzelte überrascht. Das kam unerwartet. Wer bezeichnete sich denn selbst so einfach als Mörder?
"Hey, was ist denn los mit dir?", rief er und schob das Mädchen von sich. Sie schluchzte unkontrolliert. "Hey... willst du vielleicht erst mal zu mir hoch kommen? Draußen ist es nicht so sicher."
Das Mädchen zögerte, dann nickte sie und Henry öffnete die Tür wieder. Er bugsierte sie auf die Couch in der kleinen Zweiraumwohnung und reichte ihr eine Packung Taschentücher.
"Du kannst dich auch gern im Bad frisch machen.", schlug er vor, aber das Mädchen schüttelte nur betrübt den Kopf, nachdem sie kräftig geschnaubt und sich die Tränen weggewischt hatte.
"Willst du einen Kaffee?", bot er an. Wieder schüttelte sie den Kopf, also setzte Henry sich neben sie. Eine unangenehme Stille breitete sich aus.
"Warum bist du eine Mörderin?", brach er schließlich das Schweigen. Sofort bereute er seine Frage, da das Mädchen sofort wieder anfing zu weinen. Ein wenig hilflos legte Henry ihr den Arm um die Schultern, bis sie sich beruhigt hatte.
Natürlich war er schon mit einigen Frauen zusammen, aber diese Erfahrung war neu. Vor allem weil das Mädchen sehr viel jünger war als er. Und es war auch nicht besonders viel aus ihr heraus zu bekommen.
Sie schien völlig verwirrt und aufgelöst, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte.
"Ich...", setzte sie endlich an. "Mein Vater ist... wegen mir gestorben."
Henry blinzelte überrumpelt. Das hatte er nicht erwartet. Ihr Vater war tot? Deswegen war sie also so verzweifelt.
"Und jetzt?", fragte er in Rage. Dieses Mädchen gab sich doch eindeutig die Schuld. Das ging doch so nicht weiter. "Willst du etwa für immer so herumtaumeln? Damit machst du es dir nur schwerer."
Sie sah auf. Die Tränen waren versiegt. Nur noch die nassen Striemen auf ihren Wangen deuteten darauf hin. "Was meinst du?", schluckte sie.
"Du solltest nach vorn blicken. Wenn du weiter nur Trübsal bläst, dann belastest du doch die Menschen um dich herum."
"Die Menschen?" Sie schien darüber nachzudenken und wieder breitete sich dieses Schweigen aus.
Dann stand sie auf. Irgendetwas in ihr schien umgeschlagen zu haben. "Danke. Ich... gehe dann mal."
Sie verschwand so unerwartet, wie sie gekommen war und schon war Henry allein in der Wohnung.
Er stand auf, ging zur Arbeit. Und zwei Monate später, die Sommerferien waren schon vorbei, trat lächelnd ein Mädchen in das Café. Die schwarzen Locken waren ordentlich, ihre blauen Augen klar und ihre Lippen in einem knalligen Pink geschminkt. Sie erkannte Henry nicht wieder. Aber er begriff sofort, dass es das Mädchen war, das ihren Vater verloren hatte. "Was für ein süßes Café!", rief sie begeistert.
"Willkommen." Henry lächelte.
Sie grinste. "Verkaufen Sie auch Alkohol?"
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