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Die Melodie von Let me love you riss Jaycee aus dem Schlaf. Ein Anruf? Wer rief mitten in der Nacht an?
Ihre Hände fanden unabhängig von ihrem Kopf das Handy und nahmen das Telefonat an. Ihr Gehirn bestand nur aus Zuckerwatte und Jaycee schaltete auf Autopilot.
"Ja?", murmelte sie schlaftrunken.
"Jaycee?"
"Taras?", erkannte sie die Stimme.
"Ich steh vor der Haustür und... neja ich will nicht klingeln."
"Mmh... Warte. Es ist sowieso zugeschlossen." Jaycee legte auf und kämpfte sich aus dem Bett.
Mitten in der Nacht.
Die Treppen waren kalt an ihren Füßen, als Jaycee aus der Wohnung und das Treppenhaus hinuntertappte. Sie trug nur Shorts und ein Top. Egal.
Sie schloss die Haustür auf und empfing Taras.
Dieser sah aufgewühlt aus und... verweint? Hatte Taras etwa geweint? Aber Jaycee war sich nicht sicher. Sie hatte ihr Lächeln aufgesetzt.
"Es ist ziemlich spät, findest du nicht?"
"Ich... konnte nicht nicht schlafen.", erklärt er.
"Komm rein." Jaycee hielt Taras die Tür auf. "Und du hättest ruhig klingeln können. Meine Mutter schläft wie ein Stein."
Sie huschten zusammen nach oben und Jaycee schloss ab. "Willst du irgendetwas trinken?"
Taras schüttelte den Kopf.
Jaycee seufzte. Es war mehr als eine Woche her, dass sie Taras ihre Nummer gegeben hatte. Ein Wochenende war verstrichen und am nächsten Morgen war schon wieder Samstag. Zwei Wochen war Taras jetzt schon in der Klasse? Die Zeit verging wirklich wie im Flug.
"Wenn du einsam bist kannst du auch hier schlafen, wen du magst.", schlug Jaycee vor. "Ich hab nen Sofa in meinem Zimmer. Da könntest du drauf schlafen."
"Aber..."
"Ich habe kein Problem damit, wenn ein Junge bei mir schläft. Du bist vollkommen in Ordnung. Es gibt Leute, die das ausnutzen würden. Du nicht."
Taras nickte. "Dann... dann gerne."
"Gut." Jaycee führte ihn zu ihrem Zimmer. Im Vorbeigehen zeigte sie auf eine Tür. "Das Bad ist dort, falls du später mal rein musst."
Sie kramte eine Decke und ein Kissen aus ihrem Schrank und bezog Beides schnell und geschickt, bevor sie es auf die Couch mit Zebramuster warf.
"Okay! Das Bett ist bereit.", eröffnete sie dann. "Fehlst nur noch du."
"Kannst du... das Licht anlassen?", fragte Taras zögernd.
"Na klar. Ich lasse die Nachttischlampe an, okay?" Jaycee grinste und stieg dann in ihr Bett. Taras zog sich bis auf die Boxershorts aus. Es war ihm wohl etwas unangenehm, also drehte Jaycee sich um und schloss die Augen.
Als Jaycee aus ihrem Zimmer trat hörte sie Geschirr klappern. Sie wusste was das hieß. Ihre Mutter war noch da und nicht auf Arbeit.
Natürlich. Wie sollte es auch sonst sein? Normalerweise war sie nie da. Nie.
Jaycee blieb in der Küchentür stehen. Ihre Mutter wusch ab. "Du bist da.", stellte Jaycee fest.
"Das klingt nicht gerade erfreut.", maulte ihre Mutter und sah zu ihr.
"Neja, du bist sonst nie da."
"Heute ist mein freier Tag. Ich muss zwar abruf bereit sein, aber im Grunde habe ich mal Zeit."
Mrs. Ernest war immer abrufbereit. Jaycee hatte noch keinen Tag erlebt, an dem ihre Mutter jemals nicht abrufbereit war.
"Wir könnten also was zusammen unternehmen.", schlug Mrs. Ernest vor.
Jaycee lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie letztes Mal, als du das Restaurant so hastig verlassen hast, dass wir fast versäumt hätten zu bezahlen? Oder bei dieser Kindergeburtstagsfeier, als du Dad mit uns zehn Kindern allein gelassen hast? Oder als wir gerade zum Einkaufen unterwegs waren und du mich am Straßenrand abgesetzt hast um zum Krankenhaus zu fahren? 'Hier hast du Geld. Nimm ein Taxi zurück.' Das hast du damals gesagt."
"Fängst du etwa schon wieder damit an? Ich versuche doch so viel Zeit wie möglich zu bekommen. Aber du bist auch nie da." Jaycees Mutter trat dicht an sie heran.
"Weil ich es allein nicht aushalte.", flüsterte Jaycee mit wütend gepresster Stimme. "Und ich nie weiß ob du da bist. Ich kann nicht den ganzen Tag darauf warten, dass du nach Hause kommst."
"Weißt du...", setzte Mrs. Ernest ab, hielt dann aber inne und sah irritiert hinter Jaycee.
Diese drehte sich mit einem breiten Lächeln um. "Guten Morgen, Taras."
"Morgen.", murmelte dieser und rieb sich mit der rechten Hand das Auge beim Gähnen.
"Mom, das ist Taras, aus meiner Klasse.", stellte Jaycee ihn vor. "Taras, das ist Kathryn Ernest, meine Nutter."
Mrs. Erneyt sah ein wenig verdattert aus, hielt Taras aber die Hand hin. Dieser ergriff sie nicht, sondern nuschelte nur ein kurzes 'Hi'.
Jaycees Mutter verschob ihren Streit anscheinend auf später, also auf nie, und machte Frühstück. Sie wollte nicht wissen, warum er da war. Und Jaycee erzählte es auch nicht.
Aber das Frühstück zu dritt war unangenehm. Jaycee versuchte ihre Maske aufrecht zu erhalten, obwohl ihre Mom da war und obwohl Taras auf dem Platz ihres Dads saß, und versuchte das Gespräch in Gang zu halten. Was gar nicht so leicht war.
Ihre Mutter war sichtlich angepisst von Jaycees Verhalten vorher und Taras war sowieso alles egal. Aber Jaycee musste die Maske aufrecht erhalten. Sie durfte sich keine Blöße geben.
Ihre Mutter schlug vor, dass sie, wenn sie schon zu dritt waren, doch alle zusammen etwas unternehmen konnten. Stellte sich nur die Frage, was genau.
Unter normalen Umständen hätte Jaycee einfach nein gesagt und hätte sich mit Sophie, Jakob oder jemand Anderem aus ihrer Klasse getroffen. Aber jetzt, war eben schon jemand aus ihrer Klasse da.
Ihre Mutter schlug vor ins Kino zu gehen. Da war sie schon ewig nicht mehr.
Jaycee konnte nichts dagegen sagen. Das hätte ihre eine Blöße gegenüber Taras gezeigt.
"Also ins Kino.", beschloss Kathryn Ernest.
Jaycee überlegte noch welche Ausrede ihr einfallen könnte als Mrs. Ernests Handy klingelte. Mal wieder.
Ihre Mom sah auf das Handy, dann zu Jaycee und wieder zurück. Es war wie immer. Das Handy kam ihnen immer dazwischen.
Kathryn sprach eine Weile und legte dann auf. Es kam mehrmals der Begriff 'Freier Tag' in dem Gespräch vor.
Am Ende legte Mrs. Ernest seufzend auf. "Ist es okay, wenn wir heute Abend gehen? Ich bin spätestens um fünf wieder da."
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