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Der erste Schultag nach den Sommerferien war wie eine Erlösung für Jaycee. Zwei Monate hatte sie mit sich gekämpft, in einer Schlacht die niemand sehen konnte. Nur allzu oft hatte sie sich mit anderen Leuten aus ihrem Freundeskreis getroffen, um dieser verschluckenden Dunkelheit zu entkommen. Denn ohne die Schule war ihr Leben ein dunkler Abgrund.
Sie konnte nicht verhindern, dass sie zurück in diese Schwärze versank, wenn sie allein war. Gefühle, die sie verfolgten, als wäre sie eine Fliege im Spinnennetz. Deswegen ging sie auch oft auf Feiern. Hauspartys von ihren Freunden und Bekannten. Dort hatte sie sich voll laufen lassen und aufgesetzt fröhlich mit den Anderen gespielt oder sich unterhalten, nur um nicht daran denken zu müssen. Die Kater am nächsten Morgen hatten dann ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sie war wieder abgelenkt gewesen. Ein Kreislauf aus betrunken und verkatert sein. Nur hatte dieser auch einige Lücken. Diese Momente waren die Schlimmsten.
"Deine Frisur! Du hast dich ja diesmal selbst übertroffen!", rief Sophie, als Jaycee den Schulhof betrat und als erstes ihr in die Arme lief.
Jaycee lächelte breit. "Danke Sophie. Ich wollte mal was total neues ausprobieren."
"Ich würde mich nicht trauen meine Haare regenbogenfarben machen zu lassen.", gab Sophie zu.
"Das würden viele nicht." Jaycee lächelte.
"Lass uns zusammen rein gehen, ja?", schlug Sophie vor.
"Jagger, meine Bro!" Jakob schlug mit Jaycee ein und sie machten ihr Begrüßungsritual mit Einschlage, Finger haken und Faustzeichen.
"Da ist nen neuer in der Klasse.", berichtete Jakob. "Alton macht ihn grade runter, weil er auf deinem Platz sitzt."
"Oh. Das muss ich Alton aber austreiben." Jaycee grinste fröhlich und eilte schnell in das Schulhaus.
Jakob und Sophie blieben zurück und Jaycee ging allein hinein.
Um nicht lange allein zu sein lief sie schnell ins Klassenzimmer und setzte ein Lächeln auf. Alton stand an der Bank ganz hinten in der Mitte und meckerte einen Jungen an. Er war braungebrannt und sah... aus als wäre ihm alles egal.
"Geh jetzt sofort von diesem Tisch weg. Ich schlag dich sonst zusammen! Das ist Jaycees...", fluchte Alton gerade.
"Ach lass ihn doch, Alton.", rief Jaycee fröhlich durch die Klasse. "Ich setz mich einfach neben ihn."
Alton murrte, lächelte Jaycee dann aber an, weil man bei ihrem Lachen niemals lange griesgrämig sein konnte. Jaycee setzte sich neben den Jungen. Wie alle Anderen trug auch er die Schuluniform. Bei den Jungen eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, die schwarzen Schuhe und die weiß-schwarz-karierte Krawatte. Er hatte dazu das dunkelrote Sweatshirt gewählt und nicht den Blazer. Jaycee hatte beides Zuhause. An diesem Tag hatte sie den Blazer angezogen. Anders als bei den Jungen trugen die Mädchen knielange weiß-schwarz-karierte Röcke.
"Ich bin Jaycee." Sie grinste und hielt dem Jungen die Hand entgegen. "Und du?"
Der Junge nahm ihre Hand nicht, erwiederte aber ihre Frage. "Taras.", murmelte er.
"Wenn du Hilfe zur Eingewöhnung brauchst bin ich immer da." Jaycee legte lächelnd den Kopf schief.
Taras murmelte irgendetwas Unverständliches und drehte sich weg.
Jaycee behielt ihr Lächeln bei und ging in der Klasse herum, um sich mit ihren Freunden zu unterhalten. Viele lobten ihre bunt gefärbten Haare und wie verrückt sie doch war. Aber positiv verrückt, wie ihr versichert wurde. Die Mädchen waren begeistert wie schön Jaycee doch aussah, obwohl sie die Schuluniform trug. Und wie sie ihren eigenen Stil fand, obwohl die Uniform da wenig Freiraum lies.
Mit dem Stundenklingeln kam auch der Lehrer herein. "Das ist Mr. Harbourn.", flüsterte Jaycee Taras zu.
Mr. Harbourn war eindeutig gut gelaunt. "Schüler! Ich habe eine freudige Nachricht. Ihr wisst ja, dass meine Frau ein Kind erwartet hat. Vor zwei Wochen ist die kleine Mina, wie geplant, zur Welt gekommen.
Jaycee meldete sich.
"Ja, Jaycee?", rief Mr. Harbourn sie freundlich auf.
"Die Klasse und ich haben etwas für sie und ihre Frau vorbereitet. Weil sie ja schon vor den Ferien gesagt haben, dass ihre Frau bald ein Kind bekommt." Jaycee holte einen kleinen rosa Strampelanzug aus ihrer Tasche und ging vor zu Mr. Harbourn.
"Oh. Das ist aber nett.", bedankte er sich, als Jaycee ihm den Anzug überreichte. Jeder aus der Klasse hatte darauf mit wasserfestem Stift unterschrieben.
"Nur Taras hat nicht unterschrieben." Jaycee drehte sich zu dem Neuen um. "Willst du nicht auch noch unterschreiben?"
Taras sah auf und zögerte. Dann nickte er und Jaycee hatte das Gefühl, dass er es nur aus Höflichkeit tat.
Trotzdem ging Jaycee grinsend zu ihm, holte ihren Stift und zog Taras mit sich nach vorn.
Nachdem Taras seinen Namen auf eine freie Stelle gekritzelt hatte, ging er zurück zu seinem Platz.
"Darf ich?", fragte Jaycee, wartete aber nicht auf eine Antwort und umarmte Mr. Harbourn kurz. "Herzlichen Glückwunsch zu ihrer ersten Tochter. Ich hoffe sie wird ein genauso netter Mensch wie sie."
Mr. Harbourn war etwas verwundert, lächelte aber und bedankte sich. Jaycee ging auf ihren Platz zurück, neben Taras.
Und da meldete sich die Stimme wieder:
Wie ungerecht die Welt doch ist. Alle sind fröhlich und glücklich. Sie haben keine richtigen Probleme, sondern nur Kinderkram. Und dann erzählen sie dir diese lächerlichen Probleme. Und du hörst sie dir an und setzt dich für sie ein. Wie lächerlich. Wie lächerlich es doch ist, wie du mit der Welt umgehst.
Kurz wich Jaycees fröhliche Miene, doch dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle und folgte dem Unterricht.
Zuerst besprachen sie mit Mr. Harbourn den Stundenplan von Taras. Man kam zu dem Entschluss, dass Jaycee ihm helfen sollte sich ein zu gewöhnen, da sie einen nahezu gleichen Stundenplan hatten. Jaycee erklärte sich erfreut bereit Taras zu helfen, wenn sie sogar fast die selben Kurse belegt hatten. Danach begann Mr. Harbourn mit dem eigentlichen Unterricht.
Taras schrieb nur halbherzig mit, meldete sich nie und folgte dem Unterricht anscheinend nicht richtig. Jaycee dagegen war die, die am meisten mitarbeitete und der Englischunterricht war schnell vorbei.
Wärend die anderen der Klasse beim Pausenklingeln, anfingen zu reden und fröhlich zu plaudern, blieb Taras still und gleichgültig an seinem Platz sitzen.
Er ist traurig. Ihm muss auch so etwas wie mir passiert sein., dachte Jaycee, verdrängte den Gedanken aber schnell.
"Komm. Ich stell dir ein paar meiner Freunde vor." Jaycee stand auf und zog Taras hinüber zu Jakob, der mit Lester und Malcom neben der Tür stand.
"Hey, Bro.", begrüste Jakob sie. "Und hallo Neuer. Wie heißt du?"
"Taras.", antwortete dieser.
"Ist Taras die Abkürzung für irgendwas?", wollte Lester wissen, nachdem er mit Jaycee die selbe Begrüßung gemacht hatte, wie Jaycee mit Jakob vor der Stunde auf dem Schulhof.
"Für Tarasios.", erwiderte Taras gleichgültig und starrte ins Leere.
Malcom lächelte. "Falls dir irgendetwas auf dem Herzen liegt hat Jaycee immer Zeit für dich, Taras."
"Genau. Vor mir braucht niemand Geheimnisse haben. Ich helfe gern und erzähle nichts weiter, wenn du es nicht willst.", stimmte Jaycee zu.
"Okay." Taras sah zur Tür und dann zu Jaycee, danach wieder gleichgültig zu Boden.
"Also ich bin Jakob. Der Typ mit den langen Beinen ist Lester und die Klassenschönheit dort heißt Malcom.", stellte Jakob sie alle drei scherzhaft vor.
"Das sind die drei besten Kumpels die man haben kann." Jaycee grinste.
"Danke für das Lob meine Bro." Jakob legte ihr einen Arm um die Schultern.
Taras erwiderte nichts, blieb gleichgültig. Jaycee behielt ihr freundliches Lächeln gegenüber Taras bei und ging mit ihm weiter zu Amalie und Eiden. Das Pärchen der Klasse.
"Hey. Das ist Taras. Taras das sind Amalie und Eiden. Ein Traumpaar und bestes Beispiel für uns alle." Jaycee umarmte Amalie und schlug mit Eiden ein.
"Liegt dir was auf dem Herzen?", fragte Amalie, als sie merkte, dass Taras völlig abwesend war.
"Nein.", antwortete Taras knapp.
Jaycee lächelte. "Dann lass uns zu unseren Spinden gehen und unser Chemiezeug holen."
Jaycee zog Taras zu ihrem Platz, sie holten ihr Zeug und machten sich auf zu den Spinden.
Während Jaycee die Meisten fröhlich begrüßte und umarmte, lief Taras gleichgültig hinter ihr her. Jaycee machte sich gleich mit den Neuzugängen der Schule bekannt und freute sich, wenn die Begrüßung freundlich erwidert wurde.
Nein. Nur die Maske freute sich. Jaycee selbst lies die ganze Nettigkeit kalt und sie konzentrierte sich darauf, die Gedanken nicht hoch kommen zu lassen.
Die Unechte Jaycee erklärte Taras an welchen Räumen sie vorbei kamen. Die Echte kämpfte mit sich. Mit sich und der Dunkelheit. Schnell verdrängte Jaycee alle Gedanken und ging mit Taras zum Chemiekurs.
"Also, ich bin auch noch nicht so lange an dieser Schule.", erklärte Jaycee. "Erst seit einem Jahr und ich bin froh, dass man an dieser Schule auch den A-Level machen kann, sonst hätte ich meine neu gewonnenen Freunde ja gleich wieder verloren. Die Freunde, die ich in diesem einen Jahren gefunden habe sind wirklich herzallerliebst. Ich hoffe wir werden auch Freunde.", plapperte Jaycee und lächelte dabei die ganze Zeit.
Taras nickte gleichgültig und Jaycee hörte auf sich zu bemühen, etwas aus ihm herauszubekommen.
Stattdessen trafen sie Amalie und Eiden wieder, die auch diesen Kurs belegt hatten, und sie gingen in den Chemieraum.
Jaycee setzte sich wie selbstverständlich neben Taras und fing an, wieder mit ihm zu plaudern.
"Unser Chemielehrer heißt übrigens Mr. Finch.", warf Jaycee ein, aber Taras schien das nicht zu interessieren.
Und der echten Jaycee war es eigentlich auch egal, ob es Taras interessierte.
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