Kapitel 55
Ich wachte von leisem Stimmengemurmel und dem Geruch von Kakao auf. Als ich meine Augen öffnete, blickte ich einen Moment verwirrt umher, bis mir alles wieder einfiel. Niall stand an der Zimmertür und nahm dem Personal gerade ein Tablett ab, das vermutlich der Ursprung des köstlichen Geruchs war. Mein Magen grummelte, und ich kuschelte mich tiefer in die Bettdecke. „Guten Morgen", ertönte Nialls Stimme irgendwo neben mir. Er zog die Decke von meinem Gesicht und stellte das Tablett aufs Bett. „Frühstück", verkündete er, kletterte über mich drüber und ließ sich neben mir in die Laken fallen. „Ich könnte dich heiraten", schwärmte ich, während ich das Tablett näher an uns ran zog. „Sag ich ja", grinste er nur. Dann fielen wir über Spiegeleier, Toasts, Baked Beans, Hash Browns, Bacon und frisch gepressten Orangensaft her und für eine Weile war nur unser zufriedenes Kauen zu hören.
Ich hatte gar nicht realisiert, wie hungrig ich war.
„So", sagte ich schließlich und wischte mir den Mund ab. „Was jetzt?"
„Jetzt", sagte Niall lächelnd, während er mich an seine Brust zog, „genießen wir, uns nicht mehr verstecken zu müssen."
„Klingt gut", antwortete ich glücklich.
Wenig später standen wir auf der Straße und genossen das Gefühl, zum ersten Mal seit langem richtig frei zu sein. Vor niemandem wegzulaufen, nirgendwo gefangen zu sein, das machen zu können was man wollte.
Niall legte mir seinen Arm um die Schultern, und wir machten uns auf den Weg in Richtung Krankenhaus. Wir hatten keine weiteren Informationen über Marylins Gesundheitszustand erhalten, aber ich war mir sicher, dass sie sich durchbeißen würde.
Tatsächlich saß sie aufrecht im Bett, eine Zeitung auf dem Schoß und einen Stift in der Hand. Als sie uns bemerkte, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. „Gott sei Dank", rief sie und winkte uns näher. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Seid ihr okay?"
„Uns geht's gut", antwortete Niall. „Wie sieht's bei dir aus?"
„Ach", winkte sie ab, „alles halb so wild. Die dramatisieren hier alles. Der Kerl hat mir in den Bauch geschossen, verdammt noch mal, nicht in den Kopf."
Niall und ich tauschten einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen aus.
„Wenn's nach mir ginge, wäre ich schon längst hier raus", fuhr sie fort und deutete auf die Zeitung. „Stattdessen sitze ich hier und vertrödele meine Zeit mit Kreuzworträtseln. Und niemand sagt mir, was gerade los ist!"
„Du hast nichts verpasst", sagte ich beschwichtigend. „Wir waren selbst noch nicht beim Haus, aber ich denke mal, dass sie alles genauestens untersucht haben. Was mit... ihm passiert, weiß ich nicht."
„Oh, das Arschloch darf sich auf lebenslangen Knast freuen", sagte Marylin grimmig. „An sich seid ihr noch als Kronzeugen wichtig, aber da kein Zweifel daran besteht, dass er der Täter ist, kommt ihr vielleicht drum herum."
Ich nickte erleichtert. Das letzte was ich wollte, war, ihm noch einmal gegenüber stehen zu müssen.
„Wie hat er uns eigentlich gefunden?" fragte Niall.
Marylin schwieg für einen Moment, unsicher, ob sie sprechen sollte. Doch schließlich seufzte sie ergeben auf. „Es scheint, als habe Gordon eine Art Blog geführt", gab sie peinlich berührt zu. „Wir wissen nicht genau wie, doch irgendwie scheint er darauf gestoßen zu sein. Und naja, Gordons Beschreibungen nach war nicht schwer zu erraten, wer das mysteriöse Pärchen ist, das plötzlich auftauchte und lauter Geheimnisse mit sich brachte."
Für einen Moment starrten wir sie fassungslos an.
„Gordon... Gordon hat?" stammelte ich verwirrt.
„Wir wurden über Gordons Online-Tagebuch gefunden", stellte Niall verblüfft fest.
„Ja..." gab Marylin zerknirscht zu.
Nach einer Sekunde, in der wir uns alle anstarrten, brachen wir in lautes Gelächter aus, dass den ganzen Raum ausfüllte. „Ich fass es nicht", japste Niall dann. Ich hatte vor lauter Lachen Schluckauf bekommen, und selbst Marylin wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln. Es dauerte, bis wir uns beruhigt hatten und ich wieder atmen konnte, ohne wie ein rülpsendes Walross zu klingen.
„Oh, und noch was, ich habe eure Familien angerufen", sagte Marylin dann aus dem Nichts heraus, woraufhin wir beide einen überraschten Laut ausstießen und ich wieder zu hicksen begann.
„Niall, deine Eltern werden bereits morgen früh ankommen, sie konnten noch einen last-minute Flug erwischen. Jenna, deine Eltern, Brüder und deine Freundin Grace werden morgen Abend gegen 6 ankommen, sowie auch dein Bruder und deine Freunde, Niall. Liam, Zayn, Harry und Lovis, wenn ich mich recht erinnere."
„Louis", verbesserte Niall strahlend.
„Wie auch immer", sagte Marylin. „Ist das so okay für euch?"
Als Antwort beugte ich mich zu ihr runter und umarmte sie vorsichtig mit Tränen in den Augen.
„Das nehme ich als ein ja?" fragte sie und schob mich von sich runter. Ich nickte überwältigt, mit einem Kloß im Hals. Sie lächelte zufrieden. „Sehr schön. Und jetzt raus hier, ihr beiden, genießt eure Zeit hier, bevor es ins richtige Leben zurückgeht." Mit diesen Worten nahm sie die Zeitung in die Hand und würdigte uns keines Blickes mehr. Kaum hatten wir das Zimmer verlassen, fingen wir beide an zu jubeln, auf der Stelle zu hüpfen und uns überglücklich in die Arme zu fallen, bis wir schließlich von einer missmutig aussehenden Schwester gebeten wurden, das Krankenhaus zu verlassen.
„Das war so typisch Marylin", befand Niall, als wir das Gebäude hinter uns gelassen hatten und auf dem Weg zu unserem Haus befanden.
„Absolut typisch", stimmte ich ihm zu und schüttelte lachend den Kopf. „Total durchgeknallt, die Frau."
„Und ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir durch Gordons Tagebuch aufgeflogen sind", sagte Niall. „Was schreibt er da wohl sonst noch rein?"
„Liebes Tagebuch, heute wurde ich von einer fiesen Katze gebissen", lachte ich.
„Liebes Tagebuch, heute wurde ich von dem blöden Möchtegern-Mitbewohner in einen Busch geschubst", fuhr Niall fort, woraufhin ich so stark lachen musste, dass ich das Gleichgewicht verlor.
„Liebes Tagebuch, mein Date kann keine Spaghetti drehen, was soll ich bloß tun?" japste ich.
„Liebes Tagebuch, heute hat der Möchtegern-Türöffner mich ganz doll gehauen!"
„Liebes Tagebuch, heute habe ich herausgefunden, dass mein Date jemand ganz anderes ist!"
„Liebes Tagebuch, ich habe die ganze Zeit einen Mann gedatet!"
Das gab mir den Rest, und ich brach heulend vor Lachen am Straßenrand zusammen, gefolgt von Niall. Wir blieben japsend im Gras liegen, bis wir uns wieder beruhigt hatten.
„Kannst du glauben, dass es morgen alles vorbei sein wird?" fragte Niall dann nachdenklich.
„Nicht wirklich", antwortete ich. „Es fühlt sich surreal an."
Niall nickte. „Es ist auch irgendwie komisch, dass sie herkommen werden, findest du nicht? Ich meine... das hier war immer irgendwie eine Welt, die mit unserer absolut gar nichts zu tun hatte, und plötzlich mischen sie sich..."
Ich seufzte. „Ja, ich weiß. Das ist ein komisches Gefühl. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es ist, wenn wir in ein paar Tagen diesen Ort verlassen und nicht mehr wiederkommen."
„Wer sagt, dass wir nicht mehr wiederkommen?" wollte Niall wissen und stupste mich in die Seite, woraufhin ich lächeln musste. Ja, warum eigentlich nicht? Develon Hill war Nialls und meine Welt, warum konnte sie das nicht auch bleiben?
„Okay", sagte ich schmunzelnd. Niall nahm meine Hand und in Gedanken versunken liefen wir den Rest des Weges.
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