Kapitel 53
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, ließ ein knarrendes Geräusch uns beide aufschrecken.
Ich wirbelte herum und zum zweiten Mal rutschte mir mein Herz in die Hose. Da stand Niall, barfuß und mit nassen Haaren, in seiner Position erstarrt, das Lächeln im Gesicht gefroren. Ich konnte an seinen Gesichtszügen sehen, dass er genau das Gleiche durchmachte wie auch ich schon. Von Überraschung zu Entsetzen und dann bloße Angst.
Sein Blick zuckte zwischen ihm und mir hin und her und das Entsetzen in seinem Gesicht ließ mein Herz in tausend Stücke springen. Wäre er doch bloß im Bad geblieben, wo es sicher war.
Er wiederum stand zwischen uns, und war auch er überrascht gewesen, so hatte er längst seine Fassung wiedergewonnen. Er begann, laut zu lachen.
„Sieh mal einer an", schnaubte er sarkastisch. „Mein Futter kommt freiwillig auf den Teller gelaufen!"
Nialls Blick war auf mich gerichtet, sowie auch ich ihn anschaute. Lauf, versuchte ich ihm zu signalisieren. Lauf um dein Leben! Doch er starrte mich nur weiter an, schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf.
Das grausame Lachen verstummte. „Schluss mit Lustig", dröhnte Grint. Dann griff er in seine Jackentasche und zog einen gefährlich glänzenden Gegenstand hervor, der mir noch allzu gut in Erinnerung geblieben war. Mir wurde schwindelig. „Nein", flüsterte ich flehend. „Nein, bitte nicht..."
„Halt die Schnauze", erwidere er kalt.
Er hob die Pistole, sodass sie auf Niall zeigte, der noch immer keine Anstalten machte sich zu bewegen. „Los", forderte er ihn auf. „Rüber neben deine Freundin", ordnete er an. „Jetzt!"
Niall zuckte zusammen, schien endlich aufzuwachen. „Nein, bitte", stieß er hervor. „Tun Sie das nicht, bitte-"
„Ich mache was ich will, und du Arschloch wirst mich davon nicht abhalten können", antwortete Martin Grint und wedelte mit der Waffe.
Niall setzte sich in Bewegung und gab sein letztes bisschen Deckung auf, als er den Treppenvorsprung verließ. Er lief um ihn herum und ich streckte ihm eine zitternde Hand entgegen. Als er sich neben mich stellte, verflochten sich unsere Hände. Vor meinem inneren Auge formte sich das Bild von uns, damals, im Polizeiauto, die Hände des anderen als einziger Trost.
„Hinknien", befahl Grint und richtete die Pistole auf uns. „Nein, nein, nein, nein", flüsterte ich, während mir abwechselnd heiß und kalt wurde. Niall drückte meine Hand so fest, dass es wehtat, und ich klammerte mich an ihm fest, konzentrierte mich nur auf diese Berührung, auf den Geruch seines Shampoos, auf sein Atmen. Als Niall einen Moment später den Griff ruckartig lockerte und daraufhin umso fester drückte, sah ich auf und konnte nur mit Mühe meinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle behalten. In der Tür am anderen Ende des Raums stand niemand anderes als Marylin mit wütender und zutiefst entschlossener Miene.
Schnell wandte ich meinen Blick ab und zwang mich stattdessen, den Mann vor uns anzuschauen. Dieser genoss sichtlich, uns unter Kontrolle zu haben.
„Wisst ihr", sagte er dann genüsslich, „ich habe nie verstanden, warum sie mich so gerne fertiggemacht haben. Warum sie meinen Kopf ins Klo gedrückt, Nägel auf meinen Stuhl gelegt, meine Klamotten versteckt und mich gequält haben. Aber jetzt weiß ich es endlich." Er blickte auf uns herunter und verzog seinen Mund zu einem befriedigten Grinsen.
„Es fühlt sich gut an."
Mit diesen Worten hob er die Pistole, zielte auf meinen Kopf und drückte ab. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, zersprang das Fenster hinter mir in tausend Splitter, die auf uns hinab regneten. Niall und ich schrien beide aus voller Kehle, schrien in unseren letzten Augenblicken vor Entsetzen und Angst und klammerten uns aneinander, zusammengerollt auf dem Boden. In meinem Kopf war nur noch ein durchgehendes Piepen zu hören.
Er zielte erneut, und wir gaben nun ein leichtes Ziel ab. Marylin stürzte wie in Zeitlupe nach vorne, brüllte, um seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Er wirbelte herum und schoss innerhalb weniger Sekunden. Sie stießen zusammen und fielen zu Boden. Weitere Schüsse ertönten, Schreie wie in weiter Ferne.
Ich sah alles wie durch Watte, als wäre ich ein unbeteiligter Zuschauer, jede Bewegung verzerrt in meinem Kopf.
Ich sah, wie er die Pistole verlor, aber dafür die Kontrolle gewann, sich auf Marylin kniete, seine Hände um ihren Hals legte und mit einem vor Zorn verzerrten Gesicht ihre Luft abdrückte. In Zeitlupe sah ich, wie sie verzweifelt nach der Waffe tastete, sie nicht zu fassen bekam. Wie sein Gesicht knallrot war, während ihres immer bläulicher wurde. Wie sie in einem letzten verzweifelten Versuch ihren Kopf hochriss und man Knochen brechen hören konnte, wie er die Hände hochriss und sie auf seine Nase drückte, wie sie panisch nach Luft rang und schließlich schaffte, die Pistole zu erreichen. Wie sich seine Augen weiteten, als sie damit ausholte und sie auf seinen Kopf krachen ließ, immer und immer wieder, bis er zusammenbrach und sich nicht mehr rührte. Wie sie ihn mühsam und keuchend von sich herunterschob, sich aufrichtete und hustend auf alle viere sank.
Der Nebel um mich herum wurde dichter. Ich roch Schweiß und Blut und in meinem Kopf hallten Schreie und Schüsse nach.
Ich fühlte alles und nichts zugleich.
Ich hoffte nichts mehr, als einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen, allen Schmerz hinter mir zu lassen.
Mein einziger Anker war der Junge, der über mir kauerte, der sich an mich presste, sein rasendes Herz im gleichen Takt wie meins. Er bildete mein Schutzschild, meine Mauer, die mich vom Rest der Welt abschirmte und mir Sicherheit bot.
Als schließlich Hände nach mir griffen, fremde Hände, wimmerte ich flehend. Wir krallten uns aneinander fest, nicht bereit loszulassen.
„Jenna. Niall. Es ist vorbei. Ihr seid in Sicherheit." Marylins erschöpfte Stimme drang zu mir durch, doch ihr Sinn blieb verschlüsselt.
Vorsichtig löste sie meinen Griff um ihn. Niall fing an zu weinen, ein Geräusch, das mir unendlich wehtat.
Ich setzte mich hin und nahm ihn in den Arm, wiegte ihn hin und her, gab ihm den Trost, den er mir gegeben hatte.
Während Marylin mit leiser Stimme am Telefon sprach, schloss ich die Augen. Ich wusste, dass diese Nacht mich bis ans Ende meines Lebens begleiten würde.
Weil ihr toll seid und euch diese Kapitel verdient habt. Bin ein emotionales Wrack nach diesem Kapi :')
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