Kapitel 46
Ich war wie erstarrt. Alle meine Sinne waren auf Niall gerichtet, und die Tatsache, dass er... mich küsste. Ich war viel zu erschrocken, um zu reagieren. Doch bevor ich darüber nachdenken konnte, wie ich am besten reagierte, war er schon zurückgewichen und hatte Abstand zwischen seine und meine Lippen gebracht. Ich starrte ihn an, erstarrte zurück, mein Herz raste. Wir fingen gleichzeitig an zu sprechen: „Was-" „Das-", wir stoppten. „Du zuerst", sagte ich schließlich. Er räusperte sich verlegen. „Also... Tut mir leid...." „Du musst dich nicht entschuldigen", beeilte ich mich zu sagen. „Aber du hättest mich vielleicht vorwarnen sollen." Ich überlegte. „Andererseits, nein. Hättest du mich vorgewarnt, wäre ich vermutlich... weggelaufen oder sowas. Das war richtig, was du getan hast." Niall hüstelte verlegen. „Weggelaufen?" fragte er. „War es so schlimm?" „Oh Gott, nein!" sagte ich hastig. „So meinte ich das nicht, es war eigentlich sogar total... ähm..." Ich wandte mich mit brennenden Wangen von ihm ab. Er fing an zu lachen, und nach kurzem Zögern stimmte ich mit ein. „Gut. Wir müssen das definitiv noch üben", sagte Niall schließlich grinsend. Wobei ich ihm nur zustimmen konnte. Der Kuss war – konnte man das überhaupt Kuss nennen? - noch nicht besonders überzeugend gewesen. „Hast du ein schlechtes Gewissen? Wegen Gordon?" wollte Niall wissen. Ich zuckte die Achseln. „Schon irgendwie. Aber es ist ja nicht so, als ob ich ihn betrogen hätte, oder? Ich meine, wirmüssen das tun. Wir sind ja nicht wirklich zusammen." Niall nickte langsam. „Tja, da hast du wohl Recht. Aber willst du wissen, was ich denke?" Ich zog die Augenbrauen hoch. „Dass du dich jetzt endlich mal aufrappeln und die Sache mit Gordon abschließen musst. Entweder ihr klärt das zwischen euch und ihr kommt wieder zusammen, was ich an deiner Stelle nicht tun würde, oder du sagst ihm die Wahrheit." „Die Wahrheit?" fragte ich erschrocken. „Dass wir verheiratet sind. Dass du mich liebst. Diese Wahrheit." Ich schluckte. „Jetzt?" „Wenn nicht jetzt, wann dann?" fragte Niall zurück. „Morgen?" schlug ich bittend vor, aber erschüttelte den Kopf und krähte: „Raus mit dir, Weib, und komm mir erst wieder ins Haus, wenn du den Idioten losgeworden bist!" und warf ein Kissen nach mir. Wicked, der auf dem Teppich lag, gab ein zustimmendes Maunzen ab. Ich streckte meinen beiden Jungs beleidigt die Zunge raus.
Der Weg zu dem Restaurant war mir noch nie so kurz vorgekommen. Ich hielt krampfhaft nach Leuten Ausschau, die ich in ein Gespräch verwickeln konnte, aber ich traf niemanden, obwohl sonst um diese Tageszeit viele unterwegs waren. Viel zu schnell stand ich vor der Tür. Ich betrat mit einem Seufzer das Gebäude und wurde sofort in italienische Musik und Gerüche eingehüllt. Es war noch nicht besonders voll, nur einige verstreute Pärchen saßen in den Nischen, von Gordon jedoch keine Spur. Ich folgte den schweren Gerüchen und gelangte schließlich zu der Küche, wo die Musik von lauten, hektischen Stimmen abgelöst wurde. Die Tür flog auf und eine kleine Frau eilte an mir vorbei. Ich nutzte die Chance und betrat den Raum. Sechs Männer riefen sich auf italienisch Anweisungen zu und gestikulierten hektisch, doch keiner von ihnen war Gordon. "Aus dem Weg!" schimpfte jemand hinter mir, woraufhin ich erschrocken zur Seite sprang. Die Frau eilte mit einem Arm voller Teller wieder herein. Sie warf mir einen empörten Blick zu. „Entschuldigen Sie die Störung, aber können Sie mir sagen, wo Gordon ist?" fragte ich und lächelte sie entschuldigend an. Sie sah genervt aus, sah aber wohl ein, dass es die einzige Möglichkeit war, mich aus der Küche zu bekommen. „Er wird oben im Wohnbereich sein. Neben den Toiletten die Treppe hoch und klopfen." „Danke!" rief ich ihr zu, während ich mich an ihr vorbeizwängte und aus der Küche flüchtete. Ich fand die Treppe und folgt ihr nach oben, bis ich tatsächlich vor der Wohnungstür stand. Ich zählte langsam von drei runter und klopfte. Einige Momente rührte sich nichts, und ich wollte gerade wieder verschwinden, als die Tür geöffnet wurde. Das Lächeln auf Gordons Gesicht verrutschte und für ein paar Sekunden starrten wir uns an, eine unangenehme Stille zwischen uns. „Mia", sagte er schließlich mit rauer Stimme und räusperte sich. „Ja,äh, hi", antwortete ich nervös und fummelte an meiner Jacke herum. „Kann ich reinkommen?" Er trat beiseite und ich beeilte mich, möglichst schnell an ihm vorbei zu gehen. Er schloss die Tür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. „Also hier wohnst du", sagte ich in die peinliche Stille hinein und schaute übertrieben umher. „Echt nett eingerichtet, wirklich. Ist das das Wohnzimmer am Ende des Flurs? Wo ist denn dein Zimmer? Oh, die Bilder hier... bist das du? Ach wie süß..."
„Mia", unterbrach er mich. „Ja?" fragte ich nervös. „Was zum Teufel willst du hier?" Ich zuckte zusammen. Autsch. „Ich wollte mich entschuldigen", sagte ich mit einem tiefen Seufzer und drehte mich zu ihm um. „Ich war nicht ehrlich zu dir." Er schnaubte. „Das kann man wohl so sagen."
„Es gibt Dinge, die kann ich dir nicht erklären", fuhr ich fort und schaute ihn bittend an. „Es ist alles nicht so leicht, wie es aussieht, okay? Ich bin momentan in einer echt schwierigen Situation und es tut mir wirklich Leid, Gordon..." Ich verstummte. Sein intensiver Blick brannte auf meinem Gesicht. Dann kam er langsam aufmich zu und nahm zu meiner Überraschung mein Gesicht in seine Hände. Seine dunklen Augen musterten mich sorgfältig. In seiner Stimme klang Sorge mit: „Du kannst mir vertrauen, Mia, das weißt du doch?" Ich nickte und konnte nicht verhindern, dass meine Augen wässrig wurden. Hektisch blinzelte ich. Gordons Miene verhärtete sich. „Es hat was mit ihm zu tun, oder? Harold?" „Wovon redest du?" fragte ich unsicher. „Mia, ihr habt den gleichen Nachnamen. Ihr seid ganz sicher keine Geschwister. Ihr seid verheiratet, stimmt's?" Ich schloss die Augen und nickte. „Ich wusste es", stieß er aus. „Warum hast du mir nichts gesagt?" Ich zuckte hilflos die Achseln. Gordon massierte sich die Schläfen. „Er schlägt dich, oder? Dieses Arschloch misshandelt dich!" Erschrocken sah ich ihn an. Gordon lief auf und ab, raufte sich die Haare. „Nein!" stieß ich aus. „So ist das nicht!" „Du kannst mir nichts vormachen, Mia!" rief er, vor Wut kochend. „Dieses besitzergreifende Verhalten von ihm, ich hab es von Anfang an geahnt, ich hab es in seinem Gesicht gesehen, diese miese Ratte..." „Gordon, Stop!" rief ich und packte ihn am Arm, um ihn zum Stehen zu bringen. „Er schlägt mich nicht, okay? Alles ist gut!" Er atmete keuchend und starrte mich an. Im nächsten Moment presste er seine Lippen auf meine und drückte mich gegen die Wand. Ich stieß einen erschrockenen Keucher aus und versuchte ihn wegzudrücken. „Was soll das, Gordon? Lass das!" Er hörte nicht auf mich, sondern drückte mich fester gegen sich. „Keine Sorgen, Mia" flüsterte er gegen meinen Mund. „Ich hol dich da raus. Weg von ihm." Er gab mir keine Zeit zu antworten und küsste mich heftiger. Ich drehte meinen Kopf weg und versuchte panisch, zu verstehen, was gerade passierte. Gordon war völlig von Sinnen, er schnaufte laut und ich versteifte mich am ganzen Körper, als seine Hand an meinen Po langte. Mit der anderen fuhr er unter mein T-Shirt und machte sich an meinem BH-Verschluss zu schaffen. Ich versuchte mich wegzudrehen, aber er war wie eine Mauer, gegen die ich keine Chance hatte. Tränen liefen mir übers Gesicht, als sich vor meinen Augen ein anderes Bild formte: Ich, in einem lauten und stickigen Pub, ein schwerer Mann gegen mich gedrückt. Wie ich mich befreite...
Ich reagierte blitzschnell und biss so kräftig zu wie ich konnte. Gordon stöhnte und ich musste würgen, als ich Blut in meinem Mund schmeckte. Er küsste mich nicht mehr, hatte mich aber auch nicht freigegeben. Ich duckte mich und trat ihn gegen das Schienbein, woraufhin er aufjaulte und mich entsetzt ansah. Ich drückte mich an ihm vorbei und lief so schnell ich konnte in Richtung Tür. „Du Schlampe!" rief er mir hinterher. „Das wirst du bitter bereuen!"
Panisch flüchtete ich aus der Wohnung, rannte die Treppe hinunter und durch das Restaurant nach draußen, die Straßen entlang, stürzte, rappelte mich wieder auf und hetzte weiter. Es kam mir vor wie Ewigkeiten, bis ich mit rasendem Herzen vor unserer Haustür stand. Ich hämmerte schluchzend gegen die Tür. Einen Moment später wurde sie aufgerissen und ich brach auf den Stufen zusammen, vor Nialls Füßen, der mich entsetzt anstarrte. Er reagierte schnell, packte mich unter den Achseln und zerrte mich hoch, über die Türschwelle. Er kniete sich hin und bettete mich auf den Boden, während er seinen Blick flüchtig über mich gleiten ließ, um nach Verletzungen Ausschau zu halten. Sein Blick blieb an meinen aufgeschürften Händen und Knien hängen. Er zog mich in seine Arme. Ich war ein zitterndes, schluchzendes Elend. Er hob mich hoch und trug mich vorsichtig zum Sofa. „Was ist passiert, Jenna?" fragte er dann. Ich schüttelte den Kopf, unfähig ihm zu antworten, und klammerte mich weiter an ihn. Er zog mich auf seinen Schoß, sodass mein Gesicht an seiner Schulter ruhte, und wiegte mich leicht hin und her. „Shhh. Shhh, Jenna. Alles ist gut. Shhh. Ich bin hier. Dir passiert nichts okay? Shhh..."
Es dauerte, bis ich aufhörte zu weinen. Meine Nase lief und ich zitterte. Niall schaute mich zutiefst besorgt an. „Gordon?" fragte er schließlich vorsichtlich. Ich nickte. Er kniff seinen Mund zusammen und sein Griff um mich wurde fester. Er sagte nichts, aber die Wut, die er ausstrahlte, musste nicht in Worte gefasst werden.
Hallo an alle da draußen und erst mal: Es tut mir so Leid, es tut mir so Leid, es tut mir so Leid!! SO lange nicht zu updaten ist furchtbar und ich entschuldige mich hiermit und schicke jedem von euch Schokolade! Ich bin ja derzeit in England und hatte hier sehr viel zu tun, und irgendwie war es auch sehr komisch, sich hinzusetzen und dieses Kapitel auf deutsch zu schreiben :D Und zum Inhalt: Nichts davon war geplant, aber irgendwie ist Gordon beim Schreiben einfach durchgedreht und ich konnte ihn nicht mehr zügeln... hm... ^^
Ganz viele liebe Grüße (und Schokolade!) von eurer Palodie
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