Kapitel 43
Niall und ich schauten unserschrocken an. „Ich geh schon", sagten wir im selben Moment.Nach kurzem Zögern eilte er schließlich an mir vorbei aus demWohnzimmer. Ich hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Und genausogut konnte ich die Stimme zuordnen, die mit Niall redete.
„Wer ist das?" wollteMarylin wissen und machte Anstalten, zur Tür zu gehen. Panisch hieltich sie am Arm fest und schob sie in Richtung Küche. „KeineAhnung. Klingt wie der Postbote oder so", sagte ich dann mit bemühtgelangweilter Stimme. Doch gleichzeitig schielte ich immer wiedernervös Richtung Flur, während Niall weiter zu diskutieren schien.„Der Postbote?" fragte Marylin nur mit einem verwirrten Unterton.„Was will der denn hier? Ihr bekommt doch keine Post zugeschickt,oder?" Scheiße. Nachdenken, Jenna. Denk nach. „Natürlichnicht", antwortete ich mit einem nervösen Lachen. „Aber Niallhat ihn kürzlich beim Bäcker getroffen und seitdem sind sie, äh,Freunde."
Marylins Stirn glättete sich wieder und sie schenkte mirein erfreutes Lächeln. „Das ist ja toll! Ich hatte nicht damitgerechnet, dass ihr hier so schnell Anschluss finden würdet. Undmittlerweile habt ihr eure Zweitleben doch schon gut drauf, oder?"Ich nickte, erleichtert, dass sie meine Lüge so einfach geschluckthatte. „Das freut mich wirklich für Niall. Hoffentlich findest duauch bald ein paar Mädchen, die du nett findest." „Bestimmt",antwortete ich abgelenkt. Die Stimmen an der Haustür waren nunlauter geworden und ich hoffte inständig, dass Marylin das nichtbemerkte. „Möchtest du was trinken?" fragte ich also. UnbedingtZeit schinden. „Kaffee, Tee? Oder nur Wasser?" „Vielen Dank,aber das ist nicht nötig, Jenna. Ich muss nach Hause, bin sowiesoschon viel zu spät dran", antwortete sie und stand zu meinemEntsetzen auf.
Bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte sie schonMantel und Schuhe an. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Jeden Momentrechnete ich damit, dass die Katastrophe eintrat - doch als wir denFlur betraten, schloss Niall gerade die Tür hinter sich und drehtesich mit einem Lächeln im Gesicht zu uns um. „Du gehst schon,Marylin?" „Es ist schon spät, Kleiner. Vielleicht komme ich dieTage nochmal vorbei", erwiderte sie und schob sich an ihm vorbei.„Gute Nacht, Kinder!" rief sie, als sie die Auffahrt runter liefund schließlich um die Ecke bog.
Im selben Augenblick stießen wireinen erleichterten Seufzer aus. „Das war knapp", sagte Niall.Und dann: „Was fällt dir eigentlich ein? Wir haben Besuch vonunserer Betreuerin, die zufällig bei der Polizei arbeitet und fürunsere Sicherheit zuständig ist, und dann klingelt plötzlich deinbeschissener Freund an der Tür?" Er stampfte wütend mit dem Fußauf. „Jenna, was soll das? Wir wären beinahe aufgeflogen,verdammt! Weißt du, wie knapp das war? Was wäre passiert, wenn sieGordon gesehen hätte, hm? Wie hättest du ihr erklärt, dass einwildfremder Junge mitten in der Nacht in unserem Haus steht und dichzum Sterne angucken abholen will? Scheiße!" Das letzte Wortbrüllte er, und ich zuckte zusammen. „Ich weiß", antwortete ichschuldbewusst. „Aber es ist nicht fair, dass du mich jetzt hieranschreist. Ich wusste nicht, dass Marylin kommt. Und es war auchabgemacht, dass ich zu Gordon gehe und nicht andersrum. Ich konntenichts dafür, Niall."
Er schaute mich wütend auszusammengekniffenen Augen an. „Weißt du was?" fauchte er dann,wirbelte auf dem Absatz rum und ging weg. „Du bist genau wie alleanderen Mädchen dieser Welt." Dann knallte die Wohnzimmertürhinter ihm zu und Wicked und ich zuckten zusammen.
Einen Moment standich wie gelähmt in der Tür, dann hörte ich ein leises Fluchen undSchritte hinter mir, die von draußen zu kommen schienen. Ichwirbelte herum und sah Gordon in die Augen. „Hey", sagte ichniedergeschlagen. „Hey", antwortete er, doch ich konnte an seinerStimme hören, dass er alles andere als erfreut war. Er fasste meineHand und zog mich ein paar Schritte weiter, weg von der Haustür.Dann beugte er sich nahe zu mir und zischte: „Würdest du mir bitteerklären, was zur Hölle das gerade war?" „Was?" fragte ichkleinlaut.
„Dein Harold macht mir die Tür auf, schubst mich nachdraußen zurück und erklärt mir, dass unser Treffen abgesagt sei,da du plötzlich krank geworden wärst- dumm nur, dass ich dichfröhlich hab reden hören! Dann meinte er, dass ich mich versteckensoll, bis du rauskommst, und als ich mich geweigert habe, hat er michpraktisch in die Büsche geschubst und mir die Tür vor der Nasezugeknallt! Und hast du eine Erklärung dafür, dass an euremBriefkasten ein Schild hängt, auf dem „Mr und Mrs Bennet"steht?"
Ich rang nach Worten, fand aber keine. Gordon warf dieHände in die Luft und lief wütend vor mir auf und ab. „Du hastkeine Erklärung, Mia. Was ist da zwischen euch? Mr und Mrs Bennet,verdammt! Was läuft hier ab, he? Ihr seid verheiratet? Das kann...Mia, das..." er brach ab und schaute mich flehend an. „Erklär esmir. Bitte", flüsterte er dann verzweifelt. Mittlerweile wollteich nichts lieber, als mich in mein Bett zu verkriechen und zuheulen. Oder Gordon alles gestehen... „Ich kann es nicht erklären",sagte ich schließlich niedergeschlagen. Ich hob den Kopf undbegegnete seinem verletzten Blick. Dann, nach einem Moment, drehte ersich wortlos um und ging.
„Warte, Gordon!" rief ich und eilte ihmhinterher. Als ich ihn erreicht hatte, stellte ich mich vor ihn,sodass er anhalten musste. „Hör mir zu, okay? Ich kann es dirnicht erklären, weil es viel zu kompliziert ist und ich es selbermanchmal gar nicht verstehe. Aber du musst mir vertrauen. Bitte,Gordon." Er kniff die Augen zusammen. „Dir vertrauen? Du bistverheiratet, dein Mann ist ein Psycho, und von alldem habe ich nichtsgewusst - und jetzt sagst du mir, ich solle dir vertrauen?" Ichschluckte. „Ich weiß, dass das ziemlich scheiße gelaufen istheute Abend. Aber können wir nicht versuchen, diesen Abend niemalspassiert sein zu lassen?"
„Weißt du eigentlich, wasdu da von mir erwartest, Mia?" Ich schloss die Augen und fühltemich hundeelend. „Ich weiß." Bevor ich mich daran hindernkonnte, hatte ich mich schon an seine Brust gekauert und meinestummen Tränen durchnässten sein Shirt. Er schlang die Arme um michund legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Eine Weile hielt er mich so,bis ich mich etwas beruhigt hatte. Dann löste er meine Arme hinterseinem Rücken, ging um mich herum und verschwand. Als ich eineSchritte nicht mehr hören konnte, ließ ich mich auf den kaltenErdboden sinken und kauerte mich wie ein kleines Baby zusammen. HeuteAbend war alles erdenkliche schiefgelaufen. Wäre Gordon doch nurzehn Minuten später gekommen, oder besser, wäre er gar nichtgekommen... dann wäre jetzt alles normal. Ich stieß ein freudlosesLachen aus. Normal. Was war schon normal? Jedenfalls nicht das Leben,das ich gerade führte. Schließlich riss ich mich zusammen, holtetief Luft und stand auf. Der Weg zurück zum Haus kam mir unendlichlang vor.
Niall öffnete mir dieHaustür. „Und, wie ist es-" er stoppte, als er mein Gesicht sah.„Oh." Ich zog wortlos meine Schuhe aus. Niall zog mich hoch undstrich mir meine verworrenen Haare aus dem Gesicht. „Mach dirnichts draus, Jenna. Ihr werdet das bestimmt hinkriegen, okay?" Ichfühlte mich wie ein kleines Kind, das nichts weiter als seine Mutterbrauchte und war gleichzeitig unendlich erleichtert, dass wenigstensNiall nicht mehr sauer zu sein schein. „Er kann es nichtverstehen", flüsterte ich unter Tränen. „Wie denn auch? Er hatdas Klingelschild gesehen, Niall. Warum hast du es angebracht?" Ersah mich bekümmert an. „Er hätte es so oder so erfahren müssen.Das war der schnellste und schmerzloseste Weg." Ich schüttelte denKopf. „N-nein, Niall. Ich hätte es ihm gesagt. Ich hätte es ihmsagen können." Er sah mir in die Augen, und wir wussten beide,dass er Recht hatte. Schließlich seufzte er und lächelte michbekümmert an. „Du solltest jetzt schlafen gehen, Jenna. Morgensieht die Welt schon anders aus." Ich nickte, nicht weil ich dasglaubte, aber weil ich es gerne glauben wollte.
Zehn Minuten später lag icheingemummelt in meinem Bett. Erstaunlicherweise war mein Kopfgänzlich leer, als brannte mein Körper nur darauf, im Schlaf alleszu vergessen. Als ich kurz davor war, in den Schlaf zu gleiten, wurdemeine Zimmertür vorsichtig geöffnet. Aus dem Flur strahlte Lichtrein und ließ Nialls Umrisse komplett schwarz erscheinen. „GuteNacht, Jenna", flüsterte er mir zu. „Ich hoffe, du träumst wasschönes." Ich wollte antworten, war aber schon zu sehr im Schlafversunken. Er schloss die Tür hinter sich und ich wurde erneut vonDunkelheit umhüllt.
So viel Drama! :D Ichwünsche euch allen ein schönes Wochenende und bin mal gespannt, wiesich das Ganze weiterentwickelt - eigentlich war das Kapitel völliganders geplant, hat sich dann aber selbstständig in eine andereRichtung geschrieben. Hrmpf. Auf jeden Fall ein riesengroßesDankeschön an all die, die so fleißig voten und großartigeKommentare dalassen - ohne euch hätte ich Undercover schon langeaufgegeben.
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