Kapitel 42
Zehn Minuten, nachdem Niall mein Zimmer verlassen hatte, hatte ich mich wieder einigermaßen gesammelt. Mit einem Blick auf die Uhr beeilte ich mich, ins Bad zukommen und vergewisserte mich, dass ich diesmal allein war. Ungewollt sah ich die Szene wieder vor mir, den Moment, in dem wir uns entsetzt angestarrt hatten, und wie er dann die Hände vors Gesicht geschlagen hatte. Kopfschüttelnd streifte ich die Bilder ab, stieg in die Dusche und drehte das Wasser auf. Der eiskalte Strahl traf mich mitten im Gesicht, und mit einem Keuchen drehte ich es wieder aus. Warum zur Hölle konnte Niall nicht warm duschen wie jeder andere Mensch?
Kurze Zeit später verließ ich mit duftenden Haaren das Badezimmer und stand erneut vor der Frage, was ich anziehen sollte. Doch obwohl es mir vorhin Spaß gemacht hatte, mich mit diesen Mädchenproblemen zu befassen, war ich jetzt nur noch genervt von mir selbst. Schließlich blieb ich einfach bei einer Jeans und einem warmen Pulli.
„So okay?" fragte ich Niall, der auf dem Sofa lag, und drehte mich einmal um die eigene Achse. „Gehst du aus?" fragte er zurück, woraufhin ich nickte. „Mit dem Schleimer, nehme ich an." Ich sah ihn genervt an. „Das hatten wir doch schon einmal, Niall. Also geht das jetzt oder soll ich was anderes anziehen?" Er ließ seinen Blick an mir runterwandern. „Was habt ihr denn schönes vor?" „Wir schauen uns die Sterne an", seufzte ich. „Also?" „Ihr schaut euch die Sterne an? Wirklich?" erwiderte er mit einem angeekelten Unterton.„Was ist, wenn es bewölkt ist oder regnet?" „Lass das mal schön unsere Sorge sein. Krieg ich jetzt eine Antwort?" „Oh Gott, hat er dir in einem Brief geschrieben, dass er sich mit dir die Sterne anschauen möchte?" Niall, hör-" „Ich wusste es! Wie tief kann man denn bitte sinken?" „Wo zur Hölle liegt dein Problem?" „Jenna, kein Kerl dieserWelt ist daran interessiert, sich stundenlang in der Kälte Sterne anzuschauen!" „Hast du eine Ahnung! Nur weil du das nicht tun würdest, heißt das doch nicht, dass das automatisch für alle anderen männlichen Wesen gilt!" „Okay, tu, was du willst. Aber ich sag's dir, der Kerl führt was im Schilde."
Ich schnaubte verächtlich und sagte: „Du gehst mir damit echt auf die Nerven, Niall. Du kannst dein Problem mit Gordon gerne mit ihm klären, aber hör bitte auf, mir deine Meinung zu ihm ständig ins Gesicht zu schleudern, wenn ich dich eigentlich nur etwas gefragt habe, wo ein 'ja' oder'nein' völlig ausgereicht hätte!"
Einen Augenblick starrte er mich schweigend an, dann nickte er. „Du hast recht, tut mir Leid. Ich möchte nur verhindern, dass er dich verletzt. Und außerdem", fügte er hinzu, „wissen wir beide, dass diese Beziehung unter keinem guten Stern steht. Du bist mit mir verheiratet und das weiß hier jeder. Sollte auch nur irgendjemand von euch Wind bekommen, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer im ganzen Dorf. Und was das bedeutet, muss ich dir wohl nicht erklären." Sein einerseits vorwurfsvoller und andererseits besorgter Blick ließen Schuldgefühle in mir aufwallen. „Ich weiß", antwortete ich bloß, denn mehr gab es nicht zu sagen.
Er drehte sich wieder zurück und lehnte sich in die Sofakissen. „Um zu deiner Frage zurückzukehren: meiner Meinung nach ist ein Mädchen in Jeans und Pulli viel hübscher als ein Mädchen im Cocktailkleid." Er grinste und fügte hinzu: „Und es ist dunkel, man sieht sowieso nichts." Ich grinste zurück, angelte nach einem Sofakissen und warf es ihm an den Kopf. Blitzschnell fing er es auf und warf es zurück. Ehe ich mich versah, war eine Kissenschlacht vom Feinsten entstanden. Das Herrliche war, dass die Kissen tatsächlich noch mit Federn gefüllt waren, die sich langsam im gesamten Wohnzimmer verteilten. Gerade als ich zur Kommode sprang, um eine herabstürzende Vase aufzufangen, da Niall schlecht gezielt hatte, klingelte es an der Tür. Sofort fing mein Herz an, heftig zu pochen. Gordon hatte klar und deutlich geschrieben, dass ich um zehn bei ihm sein solle. Niall eilte an mir vorbei und öffnete die Tür. Als ich die Stimme zuordnen konnte, fiel mir ein Stein vom Herzen- so wie ich gerade aussah, konnte ich Gordon nicht unter die Augen treten. Doch als ich wirklich registrierte, wer jetzt lächelnd im Wohnzimmer stand, rutschte mir mein Herz erneut in die Hose. Scheiße!
„Hallo, Jenna, schön dich zu sehen", sagte Marilyn und drückte mich kurz. „Wie geht es dir?" „Ährm." Ich räusperte mich. „Gut, und dir?" Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und legte ein aufgeplatztes Kissen zurück an seinen Platz. „Auch, danke der Nachfrage. Ihr scheint ja... viel Spaß gehabt zu haben", sagte sie und ließ ihren Blick amüsiert über das Durcheinander gleiten. Niall lachte verlegen. „Nun gut", seufzte sie schließlich, als die Stille zu unangenehm wurde. „Ich würde liebend gerne einmal ohne schlechte Nachrichten zu Besuch kommen, aber leider liegen die Dinge nicht so, wie wir sie gerne hätten." Innerlich stöhnte ich auf. Jetzt war der denkbar ungelegenste Zeitpunkt für schlechte Nachrichten. „Ist noch jemand getötet worden?" fragte Niall entsetzt, woraufhin ich zusammenzuckte.
„Glücklicherweise nein", antwortete Marylin. „Doch eine Frau hatte mehr Glück als Verstand. Nachdem wir herausgefunden hatten, wie die beiden Opfer zusammenhängen, haben wir sofort alle weiteren Klassenkameraden benachrichtigt. Sie sollten sich nur noch in Gesellschaft bewegen, immer ein Handy bei sich tragen und auf keinen Fall nach acht Uhr abends das Haus verlassen. Die Dame namens Christen Smith hat gestern um halb neun beschlossen, alleine spazieren zu gehen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Sie ist unserem Täter dann direkt in die Arme gelaufen und hat ahnungslos eine Runde mit ihm geschnackt. Er hat sie dann in Richtung Wald gelockt und sie wäre zweifelsohne das dritte Opfer gewesen, wenn -und das ist wirklich ein unglaubliches Glück- ein in der Nähe lauernder Jäger nicht ihr Flehen gehört hätte. Sein Hund hat ihn wohl ziemlich gut erwischt, am Unterschenkel. Aber wohl nicht gut genug, denn er konnte trotzdem noch schnell genug laufen, dass er uns entkommen ist." Mit großen Augen starrten wir sie an. „Aber das gute ist", fuhr sie fort, „dass Mrs Smith uns den Namen des Täters verraten konnte. Er heißt Martin Grint und ist, entgegen unserer Erwartungen, nicht in die gleiche Klasse gegangen wie die Opfer. Er war eine Stufe darunter." Sie schloss ihren Mund und Stille machte sich im Raum breit. Martin Grint. Martin Grint. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich hinter diesem Namen ein kaltblütiger Mörder verbirgt. „Also... jetzt hat die Polizei seinen Namen, sein Gesicht und alle Daten über ihn. Das heißt doch, dass wir an sich keine Bedrohung mehr für ihn darstellen, denn alles was wir verraten könnten, ist jetzt bekannt, oder?" fragte ich langsam. Marylin biss sich auf die Lippe. „Ich weiß, dass das jetzt so erscheinen mag. Aber es wäre zu einfach, wenn damit alles getan wäre. Denn hier kommt das Problem- es gibt kein einziges Foto von ihm."
„Was?" fuhr Niall auf. „Wie kann das sein?" „Ich habe keine Ahnung", antwortete sie gequält. „Es ist heutzutage eigentlich gar nicht mehr möglich. Bei diesem Fall ist der Wurm drin. Seinen Personalausweis hat er mit 15 Jahren ausgestellt bekommen, nach dessen Ablauf nie einen neuen beantragt. Auf keinem Klassenfoto ist er zu sehen, laut Aussagen anderer Mitschüler hat er immer gefehlt." „Aber das einzige, was wir haben, ist sein Gesicht", beharrte Niall. „Das kann diese Frau doch jetzt auch der Polizei geben, oder nicht?" „Könnte sie", nickte Marylin. „Aber davon abgesehen, dass sie sich genau wie ihr nun auch im Zeugenschutzprogramm befindet und noch keineAussage gemacht hat, soll er einen Bart getragen haben und-" „KeinBart", unterbrach Niall sie. „Er hatte definitiv keinen Bart." Marylin sah ihn erstaunt an und blickte dann zu mir. Ich schüttelte den Kopf. „Nun, das ist in der Tat merkwürdig", sagte sie schließlich. „Ich werde das weitergeben. Ansonsten war es das. Ich möchte euch nur bitten, noch vorsichtiger als ohnehin schon zu sein. Perfektioniert euer Scheinleben, fügt Details ein, seid verheiratet! Lasst euch zusammen sehen, ihr seid jung und verliebt- lebt es aus! Und tut verdammt noch mal nichts, aber wirklich gar nichts, was eurem Image einen Riss zufügen könnte." Ich starrte angestrengt auf den Boden und spürte voller Unbehagen Nialls stechenden Blick auf mir. „Habt ihr verstanden?" fragte Marylin und sah uns forschend an. „Ja", sagte Niall fest. Ihr Blick wanderte zu mir. Doch bevor ich antworten konnte, klopfte es laut an der Tür- und mein Herz rutschte mir in die Hose.
Wer steht wohl vor der Tür? :D Hach, es hat so viel Spaß gemacht, dieses Kapitel zu schreiben, ich konnte gar nicht mehr aufhören- und deshalb ist es auch viel länger geworden als eigentlich geplant ^^ Ich hoffe, ihr genießt alle den Rest der Ferien!
Liebe Grüße, Palodie
(ja, ich weiß, dass es in Deutschland mitten in der Nacht ist... aber ich bin in Kanada und hier ist es erst halb elf ;) )
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