Kapitel 32
In meinem Kopf drehte sich alles. Ich war erschüttert darüber, dass wir uns erneut so heftig gestritten hatten. Aber diesmal würde ich nicht diejenige sein, die sich entschuldigte, denn diesen Streit hatte allein Niall zu verantworten. Sein Verhalten war für mich unerklärlich. Besonders seine letzten Worte.
Ich könnte Jede haben.
Wie konnte man nur so arrogant sein? Ich hatte ihn für jemanden gehalten, der sich keine großen Gedanken um sein gutes Aussehen macht, der sich dessen kaum bewusst war. Diesen Eindruck hatte er mir zumindest in den letzten Tagen vermittelt, aber offensichtlich hatte ich mich in dieser Hinsicht getäuscht.
Aber im Gegensatz zu dir werfe ich mich nicht dem nächstbesten Kerl an den Hals.
Allein bei dem Gedanken an diese Worte wurde ich erneut wütend. Ich hätte ihn erwürgen können. Niall kannte Gordon überhaupt nicht, seine Ablehnung ihm gegenüber basierte auf einem einzigen Satz von Gordon.
Je weiter ich darüber nachdachte, desto enttäuschter und wütender wurde ich. Also schnappte ich mir kurzentschlossen eine Jacke und lief in den Garten. Pflanzen hatten mich schon immer beruhigt, und dieser Garten hatte einige Pflege nötig. Ich holte mir Handschuhe und einen Spaten und machte mich daran, das erste Beet umzugraben. Schon nach wenigen Minuten war ich schweißgebadet, aber ich arbeitete weiter, die Rückenschmerzen und Schwielen an den Händen trieben mich nur noch mehr an. Als ich mit dem ersten Beet fertig war, kam das nächste an die Reihe.
Ich hörte erst auf, als die Dämmerung einbrach. Müde betrachtete ich mein Werk, und grimmige Zufriedenheit erfüllte mich. Vorerst würde hier kein Unkraut mehr wachsen.
Ich stellte die schmutzigen Schuhe vor die Haustür und wusch mir die Hände, dann stieg ich unter die Dusche, um den Dreck und den Schweiß abzuwaschen. Ich entspannte mich, das heiße Wasser tat unglaublich gut. Mit duftenden Haaren und runzeliger Haut wickelte ich mich in ein Handtuch und ging in mein Zimmer, um mir etwas anzuziehen. Als ich mich umdrehte, fiel mein Blick auf etwas, das auf meinem Nachtschränkchen lag. Ich trat näher heran und erkannte den schmalen Goldring, der auf einem Zettel lag. Doch statt der Entschuldigung, die ich erhofft hatte, stand dort nur:
Lag im Bad. Du hast ihn heute nicht getragen.
Der unausgesprochene Vorwurf hing in der Luft und legte sich wie ein bitterer Beigeschmack auf meiner Zunge ab. Ich packte den Ring, lief in den Flur und riss Nialls Tür auf. Er zuckte zusammen und sah mich erschrocken an. Mein Gesicht war verzerrt, die Wörter rauschten unkontrollierbar aus mir raus.
"Das ist also das einzige, was du mir zu sagen hast?" Meine Stimme wurde immer lauter. "Dass ich den verdammten Ring nicht getragen habe? Das war's? Weißt du was: ich scheiß drauf. Es ist mir egal, okay? Ich scheiß auf dieses ganze Zeugenschutzprogramm, ich scheiß auf diese Fake-Ehe und ich scheiß auf dich!"
Von der Wut gesteuert, trat ich ans Fenster, holte aus und schleuderte den Ring so weit weg, wie ich nur konnte. Niall schaute mich entsetzt an. Die Wut verrauchte, und an ihrer Stelle setzte Resignation ein.
"Oh." Im selben Augenblick wurde mir klar, was ich getan hatte.
Niall trat neben mich. Er machte mir keine Vorwürfe, sondern seufzte nur schwer. "Großartig. Das heißt dann wohl, dass wir die nächsten Stunden damit verbringen, diesen Ring zu suchen?"
Ich nickte nur.
Erneut schlüpfte ich in meine dreckigen Schuhe und betrat den Garten. Niall folgte mir und zeigte auf einige Büsche. "Ich schätze mal, er ist da irgendwo gelandet. Er ist aber nicht ins Wasser gefallen, oder?"
"Nein, das hätte ich gesehen."
"Okay. Dann mal an die Arbeit."
Wir krochen auf dem Boden hin und her, schoben Blätterhaufen beiseite und bogen Äste auseinander. Aber egal, wie sehr wir suchten, den Ring fanden wir nicht. Da half es auch nicht, dass es mittlerweile so dunkel war, dass man kaum noch etwas erkennen konnte. Irgendwann gaben wir auf und kehrten ins Haus zurück. Ich war wütend auf mich selbst. Wieso hatte ich das getan? Marylin würde ausflippen. Da hatten wir die Eheringe zwei Tage lang, und ich hatte nichts besseres zu tun, als ihn aus dem Fenster zu werfen. Bescheuerter ging's nicht.
Seufzend lehnte ich mich an meine Wand und machte mich dann auf, erneut zu duschen.
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