Kapitel 31
Mein erster Gedanke war: Was muss ich jetzt machen? Doch Gordon übernahm die Führung, bewegte seine Lippen auf meinen und legte seine Hände an mein Gesicht. Ich streckte mich und schlang meine Arme um seinen Hals. Ich vergaß meine Zweifel und Ängste und schaltete alles Denken ab. Schließlich löste sich Gordon von mir und lehnte seine Stirn an meine. Er wisperte nur ein Wort: "Wow."
Ich lachte, glücklich, weil er den Kuss erwidert hatte, weil es mein erster richtiger Kuss und so unglaublich schön gewesen war. Bevor wir uns voneinander lösten, küsste er mich auf die Stirn und nahm dann meine Hand. Wie selbstverständlich verschränkten sich meine Finger mit seinen. Nur beim Laufen war das etwas komisch, da er so viel größer war als ich und unsere Hände so nicht auf der gleichen Höhe waren.
Gordon führte mich zu dem gemütlichen Sofa, das zwar weiter hinten, aber dafür mittig stand, sodass wir eine gute Sicht auf die Bühne hatten. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden, und er schaute mich ebenfalls mit einem Ausdruck in den Augen an, der mir Schmetterlinge im Bauch verursachte. Dass das Theaterstück anfing, merkten wir erst, als geklatscht wurde. Dann traten die Schauspieler auf die Bühne. Sie waren zu fünft und kündigten eine Komödie an. Gespannt starrten wir nach vorne. Dann trat ein Mann im Frack auf die Bühne und räusperte sich in sein Mikrophon. "Liebe Zuschauer. Wir befinden uns im 19. Jahrhundert, und über Schottland ziehen seit Wochen heftige Stürme hinweg. Die Ernte ist völlig zerstört worden, aber der Lehnsherr weicht dennoch nicht von seinen Forderungen an die Pächter ab. Dies ist die Geschichte von einem Bauern, der sich als erster gegen den Lehnsherren durchsetzt und für Gerechtigkeit kämpft."
Der Mann trat zurück, und an seiner Stelle trat ein zweiter auf die Bühne. Er trug einen schiefen Hut und zerschlissene Sachen. Sein Gesicht war schmutzig.
Er fing an zu sprechen, aber ich wurde doch Gordon abgelenkt, der mir mit dem Daumen über die Wange fuhr. Dort, wo er meine Haut berührte, hinterließ er eine kribbelnde Spur. Ich versuchte, meine Konzentration weiterhin auf das Stück zu richten, aber nun fuhr seine Hand durch meine Haare. Ich drehte meinen Kopf zu ihm und vergaß sofort alles andere. Das Abendlicht legte einen rötlichen Schimmer auf seine braunen Haare, seine dunklen Augen waren auf mein Gesicht gerichtet.
Wie in Zeitlupe kamen wir uns wieder näher, schlossen gleichzeitig die Augen. Dieser Kuss war unglaublich zärtlich und ich zerschmolz unter seinen Berührungen. Irgendwann lagen wir aneinander gekuschelt auf dem Sofa und hatten uns mit Gordons Jacke zugedeckt, da es mittlerweile deutlich kühler geworden war. Ich bekam nur noch das Ende des Theaterstückes mit. Der Bauer hatte den Tyrannen besiegt und alles Land gleichmäßig unter allen aufgeteilt. Alle fünf Schauspieler kamen auf die Bühne und verbeugten sich unter dem Beifall der Zuschauer, die sogar aufgestanden waren und pfiffen.
"Zeit, nach Hause zu gehen", sagte Gordon an meinem Ohr.
"Obwohl ich viel lieber hier bleiben würde."
Als Antwort schüttelte ich lachend den Kopf und zog ihn vom Sofa auf.
Aneinander gelehnt machten wir uns auf den Heimweg. Er kam mir viel kürzer als vor als der Hinweg, was auch daran liegen konnte, dass Gordon mir zwischendurch immer wieder kleine Küsse auf die Wange oder die Stirn gab. Doch wir konnten die Ankunft nicht ewig herauszögern, und so standen wir schließlich vor unserem Haus. Diesmal war ich diejenige, die sich vorbeugte und ihn auf die Wange küsste. Er zog mich an sich und eine Weile standen wir nur da, er mit seinem Kinn auf meinen Kopf gestützt und ich mit meinen Armen um seine Brust geschlungen. Dann löste ich mich schweren Herzens von ihm und schloss die Tür zwischen uns.
Ich tastete mich im dunklen Flur vorwärts, um das Wohnzimmer zu erreichen. Dabei stieß ich gegen etwas weiches, woraufhin ein Fauchen erklang. Mit einem erschrockenen Ausruf sprang ich zurück. "Wicked! Mensch, hast du mich erschreckt!" Ich nahm den kleinen Kater auf den Arm und brachte die letzten Meter hinter mich. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, was mich nicht sonderlich überraschte. Ich setzte mich gegenüber von Niall auf einen Sessel.
Er schaltete den Fernseher aus und wandte sich mir zu. Mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck sah er mich an, dann fragte er: "Und? Wie war's?"
"Gut", antwortete ich zögerlich.
"Hat er dich geküsst?" Ein Blick auf mein Gesicht verriet ihm die Wahrheit, und er schüttelte stöhnend den Kopf.
"Was ist so schlimm daran?" fragte ich beleidigt.
"Man küsst nicht beim ersten Date. Auch nicht beim zweiten", fügte er hinzu, als ich meinen Mund öffnete. "Das gehört sich einfach nicht."
"Woher willst du wissen, dass nicht ich ihn geküsst habe?" wollte ich wütend wissen.
"Hast du? Oh Gott. Jenna, was machst du bloß? Wie kannst du denn nur so blöd sein?" Nialls Stimme nahm einen aggressiven Ausdruck an.
Fassungslos starrte ich ihn an. "Du kennst ihn doch gar nicht! Ich darf küssen, wen ich will, okay? Warum benimmst du dich wie das letzte Arschloch?"
"Darum geht es doch gar nicht!"
"Ach nein? Worum geht es denn dann?"
"Um diesen Typen, Gordon! Jenna, da stimmt doch irgendetwas nicht. Er ist mir unsympathisch. Und wer küsst bitte beim ersten Date?"
Ich lachte bitter auf.
"Hörst du sich eigentlich selber reden, Niall? Weil er beim ersten Date küsst? Das ist mein Leben, okay? Es interessiert mich nicht, wenn du ihn unsympathisch findest. Weißt du, was ich glaube? Dass du eifersüchtig bist. Vielleicht hast du eine Freundin und bist neidisch, dass sie nicht hier sein kann? Oder vielleicht hattest du einfach noch nie eine Beziehung? "
Niall schaute mich einen Moment lang wortlos an, dann brach er in ein humorloses Gelächter aus.
Er beugte sich vor, sodass er mir direkt in die Augen schaute.
"Ich könnte jede haben", zischte er. "Jede. Aber im Gegensatz zu dir warte ich auf die Richtige und werfe mich nicht dem nächsten, x-beliebigen Kerl an den Hals!"
Es dauerte eine Sekunde, bis die Worte bei mir ankamen. Doch dann fing die Wut in mir an zu kochen, und ich sprang auf.
Fassungslos suchte ich nach Worten, die ich ihm an den Kopf schmeißen konnte.
"Was gibt dir das Recht, so etwas zu sagen?" fragte ich mit vor Wut zusammengebissenen Zähnen.
Ich warf ihm einen kalten Blick zu, dann drehte ich ihm den Rücken zu und verließ den Raum.
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