Kapitel 30
Ich erstarrte. Was machte er denn hier? Zögerlich stand ich auf und ging zur Haustür. Er stand da und schaute mich lächelnd an, und allein dieses Lächeln ließ etwas tief in mir Schmelzen. Ich hatte das Bedürfnis, mich an ihn zu kuscheln und mich an seiner Schulter auszuheulen. Stattdessen schluckte ich den Kloß runter und trat ihn zu. Er zog mich in eine Umarmung und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. Angestrengt blinzelte ich, um meine Maske zu wahren. Er wusste nichts, und ich durfte unser Geheimnis nicht gefährden, indem ich anfing zu heulen. Eine Zeit lang hielten wir uns einfach nur fest, dann ließ uns ein Räuspern zusammenzucken. Wir fuhren auseinander und drehten uns zu Niall um, der uns reserviert ansah, und sagte: "Könntet ihr das vielleicht draußen fortsetzen?"
Gordon verdrehte die Augen und lachte. "Chill mal, man. Ist ja nicht so, als ob wir hier Sex hätten, oder?"
Ich zuckte bei seinen Worten zusammen und die Röte schoss mir ins Gesicht. Auch Niall war für einen Moment sprachlos.
Er starrte mich fassungslos an, dann drehte er sich auf dem Absatz um und knallte die Wohnzimmertür hinter sich zu. Ich sah ihm verwirrt hinterher. Klar, Gordons Worte waren unfreundlich gewesen, aber das war doch kein Grund sich so aufzuregen. Wo lag sein Problem?
Auch Gordon schien es nicht zu verstehen.
"Komischer Kerl, dein Mitbewohner. Ist der immer so?"
Ich hatte das Verlangen, Niall zu verteidigen, aber dann schloss ich den Mund und zuckte unbestimmt die Achseln. "Er ist okay", murmelte ich stattdessen und bereute es eine Sekunde später.
Warum hatte ich das gesagt? Niall war mehr als okay. In mir keimte schlechtes Gewissen auf, aber ich verdrängte es und richtete mich auf.
"Warum bist du vorbeigekommen?" fragte ich Gordon.
"Ich weiß nicht. Es war eher eine Art Bauchgefühl. Du hast mir gefehlt."
Ich zerschmolz fast bei diesen Worten. Lächelnd erwiderte ich: "Ich habe dich auch vermisst."
Er strahlte, wobei seine dunklen Augen funkelten. Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht tief in ihnen zu versinken.
Er richtete sich auf. "Hast du Zeit? Ich würde gerne etwas mit dir unternehmen."
Meine Gedanken huschten zu Niall, der nur wenige Meter entfernt im Wohnzimmer saß. Wir hatten uns gerade so gut verstanden. Doch dann beschloss ich, dass er sich nicht beschweren konnte, er könnte sich ja auch mit anderen Leuten treffen. Außerdem kribbelte mein ganzer Körper in Erwartung auf gemeinsame Zeit mit Gordon.
"Okay. Ich sag nur noch schnell, ähm, Harold Bescheid", antwortete ich schließlich.
Niall saß mit dem Rücken zu mir auf dem Sofa und kraulte Wicked.
"Niall? Ich gehe mit Gordon weg, nur dass du Bescheid weißt."
Er brummte etwas unverständliches.
"Wie bitte?"
"Nichts."
Genervt schloss ich die Tür ein bisschen fester als nötig und wandte mich Gordon zu. "Wir können los."
Sobald ich mich angezogen hatte und wir vor die Tür traten, nahm er wie selbstverständlich meine Hand. Einerseits ging mir das ein bisschen schnell, aber andererseits vollführte mein Magen Purzelbäume bei seiner Berührung.
Gordon wollte mir nicht verraten, wohin wir gingen, auch wenn ich ihn anbettelte. Schließlich gab ich mich geschlagen und achtete grummelnd darauf, mit ihm Schritt zu halten. Da er so viel größer als ich war, musste ich doppelt so schnell laufen wie er und war schon nach kurzer Zeit völlig aus der Puste.
"Wir sind gleich da", versprach er mir schmunzelnd.
Tatsächlich bogen wir kurz darauf in einen kleinen Waldweg ein, der uns immer tiefer hineinführte. Es roch nach Kiefernnadeln und Holz. Ich schloss beim Gehen die Augen, überließ Gordon meine Führung und konzentrierte mich nur auf die Geräusche und Gerüche. Als ich sie wieder öffnete, weil wir stehengeblieben waren, stieß ich einen überraschten Laut aus. Mit großen Augen sah ich mich um. Ich brauchte eine Weile, um den Anblick zu verdauen. Rechts von uns war eine große Bühne aufgebaut worden, die sich zwischen die Bäume schmiegte. Davor waren unzählige Stühle aufgestellt, von bunten Plastikstühlen bis zu hölzernen Schaukelstühlen.
"Wo sind wir hier?" flüsterte ich.
"Bei einem Waldtheater", antwortete Gordon.
Ich war so überwältigt, dass ich keine Worte fand. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, stellte mich auf die Zehenspitzen und lehnte mich ihm mit geschlossenen Augen entgegen. Mein Herz raste.
Machte ich mich hier gerade komplett lächerlich?
Doch bevor ich diesen Gedanken fortführen konnte, spürte ich plötzlich seine Lippen auf meinen.
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