Kapitel 28
Während der Fahrt war ich kurz eingeschlafen und als wir ausstiegen, gähnte ich laut und herzhaft und steckte Niall damit an. Wir liefen die Auffahrt runter und erreichten schließlich das Haus. Aus dem Dunklen löste sich plötzlich eine Gestalt und kam hastig auf uns zu. Vor Schreck sprang ich zurück, bevor ich in der Person Marylin erkannte.
"Huh, Marylin! Was machst du denn hier?" stieß Niall aus. Auch er war zusammengezuckt.
Sie sah ihn kühl an und sagte: "Niall. Schön, euch zu sehen."
Einen Moment wunderte ich mich, weshalb sie ihn so abweisend behandelte. Aber dann fiel mir ein, dass sie nur den 'gemeinen Niall' kannte. Seitdem wir uns vertragen hatten, hatten sie noch nicht miteinander geredet. Ich stellte mich neben ihn und lächelte sie, wenn auch etwas irritiert, an.
"Auch schön, dich zu sehen. Ähm. Ist was passiert?"
Marylin stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor uns auf. Da sie uns um mindestens einen Kopf überragte, wirkte das sehr bedrohlich.
"In der Tat, es ist etwas passiert!" zischte sie. "Ihr beiden verschwindet einen ganzen Tag und niemand weiß, wo ihr seid! Nicht mal ein klitzekleines Post-it an der Tür, nichts! Wisst ihr überhaupt, was ich mir für Sorgen gemacht habe?"
Wir senkten schuldbewusst die Köpfe.
"Ihr seid hier im Zeugenschutzprogramm, verdammt! Solche Aktionen könnt ihr euch nicht erlauben, verstanden? Ihr hättet tot sein können! Wenn was passiert wäre, hätte euch niemand helfen können, und ich hätte eine Klage am Hals! Versteht ihr das?"
In ihrer Stimme spiegelte sich eine Mischung aus Verzweiflung und Angst.
Erschrocken trat ich auf sie zu und legte eine Hand auf ihren Arm. "Es tut uns Leid. Wirklich. Das kommt nicht noch einmal vor."
Niall nickte zustimmend und entschuldigte sich ebenfalls.
Langsam gewann sie ihre Fassung wieder und räusperte sich.
"In Ordnung. Es ist außerdem etwas passiert, was ich euch erzählen muss, dafür gehen wir aber besser nach drinnen."
Sie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand ins Haus. Niall und ich warfen uns einen beunruhigten Blick zu und folgten ihr.
Im Haus machten wir es uns auf dem Sofa gemütlich. Marylin sah uns lange an, dann öffnete sie den Mund und fing an zu sprechen.
"Es gibt Neuigkeiten zu dem Fall, aber keine guten. Der Täter läuft nach wie vor frei herum und es gibt so gut wie keine Indizen. Das ist es aber nicht."
Sie holte tief Luft.
"Eine weitere Person wurde ermordet."
Ich stieß einen entsetzten Laut aus, Niall sah sie sprachlos an. Doch bevor wir etwas sagen konnten, redete sie bereits weiter.
"Es handelt sich um eine Frau Mitte 30, mehr weiß ich nicht über sie. Keiner hat etwas gesehen oder gehört, man fand ihre Leiche erst heute morgen."
"Woher will man wissen, dass es der gleiche Täter war?" fragte Niall entsetzt.
"Man weiß es nicht genau, die Polizei vermutet es. Dafür spricht allerdings, dass beide Opfer in der selben Position aufgefunden wurden, sie wurden höchstwahrscheinlich kniend erschossen. Könnt ihr das bestätigen?"
Da ich zu keiner Antwort fähig war, nickte ich mühsam.
Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte, dass sie aufhörte zu reden.
"Die Obduktion hat ergeben, dass beide Kugeln aus der selben Waffe stammen. Alles in allem ist es ziemlich wahrscheinlich, dass es sich hierbei um ein und denselben Täter handelt."
Mittlerweile hatte ich meine Augen zusammengepresst und wiegte mich leicht hin und her. Marylin strich mir mitfühlend mit der Hand über die Haare, eine Geste, die mich ein wenig beruhigte.
"Und was passiert jetzt?" Fragte Niall.
Sie hob die Schultern. "Das bleibt abzuwarten. Die Polizei hat erneut eine Fahndungsmeldung rausgegeben und die Bevölkerung dazu animiert, Hinweise zu geben. 40 000 Pfund für einen Hinweis. Wie ihr euch vorstellen könnt, ist es aber nicht so einfach, in London eine Person zu finden. Wer weiß, wo er sich mittlerweile aufhält."
"Sind wir hier noch sicher?" hakte Niall weiter nach.
"Selbstverständlich. Euch kann hier nichts passieren. Und sollte der Täter doch euren Aufenthaltsort herausfinden, werdet ihr so schnell wie möglich von hier weggebracht."
Marylins Stimme klang bestimmt, zumindest in diesem Punkt schien sie sich sicher zu sein. Doch mir war, als würde eine gewaltige Schwere auf meinem Brustkorb liegen. Ich bekam schlecht Luft und meine Gedanken wirbelten unkontrolliert hin und her.
Zwei Menschen waren brutal ermordet worden.
Und wir waren die einzigen Zeugen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro